Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Dreißigstes Kapitel.
Lornas Halsband.

Da wir Holz genug hatten um uns zu wärmen und die Lebensmittel uns nicht ausgingen, hätten meinethalben Frost und Schnee noch lange fortdauern können. Das Wetter war unser bester Schutz vor Beunruhigung und Überfall. Es hinderte nicht nur Jeremias Stickles, den geplanten Angriff gegen das Doonethal zu unternehmen, sondern machte es auch unmöglich, uns Lorna wieder zu rauben.

Stickles hatte sich noch vor dem ersten Schneefall nach dem Süden begeben, um die nötigen Streitkräfte zu sammeln, und ich war froh, daß er fürs erste nicht zu uns zurückkehren konnte. Was aber die Doones anbetraf, so bezweifelte ich nicht, daß sie bereits wußten, wo ihre entflohene Königin eine Zuflucht gefunden hatte. Zwar mußte der Schnee die Spur, welche meine Schneeschuhe und der Schlitten hinterließen, zugedeckt haben, bevor noch das nächtliche Gelage zu Ende war, aber Marwood de Wichehalse hatte mich sicherlich erkannt und dem elenden Carver verraten. Daß der Junker oben im Thal eingeschneit war, nachdem er den Doones geholfen hatte die Leuchtpfanne vom Feuerturm heraufzuschaffen, wußte ich aus Gwennys Munde. Es machte mir zwar Vergnügen, mir Carvers Wut vorzustellen, wenn er entdeckte, daß er die reizende Braut verloren hatte, die er durch Hunger zwingen wollte, ihn zu heiraten, aber die Folgen, welche die Sache für uns haben konnte, waren nichts weniger als erfreulich. Einstweilen ließ ich auf alle Fälle sämtliche Knechte tüchtig in der Scheune arbeiten, damit das Korn schon ausgedroschen wäre, wenn die Doones kämen, um unsere Getreideschober in Brand zu stecken.

Es ward mir nicht schwer, Lorna klar zu machen, daß wir vorerst noch nichts von den Räubern zu fürchten hätten. Auch beglückte es sie, mich versichern zu hören, daß sie uns allen hochwillkommen sei und ein größeres Labsal für unsere Augen als die frühen Blumen im Lenz. Die Wonne, die mir ihre Gegenwart bereitete, hätten Worte freilich nicht auszudrücken vermocht, aber auch das Herz der übrigen Hausbewohner hatte sie durch ihre Anmut und Schönheit, wie durch ihr freundliches, liebreiches Wesen in kürzester Frist erobert. Ich hätte sie gern mehr für mich allein gehabt, aber Mutter konnte ihre Gesellschaft gar nicht entbehren, Annchen war Feuer und Flamme für sie und selbst Elise vergaß ihren Groll, als sie sah, daß es Lorna nicht an der nötigen Bücherweisheit fehlte.

Mit Jakob, Betty und Molly aber war gar kein Auskommen mehr, wenn sich Lorna in der Küche einfand; sie ließen alles stehen und liegen um sie anzuschauen. Ihre Verehrung für Herrn Johns Verlobte, die, wie sie behaupteten, aus den Schneewolken herabgefallen war, kannte keine Grenzen. Es wundert mich noch heutigen Tages, daß unser Essen je rechtzeitig auf den Tisch kam, denn Lorna hatte eine große Vorliebe für unsere behagliche Küche gefaßt; sie hielt sich gern dort auf, um das Feuer so lustig prasseln zu hören und den würzigen Duft einzuatmen, der den ganzen Raum durchzog. Wenn ich von der Arbeit kam und sie nicht gleich fand, brauchte ich sie nur in der Küche zu suchen; sie fühlte sich ganz zu Hause an unserm heimischen Herd. Wo sie aber auch weilte, überall ging ein Sonnenglanz der Freude von ihr aus, der alles Dunkel erhellte.

