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Die Landwehr von Somerset mit den gelben Aufschlägen kam jetzt übers Moor ins Thal herabgezogen. Die Leute hatten nicht den geringsten Begriff von Zucht und Ordnung, machten aber auch kein Hehl daraus, weil sie als mutige Männer es für entwürdigend hielten, sich den Vorschriften des Dienstes zu fügen. Stickles' Musketiere sahen auf diese ungeschliffenen Naturkinder mit einer Verachtung herab, für die es keine Worte giebt.
Schon in der Ferne hörten wir die ›Gelben‹ aus voller Kehle singen.
Als der Gesang zu Ende war, stellte sich die Rotte so gut sie konnte in soldatischer Haltung auf; jeder stieß seinen Nebenmann mit Fersen und Ellenbogen. So begrüßten sie den Regierungsboten.
»Wer befehligt Euch denn?« fragte Stickles. »Wo habt Ihr Eure Offiziere gelassen?«
Sie wechselten pfiffige Blicke und ein allgemeines Kichern war die Antwort.
»Nun, wirds bald – heraus damit – wo sind Eure Offiziere?«
Ein kleiner Bursche warf sich endlich zum Sprecher auf: »Wir haben ihnen gesagt, sie könnten zu Hause bleiben, wir brauchten sie nicht, weil der König uns selbst einen Anführer geschickt hat.«
Stickles wußte nicht, sollte er lachen oder wettern und fluchen.
»Ihr elenden Kerle wollt wohl gar behaupten, die Offiziere hätten sich von Euch verabschieden lassen und Ihr wäret allein ausmarschiert,« rief er.
»Ja, was sollten sie denn machen? Wir haben sie heimgeschickt und sie sind gern gegangen.«
»Eine schöne Geschichte, John,« wandte sich der arme Stickles zu mir. »Sechs Dutzend Schuhflicker, Schneider, Taglöhner, Weißgerber und Kesselflicker, und niemand der das Volk in Ordnung hält, als ich allein. Ich wette sie schießen vorbei und wenn sie auf ein Scheunenthor zielen. Die Doones werden uns alle in Stücke hauen.«
Stickles schöpfte jedoch wieder Hoffnung, als etwa eine Stunde später die Söhne der Grafschaft Devon einherkamen, stramme Bursche mit roten Aufschlägen, und voller Kampfeslust. Sie marschierten in Reih und Glied unter Führung ihrer Offiziere und hätten es in ihrem Eifer nicht nur mit den Doones aufgenommen, sondern, wenn es sein mußte, mit der ganzen Mannschaft von Somerset.
»Und glaubt Ihr wirklich, Stickles,« sagte ich, verwundert dreinschauend, »daß wir, meine Mutter und ich, auf unserm kleinen Gut die ganze Schar Eurer ›Gelben‹ und ›Roten‹ beherbergen und füttern können, bis sie das Doonethal erobert haben?«
»Gott behüte, mein Sohn, wer denkt an dergleichen. So schäbig bin ich nicht, wenn es aus dem Staatsseckel geht. Für die Hämmel, die Ihr uns schlachtet, das Brot, das Ihr für uns backet, zahle ich Euch einen Preis wie zur Zeit der Hungersnot. Annchen soll mir täglich die Rechnung bringen und ich verdopple den Betrag. Verlaß dich darauf, John, diese Frühjahrsernte bringt Euch dreimal so viel ein als der ganze Ertrag im letzten Herbst. Hat man dich damals in der Stadt übers Ohr gehauen, so laß dir jetzt auf dem Lande den Schaden vergüten.«
Das kam mir nicht ganz ehrlich vor und ich holte mir Mutters Rat ein, da die Rechnungen doch in ihrem Namen ausgestellt wurden. Sie meinte aber, es sei Sitte von alters her, daß der König immer die Hälfte mehr zahlen müsse als gewöhnliche Leute, das sei er seinem Range schuldig. Hierüber ließ sich nicht streiten und so konnte ich nur Annchen anweisen, die Sachen stets unter dem Marktpreise zu berechnen. Sie versprach es zwar, doch mit so schlauem Lächeln, daß ich ihr nicht recht traute. Eine ganz strenge Redlichkeit in kleinen Geldgeschäften findet man selten bei den Frauen, und wären es die allerbesten.
