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Sechsundvierzigstes Kapitel.
Leben, Liebe und Lorna.

Als der kleine Ensie mit den Glockenblumen herbeigesprungen kam, bezeichneten nur einige dunkle Blasen auf der schlammigen Oberfläche die Stelle, wo sein Vater versunken war. Im Mittelpunkt des Sumpfes hob und senkte sich die moderige Masse noch mehrmals, dann schloß sich der gierige schwarze Schlund. Voll Scham über meine sinnlose Leidenschaft, zerschlagen an Leib und Seele, stieg ich mühsam wieder auf mein Pferd und schaute auf das unschuldige Kind herab. Würde dieser fröhliche, warmherzige Knabe je seinem verruchten Vater ähnlich werden, und ein Leben voll Haß und Gottlosigkeit durch einen gewaltsamen Tod büßen müssen? – Nein, das durfte nimmermehr geschehen!

Er hob sein blondes Köpfchen und sah mit liebevollem Blick zu mir auf: »Don,« – er konnte noch nicht John sagen – »Ensie froh, daß häßlicher schwarzer Mann fort. Bring' mich heim, bring' mich heim.«

Wer Haß säet, kann nicht Liebe ernten! Selbst Carver Doones Lieblingssöhnchen empfand Grauen vor ihm. Es kostete mich große Überwindung, das Kind des Mannes, der durch mich den Tod gefunden, in meine Arme zu nehmen; doch durfte ich Ensie nicht allein an dem gefährlichen Platz zurücklassen, bis ihn jemand holte, noch weniger konnte ich zu Fuß heimkehren und ihn auf mein Pferd heben, der Blutverlust hatte mich allzusehr geschwächt. Zum Glück war Kickums ebenso abgemattet, wie sein Herr, und der Rückweg ging ruhig und langsam von statten. Ich ritt dahin wie im Traum; wirr und ohne Sinn klangen die Stimmen der Leute, die mir begegneten, an mein Ohr, ich konnte keinen klaren Gedanken mehr fassen; nur die furchtbare Gewißheit: Lorna ist tot! zog mir wie Grabesläuten durch die Seele.

Jetzt war der Hof erreicht; ich fiel fast vom Pferde, das Jakob kopfschüttelnd in den Stall führte. Vor der Hausthür stand Mutter in ihren Alltagskleidern; auf ihren Arm gestützt trat ich schwankenden Schrittes ein; sie schwieg und wagte nur verstohlen mich anzublicken.

»Ich habe Lornas Mörder getötet,« sagte ich. »Jetzt führt mich zu meinem Weibe; sie gehört mir, wie im Leben so im Tod.«

Da sich niemand zu reden getraute, nahm endlich Ruth Huckaback das Wort: »Ihr könnt sie jetzt nicht sehen, lieber John; Annchen ist bei ihr.«

»Was kümmert mich das? Laßt mich zu der Toten; da will ich beten, Gott möge mich bald erlösen.«

Die Frauen traten abseits; ich hörte sie schluchzen und mit einander flüstern, während sie von Zeit zu Zeit bedeutsame Blicke auf mich warfen. Nur Ruth war bei mir geblieben; ihre zitternde Hand suchte die meine: »Sie ist nicht tot, John. Will's Gott, wird sie leben und Euer Glück auf Erden sein. Aber sehen dürft Ihr sie jetzt nicht.«

»Ist denn noch Rettung möglich?«

»Gott im Himmel weiß es. Aber sähe sie Euch in diesem Zustand, es wäre ihr gewisser Tod. Kommt, laßt mich Eure Wunden verbinden.«

Ich gehorchte wie ein Kind und flüsterte nur aus tiefstem Herzensgrunde: »Der Allmächtige lohne Euch, liebe Base, für alles Gute, was Ihr mir gethan habt.«

Unzählige Male habe ich seitdem dies Gebet wiederholt, als ich später erfuhr, daß Lorna, die ich für tot in den Armen gehalten, nur durch Ruths Besonnenheit und treue Pflege gerettet worden war. Während die andern alle vor Schrecken wie gelähmt dastanden, und der Arzt selbst keine Hoffnung mehr gab, hatte sie Lorna mit größter Vorsicht nach Hause tragen lassen, ihr das blutgetränkte Brautkleid aufgeschnitten, mit eigener Hand die Kugel aus der Wunde entfernt und kühlende Umschläge aufgelegt. Lange hatte mein Herzlieb kalt und bleich dagelegen; alle Umstehenden hielten sie für tot, nur Ruth wollte es nicht glauben; sie fuhr fort, ihr Stirn und Schläfe zu kühlen und ihr tropfenweise stärkenden Wein einzuflößen. Geduldig wartete und hoffte sie, bis endlich Lornas Herzschlag kaum hörbar wiederkehrte und ein leiser Hauch wie ein Seufzer ihren Lippen entfloh.

