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Als ich das rege Leben und Treiben in London wieder sah, die schönen Ladenschilder, die vielen Lichter, hatte ich nur den einen Gedanken, daß dies der Ort war, an dem meine Lorna lebte und jetzt die gleiche Luft mit mir atmete. Vielleicht erinnerte sie sich doch noch dann und wann an die gute alte Zeit, die sie in unserm Hause verbracht, wenn sie uns auch kein Lebenszeichen hatte zukommen lassen. Daß wir so ganz ohne Nachricht geblieben waren, schmerzte mich tief und ich schweige lieber davon. Ich war entschlossen Lorna nicht aufzusuchen; aber der Zufall konnte es ja wohl fügen, daß wir einander begegneten. Geschah dies, so hoffte ich, es werde mir gelingen ihren Sinn zu erforschen. Hatte sie mich vergessen, dann war alles aus; ich wollte nicht um ihre Gunst betteln und seufzen wie ein liebeskranker Schäfer, mich nicht erniedrigen und herabwürdigen, sondern meinen Kummer vor jedermann im Innersten verbergen, ihn höchstens Annchen sehen lassen. Gehörte mir aber Lornas Herz noch – und ich ließ nicht ab immer von neuem zu hoffen, so sollte kein Mensch auf Erden imstande sein mich von ihr zu trennen. Nicht Titel noch Würden, nicht Rang noch Reichtum sollten zwischen mich und die Geliebte treten.
Ich schlug mein Quartier wieder bei Herrn Ramsack auf, dem Pelzhändler, der mir noch von früher als wackerer Mann bekannt war. Jeremias Stickles hatte mir das Versprechen abgenommen, daß ich mich während der Gerichtsstunden nie von Hause entfernen würde, um bereit zu sein einer etwaigen Vorladung zu folgen. Das machte mir ein Wiedersehen mit Lorna fast zur Unmöglichkeit; denn es waren gerade die Stunden, in denen sich die Reichen und Vornehmen dem Volke zu zeigen pflegten. Andererseits gestattete mir mein schmaler Geldbeutel nicht, die kostspieligen Orte aufzusuchen, an denen ich das edle Fräulein vielleicht hätte treffen können.
Den Pelzhändler führte sein Geschäft häufig mit den Herren und Damen des Adels zusammen, und als ich einmal, wie zufällig, den Namen der Gräfin Lorna Dugal erwähnte, nahm er eine so strahlende Miene an, daß ich wohl sah, wie hoch die junge Gräfin auf der Rangliste des Hofes stehen müsse. Ich machte ein sehr betrübtes Gesicht, Ramsack aber, dem es eine Freude und Ehre war, sich mit seiner vornehmen Kundschaft zu brüsten, ward nicht müde, mir Lornas berühmte Abkunft zu preisen, samt ihrer Schönheit, ihrem Reichtum und der großen Gunst, deren sie sich bei den Majestäten erfreue. Dies alles machte mir das Herz nur schwerer, denn die Welt schätzt einen Menschen nicht nach seinem inneren Wert, und ich wußte ohnehin, wie tief ich unter der Geliebten stand. Nun erfuhr ich auch, daß der Graf Brandir von Loch Awe durch das königliche Kanzleigericht zu Lornas Vormund ernannt worden sei und sie jetzt bei ihm in seinem Landhaus zu Kensington wohne, wenn die Königin, die ihr sehr wohlgesinnt war, sie nicht um sich zu haben wünschte. Die Schwester des Grafen Brandir war Lornas Großmutter, die Gattin des letzten Grafen von Lorne, dessen Schwester hinwiederum, wie bereits erwähnt, Sir Ensor Doone geheiratet hatte.
Seit kurzem wurde in der Kapelle zu Whitehall wieder allsonntäglich die Messe gelesen, und der König hatte befohlen, es sollten während der Feier alle Thüren geöffnet bleiben, damit, wer Einlaß in die Vorhalle erlangte, auch von dort aus den römischen Gottesdienst anhören und kennen lernen könne. Der katholische Adel mußte dabei stets vollzählig erscheinen und so fand sich auch Lorna fast jeden Sonntag im Gefolge der Königin daselbst ein. Ramsack, mein Wirt, erwies sich mir sehr gefällig, und da er mit einem der Thorhüter bekannt war, verschaffte er mir einmal Zutritt in die Vorhalle, ehe sich der Hof zur Kapelle begab.
Es wimmelte dort von reichen und hochgestellten Leuten in prächtiger Kleidung; da ich aber keiner vornehmen Familie angehörte, wies mich der Kirchendiener in den fernsten, dunkelsten Winkel, indem er spöttisch bemerkte, ich sei groß genug, um über alle Köpfe hinwegzusehen.
