Jacob Burckhardt
Der Cicerone
Jacob Burckhardt

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Dem wachsenden Kunstbedürfnis der Republik scheinen diese und andere einheimische Kräfte bald nicht mehr genügt zu haben. Donatello erschien in Padua (S. 565 ff.); Verocchio wurde für ein großes Denkmal in Anspruch genommen (S570,d). Auch andere Toskaner arbeiteten früher und später in Venedig, wie z. B. die sonst nicht bekannten Piero di Niccolò aus Florenz und Giovanni di Martino aus Fiesole, welche das Dogengrab Mocenigo († 1423) im linken Seitenschiff von S. Giovanni e Paolo fertigten, offenbar unter Donatellos Einfluß (und kaum vor 1450); ein Werk, das sich durch die Schönheit der Köpfe an den zahlreichen Statuetten auszeichnet.

Die paduanische Malerschule mit ihrem scharfen, fleißigen Modellieren, ihren plastischen und antiquarischen Studien mußte ihrerseits ebenfalls auf die Skulptur wirken; keine Malereien des damaligen Italiens haben einen so ausgesprochenen plastischen Gehalt wie die übrigen, Verocchio etwa ausgenommen. – Wahrscheinlich empfing von ihr aus der veronesische Bildhauer Antonio Rizzo seine Anregung. Von ihm sind (um 1471) die Statuen Adam und Eva im Dogenpalast (unten gegenüber der Riesentreppe) gearbeitet; ersterer eine vorzüglich tüchtige Bildung, deren Naturalismus gemildert erscheint durch die ergreifende Gebärde und Miene des Schuldbewußtseins; bei Eva ist derselbe schon störender.

Seit der Mitte des 15. Jahrhunderts erscheinen dann mehrere Bildhauerwerkstätten nebeneinander und in wechselseitiger Einwirkung aufeinander. Die wichtigsten derselben sind die der Bregni, der Lombardi und des Leopardo. Die Gesamtheit ihrer Produktionen ist schon der Masse nach sehr bedeutend; an innerm Gehalt bilden dieselben das wichtigste Gegenstück zu den Werken der gleichzeitigen Toskaner. Es ist der Realismus des 15. Jahrhunderts ohne Donatello, ohne die extremen Härten, aber auch ohne die entschiedene Kraft der Motive. Es mangelt nicht an Bestimmtheit der Formen, zumal der Gewandung, wohl aber an der unablässigen Beobachtung des bewegten Körpers; daher sind auch der Attitüden wenige, die sich um so häufiger wiederholen; die Behandlung des Nackten ist beträchtlich konventioneller als gleichzeitig bei den Vivarini und bei Mantegna. Den Ersatz bildet ein sehr entwickelter Sinn für schöne und anmutige Formen und für höhern Gefühlsausdruck; noch verhüllt und befangen bei Pietro Lombardo, der in den Köpfen mannigfach die Härten eines Bart. Vivarini teilt; gesteigert bis zum tiefsten und süßesten Reiz bei Leopardo.

Die Antike wirkt nur stellenweise direkt ein, dann aber so stark wie vielleicht bei den damaligen Florentinern nirgends. Im ganzen ist allerdings eher die Malerei der paduanischen Schule als Führerin dieser Skulptur zu betrachten. Mit ihr ist der Ausdruck vieler Köpfe, die Behandlung der Falten und Brüche des Gewandes, auch die Stellung vieler Figuren am nächsten verwandt. Auch an Cima, Carpaccio und Giovanni Bellini wird man vielfach erinnert. Angewiesen auf die zum Teil zweifelhaften und unbestimmten Namengebungen, welche bis jetzt im Gange sind, können wir unmöglich die einzelnen Künstlercharaktere scharf voneinander abgrenzen. Unsere Aufzählung macht deshalb keinerlei systematische Ansprüche.

Die ältern Bregni, Antonio und Paolo, erscheinen noch wie Schüler des Mastro Bartolommeo an dem Dogengrab Franc. Foscari († 1457) im Chor der Frari (rechts). Nicht nur ist die Dekoration noch gotisch wie bei jenem, sondern sie gleichen ihm auch in der tüchtigen, an Quercia erinnernden Lebensauffassung. – Gegenüber steht das derselben Künstlerfamilie zugeschriebene Dogengrab Tron († 1472), in der Dekoration schon vollkommene Renaissance, im Figürlichen sehr ungleich und jedenfalls von verschiedenen Händen; die Dogenstatue insbesondere wird als Werk des Antonio namhaft gemacht. An den beiden Tugenden zu seinen Seiten haben wir die ersten vollständigen Typen derjenigen fleißigen, zierlichen und angenehmen Gewandstatuen, welche sich in Venedig bis gegen das Jahr 1500 wiederholen; der Schildhalter links ist eine treffliche lebendig gewendete Figur, wahrscheinlich von Lorenzo Bregno, welcher die Hauptkraft der Schule wurde. Von ihm ist wahrscheinlich das Denkmal des Feldherrn Pesaro († 1503) im rechten Querschiff derselben Kirche (über der Sakristeitür) mit den Statuen des Verstorbenen, des Neptun und des Mars – letztere freilich von Baccio da Montelupo, dessen florentinische Lebensderbheit den Venezianern überlegen erscheint. – An dem Vorbau im Hof des Dogenpalastes möchte der Schildhalter neben Bandinis Statue des Herzogs von Urbino ebenfalls eine Arbeit Lorenzos sein. – In S. Giovanni e Paolo ist die Statue des Feldherrn Naldo (rechtes Querschiff, über der Tür) vom Jahr 1510 ein ziemlich lebloses Werk.

