Jacob Burckhardt
Der Cicerone
Jacob Burckhardt

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Von der Bildung einzelner Gestalten gehen wir über zu den Gruppen, deren mehrere bereits beiläufig genannt worden sind. Eine Kunstepoche, welche so großen Wert auf das Momentane und Dramatische legte und in allen Künsten so sehr auf Pomp und Pracht ausging, mußte eine entschiedene Vorliebe für große Marmorgruppen haben. Da ihr aber die höhern Liniengesetze gleichgültig waren neben dem Ausdruck der Wirklichkeit und des Momentes, so mußten in der Regel verfehlte Werke zum Vorschein kommen.

In den Profangruppen wird das Kapitel der mythischen Entführungsszenen umständlich behandelt; Bernini gab schon in seiner frühern Gruppe »Apoll und Daphne« (S. 656, d) dasjenige Übermaß des Momentanen, womit jene Zeit glücklich zu machen war; außerdem gehört sein Pluto (S. 656, c) hierher. Mit der Zeit gerieten solche Sujets in die Hände von Garten-Steinmetzen, und fielen dann bisweilen so lächerlich aus, daß man das Anstößige völlig vergißt. Irgend etwas von dem plastischen Ernste des Sabinerinnenraubes von Giov. Bologna wird man im 17. und 18. Jahrhundert vergebens suchen.

Von den Brunnengruppen ist zum Teil schon die Rede gewesen (S. 374 u. f.). In derjenigen auf Piazza Navona (S. 656, e) strebt Bernini nach dem Ausdruck elementarischer Naturgewalten in Michelangelos Sinne, allein statt eines bloßen gewaltigen Seins kann er auch hier sein Pathos nicht unterdrücken, ein Nachteil, welchen die einfach tüchtige Detailarbeit nicht wieder gutmachen kann. Hier lernt man Giov. Bolognas Brunnen im Garten Boboli (S. 646) schätzen, welcher einen streng architektonischen Sinn in plastischen Gestalten ausdrückt und keines irrationellen Elementes bedarf, wie in Berninis Werk der mit unsäglicher Schlauheit arrangierte Naturfels ist.

Ebenso muß man die Prachtgräber dieser Zeit mit ihrer Art von Gruppenbildung kennen, um Michelangelos Gräber in der Sakristei von S. Lorenzo ganz zu würdigen. Bernini selber begann die neue Reihe mit dem Grabmal Urbans VIII. im Chor von S. Peter, und endete mit demjenigen Alexanders VII. (über einer Tür seitwärts vom linken Querschiff); der Typus des erstgenannten herrscht dann weiter in den Grabmälern Leos XI. (von Algardi), Innozenz' XI. (von Monnot), Gregors XIII. (erst lange nach dessen Tode errichtet, 1723, von Camillo Rusconi, das beste der Reihe), und Benedikts XIV. (von Pietro Bracci), wozu noch dasjenige Benedikts XIII. in der Minerva (ebenfalls von Bracci) und dasjenige Clemens' XII. im Lateran (Cap. Corsini) zu rechnen sind.

Durchgängig das Beste oder Leidlichste sind natürlich die über den Särgen thronenden, stehenden oder knienden Porträtstatuen der Päpste, zumal bei Bernini selbst. Im übrigen aber wird die Nische, in welcher der Sarkophag steht, nur als eine Art Schaubühne behandelt, auf welcher etwas vorgehen muß. Noch Gugl. della Porta hatte seine »Klugheit« und »Gerechtigkeit« ruhig auf dem Sarkophag Pauls III. lagern lassen, allerdings nicht mehr so unbekümmert um den Beschauer wie Michelangelos Tag, Nacht und DämmerungenDie Grabtypen der Zwischenzeit siehe S. 651. . Seit Bernini aber müssen die zwei allegorischen Frauen eine dramatische Szene aufführen; ihre Stelle ist deshalb nicht mehr auf dem Sarkophag, sondern zu beiden Seiten, wo sie stehend oder sitzend (und dann auffahrend) ihrem Affekt freien Lauf lassen können. Der Inhalt dieses Affektes soll meist Trauer und Jammer, Bewunderung, verehrende Ekstase um den Verstorbenen sein, was denn jeder Bildhauer auf seine Weise zu variieren sucht. – Die kirchliche Dezenz verlangte jetzt eine vollständige Bekleidung, so daß an diesen Gräbern von S. Peter die ausgesuchtesten damaligen Draperiemotive zu finden sind. Die Bravour im Nackten entschädigte sich durch beigegebene Putten. Daneben bringt schon Bernini–wenn ich nicht irre, zum erstenmal seit dem Mittelalter–die scheußliche Allegorie des Todes in Gestalt eines Skelettes vor; am Grabmal Urbans VIII. schreibt dasselbe auf einen marmornen Zettel die Grabschrift zu Ende; am Monument Alexanders VII. hebt es die kolossale Draperie von gelb- und braungeflecktem Marmor empor, unter welcher sich die Tür befindet. Leider fand gerade diese »Idee« sehr eifrige Nachbeter.