Tagelang blieb mein Weib noch in Lebensgefahr, doch Ruth wich nicht von dem Lager der Kranken und es gelang ihrer unermüdlichen Sorgfalt und Pflege, sie zu retten. Als das Schlimmste vorüber war, half Lornas gesunde und lebensfrohe Natur ihr bald wieder zu Kräften. Man hatte ihr meine Verwundung verheimlicht, damit die Sorge um mich ihre Genesung nicht beeinträchtigte, und so erholte sie sich mit Gottes Hilfe weit schneller als ich.

Mit mir hatte Annchen alle Hände voll zu thun; der eilig herbeigerufene Arzt hatte zwar meine zerbrochene Rippe eingerichtet, aber es trat eine Entzündung dazu und das Fieber raste in meinen Gebeinen; bald sah ich den schwarzen Teufelssumpf vor mir, bald meine bleiche Braut auf den Altarstufen. Ich war überzeugt, daß Lorna tot und begraben sei und man mich nur belügen wollte, wenn man mir sagte, sie wäre noch am Leben. Zum erstenmal lernte ich jetzt Schmerzen und Krankheit kennen und durfte nie wieder auf meine unverwüstliche Kraft pochen. Ich hätte es nicht für möglich gehalten, daß ein Pistolenschuß meine Rippen zerschmettern könne. Es stand bald recht schlecht mit meiner Wunde; der Arzt schüttelte den Kopf und sprach von kaltem Brand; aber ich fürchtete den Tod nicht, nur ein Leben ohne Lorna, das mir so öde und schal vorkam, daß ich lieber sterben wollte. Mutter weinte bitterlich, weil die Doones, die ihr den Gatten gemordet hatten, nun auch noch ihren einzigen Sohn umbringen sollten. Ihr Kummer war groß und sie konnte sich nicht in Gottes Willen ergeben.

Aber des Herrn Wege sind wunderbar und uns oft unbegreiflich. Ich hatte stets, selbst in den schlimmsten Tagen auf seine Hilfe gebaut, und sie ward mir zu teil, weit über mein Hoffen und Denken. Es besserte sich langsam mit mir und endlich durfte ich das Bett verlassen, war aber noch so schwach, daß ich kaum aufrecht sitzen konnte. Eines Tages hatte ich mich mühsam angekleidet und erwartete den Arzt, der zweimal die Woche kam, um mich zur Ader zu lassen. Ich versuchte zu stehen, aber die Füße trugen mich nicht; ein Kind wie Ensie hätte mich umwerfen können. War das der starke John Ridd, der einst Fäuste hatte wie die Schmiedehämmer und dem man jetzt jeden Knochen am Leibe zählen konnte?

Durch das Fenster meines düstern Zimmers kam das Summen der Bienen und der Duft des Thymians zu mir herauf. Gewiß blühten draußen schon die Rosen, auch Levkoje und Geißblatt; die Kirschen färbten sich rot und das Heu lag auf den Wiesen. Aber ich hatte keine Kraft die Sichel zu führen, keine Lust mehr an der schönen Welt, keine Hoffnung auf Liebe und Freude.

Da klopfte es leise an die Thür und ich sah verwundert die kleine Ruth eintreten, die mich seit meiner Krankheit noch nie besucht hatte. Sie sah glückstrahlend aus, erschrak aber heftig, als sie mich gewahr wurde. »Um Gottes willen, John,« rief sie, »was soll das bedeuten? Man hat mir wohl gesagt, Ihr wäret noch schwach, aber doch nicht so sterbensmatt!«

»Nein, Ruth, sterben werde ich nicht, ich fürchte es wird wieder besser mit mir. Der Arzt sagt es wenigstens. Er wird bald kommen und mich zur Ader lassen; dadurch allein hat er mich am Leben erhalten.«

»Was,« rief die Kleine entsetzt, »er will Euch noch mehr Blut abzapfen, trotz Eurer Schwäche, Vetter? Ist er denn von Sinnen, und wie kann Annchen das zulassen? Keinen Tropfen dürft Ihr mehr verlieren; ich fürchte mich nicht vor dem Doktor und will ihm schon meine Meinung sagen. Ich habe Lorna am Leben erhalten und jetzt will ich Euch retten, was viel leichter gethan sein wird.«

»Was redet Ihr da, Base? Ihr habt Lorna das Leben gerettet?« –

»Sie sagt es wenigstens, John. Ich will meine Pflege nicht zu hoch anschlagen.«

»Spricht denn kein Mensch mehr die Wahrheit? – Ich verstehe Euch nicht.«

»Habe ich Euch je belogen, Vetter? Ich kann gar nicht lügen, so wenig wie Ihr selbst.«

Sie sah mich mit ihren klaren Augen so treuherzig an, daß ich nicht länger zweifeln konnte. Mir stockte der Atem und mein Herz klopfte laut.

»Werdet Ihr mir glauben, John, wenn ich Euch Lorna selbst zeige? Ich habe es bisher nicht gewagt, weil es Euch beiden schaden konnte. Lorna ist jetzt stark genug, und Euch thut das Wiedersehen gewiß auch gut.«

Bevor ich noch meine Gedanken sammeln konnte, war Ruth verschwunden; ich hörte einen wohlbekannten Tritt und Lorna stand in mädchenhafter Schüchternheit vor mir. Schon im nächsten Augenblick aber pochte ihr warmes junges Herz an meiner Brust, sie küßte meine blassen Wangen und ich fühlte, wie neues Leben mich durchströmte. Nun wollte ich nicht mehr sterben. Lornas Küsse und Freudenthränen machten mir die Welt wieder lieb, und als ich mein teures Weib in den Armen hielt, erkannte ich, wie süß das Dasein ist.