Mit oder bald nach den Bregni traten die Lombardi auf, vielleicht nicht bloß eine Familie, sondern eine Kolonie lombardischer Bildhauer, deren Stil, wie wir sehen werden, mit den besten gleichzeitigen Werken des übrigen Oberitaliens eine nahe Verwandtschaft zeigt. Als Baumeister und Dekoratoren werden ihrer fünf oder sechs genannt (S. 203, Anm. [3]); in der Skulptur kommt hauptsächlich Pietro mit seinen Söhnen Antonio und Tullio in Betracht.

Was sie gemeinschaftlich hervorbrachten, wird sich jetzt kaum mehr scheiden lassen. Pietros Namen, aber von späterer Hand, habe ich nur an einer Statuette des heil. Hieronymus in S. Stefano (dritter Altar links) entdecken können; danach eine ganze große Anzahl von Werken näher bestimmen zu wollen, in welchen man die »Schule der Lombardi« oder die »Art der Lombardi« im allgemeinen zu erkennen pflegt, wäre ein gewagtes Unternehmen. Als allgemeines Schulgut sind der Betrachtung besonders wert:

An der Scuola di S. Marco die obern Statuen zwischen und über den Rundgiebeln.

Im Dogenpalast an dem Vorbau gegenüber der Riesentreppe: die Figuren auf den Spitztürmchen, zum Teil auf kugelförmigen von hübschen Putten gehaltenen Untersätzen; diese am besten von der Sala del collegio aus sichtbaren Statuen sind zum Teil sehr geistvoll und lebendig, besonders die Prudentia mit dem Spiegel.

An S. Maria de' miracoli: die sämtlichen Außenskulpturen; der Gottvater und die anbetenden Engel über und neben der halbrunden Obermauer nur Dekorationsarbeit, aber vorzüglich schön gedacht; die Halbfiguren der Propheten und Heiligen in den Bogenfüllungen der obern Pilasterordnung, ebenfalls trefflich ausdrucksvoll und von meisterhafter Arbeit.

In der Capella Giustiniani zu S. Francesco della Vigna (links neben dem Chor) verraten von den Reliefhalbfiguren an den Wänden die vier Evangelisten einen besonders geistvollen Künstler (Tullio Lombardo?); die übrigen scheinen von demjenigen noch etwas befangenem, aber ernsten und tüchtigen Meister, welcher die Halbfiguren der Propheten an den Chorschranken der Frari verfertigte. (Der Altar nebst Predella und Vorsatz, sowie der Relieffries mit der Geschichte Christi sind zierliche, aber geringe Arbeiten.) In den Frari könnten die Statuen der Apostel und Heiligen über den Chorschranken am ehesten ein Werk dieser Schule sein. Außerdem wird derselben dort das Grab des Jacopo Marcello († 1484) vermutungsweise zugeschrieben (im rechten Querschiff, rechts).

In S. Stefano enthält außer der genannten Arbeit die Sakristei zwei halbe und zwei ganze Heiligenfiguren des Pietro; letztere für ihn vorzüglich charakteristische Werke.

In S. Giovanni e Paolo ist das Dogengrab Mocenigo († 1476), rechts vom Portal, eine gemeinschaftliche Arbeit des Pietro, Antonio und Tullio; ein Haupttypus der frühern Gräber dieser Art, mit lauter Helden, die den Sarg tragen und in Seitennischen stehen, mit Putten, welche aus Engeln zu kriegerischen Pagen geworden sind, mit Trophäen und Herkulestaten in Relief; das Christliche beschränkt sich auf ein oberes Flachrelief, die Frauen am Grabe, und auf kleine Giebelstatuen des Erlösers und zwei Engel – von schönem Ausdruck, während das übrige von mittlerm Werte, der Doge nur durch seinen Porträtkopf ausgezeichnet ist. – Ebendaselbst im linken Seitenschiff das Dogengrab Marcello († 1474), anonym, aber ohne Zweifel ebenfalls aus dieser Werkstatt, am ehesten von Pietro selbst, mit vier in seiner Art hübschen Tugenden.

Die vergoldete Madonna an der Torre dell' Orologio, welche ebenfalls dieser Schule zugeschrieben wird, ist von gutem und mildem Ausdruck, aber in der Anordnung nicht geschicktIn Ravenna werden dem Pietro Lombardo oder den Lombardi überhaupt beigelegt: eine Altareinfassung und ein Grabmal in S. Francesco, und ein S. Marcus (Hochrelief, datiert 1491) im Dom, ein ausgezeichnetes Werk. .

Pietro und Antonio arbeiteten endlich (1505–1515) die Modelle der großen Bronzearbeiten in der Capella Zeno zu S. Marco gemeinschaftlich mit.