Zwei Wochen lang war sie nun schon bei uns und hatte sich förmlich umgewandelt, seit sie frei von quälender Angst unser ruhiges Leben teilte. Vielleicht trug das Zusammensein mit mir auch etwas zu der Veränderung bei, doch möchte ich das nicht bestimmt behaupten. Lorna war wohl auch früher sehr lebhaft gewesen und munteren Geistes, so daß ich ihrem schnellen Gedankenflug nicht zu folgen vermochte, aber es hatte doch stets ein Schatten auf ihrem Gemüt gelegen, wie das dunkle Vorgefühl eines unglücklichen Endes. Das war jetzt mit einem Schlage verschwunden; sie glühte von Lust und Leben und konnte ganz ausgelassen sein; ihr jugendlicher Frohsinn war neu erwacht und ließ sich kaum dämpfen.

Auch äußerlich wurde sie mit jedem Tag liebreizender und nahm zu an Farbe und Fülle. Es war wohl nicht nur die gute Luft und kräftige Nahrung, was ihr so wohl that, sondern mehr noch die herzliche Offenheit, die man ihr entgegen brachte, unsere einfache Gottesliebe und das unbedingte Vertrauen, das unter uns herrschte.

Jeden Tag war mir ein Kuß gestattet, entweder zum Morgengruß, oder wenn wir uns gute Nacht sagten. Ich nahm mir immer vor, ihn bis zum Abend aufzusparen, damit ich mich bei der Arbeit tagüber darauf freuen könne. Kam dann aber mein Herzblatt im Frühlicht, strahlend wie der Morgenstern einher, mit den lachenden Augen und den rosigen Lippen, so erlag ich jedesmal der Versuchung und konnte nicht länger warten. Es klingt vielleicht leichtsinnig, daß ich so rede, doch jene Zeit ist mir heilig und teuer und ich bewahre die Erinnerung im tiefsten Herzen.

Es war der längste Winter, den wir je erlebt hatten; aber mir erschien er wunderbar kurz. Erst etwa gegen den zehnten März erfolgte ein Umschlag des Wetters, der Nebel verschwand, die Berge traten klar hervor und der Himmel verlor sein einförmiges Aschgrau. Nicht lange, so brachte ein frischer Südwind die ersten Regentropfen, die wir, wie die Kinder, mit den Händen auffingen, dankbar und glücklich, daß es kein Schnee mehr war. Hatten wir doch alle gefürchtet, es würde in diesem Jahr überhaupt keinen Frühling geben und man würde weder säen noch ernten können. Viele glaubten auch, daß der furchtbare harte Winter ein Strafgericht Gottes sei, welches der Herr, wie längst prophezeit worden war, über das ganze Land verhängt habe, weil die Sünden der Machthaber und Großen zum Himmel schrieen. In solchen Sachen maße ich mir aber kein Urteil an, sie gehen über mein Verständnis.

Rührend war es mir, die Freude der Tiere zu sehen, die bisher dicht zusammengedrängt in den engen Ställen gestanden hatten. Das Blöken und Schnauben und Wiehern schien kein Ende nehmen zu wollen. Die Gänse und Enten verließen ihr Strohlager, und es sah höchst possierlich aus, wie sie, eine hinter der andern, ins Freie marschierten, mit den Flügeln schlugen, laut schnatterten, sich putzten, ihre Schnäbel wetzten und das köstliche Naß darin auffingen.

Lorna hatte eine kindische Freude darüber und war kaum von den Tieren wegzubringen: »O, wie reizend sie sind,« rief sie, »die lieben, lieben Dinger! Sieh nur, John, wie die Ente dort das Bein hebt, als wollte sie den andern befehlen.«

»Und ich muß dir befehlen, mein Lieb,« sagte ich, ihr in das freudeglühende Antlitz sehend, »daß du mit deinem bösen Husten nicht in der Nässe herumläufst. Geh' hinein und wärme dich am Feuer.«

»O nicht doch, John, laß mich hier, nur noch einen Augenblick. Ich will sehen wie der Schnee schmilzt und die grünen Hälmchen hervorkommen.«

»Nein, das darfst du nicht, mein Herz,« entgegnete ich, trug sie auf meinen Armen ins Haus und setzte sie am Kamin nieder. Statt aber mit mir zu schmollen, lächelte sie nur und bezahlte mir den Trägerlohn, ohne daß ich erst darum zu bitten brauchte.

