Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
In der ganzen Umgegend verwunderte man sich höchlich, daß die Doones nicht schon längst einen neuen Angriff unternommen und uns den Garaus gemacht hatten. Wir waren ihnen so ziemlich auf Gnade und Ungnade preisgegeben, denn Stickles hatte Befehl erhalten, mit seinen Leuten nach dem Süden abzumarschieren; nur Feldwebel Bloxham war noch mit drei Mann Soldaten zu unserem Schutze da und ließ es sich bei uns wohlschmecken. Der Feldwebel verfaßte allwöchentlich Berichte, die er nach London sandte, so oft er einen Boten finden konnte. Meist diente ihm Elise dabei als Schreiber und verbesserte den Stil der Schriftstücke so wunderbar, daß ein Minister sich ihrer nicht hätte zu schämen brauchen. Mutter sah es zwar nicht gern, daß ihre Tochter oft so lange in der Geschirrkammer saß, aber der Gedanke, daß der König – wie sie glaubte – Lieschens Handschrift lesen würde, erfüllte sie doch mit Stolz. Die Sache hatte auch wirklich ihr Gutes, denn Bloxham, dem es in unserem Hause nicht schlecht erging, erwähnte uns stets mit großer Anerkennung als gute und getreue Unterthanen. Das ward uns in der Folgezeit sehr nützlich, als wir beschuldigt wurden, flüchtigen Rebellen Obdach und Pflege gewährt zu haben.
Die Doones hatten übrigens triftige Gründe, uns nicht zu behelligen; sie waren gerade beschäftigt, sich auf die Abwehr eines zweiten Überfalls zu rüsten, der weit gefährlicher zu werden drohte; denn sie mußten sich sagen, daß ihr kürzlicher Widerstand gegen des Königs Truppen nicht ungeahndet bleiben würde, sobald er zur Kenntnis der Behörde gelangte. In der That war bereits der bestimmte Befehl ergangen, man solle sich der geächteten Übelthäter um jeden Preis versichern und sie dem Gericht ausliefern. Da änderte plötzlich der Tod Karls des Zweiten auf einmal die Lage der Dinge und stürzte alles in Schrecken und Verwirrung.
Die Gerüchte vom Ableben des Königs, die uns zu Ohren kamen, klangen zuerst so wenig glaubhaft, daß ich mein Pferd sattelte und selbst noch Porlock ritt, um mir Gewißheit zu verschaffen. Dort wurde mir die Trauerkunde von allen Seiten bestätigt und ich fand die ganze Stadt in Aufregung, da jedem vor der Zukunft bangte, und man sich fragte, was nun werden solle. Auch ich überlegte auf dem Heimweg, welche Folgen des Königs Tod für mich haben könnte und machte mir mancherlei Bedenken. Daß bürgerliche Unruhen ausbrechen würden, war so gut wie gewiß, und wir hatten achtundzwanzig gefüllte Fruchtschober auf unserem Wirtschaftshof. Zudem war Mutter sehr schreckhaft geworden, weil sie so viel von Aufruhr, Mord und Brand zu hören bekam; sie zog sich nachts die Bettdecke über den Kopf, damit kein Lärm sie im Schlafe störe. Wie überall, so herrschte auch in unserer Gegend große Unzufriedenheit, obgleich wir das nicht gern zugaben. Die Gewaltthätigkeit der Doones mochte viel dazu beitragen, denn sie fand Nachahmung und diente manchem als Vorwand und Entschuldigung für sein gesetzloses Treiben. Mehr als alles andere beschäftigte mich aber der Gedanke, welchen Einfluß die wichtige Begebenheit wohl auf Lornas Geschick haben würde.
Es ließ sich nicht leugnen, und wir bekamen es oft genug zu hören, daß Gräfin Lorna sich nicht sehr freundlich gegen uns benommen hatte. Seit ihrer Abreise war keinerlei Botschaft zu uns gelangt, und wenn auch damals die Briefpost noch nicht in unsere Gegend kam, – jetzt ist sie nur zwanzig Meilen von uns entfernt – so wäre es ihr doch gewiß möglich gewesen, einen bezahlten Postreiter eigens an uns abzusenden oder den hin und her marschierenden Soldaten ein Schreiben mitzugeben. Von ihnen erfuhren wir wenigstens, daß Lorna sicher in London angekommen war, denn sie wußten viel von dem Reichtum, der Schönheit und den wunderbaren Schicksalen der jungen Gräfin Lorna Dugal zu berichten, die jetzt in aller Welt Munde waren, am Hofe so gut wie bei dem Volk.