Alessandro Leopardo, der ebenfalls das Haupt einer beträchtlichen eigenen Werkstatt war. Ihm wird vor allem das schönste der Dogengräber beigelegt, dasjenige des Andrea Vendramin († 1478) links im Chor von S. Giovanni e Paolo. Verglichen mit den Gräbern des P. Lombardo ist schon die Einteilung besser, ohne jene allzu gleichartigen Wiederholungen; die untern Figuren – drei Genien mit Leuchtern am Sarkophag, zwei Helden in Seitennischen und zwei später beigefügte Figuren – haben die nötige freie Luft über sich; oben folgen nur Reliefs verschiedenen Grades und eine leichte Giebelverzierung, Sirenen, welche ein Medaillon mit dem Christuskinde halten; auch unten an dem herrlich verzierten Sockel sind die Engel mit der Schrifttafel und die beiden Putten auf Meerwundern in Relief gebildet. Dieser Sinn des Maßes und der Abstufung bezeichnet hier allein schon den großen Künstler, ebenso die Behandlung des Einzelnen. Zwar sind seine Motive zum Teil kaum entschiedener als die der Lombardi; seine Helden stehen, seine Engel laufen nicht freier und besser; nur in den Tugenden am Sarkophag fällt eine edlere und freier abwechselnde Stellung auf, welche auf einem sehr unmittelbaren Studium der Antike beruhen muß. Das Beste aber hat Leopardo nicht aus dieser Quelle; ich meine die wunderbare Süßigkeit und Milde der reichgelockten jugendlichen Köpfe, die in dieser Zeit geradezu nur bei Lionardo da Vinci ihresgleichen finden. Und der eine herrliche Putto, welcher auf seinem Seepferd so wohlgemut über die Wellen gleitet, ist auch wohl ebenso von Leopardo beseelt, wie die Putten der Galatea es von Raffael sind.

Außerdem sind notorisch von Leopardo die drei Flaggenhalter auf dem Markusplatz, deren Figürliches dieselbe Benutzung antiker Vorbilder mit großem natürlichen Schönheitssinn verbunden offenbartHier oder nirgends sind zwei Reliefs unterzubringen, welche zu den schönsten in Venedig gehören. In einer Nebenkapelle des rechten Querschiffes von S. Trovaso findet sich ein Altarvorsatz, der in flacher, etwas unterhöhlter Arbeit Engelkinder mit den Passionsinstrumenten (ähnlich denjenigen in dem muranesischen Altarbild der Krönung Maria in der Akademie) und seitwärts musizierende Engel darstellt, von der naivsten Anmut in Köpfen und Gebärden und mit großem, raffiniertem Geschick der Verkürzungen. Man glaubt ein florentinisches Werk vor sich zu sehen, bis man dieselbe Behandlung in einem Relief der Camera a letto des Dogenpalastes wiedererkennt; zwei Heilige empfehlen den knienden Dogen und den Patriarchen der thronenden Madonna; es ist die Seele Giovanni Bellinis in Marmor. Das Christuskind schreitet über der Mutter Knie den Männern freundlich entgegen. Ob diese köstlichen Werke von Leopardo sind, mag zweifelhaft bleiben; aber sie kommen seiner Art näher als der aller übrigen. .

Nach Maßgabe dieser Werke hat man nun auszuscheiden, welche Teile der Skulpturen in der Kapelle Zeno zu S. Marco ihm gehören. Es handelt sich um eine der prachtvollsten Grabstätten des 16. Jahrhunderts, diejenige des Kardinals Gio. Batt. Zeno. An dem Sarkophag selbst sind wohl die sechs zum Teil den Deckel haltenden Tugenden von Leopardo; sie erscheinen allerdings freier, ihm mehr gemäß, weniger durch die Antike befangen als diejenigen am Grabmal Vendramin. Die liegende Statue des Kardinals ist schwer zu definieren. Auf dem Altar sind die Statuen des Petrus und des Täufers Johannes wohl am ehesten von Pietro oder Antonio Lombardi, herrliche Köpfe, welche die unvollkommene Stellung wohl gutmachen; ebenso das Relief des Thronhimmels (Gottvater mit Engeln). Die berühmte Madonna della Scarpa dagegen, dieser reine Gedanke der goldenen Zeit Giov. Bellinis, mag wiederum eher dem Leopardo angehören. Vorzüglich schön ist das auf ihrem rechten Knie sitzende Kind, welches sich eben zum Segnen anschickt.

Unter diesen gemischten Eindrücken scheinen Pietro Lombardos Söhne Antonio und Tullio aufgewachsen zu sein. Von Antonio werden meines Wissens nur zwei sichere Einzelarbeiten namhaft gemacht: die Statue des heiligen Thomas von Aquino über dem Grabmal TrevisanVon wem ist an diesem Grabe die Porträtstatue des jungen, 1528 verstorbenen Alvise Trevisan? Jedenfalls ein Muster des nobeln Liegens eines vornehmen Toten. im linken Seitenschiff der Frari, und in S. Antonio zu Padua, Cap. del Santo, das neunte Relief, wovon unten. Er folgt oder geht voran (im Stil) seinem berühmtem Bruder Tullio. Von Leopardo und von dem Studium der Antike zugleich berührt, hat er diese Einwirkungen mit der Lehre seines Vaters in einen gewissen Einklang gebracht. Sein großer Schönheitssinn hat sich zwar in gewisse Manieren verfangen, da die innere Kraft demselben nicht gleich stand. (Feine, wie gekämmte Falten, unnütze Zierlichkeiten der Haare, konventionelle Stellungen usw.) An sicherer Naivität steht er dem Leopardo beträchtlich nach. Allein im günstigen Fall hat er Werke hervorgebracht, welche nicht zu den großartigsten, wohl aber zu den ansprechendsten jener Zeit zu rechnen sind.