Mein Herz klopfte heftig, als nun König und Königin nebst allen hohen Herrschaften eintraten und die Thüren der Kapelle weit aufflogen. Zwar konnte ich von meinem Platz aus nicht alles überblicken, aber was ich sah, war wunderschön. Reiche Seidenstoffe bekleideten die Wände, alles schimmerte von Silber und Gold; ich staunte über das kunstreiche Schnitzwerk, die Zierrate aller Art, die herrlichen Blumen und die Kerzen, die so rein und weiß waren, wie wir sie aus unserm Hammeltalg niemals fertigen könnten.
Während Fahnen wehten und Trompeten erklangen, überschritt das königliche Paar die Schwelle, gefolgt von den Rittern des Hosenbandordens und andern Großen der Krone. Wie prächtig sich auch die Männer herausstaffiert hatten, es war doch kaum der Mühe wert sie anzuschauen, im Vergleich zu den liebreizenden Damen in duftigen Gewändern, die das Geleite der Königin bildeten. Die Allerschönste der Schönen aber war meine Lorna. Sittsam schritt sie einher, die Augen zu Boden geschlagen, um nicht den vielen neugierigen Blicken zu begegnen, die sie anstarrten. Sie trug ein einfaches Kleid vom reinsten Weiß, nur mit einer Rose im Gürtel. Ja, das war Lorna Doone, die Geliebte meiner Seele; unter Tausenden hätte ich sie heraus gekannt. Mir brannte das Herz; all mein Sinnen und Denken war einzig auf sie gerichtet. Würde sie vorüber gehen, ohne mich zu bemerken?
Ein Zufall wollte es, daß sie mich in der Menge gewahrte, wenn es nicht eine Fügung des Himmels war, oder der Instinkt der Liebe. Ein ungeschickter Fuß trat auf den Saum ihres Gewandes – sie blickte erschreckt empor und unsere Augen trafen sich. Ich schaute sie an, sehnsüchtig, unverwandt, stolz und vorwurfsvoll. Sie errötete tief und verneigte sich; in ihren Augen schimmerte es feucht, wie von verhaltenen Thränen. Gleich darauf war sie in der Kapelle verschwunden.
Erleichtert atmete ich auf. Lorna hatte mich gesehen und mich nicht verleugnet. Aber, wer war ich, daß ich zu ihr den Blick zu erheben wagte? Wie roh, wie ungebildet kam ich mir vor!
Noch stand ich wartend da, als ein Mann sich mir näherte und meine Hand ergriff. Doch hatte er mir nichts zu sagen, er ließ mir nur einen mit Bleistift geschriebenen Zettel zurück, den ich festhielt und gierig las.
Wie war doch in einem Augenblick aller Groll, aller Kummer verflogen! Noch hatte ich keine Zeile gelesen, da wußte ich schon, daß Lorna, trotz Rang und Glanz, mir von ganzem Herzen zugethan war, und mehr bedurfte ich nicht. Den Zettel soll man mir einst mit ins Grab geben; was er enthielt braucht niemand zu wissen. Genug, daß Lorna mich bat, sie aufzusuchen.
Ganz außer mir vor Freude stürzte ich fort aus der Halle. Ich mußte etwas thun, um meinen Gefühlen Luft zu machen, und da ich mir nicht anders zu helfen wußte, sprang ich mit meinen besten Sonntagskleidern in die Themse und schwamm bis zur Londoner Brücke. Das wirkte als kräftiges Beruhigungsmittel.
Lorna hatte mir keine Zeit für meinen Besuch angegeben, aber lange konnte ich meine Ungeduld nicht zähmen. Am Montag Abend machte ich mich auf den Weg nach Kensington. Vor dem Hause des Grafen Brandir angekommen, klopfte ich nicht am Haupteingang, sondern ging bescheiden nach der Thür, die für das Gefolge und die Dienerschaft bestimmt war. Hier kam mir die kleine Gwenny entgegen und ließ mich ein; ihre Gebieterin mochte sie wohl geschickt haben. Ich hatte die ganze Zeit nicht an sie gedacht und wollte sie küssen – meine Freude, ein bekanntes Gesicht zu sehen, war gar zu groß. Sie aber wandte sich errötend ab und würdigte mich keines Wortes.