Ich kam mir recht einsam und verlassen vor, während ich voll schwermütiger Gedanken durch die Frühlingslandschaft heimwärts ritt. Wie war doch alles so ganz anders als im vergangenen Jahr um diese Zeit! Damals lag die Erde noch hartgefroren unter der schweren Schneedecke und alles Leben schien erstorben. Jetzt hatte der Frühling Thal und Hügel schon mit jungem Grün bekleidet, linde Lüfte wehten und die ganze Schöpfung atmete Lust und Freude. Ich aber wünschte mir den grimmen Frost und Schneesturm zurück, denn in jenen Tagen hatte ich meine Lorna noch.
Als Mutter erfuhr, daß der König wirklich gestorben sei, blieb ihr keine Zeit um ihn zu klagen, denn die Trauerkleider mußten so rasch wie möglich fertig werden. Sie begann noch am selben Abend die Muster nach der neuesten Mode auszuschneiden, Futter zusammen zu nähen und anzupassen und einen solchen Eifer zu entwickeln, daß ich glaubte, Mutter und Lieschen würden nimmermehr zu Bette gehen. Ich bat sie daher, nur weiter zu arbeiten, bis der König wieder lebendig würde. Erschrocken legte sie die Scheere auf den Tisch, denn sie begriff nicht, daß es ein Scherz sein sollte. »Behüt' uns Gott davor,« rief sie, »sonst hätte ich ja das alles umsonst verschnitten.«
»Unmöglich ist es nicht,« sagte ich; »höre lieber auf, Mutter; es wäre schade um den Stoff; die Muster kannst du immer brauchen.« So kamen wir doch noch vor Mitternacht zur Ruhe.
Als gute Unterthanen trugen wir drei Monate lang Trauer um den König; aber noch hatten wir sie nicht abgelegt, da munkelte man bereits allerlei von Ruhestörungen. In Schottland sollten Aufstände ausgebrochen sein, in den Grafschaften Dorset und Somerset große Waffeneinkäufe stattfinden. Die Soldaten hielten den Leuchtturm in Bereitschaft, um im Fall einer feindlichen Landung das Signalfeuer anzuzünden. Wir andern aber warteten den Gang der Ereignisse ab ohne ihnen vorzugreifen; viel Gutes ließ sich ohnehin nicht voraussehen. Den lustigen König Karl hatten alle lieb gehabt, aber für den finstern Jakob, der es mit den Priestern hielt, konnte sich niemand begeistern. So lebten wir denn einstweilen fort wie bisher; wir pflügten, säeten und sorgten für unsere Herden. Dann kam eine uns sehr wichtige Begebenheit, nämlich die Geburt von Annchens Söhnchen im Monat Juni. Es war ein schönes Kind mit blauen Augen, das nach mir, seinem Pathen, den Namen John erhielt und eine große Rolle in der Familie spielte. Wenn ich abends in Gedanken versunken am Kamin saß und Mutter oder Lieschen plötzlich sagten: »Du sprichst ja kein Wort, an was denkst du denn?« brauchte ich blos zu antworten: »An den kleinen John Faggus;« dann ließen sie mich in Ruhe.
Am dreizehnten Juni hatte ich mein Pferd nach Brendon in die Schmiede gebracht. Ich stand dort mit einem halben Dutzend junger Leute und wir sprachen von der Heuernte. Da kam ein Mann auf einem Schecken des Weges geritten, schwenkte eine blaue Fahne in der Luft und rief so laut er konnte:
»Hoch Monmouth, hoch die protestantische Lehre! Nieder mit dem Usurpator und den Papisten! Monmouth soll leben, des guten Königs ältester Sohn!«
Ich dachte an Lorna, die doch auch eine Papistin ist, und als ich die Bekanntmachung las, die mir der Scheckenreiter übergab, und fand, daß sie lauter Lügen enthielt, warf ich das Papier ohne weiteres ins Schmiedefeuer. Es hinderte mich keiner daran, denn alle kannten meine Stärke und sahen es meiner grimmigen Miene an, daß ich nicht mit mir spaßen ließe.
Dem Manne mochte wohl die Hoffnung vergehen unter uns Rekruten zu werben, und er ritt fluchend weiter. Als unsere Pferde beschlagen waren, trafen wir in der Schenke wieder mit ihm zusammen, wo er seine blaue Fahne aufgepflanzt hatte und allerlei Neuigkeiten auskramte.