Die ›Gelben und Roten‹ zählten zusammen hundert und zwanzig Mann, die in unsern Scheunen und Heuschobern untergebracht werden mußten, dazu kamen noch die fünfzehn Musketiere vom stehenden Heer. Natürlich geriet ganz Exmoor in Aufregung und die Leute strömten scharenweise herbei, um den Übungen der Truppen zuzusehen. Diese neugierigen Zuschauer waren für uns fast eine größere Plage als die Soldaten selbst. Sehr lästig erwiesen sich aber auch die Offiziere der ›Roten‹, und Mutter und ich wünschten von Herzen, sie wären zu Hause geblieben, wie ihre Brüder in Somerset. Da es meist junge Leute aus guter Familie waren, konnten wir ihnen das Haus nicht verschließen und wir hatten unsere liebe Not wegen der drei hübschen jungen Mädchen. An Schlaf durfte ich gar nicht mehr denken; bis nach Mitternacht sangen oder pfiffen sie unter dem Fenster; lief ich aber den Hof hinunter, um die Herren zu verjagen, so war nichts zu sehen als höchstens eine alte Katze.
Wir waren daher herzlich froh, als Jeremias Stickles den Marschbefehl gab und der ganze Trupp sich in Bewegung setzte. Der Kirchenchor mit Pastor Bowden an der Spitze gab uns das Geleit, und unter dem mächtigen Klang kriegerischer Psalmen marschierten wir kühnen Mutes vorwärts, während Frauen und Kinder am Wege standen und gafften. Wir führten drei Feldschlangen mit, die auf Kufen gesetzt waren, damit unsere Pferde sie besser den Berg hinan ziehen konnten. Die wackern Tiere wandten von Zeit zu Zeit die Köpfe und betrachteten neugierig die seltsame Pflugschar, vor die man sie gespannt hatte. Wer aber nicht kam, um den Zug mitzumachen, war Onkel Ruben, denn man hatte ihn nirgends auftreiben können.
Es war dem Staatsgesetz gemäß beschlossen worden, daß die Leute nur in der Grafschaft kämpfen sollten, zu der sie gehörten. Deshalb marschierten die Söhne von Devon, als wir die Höhe erreicht hatten, weiter nach Westen, um mit ihrer Feldschlange auf der Klippe Stellung zu nehmen, von der aus die Schildwache mich angerufen hatte, als ich ins Doonethal eingedrungen war. Die ›Gelben‹ dagegen besetzten den Bergkamm im Osten, den ich damals mit Onkel Ruben erklommen, und von wo ich bei dem großen Schneesturm ins Thal hinab geglitten war. Erst wenn die ›Roten‹ auf dem Felsen gegenüber erschienen, sollten die Männer von Somerset mit ihrer Kanone drüben aus dem Walde hervorbrechen und das Kreuzfeuer beginnen. Die Bedeckung der dritten Feldschlange bildeten die fünfzehn Musketiere, zu denen sich noch von beiden Rotten je zehn Mann Landwehr gesellten. Diese fünfunddreißig Streiter, die Stickles in eigener Person befehligte, sollten das Doonethor selber angreifen, und ich schloß mich ihnen an, da ich den Eingang am besten kannte. Nach dem Feldzugsplan, der mir sehr einleuchtete, würden die Doones sich also zu gleicher Zeit nach drei Seiten hin verteidigen müssen. Ich sprach dem ›Oberst Stickles‹, wie man ihn jetzt nannte, meine volle Anerkennung und Bewunderung aus für seine große Kriegskunst. Er ließ sich das Lob gern gefallen, meinte aber, der Erfolg wäre darum doch noch ungewiß. Mit ungeübten Soldaten, die zum erstenmal ins Feuer kämen, ließe sich gegen so erfahrene Schützen wie die Doones wenig ausrichten. Dann erkundigte er sich, wie es mit meinem Kanonenfieber stehe, und es beruhigte ihn sehr, als ich ihm sagte, es sei schon ein paarmal auf mich geschossen worden.