Ich folgte ihr in ein kleines, sehr zierlich ausgestattetes Gemach, wo sie mir in mürrischem Tone zu warten befahl. »Nun,« dachte ich, »wenn die Herrin nicht besser gelaunt ist, als die Dienerin, hätte ich mir den Gang sparen können.« Aber da hörte ich schon einen leichten, mir wohlbekannten Schritt, der Sammetvorhang that sich auseinander und inmitten der purpurnen Falten erschien Lorna, rosig erglühend, in schneeweißem Gewand. Einen Augenblick stand sie so da in ihrer wunderbaren Schönheit, dann eilte sie zu mir hin und reichte mir die Hand, die ich ehrfurchtsvoll an meine Lippen drückte. »Ist das alles?« flüsterte sie mit innigem Blick, und schon lag sie weinend an meiner Brust.
»O Lorna, Gräfin Lorna,« rief ich verwundert und hielt sie doch fest an mich geschmiegt. »Ich liebe Euch von ganzem Herzen – aber darf denn das sein?«
»Gewiß, John, es darf sein, mit Fug und Recht. – Ach, warum hast du mir das gethan?«
»Ich thue was ich kann,« versetzte ich. »Kein Mensch auf Erden würde Euch so wie ich in den Armen halten und Euch nicht küssen.«
»So thue es doch,« rief sie mit ihrem alten Mutwillen; und was nun folgte, brauche ich nicht zu erzählen.
Bald aber richtete sich Lorna stolz in die Höhe. »John Ridd,« sagte sie mit strengem Ton, »sprecht jetzt die Wahrheit, die ganze Wahrheit und nichts als die Wahrheit! Ich bin nicht umsonst ein Mündel des Kanzleigerichts und durchschaue jede Lüge. Warum habt Ihr Euch, seit länger als einem Jahr, um Eure alte Freundin Lorna Doone so ganz und gar nicht bekümmert?« Sie wollte scherzen, aber ich merkte wohl, daß ihr das Herz schneller schlug und ihre Blicke leidenschaftlich glühten.
»Aus dem einfachen Grunde,« erwiderte ich, »weil meine alte Freundin nicht ein einziges Mal nach mir gefragt hat. Auch wußte ich nicht, wo sie zu finden sei.«
Lorna war vor Überraschung ganz außer sich; ich mußte ihr wieder und immer wieder sagen, daß wir keinerlei Botschaft, keine Nachricht über ihr Wohlbefinden und überhaupt keine Silbe von ihr erhalten hätten, seit dem Brief, den sie mir zurückgelassen.
»O mein armer, lieber John,« rief sie seufzend bei dem Gedanken an all meinen Kummer. »Und trotzdem hast du deine kleine Base nicht geheiratet, die man für dich bestimmt hatte, Ruth – wie heißt sie doch?«
»Ruth Huckaback ist ein sehr wackeres Mädchen,« sagte ich ernst. »Sie allein, außer unserm Annchen, hat den Glauben an dich nie verloren und mich ermahnt deinem Herzen zu vertrauen.«
»Dann ist Ruth meine beste Freundin,« versicherte Lorna; »sie ist deiner würdig, John. Sollte es Gottes Wille sein, uns durch den Tod zu scheiden, so heirate die kleine Ruth, sobald du mich vergessen kannst. – Jetzt aber müssen wir die Schuldige ins Verhör nehmen. Ich habe zwar oft schon Verdacht gegen sie gehegt, denn sie führte ganz sonderbare Reden, aber daß sie mir solchen Streich spielen könnte, ahnte ich nicht.«
Lorna zog an einer breiten Schnur, ich vernahm ein fernes Läuten und ehe ich noch recht wußte was geschah, trat Gwenny Carfax mit trotziger Miene ein.
»Gwenny,« sagte Lorna in gebieterischem Ton, »geh' und bringe mir alle Briefe an Frau Ridd herbei, die ich dir nach und nach übergeben habe, um sie abzusenden.«
»Wie kann ich sie holen, wenn sie längst fortgeschickt sind. – Traut ihm doch nicht; er will Euch nur etwas vorlügen.«
»Sieh mir ins Gesicht, Gwenny,« rief ich erzürnt, denn ich verstand keinen Spaß in dieser Sache, die mich ein Jahr lang todunglücklich gemacht hatte.
»Ich mag Euch nicht ansehen, junger Mann, und habe nichts mit Euch zu schaffen.«
»Wenn du es für recht hieltest, die Briefe zu unterschlagen,« sagte Lorna mit Nachdruck, »so war es doch unehrlich das Geld zu behalten.«
»Das Geld?« fuhr Gwenny heftig auf, »das habe ich bei Heller und Pfennig für Euch verwahrt.« Rasch wollte sie zum Zimmer hinaus.