»Da kommt Herr Ridd,« sagte die Wirtin, als wir eintraten, »der ist in London gewesen, und wenn er es bestätigt will ich es glauben. – Mit Verlaub – ist der Herzog von Monmouth wirklich an der Küste gelandet?« fragte sie und goß mir ein schäumendes Glas Bier ein.
»Ich zweifle nicht daran, es wird wohl nur allzu wahr sein,« erwiderte ich. »Mancher arme Teufel muß nun sein Leben lassen; aber es soll keiner aus unserem Kirchspiel dabei sein, wenn es nach mir geht.«
Und wirklich, ich setzte es durch, denn man gab viel auf meinen Rat und folgte mir gern, weil ich bei den Leuten für ›langsam aber sicher‹ galt in all meinem Thun und sie Vertrauen zu mir hatten.
Während der nächsten zwei Wochen wurden wir unaufhörlich durch die widersprechendsten Gerüchte beunruhigt. Bald hieß es, der Herzog sei in drei großen Schlachten Sieger geblieben und der ganze Westen habe ihm zugejauchzt wie ein Mann; die Landwehr sei zu seinen Fahnen geeilt, er habe Taunton und Bridgewater eingenommen und marschiere auf Bristowe zu. Dann hörten wir wieder, der Herzog sei aufs Haupt geschlagen und bei der Flucht ergriffen und zum Gefangenen gemacht worden.
Wäre nur Stickles noch bei uns gewesen, dann hätten wir wenigstens zuverlässige Nachrichten erhalten können, aber sogar Feldwebel Bloxham war, sehr gegen seinen Willen, abgezogen und hatte Lieschen sein Herz zurückgelassen und seine sämtlichen Schreibereien. Wir konnten nun zusehen wie wir allein mit den Doones fertig wurden oder mit andern feindlichen Haufen.
Ich hatte mir fest vorgenommen, mich durch das Gerede der Leute nicht unnütz ängstigen zu lassen und erst wenn die Thatsachen feststanden, mein Urteil zum Besten zu geben. Das verschaffte mir den Ruf großer Klugheit und bewahrte mich vor manchem Irrtum. Trotz aller Vorsicht aber und ganz ohne mein Zuthun, ward ich zuletzt doch in jene Unruhen verwickelt und in die blutigen Auftritte, die ihnen folgten.
Es war Anfang Juli, als ich einmal gegen Mittag vom Mähen heimkam, um einen frischen Trunk und Imbiß für die Knechte zu holen; der Sommer war ungewöhnlich naß und wir hatten schwere Arbeit. Im Hofe sah ich eine kleine Kutsche stehen, wie reiche Leute sie sich damals anschafften, mit gebogenen federnden Eisenstreifen unter dem Kasten, um die Stöße während des Fahrens zu mildern. Ich erwartete vornehmen Besuch zu finden; aber es war niemand anders als unser Annchen, die, mein Patchen auf dem Arm, in der Küche stand und sehr bleich und abgehärmt aussah. Zuerst brachte sie kein Wort heraus, aber sie hatte kaum Platz genommen und ein wenig Umschau gehalten, da fühlte sie sich schon wieder ganz heimisch, als sei sie nie fortgewesen.
»Alles ist mir so bekannt und vertraut,« rief sie. »O, die liebe alte Küche! Sieh sie dir nur an, mein Kindchen, mit deinen hübschen Äugelchen; da kommt ja auch schon deine kleine Zunge aus dem Mäulchen und will dabei sein. – Wer hat denn aber das Mehlsieb auf das Schüsselbrett gestellt? Der Mörser sieht ganz schwarz aus, die Bratpfanne hat Rostflecken, und wahrhaftig, dort liegt ein schmutziges Buch unter den reinen Holzlöffeln! O Lieschen, Lieschen!«
»Laß nur dein Klagelied,« sagte ich, »Lieschen kannst du doch nicht ändern und bekommst höchstens Streit mit ihr, denn sie bildet sich nicht wenig ein auf ihre Haushaltungskunst.«
»So?« rief Annchen verächtlich. »Dann will ich lieber ein Auge zudrücken. Du hast recht, John, das wird wohl am besten sein, wie schwer es mir auch fällt. Was läßt sich denn auch von einem Mädchen erwarten, das alle Könige von Karthago auswendig weiß.«
»Könige von Karthago hat es nie gegeben, Annchen. Man nennt sie – wie doch gleich – nun eben ganz anders.«
»Einerlei, John. Sie kochen uns doch kein Mittagessen. – Aber ach, ich stelle mich heiter und bin doch so unglücklich!« Sie beugte sich über den Kleinen und brach in Thränen aus.