Gern wäre ich bei Lorna geblieben, aber Annchen rief mich hinaus, um meinen Rat zu hören, wie sie sagte, was aber, wie gewöhnlich, nichts anderes bedeutete, als daß eine Arbeit meiner wartete. Und wahrlich, ich mußte tüchtig die Arme rühren, um neues Unheil von uns abzuwenden, denn der Regen floß jetzt in Strömen und drohte alles zu überschwemmen. Wie fleißig wir auch geschaufelt hatten, es lagen noch immer große Haufen Schnee im Hof, und alle Ablaufgräben waren zugefroren. Vor der Schleuse aber, durch die das Wasser unseres Baches floß, wenn ihn der Frost nicht in seinem Lauf hemmte, was jetzt zum erstenmal geschah, hatten sich große Eisblöcke aufgetürmt, die ich erst fortschaffen mußte, um das Schleusenloch aufhacken zu können. Noch weit schwieriger war es jedoch, die Wasserfluten von den Scheunen und Ställen abzuhalten, die nach alter Sitte mehrere Fuß tiefer angelegt waren als der Hof, damit es dort im Winter warm, im Sommer kühl sein sollte. Diese Einrichtung erwies sich jetzt als höchst verderblich, denn nach all den Entbehrungen, welche die armen Pferde, Rinder und Schafe bereits durchzumachen gehabt, mußten sie nun noch bis an die Kniee im Wasser stehen. Uns war schon so viel Vieh gestorben, daß der Verlust uns auf Jahre hinaus arm machte; so arbeitete ich denn die ganze Nacht hindurch im Schweiße meines Angesichts, um wenigstens die Tiere zu retten, die nach dem Winter noch am Leben waren.

Das Rotwild hatte sich während der ganzen Frostzeit, von Hunger und Kälte aus dem Walde getrieben, an unsern Heu- und Kleeschobern gesättigt. Rudelweise kamen die Rehe angelaufen, und viele waren so zahm, daß sie sich bis an unser Haus wagten, um sich füttern und tränken zu lassen, denn sie litten auch großen Durst, da die Quellen sämtlich zugefroren waren.

Jetzt dagegen schwebten sie in Gefahr zu ertrinken. Es regnete mehrere Tage und Nächte hindurch, die Schneemassen begannen zu schmelzen und rollten mit Donnergetöse von den Bergen. Von Fels und Dach und Baum kam der Schnee herabgestürzt, aus jeder Spalte, jeder Schlucht quollen die Fluten brüllend und schäumend hervor, Bäche und Flüsse traten aus den Ufern und rissen alles mit sich fort in ungestümem Lauf. Den seltsamsten Anblick bot aber der Lynnstrom, der seine rotbraunen Wogen unter einem hohen Eisgewölbe dahinwälzte, das von durchsichtigen Säulen, Balken und reich verzierten Spitzbogen getragen wurde. Der hoch aufgehäufte, oben gefrorene Schnee, von dem der Regen ablief, hatte dies kunstvolle Gebilde geschaffen; durch Felsen und Bäume gestützt, schien es hoch über dem Fluß zu schweben, als dieser unten die Eisfesseln brach.

Für mich gab es, wie gesagt, alle Hände voll zu thun in Haus und Hof und in den Ställen. An die Feldarbeit konnten wir leider noch nicht denken, der Erdboden war viel zu sehr durchweicht.

Lorna war jetzt nicht mehr im Hause zu halten. Sie schien entschlossen, sich das tägliche Brot durch ihrer Hände Arbeit zu erwerben, weil sie es für unrecht hielt, nur alles umsonst von uns anzunehmen. Keine Vorstellung half etwas, ja sie fing sogar bitterlich an zu weinen, als ihr jemand die Nutzlosigkeit ihrer Bemühungen erklären wollte. Noch ehe der Schnee fort war, begann sie in Mutters Garten die schönsten Erbsen zu legen, die leider sämtlich von den Mäusen aufgefressen wurden.