Zum Frühesten möchten diejenigen Arbeiten in S. Maria de' miracoli gehören, welche ich ihm glaube zuschreiben zu müssen; es sind die halben Figuren auf der Balustrade der Chortreppe – worunter Maria und gegenüber der Engel Gabriel vielverheißend erscheinen wie Jugendwerke Raffaels – und die Reliefscheiben an den meisten Türpfosten. Dann sind datiert vom Jahre 1484 die vier knienden Engel, welche das Taufbecken in S. Martino (links) tragen, schön gedacht, mit andächtigen und anmutigen Köpfen. Nicht viel später möchte das große Relief in S. Giovanni Crisostomo (zweiter Altar links) entstanden sein; Christus, von den Aposteln umgeben, legt die Hand auf eine gekrönte Frau; wahrscheinlich eine etwas ungewöhnliche Darstellung der Krönung Mariä, womit auch die oben erscheinende Glorie wohl stimmen würde. In den Köpfen, zumal der Hauptpersonen, ist eine eigentümliche klassische Idealität erstrebt, die in der damaligen Skulptur sonst kaum vorkommt. – Von den untern Skulpturen der Scuola di S. Marco kommen die zwei ziemlich befangenen Löwen weniger in Betracht als die zwei Taten des heiligen Markus, bei welchen dem Künstler nicht bloß römische, sondern griechische Reliefs scheinen vorgelegen zu haben, wie besonders aus der Behandlung der hinten stehenden Personen erhellt. Womit dann die perspektivisch gegebene Halle, die den Raum darstellt, wunderlich kontrastiert. – Ebenfalls noch früh: das Dogengrab Moncenigo († 1485) in S. Giovanni e Paolo, links vom Portal; hier ist von den allegorischen Seitenfiguren die eine nach einem bekannten antiken Musenmotiv unmittelbar kopiert; in dem Sockelrelief sucht Tullio eher seine Manier mit dem süßen Ausdruck Leopardos zu verbinden.

Von den spätern Arbeiten der beiden Brüder enthält die Kapelle des h. Antonius im Santo zu Padua das Wichtigste. Wir lernen hier (im neunten Relief, wo der Heilige ein kleines Kind zum Sprechen bringt) den Antonio Lombardi als bedeutenden Komponisten kennen; von der Schönheit der Antike erscheint er auf unbefangnere Weise durchdrungen und geleitet als Tullio. Letzterem gehören das sechste und das siebente Relief (wie der Heilige die Leiche eines Geizhalses öffnet und statt des Herzens einen Stein findet; wie er das gebrochene Bein eines Jünglings heilt); das erstere, bez. 1525, muß ein Werk seines hohen Alters sein, und es ist das freiere, weichere von beiden; denn das siebente hat bei bedeutenden Schönheiten auch noch alle Unarten der frühern Werke Tullios.

Ein Zeitgenosse, vielleicht ebenfalls eher Lombarde als Venezianer, Antonio Dentone, hält in den Bildnisfiguren an dem charaktervollen Naturalismus fest, während seine Idealfiguren teils eine mehr allgemeine Formenbildung, teils ein Hinneigen zu dem übertriebenen Ausdruck eines Mazzoni verraten. So das Relief einer Pietà mit Heiligen, in der Salute (Vorraum der Sakristei), wenn ihm dasselbe mit Recht beigelegt wird. An dem Grabmal des Feldherrn Melchior Trevisan († 1500) in den Frari (zweite Kapelle, links vom Chor) ist die Porträtstatue eine der besten in jener herben Art, die beiden gepanzerten Putten dagegen nur allgemeines Schulgut. Ebenso verhält es sich mit dem Denkmal des Vittor Capello (1480) im linken Querschiff von S. Giovanni e Paolo; der kniende Ritter ist voll Wahrheit und Innigkeit, die heil. Helena, welche vor ihm steht, ziemlich unsicher in Haltung und Zügen. Die artige Halbfigur einer Heiligen in der Abbazia (Kapelle hinter der Sakristei) steht doch nur mit Pietro Lombardo parallel.

Eine andere gute anonyme Arbeit, welche im Ausdruck an die Gemälde des Cima da Conegliano erinnert, ist das Bronzerelief einer Madonna mit Heiligen im rechten Seitenschiff von S. Stefano (bei der Sakristeitür).

Dagegen erscheinen die Apostel an beiden Wänden des Chores daselbst, von einem gew. Vittor Camelo, nur als zaghafte Arbeiten eines Schülers der Lombardi. – Von demselben Künstler aber enthält die Akademie zwei kleine bronzene Hochreliefs mit Szenen nackter Kämpfenden, etwa für ein Feldherrngrab bestimmt; überaus lebendig und dabei für jene Zeit und Schule gar nicht überfüllt, sondern plastisch komponiert, im ganzen von den besten damaligen Reliefs.

Den Pyrgoteles, welcher die Madonna in der Türlünette von S. Maria de' miracoli gemacht hat, möchte man für einen begabten Dilettanten halten, der glücklich einen schönen Kopf und ein interessant scheinendes Motiv gefunden hat. (Das Kind faßt den Daumen an der Hand der Mutter, auf welcher es sitzt.) Man glaubt, der Künstler habe der bekannten griechischen Familie der Lascaris angehört.

