Jacob Burckhardt
Der Cicerone
Jacob Burckhardt

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Venedig hat vor allem seinen weltberühmten Dogenpalast, begonnen um 1350 von Filippo Calendario. Es ist schwer mit einem Gebäude zu rechten, welchem, abgesehen von Größe und Pracht, auch noch durch historische und poetische Vorurteile aller Art ein so großer Phantasieeindruck gesichert ist. Sonst müßten wir bekennen, daß die ungeheure, rautenartig inkrustierte Obermauer die beiden Hallenstockwerke, auf welchen sie unmittelbar ruht, in den Boden drückt. Man hat deshalb auch immer gemeint, das untere derselben habe wirklich durch Auffüllung des Bodens etwas von seiner Höhe eingebüßt, bis Nachgrabungen dies als irrig erwiesen. Jedenfalls ist schon die Proportion desselben zum obern unentschieden, geschweige denn zum Ganzen; entweder müßte es derber und niedriger, oder höher und schlanker sein, als es ist. Auch hier offenbart sich der Mangel an demjenigen Gefühl für Verhältnisse, welches sich nur da entwickelt, wo die Architektur festen Boden und großen freien Raum zur Verfügung hat. – An sich aber wirkt das obere Hallenstockwerk außerordentlich schön und hat als durchsichtige Galerie in der Kunst des Mittelalters nicht mehr seinesgleichen. – Die Fenster der Obermauer und die Zinnen des Kranzgesimses sind bloße Dekoration, dagegen die Porta della Carta (s. unten) ein sehr wertvoller und tüchtiger Bau des sich schon zur Renaissance neigenden spätgotischen Stiles (1439). Dieses wunderbare Gebäude ist nun teils Nachbild, teils Vorbild einer bedeutenden Palastbaukunst, die im 14. und während der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts in Venedig blühte. Sie unterscheidet sich von der sonstigen italienischen (florentinischen, sienesischen) dadurch, daß sie sich nicht aus dem Bau fester Familienburgen entwickelt, welche dem politischen Parteiwesen als Schauplatz und Zuflucht zu dienen haben. Vielmehr ist es hier der ruhige Reichtum, der sein heiteres Antlitz am liebsten gegen den großen Kanal wendet. Das Erdgeschoß war (wenigstens früher) den Warenlagern und Geschäften gewidmet; einfache Bogentore öffnen sich für die Landung der Barken und Gondeln; ausnahmsweise auch etwa eine offene Halle. In den obern Stockwerken aber, die zur Zeit des byzantinischen Stiles (S. 112) nur überhöhte Bogenfenster auf Säulen gehabt hatten, entwickelt jetzt der gotische Stil ein keckes Prachtmotiv; über und zwischen den Spitzbogen folgen nämlich ebenfalls durchbrochene Rosetten, die noch mit zum Fenster gehören. In der Mitte drängen sich eine Reihe von solchen Fenstern zu einer großen Loggia zusammen, womit die einzelnen Fenster auf beiden Seiten vortrefflich kontrastierenAuffallend bleibt es, daß die Loggia stets aus einer geraden Zahl von Fenstern (4, 6, 8) besteht, so daß eine Säule auf die Mitte trifft. Vgl. S. 104 oben und S. 132 unten. . Rechnet man hinzu die Bekleidung der Hausecken mit gewundenen Säulen, die der Wandflächen mit bunten Steinarten, die der Fenster mit birnförmigen Giebeln und die des Dachrandes mit moresken Zinnen, so ergibt sich ein überaus fröhliches und zierliches Ganzes. Aber zu dieser leichten und luftigen Bauweise gehört auch der Wasserspiegel und das bewegte Leben der Kanäle; wo solche Paläste oder ihre Rückseiten auf bloßen Plätzen (Campi) stehen, wirken sie auffallend geringer, und das Auge kann den Jubel nicht mehr recht begreifen. Vor einer Nachahmung in den Straßen unserer nordischen Städte wird sich jeder besonnene Architekt wohl hüten. Das niedlichste dieser Gebäude ist die Ca Doro; sie zeigt, in welchen Dimensionen dieser Stil am glücklichsten wirkt. Aus der großen Zahl der übrigen Paläste nennen wir diejenigen am Canale grande, vom Markusplatz beginnend: – (Rechts) das jetzige Albergo dell' Europa; nahe dabei ein kleines Gebäude, an welchem auch die reichen Balkons noch wohl erhalten sind. – (Rechts) Palast Barbaro, – und Palast Cacalli, letzterer besonders energisch in der Fensterbildung. – (Links) die aneinanderstoßenden Paläste Giustiniani, – und der große Palast Foscari, welcher die Wendung des Kanals beherrscht, mit achtfenstrigen Loggien. – (Links) Palast Pisani a S. Polo, ebenfalls einer der bedeutendsten. – (Links) Palast Bernardo. – (Rechts) Palast Bembo. – Nach dem Rialto: (Rechts) Palast Sagredo – dann die genannte Ca Doro.