Bei Anlaß dieses Extremes ist von den Allegorien einiges zu sagen, weil sie gerade für die Sepulkralskulptur als wesentlichste Gedankenquelle betrachtet wurden; auch an Altären spielen sie oft die erste Rolle. Die Prachtgräber und Altäre Italiens sind ebenso voll von verzweifelten Versuchen, dieses Element interessant zu machen, wie eine gewisse Gattung der damaligen Poesie. Über die Stelle der Allegorie in der Kunst überhaupt haben wir hier nicht zu entscheiden. Ihre Unentbehrlichkeit in allen nicht-polytheistischen Zeitaltern und die Möglichkeit schöner und erhabener Behandlung zugegeben, fragt es sich nur, weshalb sie uns bei den Berninesken so ganz besonders ungenießbar erscheint?

Diese Gedankenwesen, geboren von der Abstraktion, haben eben ein zartes Leben. Selber Prädikate, sind sie wesentlich prädikatlos und vollends tatlos. Der Künstler darf sie zwar als Individuen darstellen, welche dasjenige empfinden, was sie vorstellen, allein er muß diese Empfindung nur wie einen Klang durch die ruhige Gestalt hindurchtönen lassen. Statt dessen zieht die Barockskulptur sie unbedenklich in das momentane Tun und in einen Affekt hinein, der sich durch die heftigsten Bewegungen und Gebärden zu äußern pflegt. Nun ist es schon an und für sich nichts Schönes um Idealfiguren dieses Stiles, wenn sie aber auffahren, springen, einander an den Kleidern zerren, aufeinander losschlagen, so wirkt dies unfehlbar lächerlich. Alles Handeln und zumal alles gemeinschaftliche Handeln ist den allegorischen Gestalten untersagt; die Kunst muß sich zufriedengeben, wenn sie ihnen nur ein wahres Sein verleihen kann.

Gleichzeitig mit Bernini dichtete Calderon seine Autos sagramentales, wo fast lauter allegorische Personen handeln und welche doch den Leser (um nicht zu viel zu sagen) ergreifen. Aber der Leser steht dabei unter der Rückwirkung desjenigen starken spanischen Glaubens und derjenigen alten Gewöhnung an die Allegorie, welche schon dem großen Dichter entgegenkam und ihm die zweifellose Sicherheit gab, deren er in dieser Gattung bedurfte und die uns für den Augenblick völlig mitreißt, während wir bei den Berninesken das ästhetische Belieben, die Wählerei recht wohl ahnen. Sodann sind es Dramen, d. h. Reihen fortschreitender Handlungen, nicht einzelne in den Marmor gebannte Momente. Endlich steht es der Phantasie des Lesers frei, die allegorischen Personen des Dichters mit der edelsten Form zu bekleiden, während die Skulptur dem Beschauer aufdringt, was sie vorrätig hat. – Übrigens empfindet man bei Rubens bisweilen eine ähnliche, zum Glauben zwingende Gewalt der Allegorie wie bei Calderon.