»Weine doch nicht, Herzchen, erzähle mir deinen Kummer, wir wollen ihn zusammen tragen.«
»So höre denn: Tom ist fort – er hat sich den Aufständischen angeschlossen, und, o John, du mußt ihm folgen und ihn mir zurückbringen.«
Trotz meiner Liebe zu Annchen und wie sehr mich auch ihre Thränen und Bitten rührten, erklärte ich doch, ich könne ihr nicht den Willen thun. Das hieße sowohl unsern Hof als auch Mutters und Lieschens Leben den unbarmherzigen Doones rettungslos preisgeben.
»Und weiter hast du nichts gegen meinen Wunsch einzuwenden?« fragte Annchen in fliegender Hast.
»Warte, das will reiflich erwogen sein, man muß es von allen Seiten betrachten.«
»O, jetzt begreife ich erst, wie du Lorna so schnell aufgeben konntest, John. Du hast sie nie geliebt. Du liebst überhaupt nichts als deine Hafer- und Heuschober.«
»Wirklich, glaubst du das? – Weil ich meine Gefühle nicht zur Schau trage und viel davon schwatze, denkst du, ich sei empfindungslos? Ich sage dir, alle deine Liebe für Tom Faggus und dein niedliches Söhnchen ist nichts im Vergleich zu der Leidenschaft die ich im Herzen trage. Sie läßt sich nicht ausdenken, geschweige denn in Worte fassen. Und weil sie mir zu hoch und heilig ist, um sie vor jedermann auszukramen, seid Ihr, du und die andern, einfältig genug –« ich hielt inne, denn ich hatte schon zu viel gesagt.
»O lieber John, es thut mir leid; verzeih' mir die leichtfertige Rede.«
»Wenn du dies Haus und seine Einwohner vor den Doones schützen kannst, solange ich fort bin, will ich deinen Gatten aufsuchen. Aber ich darf um Toms willen nicht Mutter und Lieschen hilflos zurücklassen. Die Hafer- und Heuschober, an denen nach deiner Meinung mein Herz hängt, mögen die Feinde immerhin zu Asche verbrennen.«
»Sei mir doch nicht böse; du weißt ja, wir Frauen reden manches was gar nicht so ernstlich gemeint ist. Schilt mich so viel du willst, nur gib mir meinen Tom wieder und ich will dir auf den Knieen danken.« –
»Ich kann nichts versprechen, bevor meine Bedingung erfüllt ist.«
Annchen zog die Stirn in Falten und dachte eine Weile nach. »Ich will es versuchen, mein Engelchen,« sagte sie und küßte das Kind, »um Papas willen wage ich es.« Was sie vorhatte wollte sie mir nicht anvertrauen; sie ging nun geschäftig hin und her und packte zusammen was ich für die Knechte brauchte, ganz wie in früheren Zeiten. »Geh' jetzt nur wieder aufs Feld, John, und benutze den schönen Tag zur Arbeit,« sagte sie, »aber erst gib deinem Patchen einen Kuß.« Das that ich auch ohne Widerrede.
Gegen Abend hatte sich der Nebel in Regen verwandelt und ich kam völlig durchnäßt nach Hause. Da empfand ich es mit großem Behagen, daß Annchen wieder da war und für mich sorgte; denn Mutter und Lieschen machten sich mit dem Kinde zu schaffen, in das sie ganz verliebt waren.
»Nicht wahr, John,« sagte Annchen, nachdem sie mich mit Speise und Trank gestärkt hatte, »du machst dich morgen zeitig auf, um mir meinen Rebellen zu holen, wie du versprochen hast?«
»Du vergissest meine Bedingung. Erst muß das Haus gegen einen Überfall der Doones geschützt sein.«
»Ganz recht, und hier ist der Schutzbrief.«
Sie übergab mir ein Papier, das ich staunend betrachtete und las, denn es enthielt eine förmliche schriftliche Zusicherung der Doones, daß sie, während John Ridd in Geschäften abwesend sei, Plover Barrows nicht angreifen noch seine Bewohner belästigen oder an ihrem Besitztum schädigen würden. Die Urkunde war sowohl von dem Rat als von vielen andern Doones unterzeichnet.