In andern Gegenden der Stadt ist beinahe kein ansehnlicher Kanal, kein größeres Campo, an welchem nicht irgendein Gebäude dieser Art in die Augen fiele. Ich erwähne noch den Palast neben der Aquila d'oro, die Gebäude bei S. Polo, Albergo Danieli usw. Für Aquarellmaler: Palast Cigogna bei S. Angelo Raffaele, an sich gering.

Eine Anzahl ähnlicher Gebäude findet man auch in Padua und in dem kleinen Vicenza, welches doch von jeher eine verhältnismäßig bedeutende Baugesinnung offenbart. Unter den vicentinischen Palästen wird man z. B. zwei in der Nähe von Palast Barbarano mit Vergnügen besuchen; sie haben außer der Fassade auch noch ihre alten Hofhallen, Treppen, Balustraden usw., wenigstens stückweise. Ein artiges Häuschen, Nr. 1666, mit teppichartigen Arabesken bemalt, usw.

In Verona finden wir an den gotischen Palästen zwar auch den venezianischen Typus wieder, aber in einer andern Nuance, mit vorherrschender Berechnung auf Mauerbemalung. Auch die steinerne Staffage im obern Teil der Fenster hat eine eigentümliche Gestalt. – (Der Hof des Municipio daselbst, unter dem großen Turm auf Piazza delle Erbe, teils romanisch, teils gotisch, gewährt mit seiner hallenbedeckten Marmortreppe wenigstens einen malerischen Anblick.)

Genua besitzt von diesem Stil nichts von Bedeutung. Die Gotik der paar Häuser auf Piazza S. Matteo beschränkt sich im Grunde auf die Bogenfriese, ebenso an mehrern andern Gebäuden der alten Stadtteile. Die Höfe, auf welchen hier der Akzent gelegen haben muß, sind überall verbaut. Für Architekturen wenigstens ein halberhaltenes Spezimen: in dem anonymen Straßengewirr um Madonna delle Vigne das Haus Nr. 463: eine skulptierte Tür führt in ein Höfchen mit Spitzbogenhalle und niedlicher Freitreppe, welche noch ihre gotische Balustrade hat; die Fassade abwechselnde Schichten, schwarz und weiß.

Florenz ist sehr reich an einzelnen Bestandteilen, zumal untern Stockwerken mittelalterlicher Familienburgen, die man nur in uneigentlichem Sinne als Paläste bezeichnen könnte. (Ganze Gassen entlang z. B. um Piazza de' Peruzzi, Borgo S. Croce usw.) Eine künstlerische Form ist fast nirgends durchgeführt; die einfachen meist achteckigen Pfeiler, die hin und wieder die wenigen Bogen des Hofes stützen, haben anspruchlose Blätterkapitelle. Diese Steinhäuser waren Vesten und mußten in bürgerlichen Wirren vieles aushalten können; gerne behalf man sich unter dieser Bedingung, so eng es anging. (Die Gänge auf starken Konsolen rings um einen kleinen Hof hervorragend, in einem vollständigen Beispiel Palast Davanzanti, Via di Porta rossa Nr. 1125.) Belehrend ist die hier klar zutage liegende Entstehungsweise der modernen Rustika (Bossagen): weit entfernt, sie als ein Mittel der ästhetischen Wirkung zu benutzen, meißelte man den Quader gern glatt, wenn Zeit und Mittel es zuließen; blieb er einstweilen roh, so wurden doch um der genauen Zusammenfügung willen seine Ränder scharf und sorgfältig behauen. Eine völlige Gleichmäßigkeit der Schichten oder gar der einzelnen Steine wurde selbst an öffentlichen Gebäuden nicht erstrebt. Erst die Renaissance fand, daß man die Rustika als künstlerisches Mittel behandeln und durch Abstufung aus dem Rohern in das Feinere zu bedeutungsvollen Kontrasten der einzelnen Stockwerke benutzen könne. (Vgl. S. 36, Anm.)