Was sich an jenem Schlachttag begab, ist von allen Seiten so vielfach verdreht und mißdeutet worden, daß ich als Augenzeuge gern einen ganz wahrheitsgetreuen Bericht darüber geben möchte. Menschen, die damals noch nicht geboren waren und deren Väter kaum die ersten Höschen trugen, wagen es, bei meiner Erzählung, mir ins Gesicht zu widersprechen. Ich gebe auch gern zu, daß ich kaum imstande bin, den Teil des Angriffs, welchen ich mitgemacht habe, genau zu schildern, geschweige denn alle Einzelheiten, die sich da zutrugen, wo ich nicht zugegen war. Was ich aber selbst gesehen und gehört habe, weiß ich und da lasse ich mir von niemand dreinreden.
Wir fünfunddreißig Mann hatten uns hinter einer Felsenecke des Hohlwegs, der zu dem gefährlichen Doonethor führt, um die scharf geladene Feldschlange geschart. Der Gedanke, daß sie leicht von selbst losgehen konnte, war recht unbehaglich. An Zuschauern mangelte es uns nicht, denn unsere Freunde und Nachbarn, die zuerst so eifrig für den Krieg gerüstet hatten, waren jetzt zu dem Entschluß gekommen, sich nicht selbst am Kampfe zu beteiligen, sondern zu sehen wer Sieger bleibe und sein Lob zu verkündigen.
Endlich hörten wir das laute Bum–bum von den Bergen, ein Beweis daß die ›Roten‹ und ›Gelben‹ mit ihren vernichtenden Geschossen das Räubernest angriffen. Im Sturmschritt marschierten wir nun auf den Eingang los; wir glaubten das Doonethor unverteidigt zu finden und alle etwaigen Hindernisse mit Kanonenkugeln niederzuschmettern. Einsam und verödet lag die wilde Gebirgsschlucht vor uns, nur die bunten Uniformen unserer Krieger funkelten im Sonnenlicht. Mit lautem Hurra eilten wir vorwärts und hofften auf einen leichten Sieg.
Da ertönte plötzlich ein gellender Pfiff; gleich darauf knallten wohl ein Dutzend Gewehre, die ihr tödliches Blei in unsere Reihen sandten. Einige von unsern Leuten fielen getroffen zu Boden, die übrigen aber stürmten mutig voran, Stickles und ich an der Spitze.
»Noch einen Anlauf, Kameraden,« rief Stickles, »und wir sind aus ihrem Bereich.« Er hatte die Feinde oben auf dem Felsenwall über unsern Häuptern entdeckt.
Der Mut des Führers entflammte die Truppen, sie antworteten mit lautem Kampfgeschrei, und ehe die Gegner ihre Flinten wieder laden konnten, sprangen wir unter ihren Füßen durch, dem Eingang zu. Kaum aber waren die vordersten in dem Felsgewölbe, da vernahm man ein furchtbares Krachen, dann lautes Jammergeschrei, das Klirren von Eisen und das grausige Gestöhn der Pferde. Die Geächteten hatten den schweren Eichenstamm von der Felsplatte herabgewälzt; zwei Soldaten lagen darunter, desgleichen unsere Kanone; einem Pferde war das Rückgrat zerschmettert, einem andern das Schenkelbein gebrochen.
In wahnsinnigem Zorn, keiner Besinnung mehr mächtig, rief ich den andern zu, mir zu folgen, und stürmte tollkühn weiter in dem Gewölbe, Stickles mit fünf oder sechs Leuten hinter mir drein. Da – ein Blitz, ein donnerähnlicher Knall – Kugeln pfiffen um meine Ohren und flogen krachend gegen die Felswände. Wie ein Rasender stürzte ich mich auf die Feldschlange, die abgefeuert worden war, den einen Kanonier warf ich über sein Geschütz, die andern flohen und hinter ihnen fiel ein schweres Eichenthor ins Schloß, uns den Ausgang versperrend. Überlegen konnte ich nicht, nur das Gefühl meiner Kraft war mir geblieben. Mit beiden Armen packte ich die Kanone und schmetterte damit gegen die Thür. Das feste Eichenholz barst beim ersten Stoß und das Kanonenrohr blieb darin stecken wie eingekeilt. Vergebens sah ich mich nach den Kameraden um, die mir helfen sollten den Vorteil auszunützen; in dem düstern Gewölbe hinter mir regte sich niemand, nur dann und wann vernahm ich schmerzliches Stöhnen.
