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Zweiundvierzigstes Kapitel.
Was aus John geworden ist.

Einen glücklicheren Menschen als mich gab es damals auf Gottes Erdboden nicht. Kummer und Sorgen waren vergessen, selbst der Gedanke, wie sie daheim ohne mich mit der Ernte fertig werden sollten, machte mir kein Kopfzerbrechen mehr.

Sobald Mutter meinen Aufenthaltsort erfuhr, hatte sie Mittel und Wege gefunden, mich reichlich mit Geld und Lebensmitteln zu versehen. Die Sendung von daheim war mir hochwillkommen; sie enthielt auch einen geräucherten Rehrücken für Jeremias Stickles, für Lorna aber eine schöne Gans und köstliche Butter. Den Begleitbrief hatte Lieschen geschrieben und wohlweislich an eine Hammelkeule gebunden, damit er nicht im Stroh verloren gehe. Meine kluge Schwester gab mir viel guten Rat, mit dem ich nichts anzufangen wußte, und erzählte mir allerlei Neuigkeiten von Haus und Hof und aus der Nachbarschaft. Unsere Betty hatte einen Freier, der sie um ihres Geldes willen heiraten wollte, mit Schimpf und Schande fortgejagt. Sally Snowe liebäugelte mit Pastor Bowden, der doch ihr Großvater sein könnte; die Doones hielten sich ruhig, weil jedermann beeifert war, ihnen während der Erntezeit allerlei Vorräte zuzutragen, denn man wollte nach der sauern Arbeit wenigstens ungestört schlafen. Doch fürchtete Lieschen, der Friede werde nicht von Dauer sein und er wäre vielleicht schon längst zu Ende gewesen, wenn nicht der schmähliche Tod von sechs jungen Doones, welche der Oberst Kirke unter den Rebellen gefangen hatte und ohne Gnade aufknüpfen ließ, die Unternehmungslust der übrigen etwas gedämpft hätte.

Tom Faggus war glücklich wieder daheim und fast geheilt von seiner schweren Wunde. Er dachte nicht mehr daran, in den Krieg zu ziehen, wollte jetzt nur noch für die Seinigen leben und bedauerte aufrichtig, daß ihn seine häuslichen Pflichten hinderten mir beizustehen.

Am Rande ihres ausführlichen Schreibens hatte Lieschen noch die Bemerkung beigefügt, daß der tapfere und gelehrte Herr Bloxham im Auftrag der Regierung zurückgekehrt sei, um alle flüchtigen Rebellen einzufangen, die er in Exmoor finden könne.

Lorna freute sich herzlich über Mutters Geschenke, und auch ihrem Onkel schmeckte unsere Landbutter ausgezeichnet. Der alte Graf war stocktaub und ganz außer stande mein Verhältnis zu seiner Großnichte zu begreifen. Daß ich Lorna aus den Händen der Doones errettet hatte, die er verabscheute, nahm ihn jedoch für mich ein. Weil ich zwei von ihnen aus dem Fenster geworfen habe, versicherte er, stehe mir sein Haus immer offen, ich möge nur kommen so oft ich wollte. Natürlich ließ ich mir das nicht zweimal sagen und benutzte die Erlaubnis, um meine Lorna recht fleißig zu besuchen. Auch fand ich bald Gelegenheit, mich dem Grafen Brandir für seine Güte mit Wort und That dankbar zu erweisen.

Eines Tages nämlich empfing mich Lorna sehr aufgeregt.

»Ich will und muß es ihm sagen, John,« rief sie, »ich ertrage es nicht länger zu schweigen.«

»So laß es uns noch einmal versuchen,« antwortete ich, in der Meinung, sie spräche von unserer Liebe; wir hatten uns bisher erfolglos bemüht, diese dem tauben Grafen verständlich zu machen.

Lorna schüttelte den Kopf. »Ich rede von dem unglücklichen Alan Brandir,« sagte sie. »Glaubst du nicht, daß es meine Pflicht und Schuldigkeit wäre, meinem guten alten Onkel mitzuteilen, was ich über den Tod seines Sohnes weiß?«

»Laß uns erst reiflich überlegen, was der Graf selbst darüber denkt, und ob es mehr nützen oder schaden würde, wenn er die Wahrheit erführe.«