Von Privatgebäuden des 14. Jahrhunderts, in welchen die Säulenhalle des Hofes schlankere Verhältnisse und einen Anfang räumlicher Schönheit zeigt, nenne ich beispielshalber Palazzo Conte Capponi (Via de' Bardi) und Palazzo Conte Bardi (Via del fosso 187), dessen Hof auf zwölf sehr schlanken Säulen mit überhöhten Rundbogen ruht, angeblich ein Gebäude des Brunellesco, und in diesem Fall ein frühes Jugendwerk.

Von Arnolfo, dem Erbauer des Domes, rührt bekanntlich auch Palazzo Vecchio her (vom Jahre 1298). Größe, Erinnerungen, Steinfarbe und phantastischer Turmbau geben diesem Gebäude einen Wert, der den künstlerischen bei weitem übertrifft. Das ganze Innere nebst dem Hinterbau ist spätern Ursprungs. – Dem Agnolo Gaddi gehört die jetzige Gestalt des Palazzo del Podestà (oder del Bargello, vom Jahre 1345) zu, welcher an malerischer Wirkung zumal des Hofraumes seinesgleichen sucht, in Beziehung auf das Detail aber ebenfalls nicht viel mehr bietet als Zinnen, spitzbogige Fenster mit mäßigem Schmuck, sehr bescheidene Gesimse und im Hof ein (jetzt vermauertes) Stück Halle.

Bei weitem das schönste gotische Profangebäude der Stadt ist Orcagnas Loggia de' Lanzi (begonnen 1376). Hier begegnen wir wieder demjenigen Raum- und Formgefühl, welches S. Maria novella, S. Croce und den neuen Dom von Siena schuf. Der Ort, wo die Obrigkeit ihre feierlichsten Funktionen vollzog, wo sie vor dem Volk auftrat und mit ihm redete, in einer Zeit, da die Florentiner sich als das erste Volk der Welt fühlten – eine solche Räumlichkeit durfte nicht in winzigem und niedlichem Stil angelegt werden. Möglichst wenige und dabei großartige Motive konnten allein der »Majestät der Republik« einen richtigen Ausdruck verleihen. Die einfache Halle von drei Bogen Breite umfaßt einen ungeheuern Raum, mit gewaltigen Spannungen, über leicht und originell gebildeten Pfeilern; ihr Oberbau hat unabhängig von antiken Vorbildern gerade diejenige Form getroffen, welche für Auge und Sinn die hier einzig wohltuende ist: über breiter Attika tüchtige Konsolen und eine durchbrochene Balustrade.

Von dem als Kornspeicher erbauten Orsanmicchele ist schon oben (S. 138) die Rede gewesen.

Die Tore von Florenz, meist aus dem 13. Jahrhundert, überraschen durch den mächtigen Ernst der Konstruktion, die Größe der Pforte und die Höhe des stadtwärts schauenden Bogens. – Nebst den meisten andern italienischen Stadttoren dieser Zeit entbehren sie der überragenden Seitentürme, welche häufig an deutschen Stadttoren vorkommen; in Italien z. B. am Arco dell' Annunziata zu Lucca, an der interessanten Porta della Vacca in Genua, an einem andern Binnentor daselbst usw. Die wenigen daran angebrachten Dekorationen durchgängig solid und einfach; im Bogen gegen die Stadt Freskogemälde, die Mutter Gottes und die Schutzpatrone darstellend.