Es war sehr hübsch, sie so eifrig schaffen zu sehen, als müsse sie allein den ganzen Haushalt versorgen, aber es bekümmerte mich trotzdem aus manchen Gründen. Erstens war sie viel zu zart und schön für die rauhe Arbeit. Bekam sie auch rote Backen davon, so konnte es ihr doch schaden, wenn sie sich die Füßchen naß machte, und der Gedanke, daß sie ihre Kost verdienen sollte, war mir vollends unerträglich. Auch lag hinter Mutters Garten ein dunkles dichtes Gebüsch, in dem sich leicht jemand verstecken konnte, um das Treiben der schönen Gärtnerin zu belauschen. Der Bach, der dazwischen lief, war jetzt freilich zum Strom angeschwollen, aber ein Flintenschuß hätte doch herübergereicht. Ich behauptete zwar, es könne kein Mensch so ruchlos sein, auf Lorna zu zielen, allein Mutter, die mehr Lebenserfahrung besitzt wie ich, meinte, darauf sei kein Verlaß.

Sobald sich das Wasser etwas verlaufen hatte und man im Morast nicht mehr stecken blieb, kam Tom Faggus eines Tages auf seiner erdbeerfarbenen Stute angeritten. Nach viermonatlicher Trennung feierte er mit Annchen ein rührendes Wiedersehen und wir störten die beiden nicht in ihrem Liebesglück. Erst nach einer geraumen Weile gingen Mutter und ich zu ihnen hinein, schickten Annchen in die Küche, um nach dem Essen zu sehen, und forderten Tom auf zu erzählen, was er für Nachrichten brächte.

Tom kramte nun alle seine Neuigkeiten aus. Er hatte das Gütchen am Südende des Moors, das er von Sir Roger Basset erstanden, in Besitz genommen. Es war freilich nur schlechter magerer Boden auf felsigem Untergrund und zum Ackerbau nicht geeignet. Bei reichlichem Regen würde es sich jedoch trefflich als Weideland benützen lassen. Das hatte Tom mit seinem gewöhnlichen Scharfblick sofort erkannt und er benutzte das lange Frostwetter auf seine Weise. Was den andern Leuten nichts als Schaden brachte, diente ihm zum größten Vorteil. Er schickte nämlich die kluge Winnie, die jeden seiner Blicke verstand und ihm aufs Wort folgte, abends beim Schneefall hinaus, um durch ihr Wiehern die wilden Bergponies anzulocken, – zahme Pferde waren auch darunter – die vergebens nach Nahrung und einem schützenden Obdach suchten. Kam Winnie heim, so brachte sie regelmäßig wohl ein Dutzend halbverhungerter Pferde mit, die Tom innerhalb seiner Umzäunung barg, wo sie reichliches Futter erhielten und dann in die große Hürde kamen bis der Frost vorüber war.

Er hatte jetzt schon über dreihundert Stück beisammen, die er im Frühling einreiten wollte. Die stärksten dachte er für die Zucht zu behalten und alle übrigen an Londoner Händler zu verkaufen, die ihm mindestens zehn Pfund für das Stück bezahlen würden. Das Geschäft gelang ihm auch später, obgleich es mir damals unglaublich schien. Als ich ihn fragte, wie er bei solcher Witterung das Futter für seine große Herde herbeischaffen könne, meinte er, damit hätte es keine Not – die Pferde lebten von Stroh und Sägemehl und gediehen dabei vortrefflich. Solche Späße machte er immer, wenn er nicht mit der Sprache herauswollte; rechtschaffene Leute zu necken und anzuführen, war eben sein Hauptvergnügen. Doch will ich nicht zu hart über ihn urteilen; alles gerade heraus zu sagen, wie ich es thue, ist gewiß auch oft vom Uebel. Tom hatte noch etwas auf dem Herzen; er bat, wir möchten den Zeitpunkt seiner Hochzeit mit Annchen festsetzen. Mutter sah mich an, ich sah Mutter an – es ließen sich keine weiteren Einwendungen gegen ihn vorbringen. Endlich sagte ich, wir könnten es ja machen wie die vornehmen Leute, bei denen die Braut selbst den Tag bestimme, an dem sie ihre Heimat und alles verlassen wolle, was ihr bisher teuer gewesen. Es klang nicht sehr freundlich, aber Tom war das einerlei, wenn nur sein Wunsch erfüllt wurde. So ging er denn zu Annchen und beredete die Sache mit ihr.