In Padua hatte Donatello längere Zeit gearbeitet und sein Einfluß überwiegt noch das ganze Jahrhundert hindurch, obwohl auch die verschiedenen venezianischen Schulen daneben vertreten sind.

Einem seiner toskanischen Schüler, Giovanni von Pisa, gehört das tönerne Altarrelief der Cap. SS. Jacopo e Cristoforo (Eremitani), Madonna mit sechs Heiligen nebst Predella, Puttenfries und andern Zutaten. Neben die Skulpturen der Lombardi usw. gehalten, zeugt dies Werk bei allen Härten doch deutlich für die siegreiche toskanische Leichtigkeit, alle Lebensäußerungen sich eigen zu machen und darzustellen.

Auch der Paduaner Vellano war Donatellos Schüler und seine Bronzereliefs an den Chorwänden des Santo (1488) zeigen deutlicher als irgendein toskanisches Schulwerk, wohin man gelangen konnte, wenn man Donatellos Freiheiten nachahmte, ohne seinen Verstand und seine allbelebende Darstellungsgabe zu besitzen. Es sind ganz kindlich aufgeschichtete Historien in zahllosen, sorgfältigen Figürchen. Dagegen lebte in Andrea Briosco genannt Riccio (Crispus, von seinen gelockten Haaren) der echte Geist der großen Zeit. Das Figürliche an seinem berühmten ehernen Kandelaber im Chor des Santo (S. 241, h) ist zwar um soviel glücklicher, je mehr es sich dem Dekorativen nähert (Nereidenzüge, Kentauren usw.), aber auch die überfüllten erzählenden Reliefs sind geistvoll und originell. In den zwei Reliefs jener von Vellano begonnenen Reihe an den Chorwänden, welche dem Riccio angehören, zeigt sich eine ungemeine Überlegenheit. (David vor der Bundeslade; Judith und Holofernes, vom Jahr 1507.) Der Stil des 15. Jahrhunderts ist, wie überall, so auch hier, dann am reizendsten, wenn er sich dem idealen Stil zu nähern beginnt.

In derselben Art sind noch eine Anzahl andrer Skulpturen gearbeitet, deren Urheber dem Verfasser nicht bekannt sind. – In S. Francesco sieht man (linkes Querschiff) ein großes Bronzerelief der thronenden Jungfrau zwischen zwei heil. Mönchen, und (rechtes Querschiff) das ebenfalls bronzene Grabrelief eines Professors, der hinter seinem Schreibtisch, Bücher nachschlagend, abgebildet ist; zu beiden Seiten Putten als Schildhalter, angenehme Werke, wenn auch ohne höheres Leben. – In den Eremitani (rechts und links von der Tür) gewaltige Tabernakel von Terrakotta, bemalt, mit großen Statuen und zahlreichen, auch dekorativ nicht wertlosen Zutaten, der eine (mit dem Gemälde in der Mitte) datiert 1511. In beiden scheint der Stil Donatellos und derjenige der Lombardi gemischt.

In der Akademie von Venedig sind einige bedeutende Bronzereliefs aus Riccios Schule; das einzige, welches in der Tat so bezeichnet ist, eine Himmelfahrt Mariä mit den Jüngern am Grabe, ist in dem kleinen Maßstab erhaben gedacht, im Ausdruck tief und innig, in Zeichnung und Komposition Ghiberti vergleichbar, überhaupt eines der Meisterwerke italienischer Skulptur; – vier andere, dem Riccio selber zugeschrieben und von 1513 datiert, enthalten die Geschichte der Kreuzerfindung; im Detail sind sie dem erstgenannten wohl verwandt, aber viel überfüllter und in manchen Motiven sogar flau und unrein; – dagegen ist die Tür eines Sakramenthäuschens, welche ohne allen Grund dem Donatello zugeschrieben wird, wohl des Meisters der Himmelfahrt Mariä würdig; unter einem Renaissanceportal sieht man eine anmutige Engelschar; die mittlern halten ein Kreuz; an der Basis zwei kleine Reliefs mit Passionsszenen. – Von dem etwas spätern Medailleur Covino, der die sog. Pataviner-Münzen machte, befindet sich ebenda ein peinlich fleißiges Relief, S. Martin mit dem Bettler.

Wie im übrigen Oberitalien der realistische Stil des 15. Jahrhunderts eindrang, ist der Verfasser nicht imstande näher anzugeben. Reisende Florentiner, auch wohl die Einwirkung Quercias von Bologna her mögen das vollendet haben, wozu der Antrieb schon in der Zeit lag. Man sieht z. B. in S. Fermo zu Verona (links vom Hauptportal) das Familiengrab Brenzoni, angeblich von einem Florentiner Giov. Russi, welches in einer schön realistisch, doch nicht in Donatellos Manier belebten Wandgruppe die Auferstehung darstellt; der Sarkophag ist zum Grab Christi umgedeutet, vor welchem die schlafenden Wächter sehr gut und geschickt angebracht sind; ein Engel hält den Grabstein, andere die Leuchter, Putten ziehen den Vorhang. – Von diesem Geiste berührt mag dann ein Einheimischer das schon (S. 160, a) erwähnte Reiterdenkmal des Sarego (1432) im Chor von S. Anastasia zu Verona geschaffen haben. Vor und hinter dem Feldherrn stehen – nicht mehr auf gotischen Konsolen, sondern auf naturalistisch dargestellten Felsstufen – zwei geharnischte Knappen, welche den Vorhang des Baldachins auf die Seite halten; der vordere zieht die Mütze vor dem Herrn; auf dem Gipfel des Baldachins ein Schildhalter. Dies ganze, durchaus profane Werk ist umgeben von einer barock-gotischen Einrahmung; erst über dieser folgen – in Fresko – Engel, Heilige und Legendenszenen. Auch alles Plastische ist bemalt.