In Pisa ist das Doganengebäude unweit der mittlern Brücke ein ernsterer steinerner Zierbau, das jetzige Caffe dell' Ussero gegenüber am Lungarno ein leichterer backsteinerner (14. Jahrhundert, mit einzelnen Veränderungen der Fenster im Renaissancestil). Die Flächen, wie sie sich durch die Einrahmung mit Pilastern, Bogen usw. ergaben, sind ganz naiv mit gotischem Blattwerk ausgefüllt, nach einem schon wesentlich modernen Gefühl. Einzelne Details von feinster Eleganz.

Ganz Siena ist voll von gotischen Privatgebäuden und Palästen des 14. Jahrhunderts; keine Stadt Italiens oder des Nordens, weder Florenz und Venedig, noch Brügge und Nürnberg ist in dieser Beziehung reicher. Man findet sie von Stein, von Backstein und gemischt, wie z. B. der Palazzo Pubblico; sonst mögen noch Palazzo Tolomei, Palazzo Saracini und als zierlichster Backsteinbau Palazzo Buonsignori genannt werden. – Sie können dem jetzigen Architekten nicht viel helfen; denn wenn er auch ihre nur mäßigen Profile und Zierformen, wenn er selbst die beträchtliche Höhe ihrer Stockwerke nachbilden dürfte, so würde man ihm doch nicht leicht den Luxus des Materials gestatten, auf dessen echter, unverkürzter Anwendung ganz wesentlich der Effekt beruht. In Mörtel und (wenn es hoch kommt) Zink nachgeahmt würden diese Formen und Massen nicht viel bedeuten.

Die durchgehende Form der Maueröffnungen ist der Spitzbogen, welcher in der Regel drei durch Säulchen geschiedene Fenster enthält. Der Bogen selbst bleibt eine müßige Verzierung; oft darunter noch ein sog. Stichbogen (Kreissegment).

Eine freie Nachahmung der Loggia de' Lanzi ist die Loggia degli Uffiziali am Casino de Nobili in Siena (1417). Sie hat im kleinen dieselbe Schönräumigkeit; die Hauptglieder der Pfeiler sind hier Halbsäulen; das obere Stockwerk ist in seiner jetzigen Gestalt wohl ein Jahrhundert neuer, paßt aber trefflich zum untern.

Endlich sind die Brunnen, eigentlich große, mit massigen Spitzbogen überwölbte Wasserbehälter, für Siena bezeichnend. Der Kunstwert ist bei Fonte Branda (1193) wie bei Fonte nuova und den übrigen gering, der malerische Eindruck aber durch die phantastische Umgebung, namentlich der erstern, einer der besten dieser Art, die man aus Italien mitnimmt.

In Pistoja sind Palazzo del Commune und Palazzo de' Tribunali (ehemals del Podestà) aus dem 14. Jahrhundert; beide mit Spitzbogen über den Fenstern. Der letztgenannte Palast hat eine stattliche untere Halle mit breiten Kreuzgewölben; vier weite Rundbogen schließen den Hof ein. Dieser ganze Raum ist überdies sehenswert der zahllosen gemalten Wappen wegen; man ist in den jetzigen italienischen Wappen gewohnt, eine gänzliche heraldische Gesetzlosigkeit, eine beständige Verwechslung der Wappengegenstände mit Symbolen und Emblemen anzutreffen, die von Hause aus etwas ganz anderes sind; hier dagegen sind alte Wappen samt Helmzierden und Zutaten echt heraldisch und mittelalterlich gehandhabt. Leider hat eine neuere Restauration einiges im Stil von Theaterdekorationen hinzugefügt.

Besonders edel und glücklich ist die Fensterbildung am Palazzo del Commune zu Perugia, wo je 3 oder 4 durch Säulchen getrennte Fenster zusammen in ein gutprofiliertes Quadrat eingerahmt sind. Diese Fenster sind, wie auch das prachtvolle Portal, als Einzelschmuck nicht sehr regelmäßig in die durchaus glatte Quaderfronte eingesetzt und so der Anspruch auf organische, strenge Gesamtkomposition ganz geflissentlich vermieden. Zwei Konsolenfriese und oben ein Bogenfries sind die einzigen durchgehenden Glieder.