Meine Furcht, Stickles müsse gefallen sein, wurde bald zur Gewißheit. Die Kugeln, die dicht an mir vorbeigesaust waren, hatten zwei Soldaten zu Tode getroffen, zwei andere und Stickles aber konnten wenigstens noch ächzen und stöhnen. Ich widmete ihnen nun meine ganze Aufmerksamkeit und dachte nicht mehr daran den Kampf fortzusetzen.
Mit unsern Toten und Verwundeten zogen wir uns außer Schußweite in den Hohlweg zurück und sahen einander fragend an, wer denn nun den Oberbefehl übernehmen sollte. Es meldete sich jedoch keiner. Mir war das Blutvergießen in tiefster Seele zuwider und das Mitleid für den armen Stickles erfüllte mich ganz; ich hielt ihm den Kopf in die Höhe und suchte sein Blut zu stillen, während er mich mit jammervollen Blicken anschaute. Die Kugel hatte ihn in den Mund getroffen, ihm ein Stück Oberlippe weggerissen und mehrere Vorderzähne eingeschlagen.
Während ich noch um ihn bemüht war kam plötzlich ein unverschämter Schusterjunge atemlos um die Ecke gelaufen.
»Ihr seid schön reingefallen,« rief er, »macht nur, daß Ihr wieder heimkommt. Somerset und Devon sind einander in die Haare geraten und die Doones haben ihnen beiden das Fell gegerbt. Auch Ihr habt Schläge gekriegt, Meister Ridd, wie ich sehe.«
Nach unserm Mißerfolg am Doonethor hatten wir uns noch mit der leisen Hoffnung getröstet, die ›Roten‹ und ›Gelben‹ würden unsere verlorene Waffenehre retten. Daß sie einander angegriffen haben sollten, statt für die gemeinsame Sache zu kämpfen, war uns unbegreiflich. Wir konnten jedoch den Krieg nicht allein fortsetzen und traten daher den Rückzug an. Unser Geschütz rollten wir in den Fluß, erlösten die verwundeten Pferde von ihren Qualen und spannten die noch überlebenden vor das Gestell, auf dem die Kanone gelegen. Nachdem wir den armen Stickles und zwei andere Verwundete darauf gebettet, zogen wir trübselig heim. Wir hatten eine schwere Niederlage erlitten, doch ohne unsere Schuld, wie wir behaupteten. Die Frauen waren darin ganz unserer Meinung und voller Dank und Freude, uns lebendig wiederzusehen.
Der niedrigen Eifersucht der Männer von Devon und Somerset hatten wir es zuzuschreiben, daß das große Unternehmen so kläglich verunglückt war. Die ›Roten‹, die den weiten Weg nach der Westseite des Doonethals zurücklegen mußten, fürchteten, ihre Vettern aus Somerset würden zuerst feuern und den Ruhm des Sieges für sich in Anspruch nehmen. Kaum hatten sie daher die Höhe erreicht, als sie, ohne sich erst Zeit zu nehmen ihr Geschütz zu richten, aufs Geratewohl losbrannten. Die ganze Ladung aber fuhr, Verderben bringend, zwischen die unglücklichen ›Gelben‹, die auf der Felsklippe gegenüber Stellung genommen hatten; einer ward getötet, zwei verwundet. Daß es ein Mißverständnis war, lag auf der Hand, aber was thaten die Leute aus Somerset, statt um Aufklärung zu bitten? Sie stopften ihre Kanonen bis zur Mündung voll und erwiderten das mörderische Feuer. Ja, als sie drei oder vier ›Rote‹ am Boden liegen sahen, brachen sie in ein lautes ›Hurra‹ aus. Beide Parteien erhitzten sich nun mehr und mehr, und wäre nicht die Schlucht zwischen den Wütenden gewesen, es würden schwerlich viele am Leben geblieben sein, um den Ausgang zu erzählen.
Als die Doones den Kanonendonner auf den Bergen hörten, lachten sie sich ins Fäustchen, zogen ihre Besatzung von dem Felsenwall zurück, machten einen Ausfall durch Gwennys Thür, die ganz übersehen worden war, und griffen die ›Gelben‹ im Rücken an. Vier Mann fielen, die übrigen ergriffen die Flucht; die feindliche Kanone aber wälzten die Geächteten den Felsen hinunter in ihr Thal. So kam also von den drei Feldschlangen, mit denen wir ausgezogen waren, nur eine zurück. Die Leute von Devon nämlich brachten die ihrige triumphierend wieder heim.