»Gwenny,« sagte Lorna, sie sanft zurückhaltend, »wenn es nicht ehrlich ist, das Geld zu behalten, so war es auch unrecht die Briefe zu unterschlagen, welche für jene gütigen Menschen, denen du so viel verdankst, mehr wert waren als Gold. Dein Vater soll alles wissen, Gwenny, wenn du nicht augenblicklich die Wahrheit gestehst.«
»Ich will ja alles sagen,« rief Gwenny und eilte fort.
So war ich denn auf einmal erlöst von den peinigenden Zweifeln! Lorna hatte uns nie verachtet, sie war mir immer treu geblieben. Ich fühlte mich so glücklich, daß ich Gwenny alles verziehen hätte, selbst Fälschung und Verrat.
»Ich traute ihr unbedingt, und doch hat sie mich betrogen,« klagte Lorna. »Sieh, John, deshalb vor allem liebe ich dich so sehr, weil du keiner Unwahrheit fähig bist, du könntest mich nie belügen.«
»Um dich zu erringen, mein Herz, würde ich vielleicht auch eine Lüge nicht scheuen.«
»Das ließe sich entschuldigen. Aber gegen mich, das weiß ich, könntest du nie unwahr sein.«
Gwenny war jetzt wieder eingetreten; sie warf mit der Miene beleidigter Unschuld einen ledernen Sack auf den Tisch, sprach aber kein Wort.
»Nimm dir die Briefe, John; sie sind zwar an deine Mutter gerichtet, aber meist für dich bestimmt,« sagte Lorna ernst. »Was Gwenny betrifft, so wird sie sich vor dem Lord Oberrichter zu verantworten haben,« fuhr sie mit strenger Miene fort, um das Mädchen zu erschrecken.
Aber Gwenny sah ihr furchtlos ins Gesicht.
»Ja, führt mich nur vor den großen Richter Jeffreys,« rief sie. »Ich hab' es zwar ungeschickt angefangen und um Euretwillen gelogen, aber doch nur meine Pflicht gethan. Freilich ernte ich schlechten Dank.«
»Denkst du denn gar nicht daran, welchen schmählichen Undank du Herrn Ridd erwiesen hast, für alle seine Güte und Großmut gegen dich? Ist er nicht mit Gefahr seines Lebens in den Schacht gestiegen, um dir deinen verlorenen Vater zurückzuholen?«
»Weshalb hast du mir solches Leid angethan, Gwenny?« fragte ich.
»Weil Ihr so tief unter ihr steht. Sie soll keinen armen Bauer heiraten. Eine so reiche, große, vornehme Dame – und Ihr, was seid Ihr eigentlich – das möchte ich wissen.«
»Du kannst jetzt gehen, Gwenny,« schalt Lorna, dunkelrot vor Zorn. »In den nächsten drei Tagen darfst du mir nicht vor die Augen kommen, hörst du wohl! – Das ist die einzige Strafe, welche Eindruck auf sie macht,« fuhr Lorna fort, während das Mädchen heulend und schluchzend fortlief; »sie rührt die ganze Zeit keinen Bissen an und zerfließt in Thränen. Auf eins mußt du dich gefaßt machen, John. Wenn du mich einmal heimführst, mußt du Gwenny auch mitnehmen.«
»Ich nehme gern fünfzig Gwennys mit, wenn ich dich nur haben kann,« rief ich. Wir sprachen nun noch von unsern Zukunftsplänen und Lorna versicherte, sobald sie großjährig und Herrin ihres Geschickes sei, werde sie Rang und Reichtum von sich werfen, und dann sollte nichts mehr unserm Glück im Wege stehen.
Weise Leute hätten wohl bedenklich den Kopf geschüttelt zu ihren Reden; ich hörte meist schweigend zu, weil es meinerseits sehr selbstsüchtig gewesen wäre, sie irgendwie zu beeinflussen. Zwar hätte es ihr auch bei uns an nichts fehlen sollen; wir lebten in gesunder Gegend und waren vollauf imstande, sie gut zu ernähren und zu kleiden; Obst und Blumen hätte sie die Fülle haben können, sowie Verkehr mit den Nachbarn, so viel sie wünschte. Aber, vermochte sie das für eine Grafenkrone zu entschädigen, oder für die Huldigungen, welche ihrer Jugend und Schönheit von den Edelsten und Größten des Reiches dargebracht wurden? Ich konnte diese Frage nicht entscheiden, doch Lorna schien keinerlei Zweifel darüber zu hegen – sie dachte nur an unsere Liebe.