Weiter nach Süden besitzt Viterbo ein artiges, gotisches Palästchen (wenn ich nicht irre, das Vescovato) in der Nähe des Domes. Die Brunnen, wofür diese Stadt namhaft ist (Fontana grande 1206–1279 usw.), sind, wie die meisten italienischen Brunnen des Mittelalters, Breitbauten, während in der nordischen Gotik auch der Brunnen ein Stück Kirchenbau, und zwar ein Abbild des Kirchturmes darstellen muß. Der schönste italienische Brunnen dieser Zeit ist der dreischalige zu Perugia, den wir bei Anlaß der Skulptur wieder erwähnen müssen. (Die Brunnen von Siena verlangten als große Wasserbehälter einer Bergstadt jene besondere Form.)

Von den gotischen Profanbauten der Mark Ankona und der Romagna von Bologna abwärts bedaure ich keine Rechenschaft geben zu können. In Ankona ist, wenn ich mich recht erinnere, die Börse ein stattlicher Backsteinbau dieser Zeit. In Ravenna nichts von Belang. Rimini soll mehreres enthalten,

Rom besitzt mit Ausnahme der Minerva und einiger Flickbauten an ältern Kirchen überhaupt nichts von germanischem Stil; Neapel wenigstens keinen Profanbau von höherer künstlerischer Bedeutung. Dergleichen Gebäude reichen in der Regel, so weit damals ein freies munizipales Leben reichte.

An Schlössern dieser Epoche, und zwar oft ungeheuer großen, ist zumal in Mittel- und Unteritalien kein Mangel. Sie gehören nicht der Kunstgeschichte an, nehmen aber in der Geschichte des Kriegsbaues ohne Zweifel eine bedeutendere Stelle ein als unsere nordischen Adelsschlösser. Der große Aufschwung kam in den italienischen Festungsbau allerdings erst während des 15. Jahrhunderts, als Päpste, Fürsten und Republiken sich auf alle Weise gegenseitig sicherzustellen suchten. Aus dieser Zeit stammt der jetzige Bestand vieler jener »rocche«, welche die italienischen Städte, auch Talschluchten und Flüsse beherrschen; bedeutende Baumeister wie Bern, Rosellino und andere waren ihr Leben lang vorzugsweise mit solchen Aufgaben beschäftigt, und auch das Ausland zog die italienischen Ingenieure an sich. Außerstande, das Militärische an diesen Bauten zu beurteilen, nenne ich nur um des hochmalerischen Anblicks willen die von Filippo Maria Visconti (um 1445) errichteten Festungswerke von Bellinzona, bestehend aus drei Schlössern und deren Verbindungsmauern nebst einer Mauer bis an den Ticino. Von den frühern viscontinischen Bauten ist das schicksalsberühmte Kastell von Pavia auch architektonisch als Palast ausgezeichnet, von den spätem das Kastell von Mailand, welches im 16. Jahrhundert als die vollkommenste Veste der Welt galt; von dem alten Bau sind nur die unzerstörbaren Ecktürme und ein Teil der dazwischenliegenden Mauern ganz kenntlich erhalten, die innern Teile meist umgebaut. – Von den Angioinen-Schlössern im Königreich Neapel wird wohl das kolossale Castelnuovo der Hauptstadt (unter Karl von Anjou angeblich nach einem Plan des Giovanni Pisano begonnen) den unbestreitbaren Vorzug behalten. Die stattlichen Mauern und Türme Neapels vom Carmine bis über Porta Capuana hinauf sind erst aus der Zeit Ferdinands I. von Aragon (1484). – Über die Tore von Florenz s. S. 152. – Von den Türmen, welche das Abzeichen städtischer Adelswohnungen waren, hat sich in Pavia (noch jetzt) am meisten, in Florenz einer oder der andere, in Bologna die durch ihre Schiefheit allzu berühmte Garisenda und die weniger schiefe aber viel höhere Torre degli Asinelli erhalten. (Erstere wenigstens absichtlich so gebaut.) Ebenda noch einige andere.