So endete unser kühner Feldzug gegen das Doonethal. Jede Partei schob der andern die Schuld des Mißerfolges zu, und nur wenige stimmten dafür, die Sache noch einmal von vorn anzufangen, weil uns dann der Sieg gewiß wäre. Merkwürdigerweise kamen aber alle darin überein, der eigentliche Urheber des Unglücks sei Pastor Bowden gewesen. Weshalb hatte er den Hut auf dem Kopf behalten und keinen Talar angezogen?
Zwei Hauptleute der Landwehr von Devon übernahmen nun den Oberbefehl, belobten die Leute wegen des bewiesenen Mutes und schickten sie heim, um ihre Bohnen zu stecken, wozu es die höchste Zeit war.
Mir machte die ganze Angelegenheit großen Kummer; nicht sowohl um der erlittenen Schmach willen, als weil mich die Leiden und Schmerzen der armen Verwundeten betrübten. In mancher schlaflosen Nacht, die ich an ihrem Lager zubrachte, sagte ich mir: Es gibt im Leben schon ohnehin Sorge und Not die Fülle; auch sind Blut und Wunden kein Weihrauch, der dem Gott, der uns geschaffen hat, wohlgefällig sein kann.
Jeremias Stickles wand und krümmte sich in seinen Qualen; er biß sich den durchschossenen Mund blutig an den Decken und sah uns flehend an, als wollte er sagen: »Laßt mich nur ruhig sterben, das ist alles was ich begehre.« Wir pflegten ihn so gut wir konnten, und um ihm Mut zu machen, sprachen wir oft in seiner Gegenwart unter einander, daß er nicht der Mann sei, um die Flinte zu früh ins Korn zu werfen; wir rühmten seine Tapferkeit, die ihm gewiß zum Sieg verhelfen werde, und sein gutes Aussehen, trotz der schweren Krankheit.
Allmählich heiterte ihn das auf, und als Annchen ihm einmal die Kissen zurechtlegte, sich mitleidig über ihn beugte und ihm einen Kuß auf die Stirn drückte, faltete er die matten Hände und wünschte Gottes Segen auf meine Schwester herab. Nun wurde es langsam besser mit ihm, wenn er auch nie mehr laut sprechen konnte und seine frühere Kraft nicht wieder gewann.
Auch für mich erwies sich Stickles' Verwundung als ein großes Unglück in mehr als einer Beziehung. Ich durfte jetzt weder Lorna selbst noch Mutter mitteilen, daß mein Herzlieb nicht aus der Familie stammte, die meines Vaters Tod verschuldet hatte. Die Worte des hinterlistigen Rats, die wir anfänglich so kühn zurückgewiesen, waren dennoch nicht ohne Eindruck geblieben. Sie hatten eine unsichtbare Mauer zwischen uns aufgerichtet, eine Art Entfremdung trat ein, über die sich weder Mutter noch Lorna Rechenschaft geben mochte; sie härmten und grämten sich fruchtlos ab und begegneten einander nicht mehr mit so offenem liebevollem Blick wie sonst. Immer dunkler wurde der Schatten, der zwischen ihnen lag, und doch durften sie sich nicht gegen einander aussprechen und eine Verständigung suchen.
Eine andere schlimme Folge von Stickles' Krankheit war, daß jetzt niemand die Musketiere in Ordnung hielt. Es waren ihrer noch zehn am Leben, die vom Morgen bis zum Abend schmausen wollten. Keine Speise, die wir ihnen vorsetzten, war ihnen zu gut; selbst die Verwundeten ließen es sich schmecken, bis auf den armen Stickles, den wir durch ein Hollunderröhrchen fütterten.
Doch mußten wir noch froh sein, wenn die Soldaten nur bei uns blieben. Hätten sie sichs eines Tages in den Kopf gesetzt abzuziehen, so wären wir mit Hab und Gut, Leib und Leben in den Händen unserer Feinde gewesen. Denn den Doones war der Kamm gewaltig geschwollen, nachdem sie – wie man allgemein behauptete – fünfhundert Mann in die Flucht geschlagen hatten, obgleich kaum dreißig am Kampf gegen sie teilgenommen. Das Landvolk trug von allen Seiten Geschenke vor das Doonethor herbei, nichts war zu kostbar für die Geächteten, welche Mühe hatten nur alles fortzuschaffen; ja, die Freigebigkeit von Devon und Somerset erschien förmlich überwältigend. Vielleicht rettete uns dies gute Einvernehmen zwischen Siegern und Besiegten einstweilen noch vor der Rache der Räuber.