»O, du weißt es doch, wir haben ja schon oft darüber gesprochen. Onkel hält an dem Glauben fest, daß sein Sohn Alan noch lebt. Seine letztwilligen Verfügungen sind daraufhin getroffen, und er hofft ihn vor seinem Ende wiederzusehen. Alans Zimmer wird immer bereit gehalten, eine Flasche Wein von seiner Lieblingssorte steht auf dem Tisch, und mein Onkel, der sonst den Tabak nicht riechen kann, fährt oft durch die ganze Stadt, um neuen Vorrat für den geliebten Sohn zu holen. Er wünscht nichts sehnlicher, als mich mit Alan verheiratet zu sehen. Er läßt mich in allen Künsten und Wissenschaften unterrichten und sorgt auf jede Weise dafür, daß sein Sohn, wenn er kommt, Wohlgefallen an mir finden möge; auch ein paar Pantoffeln habe ich für ihn sticken müssen. Oft schon habe ich es auf der Zunge gehabt, dem armen Vater alles zu enthüllen; es drückt mir fast das Herz ab, zu schweigen, während ich doch weiß, daß Alan Brandir längst im Doonethal unter dem Rasen liegt.«

»Wenn du dem Grafen das sagst, wird er selbst vielleicht schon in wenigen Wochen hier unter dem Rasen liegen. Hoffnung ist des Lebens Zehrpfennig.«

»Du magst wohl recht haben, John; es muß schrecklich sein, in so hohem Alter die Hoffnung zu verlieren. Mein armer Onkel – nein, er soll Alans Tod nie erfahren.«

Da Graf Brandir täglich auf die Rückkehr seines Sohnes wartete und ihm das einstige Besitztum sicher bewahren wollte, hielt er sein Gold in einer großen eisernen Kiste verschlossen, die mit einer schweren Kette an der Wand des Schlafgemachs befestigt war. Eines Abends im September, als die Tage schon kürzer wurden, hatte ich von Lorna Abschied genommen, und blickte mich im Fortgehen noch einmal um, ob die Geliebte mir nachschaue. Da sah ich ein paar unheimliche Gesellen, die sich nicht weit vom Hause des guten Grafen im Gebüsch versteckt hielten und verstohlen umherspähten.

Die Sache kam mir verdächtig vor; ich dachte an des Grafen Geldkiste und beschloß in der Nähe zu bleiben, um womöglich ein Unglück zu verhüten. Ohne Zweifel hatten die Kerle mich aus dem Hause kommen sehen, ich schritt daher, um ihr Mißtrauen nicht zu wecken, auf der Londoner Straße weiter, bis zu einer kleinen Schenke, in welcher ich mein Abendbrot aß und dann auf einem Umweg nach dem Landhaus des Grafen zurückkehrte. Es war inzwischen stockdunkel geworden; ich verbarg mich im nahen Dickicht und horchte auf jeden verdächtigen Laut.

Zwei Stunden mochte ich wohl so gewartet haben, Mitternacht war nicht mehr fern und alle Lichter im Hause längst erloschen, da vernahm ich ein leises Pfeifen und drei dunkle Gestalten glitten zwischen mir und einer weißgetünchten Mauer vorbei, bis zu dem Teil des Erdgeschosses, in dem die Zimmer der Dienerschaft lagen. Ein Fenster ward behutsam von innen geöffnet, ich vernahm ein Geflüster, dann kletterten alle drei Männer durch das Fenster und verschwanden im Innern des Hauses.

Ich war leider unbewaffnet, nur einen starken Stock trug ich bei mir. Fest entschlossen, Lornas Onkel nicht von den Schurken berauben zu lassen, stieg ich ihnen nach, folgte dem Schein ihres Lichtes und gelangte nach Graf Brandirs Schlafgemach, in das Lorna mich einmal geführt hatte, um mir die schönen Wandtapeten zu zeigen. Der taube Graf, der sich einzuschließen pflegte, hatte ruhig weiter geschlafen, während die Diebe die Thür mit ihren Brechstangen sprengten. Zwei von ihnen fand ich bemüht, den eisernen Kasten aufzubrechen, was ihnen jedoch nicht zu gelingen schien; der dritte stand mit der geladenen Pistole am Bett des Grafen und schwor, er werde ihn auf der Stelle niederschießen, wenn er ihnen nicht den Schlüssel ausliefere.

Der alte Mann begriff endlich, was man von ihm wollte. »Den Schlüssel bekommt Ihr nicht,« rief er; »das Geld gehört meinem Sohn Alan und kein Mensch darf es anrühren.«

»Dann seid Ihr des Todes,« brüllte der Schurke und spannte den Hahn. Doch ehe er losdrücken konnte, schlug ich den Lauf seiner Pistole in die Höhe, daß der Schuß in die Decke fuhr, und ließ meinen Stock mit aller Macht auf den Kopf des Räubers niedersausen.