Welcher Art die Handlungen der allegorischen Gruppen bisweilen sind, ist am glorreichsten zu belegen mit den Gruppen von Legros und Teudon links und rechts von dem Ignatiusaltar im Gesù zu Rom: die Religion stürzt die Ketzerei, und der Glaube stürzt die Abgötterei; die besiegte Partei ist jedesmal durch zwei Personen repräsentiert. Was an dieser Stelle erlaubt war, galt dann weit und breit als klassisch und fand Nachahmer in Menge. Einem besonders komischen Übelstand unterliegen dabei die weiblichen Allegorien des Bösen. Aus Neigung zum Begreiflichen bildete man sie als häßliche Weiber, und zwar, wie sich bei den Berninesken von selbst versteht, in Affekt und Bewegung, im Niederstürzen, Fliehen usw. Auf dem figurenreichen Hochaltar der Salute in Venedig (von Justus de Curt) sieht man neben der Madonna unter anderm eine fliehende »Zwietracht«, von einem Engel mit einer Fackel verfolgt, das häßlichste alte Weib in bauschig flatterndem Gewand. Nicht umsonst hatte schon der alte Giotto (Padua, Fresken der Arena) die Laster in männlicher Gestalt dargestellt. – Und dann kann überhaupt nur ein reiner Stil wahrhaft großartige Allegorien des Bösen schaffen.

Allein auch die ruhigern, einzeln stehenden Allegorien unterliegen zunächst der manierierten Bildung alles Idealen. Unter zahllosen Beispielen heben wir die Statuen im Chor von S. M. Maddalena de Pazzi in Florenz hervor, weil sie mit besonderm Luxus gearbeitet sind: Montanis Religion und Unschuld, und Spinazzis Reue und Glaube; der letztere eine von den beliebten verschleierten Figuren in der Art der oben (S. 658, a) genannten. Während sich aber hier wenigstens die Bedeutung der einzelnen Figuren, wenn auch mit Mühe, erraten läßt, tritt in vielen andern Fällen ein absurder vermeintlicher Tiefsinn dazwischen, der mit weit hergeholten pedantischen Anspielungen im Geschmack der damaligen Erudition die Allegorien vollends unkenntlich macht und sich damit zu brüsten scheint, daß eben nicht der erste beste erkenne, wovon die Rede sei. Man suche z. B. aus den acht lächerlich manierierten Statuen klug zu werden, mit welchen Michele Ongaro die kostbare Kapelle Vendramin in S. Pietro di Castello zu Venedig verziert hat! (Ende d. 1. Querschiffes.) Mit allen Attributen wird man die Bezüge des 17. Jahrhunderts erst recht nicht erraten. – Ein anderer Mißbrauch, der alle Teilnahme für diese allegorischen Gebilde von vornherein stört, ist die oben (S. 364 u. f.) gerügte Verschwendung derselben für dekorative Zwecke, zumal in einer ganz ungehörigen Stärke des Reliefs, welche beinahe der Freiskulptur gleichkommt. Denselben Schwindel, welchen man im Namen der Bogenfüllungstugenden empfindet, fühlt man dann auch für die eigentlichen Statuen, die auf den Gesimsen von Altartabernakeln stehen, oder vollends für jene Fides, Caritas usw., welche nebst Putten und Engeln auf den gebrochenen Giebelschnecken der Altäre in Pozzos Geschmack (S. 369) höchst gefährlich balancierend sitzen, (Ein Beispiel von vielen in S. Petronio zu Bologna, zweite Kapelle links.) Was uns besorgt macht, ist der Naturalismus ihrer Darstellung und die seiltänzerische Prätension auf ein wirkliches Verhältnis zu dem Räume, wo sie sich befinden, d. h. auf ein wirkliches Sitzen, Stehen, Lehnen an einer halsbrechenden Stelle. Für eine Statue des 14. Jahrhunderts, mit ihrem einfachen idealen Stil, ist dem Auge niemals bange, so hoch und dünn auch das Spitztürmchen sein mag, auf welchem sie steht.