Was sonst im Westen von Venedig bis ins Herzogtum Mailand hinein von Skulpturen seit etwa 1450 vorkommt, hat fast durchgängig eine nahe Verwandtschaft mit dem Stil der Lombardi, deren Namen wir deshalb (S. 589) unbedenklich als Landesnamen in Anspruch genommen haben. Es sind dieselben konventionellen Stellungen, Gewandmotive, Kopfbildungen, nur nicht eben häufig mit der Präzision eines Pietro Lombardo und noch seltener mit dem süßen Reiz eines Leopardo durchgeführt.

In Verona trifft man auf eine Menge Giebelstatuen, hauptsächlich über den Renaissancealtären der ältern Kirchen, welche diesen allgemeinen Schultypus wiedergeben. So diejenigen im Dom, in S. Anastasia u. a. a. O.; auch die über dem Portal des bischöflichen Palastes (dat. 1502); die fünf berühmten Veronesen auf der Dachbalustrade des Palazzo del consiglio usw. Das Bedeutendste enthalten ein paar Altäre in S. Anastasia: der vierte links mit vier Statuen übereinander auf jeder Seite, von reinem und gutem Ausdruck; der S. Sebastian keine geringe Bildung; – und der erste links, mit bemalten Statuen auf den Seiten und im Giebel, naturalistischer und befangener, aber von bedeutendem Charakter und beseelt von Andacht; die drei Hauptstatuen des Altars selbst wohl von andrer Hand.

Im Dom von Brescia (dritter Altar, rechts) ist der Marmorschrein des heil. Apollonius mit seinen Legendenreliefs und Statuetten ein sehr sorgfältiges, doch nicht gleichmäßig belebtes Werk der Zeit um 1500.

In Bergamo enthält die Kapelle Colleoni bei S. Maria maggiore außer den reichen Fassadenskulpturen das prächtige Grabmal des Feldherrn Bartolommeo Colleoni selbst, teilweise von Antonio Amadeo. Vier auf Löwen ruhende Säulen tragen eine Basis mit Passionsreliefs, ganz von der fleißigen und saubern aber, im Ausdruck bis zur gemeinen Grimasse übertriebenen Art, welche wir bei Mazzoni werden kennenlernen. Auf der Basis sitzen und stehen fünf Heldenstatuen, die zum bedeutendsten der ganzen oberitalischen Skulptur gehören; das Äußerliche der Behandlung ist in der Art der Lombardi, die Motive (des Sinnens) aber geistvoller und origineller als die meisten Werke derselben. Geringer sind wiederum die obern Teile: die Reliefs am Sarkophag selbst und die Reiterstatue darüber, nebst den Tugenden zu beiden Seiten, von verschiedenen Händen. – Ebenda das Denkmal der Medea, Colleonis Tochter, mit drei köstlichen allegorischen Figuren. (Die beiden Engel, welche den Altartisch tragen, bei leichter Anmut doch ernst aufgefaßt, mögen von einem trefflichen Lombarden zu Anfang des 16. Jahrhunderts gefertigt sein.) – An der Außenseite der Kapelle sind ein paar Putten oben und die Sockelreliefs mit den Geschichten der Genesis und den Taten des Herkules des herben und tüchtigen Stiles wegen bemerkenswert, die Denkmäler Cäsars und Trajans aber, welche als Aufsätze der Fenster dienen, sowie die in Medaillons angebrachten Köpfe des Augustus und Hadrian geben wenigstens einen Begriff von der damaligen Vergötterung des Altertums.