Noch in einer andern Sache wäre uns Stickles' Rat von größter Wichtigkeit gewesen. Es kamen nämlich eines Tages zwei Männer an unsere Thür, die bis auf das Hemd ausgeplündert waren und einen höchst jämmerlichen Anblick boten. Wir betrachteten sie zuerst nicht ohne Mißtrauen, denn wer schützte uns vor Hinterlist? Nachdem wir uns jedoch überzeugt hatten, daß es keine Doones waren, ließen wir die beiden Burschen ein, gaben ihnen Kleider und Nahrung und forderten sie auf, ihre Erlebnisse zu erzählen. Das thaten sie denn auch mit der größten Bereitwilligkeit.
Sie waren Abgesandte des Kanzleigerichts in London, das von Amts wegen jedermann zu seinem Recht verhelfen will. Auf bisher unaufgeklärte Weise hatte man dort die Geschichte meiner Lorna erfahren und daß sie Anspruch auf große Reichtümer hätte. Da waren denn unverzüglich Boten ausgeschickt worden, um meine Braut herbeizuholen. Als die beiden Männer, im Doonethal angekommen, ihren Auftrag ausrichten und die Schriftstücke aus der Tasche ziehen wollten, boten sich die Doones an ihnen zu helfen. Sie rissen ihnen die Kleider vom Leibe und trieben sie mit Peitschenhieben zum Thal hinaus. Lorna Doone würden sie in unserem Hause finden, riefen sie ihnen noch zum Abschied nach.
Mit Zittern und Zagen stellten sie sich bei uns ein, auf einen ähnlichen Willkomm gefaßt. Doch wir sprachen ihnen Mut zu, und als sie sich von ihrem Schrecken erholt hatten, zeigten sie uns ihre Schriftstücke. Eins derselben war an das so benamste Fräulein Lorna Doone gerichtet, der es befahl, sich bereit zu halten, den Boten des Gerichts zu folgen, sobald sie Einsicht von ihrer Vollmacht genommen. Das zweite Dokument wandte sich an alle getreue Unterthanen des Königs, in deren Obhut sich besagte Lorna Doone befand, und ermahnte sie unter Verheißung von Lohn und Androhung von Strafe, dieselbe unverzüglich auszuliefern.
Unter Furcht und Zorn und großer Betrübnis pflogen Mutter und ich Rats, was zu thun sei. Ich ging zu Stickles hinein, sagte ihm alles und er nickte mit dem Kopf, als ich ihn um Erlaubnis bat, Mutter seine Entdeckung mitzuteilen. So erfuhr sie denn, was ich von Lornas Familie wußte und ahnte; sie dankte Gott dafür unter Thränen und pries ihren Sohn, als ob es sein Verdienst sei. Wir fürchteten sehr, das Kanzleigericht möchte nichts Gutes gegen Lorna im Schilde führen, kamen aber doch dahin überein, daß wir die Ladung nicht vor ihr geheim halten dürften. Also nahm ich das verhaßte Pergament, um es meinem Liebchen zu bringen.
Ich fand Lorna in dem Garten, den sie mit so viel Fleiß und Sorgfalt pflegte, auf ihrem Lieblingsplätzchen am Ufer des Baches, zwischen blühenden Rosen. Damit sie hier ungefährdet ihre Blumen pflanzen und warten könnte, hatte ich mit eigener Hand einen hohen Zaun errichtet, der den Garten von dem Wäldchen abschloß. Bei dem krystallhellen Wasser, wo es sich so wonnig träumen und plaudern ließ, sproßten und dufteten die schönsten Blumen.
Als ich über den Rasen auf Lorna zuschritt, hob sie die lieben Augen zu mir empor, in denen ich jetzt oft eine leise Scheu zu entdecken meinte, die mich schmerzlich berührte.