Doch wir müssen noch einmal zu den Grabmälern zurückkehren. Die Nachtreter haben Bernini weit überboten sowohl in der plastischen als in der poetischen Rücksichtslosigkeit. Als sie einmal, wie bei Anlaß der Altargruppen weiter zu erörtern ist, die Gattungen der Freiskulptur und des Hochreliefs zu einer Zwitterstufe, der Wandskulptur (sit venia verbo) vermengt hatten, war schlechterdings alles möglich. Bei der totalen Verwilderung des Stiles rivalisierte man jetzt fast nur noch in »Ideen«, d. h. in Einfällen und, wer seine Geschicklichkeit zeigen wollte, in naturalistischem Detail. Hier halten weinende Putten ein Bildnismedaillon; dort beugt sich ein Prälat über sein Betpult hervor; ein verhülltes Gerippe öffnet den Sarg; abwärts purzelnde Laster werden von einer Inschrifttafel erdrückt, über welcher oben ein fader Posaunenengel mit einem Medaillon schwebt; für alle Arten von Raumabstufung müssen marmorne Wolken herhalten, die aus der Wand hervorquellen, oder es flattern große marmorne Draperien ringsherum, für deren Brüche und Bauschen die Motivierung erst zu erraten ist. Statt aller Denkmäler dieser Art nennen wir nur das der Maria Sobieska im linken Seitenschiff von S. Peter, als eines der prächtigsten und sorgfältigsten (von Pietro Bracci). – In Florenz ist die unter Fogginis Leitung dekorierte (1692 vollendete) Cap. Feroni in der Annunziata (die zweite links) ein wahres Prachtstück berninesker Allegorie und Formenbildung. Als Grabkapelle des (in Amsterdam als Kaufmann reich gewordenen, später in Florenz als Senator festgehaltenen) Francesco Feroni hätte sie nur eines Sarkophages bedurft; der Symmetrie zuliebe wurden es zweie; auf dem einen sitzen die Treue (mit dem großen bronzenen Bildnismedaillon) und die Schiffahrt, auf dem andern die Abundantia maritima und der »Gedanke«, ein nackter Alter mit Büchern; über den Särgen stehen dort S. Franciscus, hier S. Dominicus; unter dem Kuppelrand schweben Engel, in der Kuppel Putten. Und über dies alles ist doch ein Stil ausgegossen und der Beschauer läßt sich wenigstens einen Augenblick täuschen, als gehöre es zusammen. (Das Altarbild von Carlo Lotti.)

In Venedig behielten die Dogengräber von der vorhergehenden Epoche her die Form großer Wandarchitekturen von zwei Ordnungen bei, nur daß dieselben in noch viel kolossalerm Maßstab ausgeführt wurden. Das Figürliche konzentriert sich hier nicht zu einer allegorischen Sarkophaggruppe, sondern verteilt sich in einzeln aufgestellte Statuen vor und zwischen den Säulen, in Reliefs an den Postamenten usw. Ganze Kirchenwände (am liebsten die Frontwand) werden von diesen zum Teil ganz abscheulichen Dekorationen in Beschlag genommen. Unverzeihlich bleibt es zumal, daß die Besteller, was sie an der Architektur ausgaben, an den armen Schluckern sparten, welche die Skulpturen in Verding nahmen, so daß die elendesten Arbeiten des berninischen Stiles sich gerade in den venezianischen Kirchen finden müssen. Eine Ausnahme macht etwa das Mausoleum Valier im rechten Seitenschiff von S. Giovanni e Paolo, wofür man wenigstens einen der bessern Berninesken, Baratta, nebst andern Geringern in Anspruch nahm. (Unter den obern Statuen unter anderm eine Dogaressa in vollem Kostüm um 1700.) – Wie weit das Verlangen geht, überall recht begreiflich und wirklich zu sein, zeigt auf erheiternde Weise das im linken Seitenschiff der Frari befindliche Grabmal eines Dogen Pesaro († 1669). Vier Mohren tragen als Atlanten das Hauptgesimse; ihre Stellung schien nicht genügend, um sie als Besiegte und Galeotten darzustellen; der Künstler, ein gewisser Barthel, gab ihnen zerrissene Hosen von weißem Marmor, durch deren Lücken die schwarzmarmornen Knie hervorgucken; er hatte aber auch genug Mitleid für sie und Nachsicht für den Beschauer, um zwischen ihren Nacken und den Sims dicke Kissen zu schieben; das Tragen täte ihnen sonst zu wehe.