Ich suchte unterdessen Lorna auf, um ihr unseres Vetters Ankunft zu melden und sie zu fragen, ob ihr seine Gesellschaft auch nicht unangenehm sei und sie vielleicht vorziehen würde auf ihrem Zimmer zu speisen. Daß er sich gut zu benehmen verstand, wußte ich zwar, aber sein Ruf galt doch immerhin für zweifelhaft. Lorna jedoch, die neugierig war, den berühmten Mann kennen zu lernen, versicherte, sie würde sich freuen mit ihm an einem Tische zu sitzen, falls er an ihrer Verwandtschaft mit den Doones keinen Anstoß nähme. Es wäre ja auch von ihrer Seite nur hochmütige Ziererei und überdies beleidigend für Mutter, wollte sie sich weigern mit Annchens Verlobten das Mahl zu teilen. Sie werde sich im Gegenteil dem Brautpaar zu Ehren so hübsch machen, wie nur möglich.

Das that sie auch, und sie sah bezaubernd aus, als sie in das Zimmer trat mit dem Ausdruck liebreizender Bescheidenheit, die den Glanz ihrer Schönheit noch erhöhte. Sogar Mutter meinte, sie käme ihr ganz wie eine Prinzessin vor. Tom Faggus machte ihr eine tiefe Verbeugung, und Lorna dankte ihm mit anmutigem Gruß, doch errötete sie tief, als er den Blick gar nicht wieder von ihr abwandte. Ich hätte ihn auf der Stelle zu Boden schlagen mögen, wäre er nicht unser Gast gewesen, und selbst Annchen war ärgerlich über sein Benehmen.

Um dem peinlichen Auftritt ein Ende zu machen, rief ich laut, das Essen sei aufgetragen, und wir gingen alle zu Tische. Die Mahlzeit verlief sehr heiter und ungezwungen. Als ich nach derselben mit Mutter und Tom Faggus noch beim Wein sitzen blieb, fragte dieser plötzlich, ob wir denn über die Geschichte der schönen jungen Dame nichts Näheres wüßten. Er müsse sie schon einmal als Kind gesehen haben, aber wann und wo, das fiele ihm durchaus nicht ein. Irren könne er sich nicht, denn er erinnere sich noch deutlich, welchen Eindruck ihre Augen damals auf ihn gemacht hätten, und nie und nirgends habe er solche Augen wieder gesehen. Im Doonethal wäre sie ihm auch nicht begegnet; er habe sich nie dorthin gewagt, dazu sei ihm sein Leben zu lieb.

Dann bat sich Tom noch ein Glas Branntwein aus und begann uns mit sehr weiser Miene unsere Thorheit vorzuhalten, daß wir Hab und Gut, ja selbst unser Leben um Lornas willen aufs Spiel setzten. Das sei sie doch wohl nicht wert, trotz ihrer Schönheit. Ich antwortete ihm voll Entrüstung, die Schönheit wäre ihr geringster Vorzug und im übrigen möge er seine Meinung für sich behalten, bis man sie zu wissen begehre. Meine Unhöflichkeit kümmerte ihn jedoch wenig.

»Bravo, recht so,« rief er, »der ganze John Ridd, vom Scheitel bis zur Sohle. Thorheit und Stolz wachsen auf einem Holz! Aber laßt doch wenigstens um Himmels willen das schutzlose Kind nicht Kostbarkeiten tragen, die eine halbe Grafschaft wert sind.«

»Sie selbst ist mehr wert als alle Grafschaften in England zusammengenommen,« erwiderte ich, »ihr Schmuck aber kostet kaum ein Fuder Heu, denn der Ring, den sie von mir hat –« hier stockte ich, weil ich Mutter den Preis nie hatte gestehen wollen.