»Wie ist dir zu Mute, mein Herz,« fragte ich. »Fühlst du dich heute stark genug, um eine tief traurige Geschichte zu hören, die dir vielleicht manche Thräne entlockt, aber doch dazu dienen wird dein Glück zu erhöhen?«
Sie hatte sich in letzter Zeit nicht sehr wohl befunden und meine Worte erschreckten sie. »Kommst du mir zu sagen, daß du mich aufgeben willst, John?« fragte sie mit leisem Beben.
»Hältst du das für möglich? Ach, Lorna, du stehst so hoch über mir, daß du selbst am Ende, wenn du die Botschaft hörst, die ich dir bringe, sagen wirst: Geh' mir aus den Augen, John Ridd; ich kann nichts mehr mit dir gemein haben.«
»Das traust du mir zu?« sagte sie, sich zärtlich an mich schmiegend. »O über deine thörichte Eifersucht! Soll ich etwa meine Blumen nicht mehr begießen, die ganze Welt um mich her vergessen und dich nur den ganzen Tag anschauen und dir sagen: John, ich liebe dich, ich liebe dich, ich liebe dich!«
Es klang so warm und innig, daß ich sie gern in die Arme geschlossen hätte, aber ich dachte an ihren hohen Rang und nahm mich zusammen.
»Edles Fräulein Lorna,« erwiderte ich, während mir das Herz vor Freude klopfte; »Ihr müßt Eurer Würde eingedenk bleiben und dürft mir nur noch Euer Mitleid schenken.«
»Du thust mir wahrlich leid, John, wenn du noch mehr so närrisches Zeug sprichst und mich nicht besser kennst,« sagte Lorna, und versuchte zu lächeln. »Muß ich nicht denken, daß Ihr es müde seid noch länger für meinen Unterhalt zu sorgen, und einen Vorwand sucht, um mich in mein altes Elend zurückzusenden? Wenn dem so ist, will ich gehen. Was liegt denn an meinem Leben?« Sie war zu stolz, um ihrem Kummer freien Lauf zu lassen, aber ihre Augen füllten sich mit Thränen.
Nun widerstand ich nicht länger. »Mein süßes Lieb,« rief ich, »nichts in der Welt soll mich je von dir trennen.«
»Du Herzallerliebster,« erwiderte sie, »ich bin dein auf ewig, was könnte uns scheiden?«
Da zog ich sie an meine Brust und küßte und herzte sie. Mochte sie eine Gräfin sein, oder meinetwegen Königin von England, ihr Herz gehörte mir und ich hoffte sie sollte noch ganz mein eigen werden. Sie stimmte darin völlig mit mir überein und es bedurfte zwischen uns keines Wortes weiter.
»Willst du nun meine traurige Geschichte hören, Lorna?« fragte ich endlich.
»Was könnte mich betrüben oder rühren, wenn ich deiner Liebe gewiß bin? Betrifft es dich selbst, oder vielleicht meine arme Mutter, an die ich mich kaum mehr erinnern kann?«
»Es handelt sich um das Geschick deiner armen Mutter, die viel Schweres erduldet hat. Bist du stark genug es zu hören? Du stammst aus einem unglückseligen Geschlecht, meine Lorna.«
Sie begriff schnell was ich meinte. »Wenn mein Geschlecht nur kein verruchtes ist! Sage mir, daß ich keine Doone bin und ich will dich – nein, dich noch mehr zu lieben vermag ich nicht.«
»Eine Doone bist du nicht, Lorna, dafür will ich mich verbürgen, obgleich ich deinen rechten Namen nicht weiß.«
»Und mein Vater – dein Vater – sage mir –«
»Unsere Väter haben einander nie gesehen. Dein Vater ist in den Pyrenäen verunglückt, deine Mutter haben die Doones umgebracht, das heißt, sie sind schuld an ihrem Tode, und dich haben sie ihr geraubt.«
Die ganze Unglücksbotschaft auf einmal zu hören, war zu viel für das zarte Geschöpf. Ich Thor hätte das wissen müssen. Bleich und zitternd lehnte sie auf der Gartenbank und nur der Druck ihrer Hand verriet mir, daß sie lebte und fühlte und ich ihr jetzt alles ausführlich berichten sollte.