Von den Altargruppen sind zuerst die freistehenden zu betrachten. Die beste, welche mir vorgekommen ist, befindet sich in der Krypta unter der Capella Corsini im Lateran zu Rom; es ist eine Pietà von Bernini. (? Sie fehlt im Verzeichnis seiner Werke bei Dominici.) Die delikate Behandlung des Marmors macht sich in einigen Künsteleien absichtlich bemerkbar, sonst ist an der Gruppe nur die durchaus malerische (und in diesem Sinne gute) Komposition zu tadeln; im übrigen ist es ein ziemlich reines Werk von schönem, innerlichem Ausdruck ohne alles falsche Pathos; im Gedankenwert den besten Darstellungen dieses Gegenstandes aus der Schule der Caracci wohl gleichzustellen. Wie Bernini am gehörigen Ort seinen Stil zu bändigen und zu veredeln wußte, zeigt auch der Christusleichnam in der Krypta des Domes von Capua.

Allein dies waren Werke für geschlossene Räume mit besonderer Bestimmung. Was sollte auf die Hochaltäre der Kirchen zu stehen kommen? Nicht jeder war so naiv wie Algardi, der für den Hauptaltar von S. Paolo zu Bologna eine Enthauptung Johannis in zwei kolossalen Figuren arbeitete; statt des Martyriums sucht man vielmehr durchgängig eine Glorie an diese feierlichste Stelle der Kirche zu bringen. Die höchste Glorie, welche die Kunst ihren Gestalten hätte verleihen können, eine großartige, echt ideale Bildung mit reinem und erhabenem Ausdruck – diese zu schaffen war das Jahrhundert nicht mehr angetan; der Inhalt des Altarwerkes mußte ein andrer sein. Vor allem mußte der pathetische und ekstatische Ausdruck, welchen man die ganze Kirche hindurch in allen Nischenfiguren und Nebenstatuen der Seitenaltäre auf hundert Weisen variiert hatte, in der Altarskulptur konsequenterweise seinen Höhepunkt erreichen, indem man die Ekstase zu einer Verklärung zu steigern suchte. Hier beginnt die Notwendigkeit der Zutaten; die betreffende Hauptfigur, die man am liebsten ganz frei schweben ließe, schmachtet sehnsüchtig auf Wolken empor, welche dann weiter zur Anbringung von Engeln und Putten benutzt werden. Als aber einmal die Marmorwolke als Ausdruck eines überirdischen Raumes und Daseins anerkannt war, wurde alles möglich. Es ist ergötzlich, den Wolkenstudien der damaligen Skulptoren nachzuforschen; in ihrem redlichen Naturalismus scheinen sie – allerdings irrigerweise – nach dem Qualm von brennendem feuchtem Maisstroh u. dgl. modelliert zu haben. Die Altäre italienischer Kirchen sind nun sehr reich an kostbaren SchwebegruppenDer berühmte jetztlebende amerikanische Bildhauer Crawford, der seine Figuren auch gerne schweben läßt, gibt dem Schweben eine Richtung seitwärts, vom Postament weg. Solches geschieht heutzutage in Rom, doch glücklicherweise noch nicht für europäische Kunstfreunde. dieser Art. Es ist hauptsächlich die von Engeln gen Himmel getragene Assunta, wie sie etwa Guido Reni aufgefaßt hatte, mit gekreuzten oder ausgestreckten Armen und im letztern Fall sogar oft eher deklamatorisch als ekstatisch. Oder der Kirchenheilige in einer Engelglorie. In Genua z. B. kam es so weit, daß fast kein Hauptaltar mehr ohne eine solche Gruppe blieb. Man sieht dergleichen von Puget auf dem Hauptaltar der Kirche des Albergo de' Poveri, von Domenico und Filippo Parodi und andern auf den Altären von S. Maria di Castello, S. Pancrazio, S. Carlo usw. Das Auge hält sie von weitem für Phantasieornamente und kann sie erst in der Nähe entziffern. Die halbe Illusion, welche sie erreichen, steht im widerlichsten Mißverhältnis zu der ganzen Illusion, nach welcher die Deckenfresken streben; oft bilden sie eine dunkle Silhouette gegen einen lichten Chor; außerdem steht ihre Proportion in gar keiner Beziehung zu den Proportionen aller andern Bildwerke der Kirche; sie hätten eigentlich höchst kolossal gebildet werden müssen. Danken wir gleichwohl dem Himmel, daß dies nicht geschehen ist. – Eine unterste Stufe der Ausartung bezeichnet nach dieser Seite Ticciatis Altargruppe im Baptisterium von Florenz (1732). Von den für schwebend geltenden Engeln trägt der eine die Wolke, auf welcher Johannes d. T. kniet; der andre stützt sie mit dem Rücken; ein Stück Wolke quillt bis über den Sockel herunter. Auf gemeinere Weise ließ sich das Übersinnliche nicht versinnlichen, selbst abgesehen von der süßlich unwahren Formenbildung. – Auf dem Hochaltar der Jesuitenkirche zu Venedig sieht man Christus und Gottvater sehr künstlich balancierend auf der von Engeln mit sehr wirklicher Anstrengung getragenen Weltkugel sitzen; es wäre nun gar zu einfach gewesen, die Engel auf dem Boden stehen zu lassen – sie schweben auf Marmorwolken.