Ich konnte mich nun nicht länger weigern mein Versprechen zu erfüllen. Auf mein Befragen erzählte Annchen, wie sie es angefangen hatte sich das Schriftstück zu verschaffen. Ich hätte ihr so viel Mut und Klugheit gar nicht zugetraut, aber eine Frau vermag alles, wenn die Liebe sie treibt.
Annchen mußte wohl von ihrem Tom allerlei Verkleidungskünste gelernt haben; sie hatte sich ganz unkenntlich gemacht, ihr hübsches Gesicht war durch Pflaster und braune Schminke entstellt, die jugendliche Gestalt hatte sie unter einem alten abgetragenen Mantel verborgen. Nachdem sie den Kleinen Betty Muxworthys Obhut übergeben, ließ sie sich von dem Knecht, der sie aus Molland hergeleitet hatte, in ihrer eigenen Kutsche bis in die Nähe des Doonethors fahren und befahl dem Mann auf ihre Rückkunft zu warten. Die Wächter am Thor spotteten über die ›alte Hexe‹, wie sie sie nannten, ließen sie aber ungehindert ein, als sie mit krächzender, gebrochener Stimme verlangte den Rat Doone zu sprechen, dem sie eine wichtige Mitteilung zu machen habe. Man verband ihr nicht einmal die Augen, denn sie trug eine große dunkle Brille und gab vor fast blind zu sein.
Sobald sie sich mit dem Rat allein sah, warf sie ihre Verkleidung ab, riß die Pflaster herunter, wischte sich die Schminke aus dem Gesicht und stand nun in ihrer ganzen Lieblichkeit da. Der Rat schaute ihr lachend zu, sie aber trat beherzt näher und küßte ihn.
»Hochverehrter Herr,« begann sie, »ich komme, Euch um eine Gunst zu bitten.«
»Das dachte ich mir gleich, mein schönes Kind! Ach, wäre ich noch jung an Jahren!« rief der Alte.
»Dann hätte ich Euch schwerlich aufgesucht. Wißt Ihr noch, wie wir Euch empfangen und bewirtet haben? Wir wollten Euch auch nach Hause bringen lassen, doch das schlugt Ihr aus. Aber ich meine, Ihr seid mir eine Entschädigung schuldig, trefflicher Herr Rat, weil Ihr mir das Halsband gestohlen habt.«
»Ohne Zweifel, mein schönes Kind. Ihr drückt Euch etwas stark aus und ein anderer würde sich vielleicht beleidigt fühlen. Einer so reizenden Gläubigerin gegenüber will ich aber meine Schuld nicht leugnen. Unsere Beschwörung von damals hatte für mich einen wunderbaren Erfolg, ich fühlte ihn in meiner Tasche. Der Zauberspruch wird Euch doch nicht geschadet haben, mein schönes Kind?«
»Ich glaube wohl; gewiß ist er schuld an all meinem Unglück.«
»Seid Ihr denn unglücklich? Man sagte mir doch, Ihr hättet einen hochberühmten Straßenräuber geheiratet. Freilich wäret Ihr eines Doone würdig gewesen; Eure Kochkunst ist ein Segen für den, der sie zu schätzen weiß.«
»Mein Gatte weiß sie zu schätzen,« erwiderte sie stolz. »Aber nun sagt mir, ob ich auf Euern Beistand zählen darf.«
Der Rat versicherte, er sei gern bereit, ihr jeden nicht zu unbescheidenen Wunsch zu erfüllen, und sie trug ihm alle ihre Ängste vor. Da Lorna fort war und das Halsband in seinem Besitz, willigte er ein, ihr die Zusicherung zu geben, daß unser Eigentum von keinem Doone geschädigt werden sollte, bis zu meiner Rückkehr. Die meisten seiner jungen Leute waren auf den Kriegsschauplatz geeilt, um unter Monmouths Fahnen zu kämpfen, aber das verschwieg er wohlweislich. Nur wenn der Herzog Sieger blieb, durften die Doones noch hoffen dem Untergang zu entgehen.