Als die beiden andern ihren Kameraden fallen sahen, drangen sie mit Weidmesser und Pistole auf mich ein; ich aber zog schnell die schweren Bettgardinen zusammen, mich dahinter verbergend, hob den bewußtlosen Räuber vom Boden auf und hielt ihn als Schild vor mich. Ein Schuß ging los und tötete ihn. Mit seinen Gefährten machte ich nun nicht viel Federlesens; ich überwältigte sie leicht, band sie mit starken Stricken, übergab sie dem Hausmeister, einem braven Schotten, und ging die Häscher zu holen. Die Schurken wurden sofort ins Gefängnis gebracht, um am nächsten Morgen vor den Richter geführt zu werden.

Da stellte sich denn heraus, was für einen wichtigen Fang ich gethan. Die Leute waren nämlich keine gewöhnlichen Räuber, sondern obendrein berüchtigte Staatsverbrecher und falsche Zeugen, die der König ganz besonders haßte und deren man schon längst gern habhaft geworden wäre. Das war ein völlig unverhofftes Glück für mich und verschaffte mir viel Lob und Anerkennung, ohne all mein Verdienst. Der Richter sagte mir große Schmeicheleien, und wohl ein Dutzend Menschen, die mir ganz fremd waren, schüttelten mir die Hand, beglückwünschten mich und boten mir Geld an, damit ich mir ein Hofkleid kaufen könne, falls Seine Majestät mich rufen lasse.

Von dem alten Grafen Brandir ließ sich der König sofort über den Vorgang Bericht erstatten und war hoch erfreut zu hören, daß jene meineidigen Schurken sich in sicherem Gewahrsam befanden. Noch am selben Nachmittag mußte ich vor ihm erscheinen. Als ich ehrfurchtsvoll und gesenkten Hauptes im Empfangssaale stand, schritt der König sehr gnädig auf mich zu, die Königin ihm zur Seite.

Er befahl mir, ihn anzuschauen und musterte mich mit prüfendem Blick. »Ich muß dich schon einmal gesehen haben, junger Mann,« sagte er. »Deine Gestalt vergißt man nicht so leicht. Wo war es, sprich!«

»In der königlichen Kapelle, Majestät,« versetzte ich in meiner Bestürzung; ich hätte sagen sollen in der Vorhalle.

König Jakobs finstere Züge erhellten sich. »Es freut mich, zu hören, daß der größte meiner Unterthanen – der Leibesgröße nach, versteht sich – auch ein guter Katholik ist. Du brauchst dich dessen nicht zu schämen; die Zeit wird bald kommen, da die Menschen sich mit Stolz zu dem wahren Glauben bekennen werden.« Als er dies sagte, leuchtete aus seinen Augen ein so düsterer Schein, daß ich ihm nicht zu widersprechen wagte.

»Das ist gewiß der große John Ridd, von dem mir die liebe Lorna so viel erzählt hat,« fiel hier die Königin ein.

»Du hast dem Staate einen wichtigen Dienst geleistet, John Ridd,« nahm König Jakob wieder das Wort. »Der Graf Brandir, ein guter Katholik und getreuer Unterthan, verdankt dir sein Leben, und jene elenden Bluthunde werden ihre gerechte Strafe finden. Daß sie selbst ihren Kameraden totschießen mußten, war ein gelungener Streich. Bitte dir eine Gnade aus. Was für einen Wunsch hast du auf dem Herzen?«

Ich dachte nach. »Meine Mutter hat immer gemeint, ich sei eines Wappens würdig, weil ich die gelehrte Schule in Tiverton besucht habe. Es wäre ihr eine große Freude, wenn mir diese Auszeichnung zu teil würde.«

»Ein wackerer Sohn,« sagte der König lächelnd zur Königin. »Laß mich Näheres über deine Verhältnisse hören, John Ridd.«

»Majestät, wir leben als Freisassen auf unserem Erbe, seit der Zeit König Alfreds, der das Gut meinem Vorfahren verliehen haben soll. Die letzten Ernten waren ergiebig; wir könnten unsern Wappenschild gebührend vertreten. Doch trachte ich nicht um meinetwillen nach solcher Ehre.«

»Du sollst ein Wappen erhalten, mein Sohn, und mehr als das, weil du aus einem so alten, getreuen Geschlecht stammst und Uns einen so großen Dienst geleistet hast.«

Er winkte einigen Leuten aus seinem Gefolge, die ihm sein Schwert herbeibrachten, und ehe ich noch recht wußte wie mir geschah, befahl mir der König niederzuknieen, berührte mich mit der Klinge leicht an der Schulter und rief: »So schlage ich Euch denn zum Ritter. Steht auf, Sir John Ridd!«

Ich erhob mich, verwirrt und betäubt. Was würden wohl die Snowes sagen?