Im Dom von Como lernt man zunächst den Vollender des Baues selbst, Tommaso Rodari, auch als Bildhauer und Dekorator kennen; sein Anteil an der nördlichen SeitenpforteWie dort über die römischen Kaiser, so darf man sich hier über Bacchanten, Zentauren, Herkules, Genius Imperatoris und andres Heidentum nicht verwundern. Die Lünettengruppe enthält wenigstens Mariä Heimsuchung. und der von ihm verfertigte erste Altar des rechten Seitenschiffes (datiert 1492, mit Marmorreliefs) verraten jedoch ein nur mittelmäßiges Talent. Die zahlreichen übrigen Skulpturen an und in diesem schönen Gebäude sind zum Teil bedeutender. – Von mehr oder weniger befangenen lombardischen Künstlern der Zeit um 1470–1500 rühren her: die meisten Bildwerke an der Fassade, also die Statuen in den Nischen der Pilaster, über dem Hauptportal, in den Fenstergewandungen und weiter oben, sowie die Reliefs der drei Portallünetten; ferner im Innern: die Apostel an den Pfeilern des Hauptschiffes, mittelgute Arbeiten ganz in der Weise der Lombardi; die Gruppe einer Pietà auf dem vierten Altar links; der Tabernakel ohne Altar am Anfang des rechten Seitenschiffes, datiert 1482 u. a. m. – Von den Lombardi und von der Richtung Donatellos zugleich inspiriert erscheint dann der prächtige große SchnitzaltarIch nenne ihn so, ohne bei der durchgängigen Bemalung und Vergoldung gewiß zu sein, daß er wirklich ganz aus Holz und nicht zum Teil aus Stukko usw. bestehe. Vom Norden her kamen damals mehrere Schnitzaltäre nach Oberitalien, wovon einer in S. Nazaro zu Mailand, vordere Kapelle links, im Stil durchaus dem St. Evergisilaltar in S. Peter zu Köln entspricht. Eine italienische Nachahmung derselben ist der in Rede stehende. des heil. Abondio (der zweite im rechten Seitenschiff). Der Meister desselben ist kein großer Bildhauer, der die lombardische Skulptur über die Schranken des 15. Jahrhunderts emporgehoben hätte; in seinen Statuen und Reliefs sind Stellungen und Bildungen zum Teil ziemlich unfrei und unsicher; allein sein Naturalismus schwingt sich bisweilen zu einer ganz unbefangenen Schönheit auf, so in der würdigen Gestalt des heil. Bischofs und in dem lionardesken Haupt der Madonna. – Vielleicht dieselbe Hand verrät sich auch in den Denkmälern des ältern und des jüngern Plinius an der Fassade (das eine datiert 1498), deren sitzende Statuen manieriert und doch nicht ohne freie Schönheit sind; mit großer Naivität stellen die Reliefs den ältern Plinius dar, wie er zum brennenden Vesuv geht, den jüngern wie er Briefe schreibt, vor Trajan plädiert usw.; die Putten mit Fruchtkränzen usw. zeigen dieselbe Verwandtschaft mit denjenigen der paduanischen Malerschule, wie die der meisten genannten Dekorationswerke Oberitaliens.

Das beste aus dem 15. Jahrhundert sind wohl an diesem Gebäude die Urnenträger unter dem Kranzgesimse der Strebepfeiler; einige, zumal an der Südseite, stehen an origineller Energie denjenigen von S. Marco in Venedig gleich, während andere schon eine spätere und allgemeinere Formenbildung zeigen. Auch die Prophetenstatuen an der Südseite des Äußern sind besser als die der Nordseite. Von den Statuen im Innern ist noch ein guter S. Sebastian im linken Querschiff, etwa um 1530 gearbeitet, nachzuholen; ebenda eine S. Agnes, als Nachahmung einer antiken Gewandfigur; die übrigen Statuen im linken Querschiff sind ziemlich flau, die Apostel im Chor modern.

An der Fassade der Kathedrale von Lugano sind unten derbere Reliefhalbfiguren von Propheten, in den Friesen dagegen Medaillons mit Halbfiguren von Aposteln und Heiligen angebracht, letztere zum Teil von demselben süßen und innigen Ausdruck wie die entsprechenden Figuren an S. Maria de' miracoli in Venedig, nur freier in den Formen.

Über die Skulpturen endlich, welche die Fassade der berühmten Certosa von Pavia bedecken und auch das Innere dieser unvergleichlichen Kirche verherrlichen, darf ich aus ziemlich alter Erinnerung und aus wenig getreuen Abbildungen kein Urteil wagen. Es werden vom 15. bis zum 17. Jahrhundert gegen 30 Bildhauer und Dekoratoren bloß für die Fassade namhaft gemacht, worunter Antonio Amadeo und Andrea Fusina für das 15., Giacomo della Porta und Agostino Busti, genannt Bambaja, für das 16. Jahrhundert die wichtigsten sind. (Am Prachtdenkmal des Giangaleazzo Visconti arbeiteten besonders Amadeo und della Porta.) Die ganze lombardische Skulptur hatte hier ihren Herd und ihre Schule; von hier könnten selbst die Lombardi ausgegangen sein. Der Verfasser empfindet es als die größten Mängel dieses Buches, daß er diese Certosa und die Skulpturen von Loretto nicht so besprechen kann, wie das Verhältnis zu allem übrigen es verlangen würdeEin Ambrogio da Milano nennt sich auf dem Grabmal des Bischofs Roverella (1475) im Chor von S. Giorgio bei Ferrara (vor Porta romana). Nach der Madonna mit Engeln in der Lünette möchte man einen Schüler der Florentiner aus Rosellinos Zeit vermuten; auch die sorgfältigen und glücklich beseelten fünf Statuetten, sowie die trefflich wahre Grabstatue weisen auf einen solchen Einfluß hin. .