Annchen, die dies nicht wußte, dankte dem Rat aufrichtig für seine Güte; sie meinte, er habe das Halsband jetzt redlich verdient. Zum Beweis seiner Gunst ließ er sie noch bis an ihre Kutsche geleiten. Als sie im Glanz ihrer Jugend triumphierenden Blickes bei den Wächtern vorüberschritt, nahm sie eine ernste Miene an und sagte mit einem tiefen Knix: »Die alte Hexe wünscht Euch guten Abend, Ihr Herren!«
So hatte denn Annchen nicht nur die Doones, sondern auch mich überlistet, und mir blieb keine Ausflucht mehr. »Ich bin nicht wie Lorna,« sagte ich mit Bitterkeit, »was ich verspreche, halte ich auch.«
»Auf Lorna lasse ich nichts kommen,« rief Annchen eifrig, »ich bürge für ihre Treue.« Damit hatte sie mich ganz bezwungen.
Als Mutter erfuhr, ich habe mein Ehrenwort gegeben, Tom Faggus, den Ausreißer, im Rebellenheer zu suchen, hielt sie es zuerst für einen schlechten Spaß. Nur mit Mühe konnten wir ihr klar machen, daß ich am nächsten Morgen wirklich in aller Frühe aufbrechen wollte. Sie überhäufte nun Annchen mit Vorwürfen, weil sie schon durch ihre Heirat Schande über uns gebracht habe, und damit nicht zufrieden, auch noch ihren Bruder hinterlistig ins Verderben locke, um eines Thunichtguts willen, eines – ›Spitzbuben‹ wollte Mutter sagen, aber ich hielt ihr rasch den Mund zu.
Reichlich mit Waffen und Lebensmitteln versehen, mit Tabak, Pfeifen, Wäsche und allem was man sonst zu einem Feldzug braucht, bestieg ich tags darauf vor Sonnenaufgang mein Pferd Kickums, das sehr brauchbar war, wenn man es zu behandeln verstand, und ritt mutig ins Weite.
Nachdem ich viele Monde in schwerer Arbeit und finsterm Brüten verbracht hatte, kam mir die kleine Abwechslung nicht ungelegen. Es war freilich schlimm, daß ich das zu durchstreifende Land gar nicht kannte, ja nicht einmal wußte, wo ich meine Forschungen beginnen sollte. Sichere Nachricht über das Standquartier der Truppen gab es nicht; wahrscheinlich zog König Monmouth von Ort zu Ort, um Zufuhr und Verstärkung zu suchen. Jedenfalls machte ich keinen großen Umweg, wenn ich über Dulverton ritt, um dort Erkundigungen einzuziehen, was es Neues gebe. Ich war in der Zwischenzeit natürlich öfters dagewesen, um nach Ruths Arm zu sehen, der glücklicherweise gut heilte, ohne daß entstellende Narben zurückblieben.
Ruth ward sehr ernst, als ich ihr mein Vorhaben mitteilte, und vergoß sogar einige Thränen aus Teilnahme für meine arme Mutter. Sie sprach von den Gefahren des Schlachtfeldes und der noch blutigeren Arbeit des Henkers hinterdrein, von Gefängnis und grausamer Marter, die mir auch drohen könne. Doch ich bat sie, keine so trübseligen Reden zu führen, sondern mir glückliche Reise zu wünschen. Wer, wie ich, nur seine Pflicht thun wolle, dem könne niemand etwas anhaben. Auf ihre Frage, für welche Partei ich denn fechten werde, sagte ich: natürlich sei ich königlich gesinnt, würde mich aber überhaupt nicht in den Kampf mischen.
»Ganz wie Großvater,« rief Ruth; »der will auch erst warten, bis es sich entscheidet, wer Sieger bleibt.«
»Lebt wohl, Base, Gott weiß, ob wir uns je wiedersehen.«
»Freilich sehen wir uns wieder,« sagte sie sehr zuversichtlich. »Nehmt nur keine so traurige Miene an, im Grunde seid Ihr doch höchst wohlgemut.«
»Bekomme ich denn keinen Abschiedskuß?«
»Mir scheint, Vetter, Ihr seid noch gewachsen in letzter Zeit, ich kann nicht zu Euch hinauflangen. Geht nur und verdient Eure Sporen; an Lippendienst ist mir nichts gelegen.«
So zog ich denn meines Weges, auch brauchte ich mir die Sporen nicht erst zu verdienen, denn unser berühmtester Sattler hatte mir ein Paar mit großen scharfen Stacheln an die Stiefel gemacht, die bereits zu Ostern bezahlt worden waren. Kickums konnte die Sporen gar nicht leiden, er lief schon wie der Wind, wenn ich ihn nur damit kitzelte.