 

Mir bleibt jetzt nur noch wenig zu erzählen übrig. Nachdem ich Lorna wieder hatte, kehrten auch meine Kräfte bald zurück; an treuer Pflege und guter Nahrung fehlte es mir nicht. Mein Lieb ward nie müde für mich zu sorgen, bei mir zu sitzen und mir vorzuplaudern von allem was wir erlebt in guten und bösen Tagen, von Trennung, Not und Gefahr und frohem Wiederfinden.

Die Jahre sind uns in Friede und Freude dahingeflossen; mein Wohlstand ist gewachsen; ich brauche mich mit der Feldarbeit nicht mehr übermäßig anzustrengen. Lorna besitzt große Reichtümer, aber wir rühren nichts davon an, außer wenn es gilt, einem armen Nachbar zu helfen. Bisweilen kaufe ich ihr von ihrem Geld ein kostbares Gewand, dann dankt sie mir herzlich, trägt es zwei Tage – und ich sehe es nie wieder. Sie kleidet sich meist ganz einfach und ich liebe sie deshalb nur um so mehr. Was sie nicht verschenkt, bewahrt sie vermutlich für die Kinder.

Der arme Tom Faggus mußte noch mancherlei Abenteuer bestehen, nachdem er seinen Gnadenbrief verloren hatte, weil er sich den Rebellen bei Sedgemoor angeschlossen. Er wollte gern in Ruhe leben und ward nun im Lande umhergehetzt, wie ein flüchtiges Wild. Seine kühnen Thaten gehen in Wort und Lied von Mund zu Munde; jedes Kind weiß von ihm und seiner treuen Winnie zu berichten, die ihren Herrn so oft durch Klugheit und Schnelligkeit gerettet hat, wenn die Verfolger ihm schon auf den Fersen waren. Einmal hieß es, Tom sei in Taunton gehängt worden, aber wir wußten das besser. Er hielt sich nur verborgen und wartete in aller Stille ab, bis ein neuer König ans Ruder kam. Dann bat er zum zweitenmal um einen Gnadenbrief. Jeremias Stickles aber, der in hohem Ansehen stand, befürwortete sein Gesuch und verschaffte ihm sogar noch eine Entschädigungssumme. Seitdem führte Tom mit seiner trefflichen Gattin ein rechtschaffenes – wenn auch nicht immer nüchternes – Leben und erzog seine Kinder zu wackern, redlichen Leuten.

Meine liebe Mutter lebte lange und glücklich bei uns und hatte viele Freude an ihren Enkelkindern. Lieschen hat Herrn Bloxham geheiratet, der inzwischen Hauptmann geworden war und vortrefflich für sie paßte.

Den kleinen Ensie schickte ich auf meine Kosten nach Blundells Schule, nannte ihn aber Ensie Jones. Als später der kühne, abenteuerliche Sinn der Doones bei ihm zum Vorschein kam, verschaffte ich ihm eine Offiziersstelle, und er hat sich in den Niederlanden rühmlich ausgezeichnet. Titel und Erbe der Doones gebührt ihm von Rechts wegen, doch will er keinen Anspruch darauf erheben, weil ich es nicht billige.

Ruth Huckaback hat Onkel Ruben in seiner letzten Krankheit getreulich gepflegt und all sein Hab und Gut geerbt, außer zweitausend Pfund, die er ›dem ehrenwerten Sir John Ridd‹ vermachte, ›zum Dank, daß er ihm einmal selbst die Stiefel geputzt hat.‹ Onkels große Hinterlassenschaft stammte nur aus seinen vorteilhaften Handelsgeschäften. Die Goldader im Bergwerk war plötzlich versiegt, als gerade die Kosten des Betriebes gedeckt waren, so daß niemand dadurch bereichert wurde. Die kleine Ruth wird gewiß noch heiraten, und wer sie einmal zur Frau bekommt, gewinnt einen Schatz, der kostbarer ist als alles Gold der Welt.

Von Lorna, meinem geliebten Weibe, der treuen Gefährtin meines Lebens, will ich nichts mehr sagen. Der Mensch soll sich seines höchsten Gutes nicht rühmen. Ihre Seelengüte, die Liebe zu den Ihrigen und unser häusliches Behagen wachsen von Jahr zu Jahr, auch erscheint sie mir täglich liebreizender und schöner.

Sie scherzt mit mir, wenn ich das sage, und lacht mich aus in ihrem Mutwillen. Zuweilen möchte ich sie dafür strafen und ernster stimmen, damit wir nicht gar zu übermütig werden in unserm Glück; dann brauche ich sie nur an vergangene Trübsal zu erinnern mit den zwei Worten: ›Lorna Doone.‹


Ende

 


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