Während ich sprach, wechselte die Farbe in ihrem schönen Antlitz und ihre innere Erregung that sich in Blicken und Seufzern kund. Sie weinte bitterlich über das traurige Geschick ihrer Eltern, aber weder Zorn noch Groll mischte sich in ihren Schmerz.
»Du armes Kind,« sagte ich endlich mit innigstem Mitleid. Da schlang sie die Arme um mich, so leidenschaftlich wie noch nie, und sank an meine Brust.
»Geliebter, du bist ja mein eigen,« rief sie. »Was fehlt mir noch, wenn ich dich habe? Mein Leben ist eins mit dem deinen.«
»Ist es denn möglich,« flüsterte ich stolz und froh, »daß du mich lieb genug hast, um Glanz und Herrlichkeit der Welt für mich aufzugeben?«
»Würdest du denn nicht dein Freigut für mich hingeben, John, Mutter und Schwestern, deine Heimat, alles was dein ist in der Welt und jede Hoffnung deines Lebens?«
»Natürlich, ohne Besinnen; das weißt du, Lorna, du mußt es wissen.«
»Ja, ich weiß es,« sagte sie in tiefster Trauer. »Es war die Gewalt deiner Liebe, die mich zur Gegenliebe trieb. Aber es kann nimmermehr zum guten führen, denn Gott widersteht selbstsüchtigem Verlangen.«
Ein ganz neues Gefühl der Angst bemächtigte sich meiner. »Um des Himmels willen,« rief ich, sie fester an mich ziehend, »sprich nie wieder den furchtbaren Gedanken aus, daß Gott uns scheiden könnte.«
»Scheint dir das so schrecklich?« flüsterte sie an meiner Brust. »Ich weiß es – schon seit lange, aber mich schreckt es nicht. Recht verlassen fühle ich mich wohl und traurig, bis mir einfällt –«
»Was denn, mein Herz?« fragte ich mit abergläubischer Scheu.
»Daß du mir bald nachkommen wirst und uns in Ewigkeit nichts mehr trennen kann. Das ist meine Zuversicht, meine Hoffnung.«
Ihre Augen strahlten in verklärtem Glanz, aber nach solcher Glückseligkeit trachtete ich noch nicht. Ich wollte mein Lieb auf Erden haben; das Weib meines Herzens am eignen Herd; und wenn uns Gott Kinder schenkte, wollte ich ihnen sein, was mein Vater mir gewesen.
»Sprich nicht so ungereimtes Zeug, Lorna,« sagte ich; »denkst du es wird mir genügen, dich in der Ewigkeit mein zu nennen?«
»Aber John,« versetzte sie, sich so würdevoll aufrichtend, als sei sie eben im Begriff in eine vornehme Kutsche zu steigen oder einen stolzen Palast zu betreten, »wenn ich wirklich zu Rang und Reichtum berufen bin, wirst du doch nicht wagen die Augen zu mir zu erheben?«
Ich sah sie bestürzt und verwundert an über ihre plötzliche Wandlung und dachte in meiner Einfalt: Wie kann sie das meinen? Sie aber warf im Nu alle Pracht und Ehre von sich, als sie meine Betrübnis sah.
»O du lieber, dummer John,« rief sie, an meinem Halse hängend, »ich wollte es immer nicht glauben, wenn du sagtest, du hättest einen harten Kopf, aber jetzt weiß ich es und vergesse es mein Lebtag nicht wieder. – Wirst du mich denn nie verstehen?«
»Nein, niemals, Lorna, allein ich liebe dich nur um so mehr.«
»Nun, dann ist alles gut. Aber glaube mir, ich bin nur ein einfältiges, thörichtes Ding, doch nicht ganz so einfältig wie du, John. Nicht wahr, ich kann mich gut verstellen? Deshalb will man mich auch in London haben, damit ich auf der Weltbühne meine Rolle spiele.«
Sie sah mich dabei so herzinnig an mit ihren klaren, treuen Augen, daß ich alle Furcht vergaß und von ganzem Herzen hoffte, Lorna werde mich immer lieben und mir angehören, selbst wenn es sich erweisen sollte, daß sie einem vornehmen Geschlecht entstammte, auf dessen Familienehre kein Makel haftete.
Wir gingen nun zusammen ins Haus. Mutter weinte lange an Lornas Halse und Annchen half ihr redlich dabei.