»Wer spricht von dem Ring?« meinte Faggus verächtlich. »Um solche Lappalie hätte ich nie die Hand gegen einen Menschen aufgehoben. Aber das Halsband, du langer Dummrian, das Halsband ist mehr wert als Euer gesamter Besitz, Haus, Hof und Feld, und Onkel Rubens Vermögen obendrein, ja vielleicht so viel als ganz Dulverton.«

»Was,« rief ich, »das gläserne Spielzeug, das Lorna schon als Kind getragen hat?«

»Schönes Glas, meiner Treu. Die kostbarsten Brillanten sind es, die ich je mit Augen gesehen habe. Und mir sind viele durch die Hände gegangen.«

»Nicht möglich,« unterbrach ihn Mutter, deren Wangen vor Erregung glühten, »das Fräulein würde doch selbst darum wissen.«

»Verlaßt Euch darauf, ich verstehe mich auf Brillanten,« erwiderte Tom mit aufgeblasenem Stolz. Er sprach lange nicht ehrerbietig genug und hätte doch alle Ursache gehabt sich recht bescheiden zu benehmen. Mußte er uns doch dankbar sein, daß wir ihm gestatteten, mit einer vornehmen Dame auf gleichem Fuß zu verkehren, während er bis jetzt höchstens Gelegenheit gehabt hatte, die Reichen und Großen auszuplündern.

»Um einer solchen Beute willen,« fuhr er fort, »würde ich früher ohne Zaudern eine achtspännige Kutsche mit vier bewaffneten Vorreitern angehalten haben. Aber ach, jene Zeiten sind für immer vorbei. Damals war es noch ein Genuß zu leben. Wie herrlich ist so ein Ritt bei Mondenschein.«

»In diesem Ton habt Ihr noch nie vor mir über Euer altes Treiben gesprochen, Tom Faggus,« sagte Mutter mit Würde und Haltung, »ich fürchte, der Branntwein ist Euch in den Kopf gestiegen und« – sie hielt inne; der Branntwein kam ja aus unserm Keller und Faggus war ihr Gast. »Ihr habt das Herz meiner Tochter gewonnen,« fuhr sie nach einer Weile fort, »und ich willigte in die Heirat, weil Ihr aufrichtige Reue aussprachet und den männlichen Entschluß, ein neues Leben zu beginnen und kein fremdes Gut wieder anzurühren. Annchen ist das Teuerste, was ich auf Erden habe – außer meinem John – sie ist das Kind eines redlichen Mannes, und nie werde ich ihr Lebensglück einem Menschen anvertrauen, der sich nach den Abenteuern der Heerstraße zurücksehnt.«

Nach dieser langen Rede barg Mutter weinend das Gesicht an meiner Brust. Ich hatte genug zu thun sie zu trösten, sonst würde ich Tom vielleicht in meinem Ärger über das Hofthor geworfen haben, und seine Winnie hinterdrein. Ich lasse mich nicht leicht aus der Ruhe bringen, aber wenn mich einmal der gerechte Zorn übermannt, kennt meine Heftigkeit keine Grenzen, das gestehe ich offen.

Sobald Annchen erfuhr, wodurch Tom Mutters Unwillen erregt hatte, stellte sie uns sehr eindringlich vor, wie unrecht wir thäten, ihm seine Vergangenheit nachzutragen, und daß es ihm nur zur Ehre gereiche, wenn er seinen natürlichen Hang so tapfer zu besiegen wisse. Auch erinnerte sie an die biblischen Gleichnisse von dem verirrten Schaf, dem verlorenen Groschen und dem Mann, der hinab gen Jericho ging. Das letzte Beispiel war wohl nicht ganz glücklich gewählt, denn Tom Faggus glich dem Manne wenig, sondern mehr den Leuten, unter die jener gefallen war.

Mutters Zorn war jedoch rasch verflogen und Tom ward wieder zu Gnaden angenommen. Bevor es zu dunkel ward, sollte er noch das Halsband genau untersuchen, und Mutter holte selbst meine Lorna herbei, damit sie es ihm zeigen könne. Ich folgte Tom mit argwöhnischen Blicken als er es an das Fenster trug, denn sein Wohlgefallen daran war gar zu groß.

»Wie hoch schätzt Ihr den Schmuck, edles Fräulein; was wollt Ihr dafür nehmen?« fragte er.