Außer aller Linie steht endlich das Kastell von Ferrara, bei weitem der bedeutendste Anblick, welchen Italien in dieser Gattung gewährt. Steinfarbe, Wassergräben, Vor- und Rückwärtstreten der einzelnen Teile, treffliche Erhaltung ohne entstellende Zutaten – alles trägt dazu bei, die Burg des Hauses Este zu einem malerischen Gegenstand zu machen, wie er sonst nicht wieder vorkommt.

Es sei noch eine Schlußbemerkung über die gotischen Profangebäude überhaupt gestattet, die sich auch auf unsere nordischen bezieht. Nur wo sehr reichliche Mittel vorhanden waren, wird man eine gegliederte Gesamtkomposition durchgeführt finden; sonst begnügte sich das Mittelalter mit einzelnen reichornamentierten Teilen, die oft ganz unsymmetrisch an dem sonst schlichten aber massiven Bau verteilt sind. Und solche Gebäude machen gerade oft die allerschönste Wirkung. Sie geben ein unmittelbares Gefühl des Überflusses, während sog. durchkomponierte Gebäude unserer Zeit so oft den Gedanken rege machen, es habe am Besten gefehlt.

Kleinere dekorative Arbeiten sind in Italien, wie angedeutet, nicht die starke Seite dieses Stiles. Von einem der wichtigsten Werke, dem Tabernakel Orcagnas, ist schon die Rede gewesen; anderes wird unten bei Anlaß der Skulptur zu erwähnen sein. – In der Anordnung ist der echte Organismus des Gotischen durchgängig mißverstanden oder geflissentlich bei Seite gesetzt. Aber das von diesem Zwang befreite Detail ergeht sich oft in einem eigentümlichen harmonischen Reichtum des Stoffes, der Form und der Farbe. Die Cosmaten (Seite 93) hatten ein System von Zierformen geschaffen, welchem man gerade jetzt am wenigsten entsagen wollte, und das man mit den gotischen Grundformen oft auf die ansprechendste Weise verband. Die Fassade von Orvieto zeigt, wie weit dieses Streben bisweilen führte. – Von kleinern Werken sind besonders Altartabernakel und Grabmäler der Beachtung wert.

Der erstern enthält Rom vier bedeutendere: in S. Paul (kurz vor 1300, von Arnulfus, vermutlich Arnolfo del Cambio), in S. Cecilia (von demselben), in S. Maria in Cosmedin (von dem Cosmaten Adeodatus, nach 1300) und im Lateran (gegen 1370)Außer demjenigen in der Kirche die Reste eines altern im Klosterhof, von dem genannten Adeodatus. . Die mosaikierten Türmchen, die südlich flachen Giebel usw. sind nichts als Bastardformen, aber die sichere und delikate Behandlung des einzelnen, das prächtige Material, der monumentale Sinn und die Liebe, womit das Ganze vollendet ist, geben diesen Werken einen bedeutenden Wert. – Viel lebendiger gotisch und in plastischer Beziehung reicher durchgeführt (gewundene Säulen mit Blattwerk in den Rinnen usw.) erscheint der erzbischöfliche Thron im Dom von Neapel, der vielleicht ursprünglich auch als Altartabernakel diente.

In Oberitalien beginnt schon statt des frei und vierseitig komponierten Altartabernakels hier und da der nordische Altarschrein, d. h. eine Wand mit einfacher, doppelter oder dreifacher Nischenreihe für (meist hölzerne) Statuetten und mit geschnitzten Pyramiden als Abschluß; das Ganze bemalt und vergoldet. In einzelnen Fällen kamen solche Altäre sogar fertig aus dem Norden. Natürlich hat die spätere Zeit mit ihren vermeintlich so viel effektreichern großen Altargemälden und Marmorgruppen diese bescheidenern Arbeiten großenteils von den Altären verdrängt; man muß zufrieden sein, wenn sie überhaupt noch vorhanden sind. Im Dom von Piacenza ist z. B. ein prächtiger ehemaliger Altaraufsatz über dem Hauptportal angebracht. Ein anderer in S. Petronio zu Bologna. (4. Kap. links.)

An den berühmtem Kanzeln dieser Zeit ist das Architektonische in der Regel der Skulptur untergeordnet, ebenso an den Prachtgräbern von Heiligen.