»Besten Dank, Majestät,« stammelte ich, »aber wozu soll mir das taugen?« –

Das Wappen, das auf des Königs Befehl für mich zusammengestellt wurde, fiel sehr großartig aus. Ich schlug vor, man solle eine Kuh auf dem einen Felde, ein Pferd auf dem andern und darunter eine eingeschneite Schafherde abbilden. Aber die Wappenkundigen sagten mir, es müsse wichtige Erlebnisse aus der Familienchronik versinnbildlichen. Einen schwarzen Raben in rotem Feld, einen zweiköpfigen Eber auf silbernem Grund, drei Brote auf einer Stange und einen stehenden Löwen nebst einer goldenen Weizenähre auf grünem Felde, wählte man als die geeigneten Sinnbilder. Sie bezogen sich meist auf König Alfreds Krieg mit den Dänen, an welchen ja mein Vorfahr damals füglich teil genommen haben konnte. Zum Motto wählte man: »Kriegen, siegen, nie unterliegen.« Sie wollten es ins Lateinische übertragen, aber dafür dankte ich. Als das Wappen dem König vorgelegt wurde, gefiel es ihm außerordentlich, doch bezahlen wollte er es nicht. Zum Glück erbot sich die Königin sehr freundlich dazu, denn die Kosten waren groß.

Lorna war stolz auf meine neue Würde und nannte mich im Scherz so oft ›Sir John‹, daß ich es mir zuletzt ordentlich verbitten mußte. Sie setzte auch bei der Königin durch, daß ich von jedem Verdacht freigesprochen und meiner Gefangenschaft ehrenvoll enthoben wurde. So brauchte ich nicht zu warten, bis der schreckliche Lord Jeffreys von seiner Rundreise im Westen zurückkam, auf der er ein erbarmungsloses Strafgericht hielt und Blut in Strömen vergoß. Selbst seine Freunde, zu denen man mich zählte, hatten alle Ursache, sich vor der Grausamkeit und Bosheit des Allgewaltigen zu fürchten.

Graf Brandir war meines Lobes voll und versicherte mich seiner ewigen Dankbarkeit, weil ich ihm nicht nur das Leben gerettet, sondern auch die Reichtümer, die er für seinen Sohn Alan aufbewahrte. Er stellte mich vielen vornehmen Damen und Herren vor, die mir alle ihre Gunst zuwandten und mir rieten, in London zu bleiben, dann wäre mein Glück gemacht. Aber ich legte keinen Wert auf ihre Versprechungen, denn als nun der Herbst ins Land zog, war mein dringendster Wunsch, der Stadt den Rücken zu kehren; ich wäre gern wieder daheim gewesen auf unserm Moor, um die taufrische Luft zu atmen und zu sehen, wie Mutter sich über mein Adelswappen freute.

Auch Lorna sehnte sich nach dem Landleben, und wie gern hätte ich sie mitgenommen! Sie weinte viel beim Abschied und gab mir einen ganzen Koffer voll Geschenke für Mutter, Annchen und Lieschen mit. Der Trennungsschmerz war groß und kam mir hart an; aber was würde man zu Hause von mir gedacht haben, wenn ich noch länger in London unser sauer erworbenes Geld ausgegeben hätte, statt die Ernte in die Scheuern zu bringen?

Der Empfang, der meiner in Plover Barrows wartete, überstieg meine kühnsten Hoffnungen. Nicht nur die Meinigen, sondern auch eine Menge Leute aus der Umgegend brachten mir Glückwünsche und Ehrenbezeugungen dar. Man gab mir auch ein feierliches Festmahl, bei dem so viel auf meine Gesundheit getrunken wurde, daß ich leicht davon hätte krank werden können.

Die altadeligen Familien der Grafschaft äußerten sich zuerst sehr wegwerfend über meine Standeserhöhung. Als sie aber sahen, daß ich ruhig in meiner Wirtschaft weiter arbeitete, auch nach wie vor die Ringkämpfe mitmachte, und keinerlei Lust verspürte, mit ihnen auf gleichem Fuß zu verkehren, wurden sie mir allmählich freundlicher gesinnt. Einige der vornehmsten Herren suchten sogar einen Umgang mit mir anzufangen, aber das schlug ich aus, obwohl ich es mir als hohe Ehre anrechnete. Ich habe das Sprichwort ›Gleich und gleich gesellt sich gern‹ noch immer bewährt gefunden. Da sie merkten, daß ich mich nicht überreden ließ, schüttelten sie mir die Hand, lobten meine Bescheidenheit und meinten sie würden warten, bis ich älter geworden sei und meinen eigenen Wert besser zu schätzen wüßte.


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