»Ich verstehe nichts von Handel und Wandel, was glaubt Ihr, daß er wert sei?«

»Meint Ihr wohl, Ihr bekämet fünf Pfund dafür?«

»Behüte – so viel Geld habe ich in meinem Leben nicht gehabt. Das Halsband ist sehr hübsch und glänzend, aber einen so hohen Wert hat es schwerlich.«

»O, was für ein Geschäft könnte ich machen! Doch um Annchens willen darf ich es nicht.«

»Aber der Schmuck ist mir überhaupt nicht feil, Herr Faggus; nein, nicht für zwanzigmal fünf Pfund. Großvater hat ihn mir so lange aufbewahrt und ich glaube, er stammt von meiner Mutter.«

»Es sind fünfundzwanzig Rosetten und fünfundzwanzig große Brillanten – in ganz London findet man keinen ähnlichen. Hunderttausend Pfund ist das Halsband unter Brüdern wert.«

Da glänzten Lornas Augen weit heller als alle Diamanten und ich gestand mir seufzend, daß ich jetzt endlich eine Schwäche an der Geliebten entdeckt hätte – ihre Lust am Gelde. Aber wie sehr irrte ich mich.

Lorna nahm den Schmuck Tom Faggus aus der Hand, wiewohl er ihn gern noch länger bewundert hätte; dann trat sie mit glückseligem Lächeln auf Mutter zu, die sich etwas beiseite hielt, und reichte ihr das Halsband mit der leisen Bitte: »Nicht wahr, du nimmst es von mir an, liebste Mutter; es dir zu geben macht mir die größte Freude. Selbst die köstlichsten Juwelen der Welt sind freilich nichts gegen die Güte, die du mir erwiesen hast.«

Mit wie holdseliger Anmut brachte sie das Verlangen vor. Sie schien mehr eine Gunst zu erflehen als zu gewähren; auch sprach ihre Furcht, wir möchten die Absicht verkennen und uns gekränkt fühlen, aus jeder Miene und Geberde. Mutter war sprachlos; sie konnte ja auch nicht von fern daran denken, ein solches Geschenk anzunehmen, und wollte doch Lorna nicht betrüben. In ihrer Verlegenheit rief sie mich zur Hülfe, aber ich that als hörte ich es nicht, denn mir floßen die Augen über, und meine Rührung zu verbergen eilte ich hinaus, um eine Katze aus der Milchkammer zu jagen.

Als ich wiederkam, war das Halsband abermals zu Tom Faggus gewandert, der den Anwesenden eine Vorlesung über das kostbare Geschmeide hielt. Er sagte, es müsse vor etwa dreihundert Jahren in Amsterdam verfertigt worden sein, lange bevor die Londoner Goldschmiede sich auf dergleichen Arbeiten verstanden; die Steine seien wundervoll geschliffen und so vorzüglich zusammengefügt, daß sie dem Beschauer, von welcher Seite er sie auch anblickte, in vollstem Glanze entgegenstrahlten, was den Wert der Brillanten noch bedeutend erhöhe. Wir lachten ihn aus, denn er sprach wie ein gelernter Juwelier und war doch eigentlich nur ein gewöhnlicher Grobschmied. Seine Behauptung, der Schmuck müsse aus einer der angesehensten und reichsten Familien Englands stammen, kam mir dagegen höchst glaubwürdig vor. Aber Lorna selbst, das fühlte ich, war doch von viel edlerer Herkunft als die schönsten Diamanten. Faggus entdeckte zuletzt noch auf dem goldenen Schloß einige Buchstaben, die er nicht entziffern konnte, und ein Wappenbild, das er für eine Art Wildkatze hielt.

Seit Lorna wußte, wie wertvoll das Halsband war, trug sie es nicht wieder. Sie bat mich, sobald wir allein waren, es für sie in Verwahrung zu nehmen, was ich ihr natürlich nicht verweigern wollte.

Am nächsten Tage verließ uns Tom und wir schieden als gute Freunde. Im Grunde war er gar kein übler Mensch und auch zuverlässig bis zu einem gewissen Grade. Ich mißtraute seiner Aufrichtigkeit und Ehrlichkeit keineswegs, solange sein eigenes Interesse nicht im Spiel war. So kamen wir beide denn sehr gut miteinander aus, obgleich er mich für einen Dummkopf hielt und ich mir Mühe geben mußte, ihn nicht für etwas weit Schlimmeres zu halten.


 << zurück weiter >>