Die übrigen Grabmäler, als einer der ersten Anlässe zur Entwicklung einer neuen Skulptur hochbedeutend, sind in der baulichen Anordnung höchst verschieden. Gemeinsam ist ihnen ein Hauptmotiv, welches in neuern Grabdenkmälern meist ganz übergangen wird, nämlich der Sarkophag. Um und an diesen setzt sich der ganze übrige Schmuck in vielen Variationen an, während im Norden die Grabplatte – gleichviel ob liegend oder stehend – die Grundform bleibt, weil auch Bischöfe und Fürsten insgemein in die Erde gesenkt wurden. Die älteste Weise, den Sarkophag monumental bedeutend zu machen, ist seine Aufstellung auf kurzen Säulen, wie z. B. der vermeintliche Sarkophag des Trojaners Antenor in Padua aufgestellt ist; man vergleiche auch das bescheidene Grabmal Gregors X. († 1276) im Dom von Arezzo. – Auch, wenn ich mich recht entsinne, das Grab des Kardinals Anchera († 1286) in einer Nebenkapelle rechts in S. Prassede zu Rom. – Oder der Sarkophag wird hoch an einer Wand auf Konsolen angebracht, welche dann oft prächtig und kraftvoll gestaltet sind; vgl. die Gräber in mehreren älteren Kirchen Venedigs, im Dom von Florenz, im rechten Querschiff von S. Maria novella und im Kreuzgang von S. Croce daselbst usw.

In Padua sind die Grabmäler dieser Art eigentümlich und nicht unschön aus allen drei Künsten gemischt, über dem auf Konsolen schwebenden Sarkophag, der bisweilen schöne Eckfiguren und eine fein individuelle Porträtstatue aufweist, wölbt sich ein Spitzbogen mit quadratischer Einfassung; auch dieser hat an den Ecken Statuetten, in der Leibung gemalte oder Relieffiguren; die Innenfläche des Bogens aber und seine Füllungen gehören regelmäßig der Malerei an, welche die erstere meist mit einer thronenden Maria zwischen Heiligen oder mit Maria Krönung u. dgl. geschmückt hat. Außer dem malerischen Werte dieser Darstellungen, in welchen sich die paduanischen Giottesken mit mehr Glück und Liebe bewegen als in den großen Freskenzyklen, ist auch die Skulptur mit ihrem oft sehr kenntlichen pisanischen Nachklang nicht zu verachten. An den beiden stattlichsten Gräbern dieser Art, von Mitgliedern der Fürstenfamilie Carrara, in den Eremitani (rechts und links von der Tür) sind leider die Malereien verlorengegangen. Wohlerhaltene findet man z. B. in andern Teilen derselben Kirche, sodann im Santo (Durchgang rechts zum ersten Klosterhof), im rechten Querschiff des Domes u. a. a. O. Außerhalb Paduas kommen ähnliche, zum Teil recht schöne Gräber vor, z. B. in S. Corona zu Vicenza (Kapelle rechts vom Chor); sodann in Verona, nur daß hier der Oberbau insgemein wieder die Giebelform annimmt.

Wo antike figurierte Sarkophage vorhanden sind, bedient man sich derselben in einzelnen Fällen und verziert sie mit sonderbaren Zusätzen, wie das Grabmal Savelli im Querschiff von Araceli zu Rom zeigt.