Neben all diesen zum Teil sehr realistisch gesinnten Bildhauern Oberitaliens tritt wenigstens einer auf, der sie in dieser Richtung so weit überholt, daß sie neben ihm noch als Idealisten erscheinen. Seit dem Untergang des architektonisch bedingten germanischen Stiles von jeder Rücksicht entbunden, schafft die Kunst hier eine Anzahl von Gruppen, welche als solche weder einem plastischen, noch auch einem höhern malerischen Gesetz, sondern nur einem dramatischen folgen. Der Bildner stellt seine bemalten zum Teil lebensgroßen Tonfiguren wohl oder übel zu einem Moment zusammen. Ein gewisser Guido Mazzoni in Modena erwarb sich und der Gattung einen sichern Ruhm, da ihm auch die gemeinste, wenn nur populär ergreifende Ausdrucksweise gelegen kam. Seine Gruppen bedürfen natürlich einer geschlossenen Aufstellung in einer Nische, wie auf einem Theater; nimmt man sie auseinander, um sie frei aufzustellen (wie dies mit einer von »Modanino«, d. h. wahrscheinlich von Mazzoni gearbeiteten, jetzt bronzierten Gruppe in Montoliveto zu Neapel, Kapelle neben dem rechten Querschiff, geschehen ist), so wirken die einzelnen Figuren nur lächerlich. Sein Hauptwerk ist in S. Giovanni decollato zu Modena, der Leichnam Christi auf dem Schoß seiner Mutter, von den Angehörigen beweint; teilweise eine wahre Karikatur des Schmerzes, in unwürdigen spießbürgerlichen Figuren und dabei doch nicht ohne wahre realistische Gestaltungskraft; der magere Leichnam ist gar nicht gemein. Eine andere Gruppe, in der Krypta des Domes (Altar rechts) stellt die von zwei knienden Heiligen verehrte Madonna dar; daneben steht ein ganz abscheuliches weibliches Wesen, das nach der Schürze und dem zerrissenen Ärmel zu urteilen ein Dienstmädchen darstellen könnte; sie hält ein Süppchen für das Kind und bläst schielend in den heißen Löffel. Dergleichen geht über allen Caravaggio hinaus. – Wenn man aber inne wird, wie volkstümlich solche Werke sind, so möchte man beinahe wünschen, daß einmal die wahre Skulptur noch einen Versuch dieser Art wagen dürfte.

Schließlich glaube ich dem Mazzoni die Gruppe in S. Maria della Rosa zu Ferrara (neben der Tür, links, ihrer echten Nischenaufstellung beraubt) zuschreiben zu müssen. Es ist wieder die Klage um den toten Christus, welcher hier mit demjenigen in S. Giovanni zu Modena völlig übereinstimmt; auch der furchtbar grimassierende Schmerz sowohl als der plastische Stil der übrigen Figuren ist ganz derselben Art. Es ist Zeit, den Namen Alfonso Lombardis (welchen man dem Werk aus bloßer Vermutung beilegt) von diesen zwar energischen, aber unleidlichen Mißbildungen zu trennen. – (Eine etwas gemäßigtere Gruppe ähnlichen Stiles im Carmine zu Brescia, Ende des Seitenschiffes.)

In diesen lombardischen Formenkreis gehört auch wohl der Christus am Kreuz, welcher in S. Giorgio maggiore zu Venedig (zweiter Altar rechts) dem Michelozzo zugeschrieben wird. Aber kein Florentiner, selbst nicht Donatello, hätte eine solche Schmerzensgrimasse gebildet.

Auch in dem marmorarmen Bologna begegnen wir diesen bemalten Tongruppen als einem sehr alten Brauch. In S. Pietro (Gang zur Unterkirche) ein frühromanischer Gekreuzigter mit Maria und Johannes; in einer der Nebenkirchen von S. Stefano (S. Trinità, dritte Kapelle rechts) eine Anbetung der Weisen, etwa 14. Jahrhundert, mehrerer sog. heiliger Gräber nicht zu erwähnen. – Mit Mazzoni verwandt, nur weniger scharf und absurd: der etwas jüngere Vincenzo Onofri; von ihm ein heil. Grab, rechts neben dem Chor von S. Petronio; und das farbige Relief im Chorumgang der Servi (1503), Madonna mit S. Laurentius und S. Eustachius nebst zwei Engeln, eine bessere, gar nicht seelenlose Arbeit; wie denn auch die Grabbüste des berühmten Philologen Beroaldus in S. Martino maggiore (hinten, links) lebendig und schön behandelt ist. Außerdem gehört ihm das Grabmal des Bischofs Nacci in S. Petronio (am Pfeiler nach der siebenten Kapelle links).

Abgesehen von den florentinischen Arbeiten (der Altar mit Engelreliefs und das Grabmal von Rosellino in der Kapelle Piccolomini in Montoliveto; der Triumphbogen Giul. da Majanos im Kastell usw.) geben die Skulpturen Neapels den Charakter der damaligen italienischen Kunst nur beschränkt wieder. – Die ehernen Pforten des genannten Triumphbogens, von Guglielmo Monaco aus Neapel – überfüllte Schlachtreliefs mit einzelnen schönen Motiven – dürfen so wenig als Filaretes Pforten von S. Peter mit dem etwa gleichzeitigen Ghiberti verglichen werden. – Über Reliefs und Statuetten gehen die neapolitanischen Bildhauer dieses Jahrhunderts überhaupt kaum hinaus. Zu den Ausnahmen gehört unter andern die naturalistisch gut gearbeitete kniende Statue des Olivieri Carafa in der Krypta des Domes. Die paar tüchtigen Bronzebüsten im Museum (Abteilung der Terrakotten, erstes Zimmer) scheinen wiederum florentinische Arbeit zu sein. Über die Gruppe der Grablegung in Montoliveto (Kapelle rechts, hinten), von »Modanino«, vgl. was eben über Guido Mazzoni gesagt wurde (S. 601, a).


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