Bei solchen Exzessen mußten die Klügern auf den Gedanken kommen, daß es besser wäre, die freistehende Gruppe ganz aufzugeben, als ihre Gesetze noch länger mit Füßen zu treten. Und nun wird endlich das rein malerische Prinzip zugestanden in vielen Altargruppen, welche nicht mehr frei hinter dem Altar stehen, sondern in einer Nische dergestalt angebracht sind, daß sie ohne dieselbe nicht denkbar wären. Sie sind nämlich ganz als Gemälde komponiert, selbst ohne Zusammenhang der Figuren, mit Preisgebung aller plastischen Gesetze. Von den Wänden der Nische aus schweben z. B. Wolken in verschiedenen Distanzen her, auf welchen zerstreut Madonna, Engel, S. Augustin und S. Monica in Ekstase sitzen, kauern, knien usw. (Altar des rechten Querschiffes in S. Maria della consolazione in Genua, von Schiaffino um 1718.) Aus den hundert andern Gruppen dieser Wandskulptur heben wir nur noch zwei in Rom befindliche besonders hervor: die Wohltätigkeit des heil. Augustin (Altar des linken Querschiffes in S. Agostino), von dem Malteser Melchiorre Gafa, wegen der fleißigen Arbeit und eines Restes von Naivität – und die berühmte Verzückung der heil. Teresa (im linken Querschiff von S. M. della Vittoria), von Bernini. In hysterischer Ohnmacht, mit gebrochenem Blick, auf einer Wolkenmasse liegend streckt die Heilige ihre Glieder von sich, während ein lüsterner Engel mit dem Pfeil (d. h. dem Sinnbild der göttlichen Liebe) auf sie zielt. Hier vergißt man freilich alle bloßen Stilfragen über der empörenden Degradation des Übernatürlichen.

Da überall die Absicht auf Illusion mitspielt, so scheut sich auch die Skulptur so wenig als die dekorierende Malerei (S. 368), ihre Gestalten bei Gelegenheit weit aus dem Rahmen heraustreten zu lassen, überhaupt keine architektonische Einfassung mehr anzuerkennen. Es genügt, auf Berninis »Catedra« (hinten im Chor von S. Peter) zu verweisen, welche unten als Freigruppe der vier Kirchenlehrer anfängt, um oben als Wanddekoration um ein Ovalfenster (Engelscharen zwischen Wolken und Strahlen verteilt) zu schließen. Es ist das rohste Werk des Meisters, eine bloße Dekoration und Improvisation; er hätte wenigstens nicht zum Vergleich mit der danebenstehenden solidern Arbeit seiner eignen frühern Zeit, dem Denkmal Urbans VIII., so unvorsichtig auffordern sollen.