»Aber John,« rief sie, »warum stellst du dich so gleichgültig und bist so zurückhaltend? Meinst du vielleicht, ich schwanke noch in meinem Entschluß? Daß ich keinen Mann zum Gatten nehme, als dich, steht schon längst bei mir fest. – Du lachst vielleicht über meine Thorheit, wenn ich dir sage seit wann. Schon damals, als du barfuß zu mir kamst und mir die Schmerlen brachtest, nahm ich es mir vor. Es war freilich noch sehr verfrüht, aber du hattest es dir ja auch in den Kopf gesetzt, ich sah es dir an, und das machte mir natürlich einen großen Eindruck. Wir lieben uns bereits seit einer Ewigkeit, soll denn ein Nichts uns jetzt trennen?«
»Es ist kein Nichts,« rief ich, »sondern eine Entscheidung von höchster Wichtigkeit, ob du Glanz, Ehre und Reichtum aufgeben und bei aller Welt für eine Närrin gelten willst. Mir aber würde man die niederträchtigste Selbstsucht vorwerfen, wenn ich deine Jugend und Großmut benützen wollte, um dich zu mir herabzuziehen.«
Dabei geriet ich in solchen Eifer, daß ich versicherte, ich dürfe sie nicht wiedersehen, bis sie mit ihrem Vormund gesprochen und ihn von allem in Kenntnis gesetzt habe.
Sie richtete sich stolz empor. »Glaubst du, ich würde dich heimlich bei mir empfangen, wie als Kind im Doonethal? Du hättest warten können mit deiner Weigerung, bis ich dich dazu aufforderte.«
»Es war sehr anmaßend von mir,« erwiderte ich mit solcher Bescheidenheit, daß Lorna, gerührt darüber, mir auf der Stelle vergab.
»Höre mich an, John,« sagte sie, »und versprich mir, dich nicht länger mit Zweifeln zu quälen. Wir würden beide unglücklich sein, blieben wir getrennt. Deine Abstammung von den alten Freisassen, die Jahrhunderte lang brave, wackere Leute gewesen sind, ist so ehrenvoll wie die meine, wenn du auch kein Adelswappen besitzest. Die wenigsten edlen Geschlechter haben es ja verstanden, das ihrige stets rein zu erhalten. An Bildung kommst du mir mindestens gleich. Dir widersteht jede Gemeinheit, und wenn Güte, Sanftmut und Bescheidenheit den wahren Edelmann ausmachen, so stehst du unendlich viel höher, als die Schar unserer Höflinge. Glaube mir, ich habe nicht umsonst ein Jahr in der großen Welt gelebt; ich hasse und verabscheue all den leeren Schein. Unter den Menschen, die ich hier kenne, sind außer meinem Onkel nur zwei, die mich nicht entweder beneiden oder verwünschen. Kannst du erraten, wen ich meine?«
»Gwenny ist eine von beiden,« versetzte ich.
»Ja, und die Königin die andere. Die Frauen mißgönnen mir meine Stellung, meine Titel und Ehren, ich mag mit ihnen nicht darum streiten. Die Männer möchten mein Geld und Gut besitzen und bieten mir ihre Hand – vergleiche ich sie aber mit dir, John, so reicht dir keiner das Wasser. Nein, du darfst nicht von mir gehen, es bräche mir das Herz; du mußt Geduld mit mir haben –«
»Ich werde mich wohl hüten, vom Platze zu weichen, wenn das beste und herrlichste Mädchen der Welt mir sagt, daß es mich liebt! Sprich nur weiter; ich könnte nie müde werden, deiner süßen Stimme zu lauschen.«
»Ich möchte wohl, denn es erleichtert mir das Herz und ich bin das ganze Jahr über gar zu unglücklich gewesen. Aber ich fürchte, du würdest zu eingebildet, wenn ich noch mehr solche Reden führe. Auch haben wir jetzt keine Zeit dazu,« fuhr sie fort, eine kleine, mit Juwelen besetzte Uhr aus dem Gürtel ziehend, die sie sogleich wieder einsteckte, um mich nicht an ihren Reichtum zu erinnern. »Mein Onkel wird bald hier sein, ich werde ihm von deinem Besuch erzählen und ihm ankündigen, daß ich dich nächstens wieder erwarte. Mit Heimlichkeiten brauchen wir uns nicht abzugeben.«
Sie sagte das so ruhig und zuversichtlich, während sie vor mir stand in ihrem unbeschreiblichen Liebreiz, daß ich wohl einsah, sie sei sich der Macht ihrer Schönheit bewußt, welcher niemand zu widerstehen vermochte. Auch ich beugte mich ihrer Gewalt.
»Geliebte,« sagte ich, »thue mit mir was du willst, nur laß mich nicht zum Schelmen an dir werden.«
Nun küßte sie mich noch einmal herzlich zum Abschied und ich ging stolz und froh die Haupttreppe hinunter.