Endlich werden größere Architekturen bei wachsendem Gräberluxus zur Sitte. Bloße gotische Giebel auf gewundenen Säulchen über dem als Sockel behandelten Sarkophag stehend kommen z. B. in S. Croce zu Florenz (Querschiff) vor, in Fällen, wo statt einer Hinterwand der Durchblick verlangt wurde. Sonst ist die in Mittelitalien mehrmals und in trefflichem Stil vorkommende Gestalt die einer vollständigen gotischen Nische mit einem Gemälde oder Mosaik; unten steht darin der Sarkophag mit der liegenden Statue des Verstorbenen, zu deren Haupt und Füßen Engel schützend das Leichentuch halten. So an den beiden schönen cosmatischen Gräbern des Kardinal Consalvo († 1299) in S. Maria maggiore, rechts vom Hauptaltar, und des Bischofs Durandus in S. Maria sopra Minerva zu RomIn S. Domenico zu Orvieto soll das schöne Grabmal eines Kardinals de Braye von Arnolfo herrühren. . – An den neapolitanischen Gräbern ist insgemein dieses Motiv mit einem der obengenannten in eine nicht eben glückliche Verbindung gebracht; der Sarkophag wird auf Säulen oder statt deren auf Karyatiden (allegorische Tugenden) gestellt, so daß die darauf liegende Statue kaum mehr sichtbar ist; die beiden Engel aber, der geringen Höhe der Nische wegen meist nur klein, machen sich hier mit dem Wegziehen des (steinernen) Nischenvorhanges mehr als billig zu tun. Der Giebel über der Nische hat dann noch seine besondere Ausbildung und seine Statuetten, ja oft noch einen besondern Baldachin, der das Ganze umschließt. Außerdem erreicht das bauliche Gehäuse namentlich an den Angioinengräbern in S. Chiara und S. Giovanni a Carbonara einen außerordentlichen, doch niemals reinen und schönen Reichtum. Diese und das zwar von Giotto aber nicht eben glücklich angeordnete Grabmal Tarlati im Dom von Arezzo werden bei der Skulptur wieder zu erwähnen sein.

Rom hat seine ältern Papstgräber in Bruchstücken, wobei die bauliche Einfassung durchweg verlorenging, in die Krypta von S. Peter, die Sagre grotte vaticane, verwiesen. Das Grab Gregors VII. im Dom von Salerno ist modern; im Dom von Perugia ruht der große Innozenz III. mit zwei Amtsnachfolgern unterhalb einer bescheidenen Inschrifttafel (im rechten Querschiff). Allein in S. Domenico zu Perugia (linkes Querschiff) ist wenigstens ein Papstgrab ersten Ranges erhalten, dasjenige Benedikts XI. († 1304) von Giovanni Pisano; ein prächtiger Innenbau unter einem Baldachin auf gewundenen und figurierten Säulen, alles mit reicher und dabei gemessener Mosaikierung. Ein ebenfalls prächtiges Papstgrab im Cosmatenstil ist dasjenige Hadrians V. († 1276) in S. Francesco zu Viterbo.

Endlich beschließt Verona den Kreis italisch-gotischer Gräberformen mit den berühmten Denkmälern der Skaliger, bei S. Maria antica. Neben mehrern einfachern zeichnen sich diejenigen des Can Grande (1329), des Mastino II. (vor 1351) und des Can Signorio (vor 1375) als Freiarchitekturen aus; das zugrundeliegende, verschiedenartig ausgebildete Motiv ist der erhöhte Sarkophag mit liegender Statue unter einem Baldachin auf Säulchen, der mit einer Reiterstatue gekrönt ist. Kulturgeschichtlich sind diese Gräber ebenso merkwürdig als in betreff der Kunst. Außerhalb der Kirche, in mehr politisch-monumentaler als in religiöser Absicht von den Gewaltherrschern Veronas noch bei Lebzeiten errichtet, sind sie die Vorstufe jener ganz profanen Reiterdenkmäler, wie sie später von den Venezianern als politische Belohnung für ihre Feldherren gesetzt wurden. Hier sind die Reiterstatuen noch klein auf dem Gipfel angebracht; das Grab eines Generals und Verwandten der Scala, des Sarego, links im Chor von S. Anastasia (1432), stellt Roß und Reiter schon beträchtlich größer und als die Hauptsache dar (wovon unten). – Das übrige Figürliche an den Gräbern der Skaliger, selbst an dem prächtigen des Can Signorio (von Bonino da Campiglione) ist ebenfalls mehr sachlich als künstlerisch wichtig. Die sechs Helden, welche in den Baldachinen des letztern prangen, sind noch als heilige Krieger zu verstehen (die Heiligen Georg, Martin, Quirinus, Sigismund, Valentin und Ludwig IX.); wenige Jahrzehnte später wären es schon eher jene unbestimmten römischen Heroen, welche an den Dogengräbern der Lombardei Wache zu halten pflegen.


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