Endlich erkennt der Naturalismus der berninischen Plastik seine eigenen Konsequenzen offen an. Wenn einmal die Darstellung eines möglichst aufregenden Wirklichen das höchste Ziel des Bildhauers sein soll, so gebe er die letzten akademischen Vorurteile über Linien, über Gruppenbildung u. dgl. auf und arbeite ganz auf dieses Wirkliche hin, d. h. er füge die Farbe hinzu! Schon das Mittelalter, dann die realistischen florentinischen Bildner des 15. Jahrhunderts, die Robbia, vorzüglich Guido Mazzoni, waren hierin ziemlich weitgegangen; überdies wird das bemalte Bildwerk eine Verständlichkeit für sich haben und einer Popularität genießen, um welche man es zu wenig beneidet.

Und es entstanden wieder zahllose bemalte Heiligenfiguren von Holz, Stukko und Stein. Wer sich von Bildhauern irgend etwas dünkte, wollte allerdings mit dieser Gattung nichts zu tun haben; die akademische Kunst schloß kein Verhältnis mehr mit ihr; sie mied die Verwandtschaft und Konkurrenz mit jenen periodisch neu drapierten Wachspuppen, welche z. B. in Glaskasten auf den Altären neapolitanischer Kirchen prangen. Allein bisweilen verspinnt sich doch ein schönes Talent in die bemalte Skulptur und leistet darin Vorzügliches. In Genua lebte um das Jahr 1700 ein Künstler dieser Art, Maragliano, dessen Arbeiten ungleich erfreulicher sind als die meisten Papstgräber in S. Peter. Man überließ ihm meist eine ganze, etwa besonders von oben beleuchtete Nische über dem Altar, in welcher er seine Figuren ohne den Anspruch auf eine plastische Gruppe, vielmehr bloß malerisch ordnete. Mit der Farbe hatte er auch dazu das Recht, während jene Skulptoren in Marmor, die ihre Nischengruppen ähnlich bildeten, ein wüstes Zwitterwesen hervorbrachten. – Gegen das unheimlich Illusionäre der Wachsbilder schützte ihn die plastische und in seinem Sinn ideale Gewandung. Sein Material ist, wie ich glaube, bloß Holz (bei größern Figuren von zusammengenieteten Blöcken), ohne Nachhilfe mit Stukko.

Diese Arbeiten sind gleichsam eine höhere Gattung der Präsepien, welche in Italien noch gegenwärtig um die Zeit des Dreikönigstages in den Kirchen (im kleinen auch in Privathäusern) aufgestellt werden; nur hier mehr künstlerisch abgeschlossen und mit einem bedeutenden Talent, mit Fleiß und Liebe durchgeführt. Maragliano ist bisweilen wahr, schön und ausdrucksvoll, wie ich mich nicht erinnere irgendeinen seiner Fachgenossen gefunden zu haben. Seine Gattung paßte hauptsächlich gut für Kapuzinerkirchen, die den reichern Schmuck schon durch die vorgeschriebenen hölzernen Rahmen, Gitter usw. ausschließen. Seine besten Altargruppen zu Genua: S. Annunziata, Querschiff links; – S. Stefano, im Anbau; – S. Maria della Pace: im Chor eine große Assunta mit S. Franz und S. Bernardin, in der zweiten Kapelle rechts S. Franz, der die Wundmale erhält, außerdem linkes Querschiff und zweite Kapelle links (in der dritten Kapelle rechts eine Gruppe desselben Stiles von Pasquale Navone); – in Madonna delle Vigne, Kapelle links neben dem Chor: ein Kruzifix und die in ihrer Art vortrefflichen Statuen der Maria und des Johannes; – Kapuzinerkirche, Querschiff rechts. – U. a. a. O. Nicht umsonst kam z. B. Legros in der Statue des heil. Stanislas Kostka (in einer Kapelle des Noviziates S. Andrea zu Rom) auf die (allerdings fehlgegriffene) Zusammensetzung aus verschiedenen Marmorarten zurück. Wie, wenn man einmal zur Probe versuchte, berninische Skulpturen zu bemalen? ob sie nicht gewinnen würden?

Die Gattung starb auch später nie ganz aus; für kleine Genrefiguren von Wachsmasse und von Ton wird sie vollends immer fortdauern. Es ist bekannt, welche trefflichen Arbeiten in diesem Fache Mexiko liefert (Kostümbilder und heilige Gegenstände); aber auch Sizilien hat bis auf unsere Zeit wahre Künstler dieser Art, wie Matera und B. Palermo gehabt.

Was kann das Relief in dieser Periode bedeuten? Schon seit dem 15. Jahrhundert seines einzig wahren Stilprinzipes beraubt und zum Gemälde in Marmor oder Erz herabgesetzt, muß es jetzt, mit der manieriert-naturalistischen Auffassung und Formbehandlung der Berninesken, doppelt im Nachteil sein. Überdies kann man fragen, was eigentlich noch Relief heißen dürfte, seitdem die Gruppenskulptur zu einer Wand- und Nischendekoration geworden? Seitdem ganze Kapellenwände mit Szenen von stark ausgeladenen lebensgroßen Stukkofiguren bedeckt werden? Man nennt z. B. Algardis Attila (S. Peter, Cap. Leos des Großen) »das größte Relief der neuern Kunst«; es sollte eher eine Wandgruppe heißen. Übrigens ist Algardi, beiläufig gesagt, immer eines Blickes wert, weil er das Detail gewissenhafter behandelt und einen Rest naiven Schönheitssinnes übrighat.

Nächst ihm ist der Bolognese Giuseppe Mazza insoweit einer der Bessern im Relief, als die bolognesische Malerschule in der Komposition die meisten übrigen Maler überragt. Außer zahlreichen Arbeiten in den Kirchen seiner Vaterstadt hat er in S. Giovanni e Paolo zu Venedig (letzte Kapelle des rechten Seitenschiffes) in sechs großen Bronzereliefs das Leben des heil. Dominikus geschildert; nimmt man die obern zwei Dritteile mit den Glorien weg, so bleiben ganz tüchtige Kompositionen übrig, zumal die mit dem Tode des Heiligen. Dagegen gibt es von Mazza Arbeiten in mehrern Kirchen seiner Vaterstadt, die nicht besser sind als andres aus dieser Zeit.

Für Florenz sind am ehesten zu nennen die drei großen Altarreliefs des Foggini in der Cap. Corsini im Carmine (Querschiff links). Süßliche Engelchen schieben die Wolken, auf welchen der verhimmelte Heilige kniet; in dem Schlachtrelief sprengen die Besiegten links aus dem Rahmen heraus; überall bemerkt man Reminiszenzen aus Gemälden. Und dabei sind es doch von den tüchtigsten Arbeiten der ganzen Richtung. – In Rom gewährt S. Peter (außer dem genannten Relief Algardis) noch in einer Anzahl kleinerer Sarkophagreliefs an den Grabmälern und in Berninis Relief über dem Hauptportal eine Übersicht derjenigen Geschmacksvariationen, welche dann für die übrige Welt maßgebend wurden. – Die Reliefs über den Apostelstatuen im Lateran sind von Algardi und seinen Zeitgenossen entworfen.

Um die Mitte des 18. Jahrhunderts beginnt der Stil sich etwas zu bessern; während die Auffassung im ganzen noch dieselbe bleibt, hören die schlimmsten Exzesse des Naturalismus und der davon abgeleiteten Manier allmählich auf. Das Raffinieren auf Illusion, welches noch kurz vorher (S. 658, a) seine Triumphe über die besiegte Schwierigkeit gefeiert, macht einer ruhigern Eleganz Platz. Von diesen Zeitgenossen eines Raffael Mengs sind natürlich nur wenige zu einigem Namen gelangt, weil ihnen die wahre Originalität fehlte. (In Genua sind mir mehrere Arbeiten des Niccolò Traverso z. B. im Chor des Angelo Custode aufgefallen.)

Das große Verdienst Canovas lag darin, daß er nicht bloß im einzelnen anders stilisierte als die Vorgänger, sondern die ganze Aufgabe neu im Sinne der ewigen Gesetze seiner Kunst aufzufassen suchte. Sein Denkmal Clemens' XIV. (im linken Seitenschiff von SS. Apostoli zu Rom) war eine Revolution nicht bloß für die Skulptur. Wie man immer vom absoluten Wert seiner Arbeiten denken möge, kunsthistorisch ist er der Markstein einer neuen Welt.


 << zurück weiter >>