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Ein Goldgräber wollte ich nicht werden, wie sehr mir auch Onkel Ruben darob zürnte. Ihn hatte dies Geschäft vor der Zeit zum Greise gemacht und sein Beispiel war nicht ermutigend. Als Landmann den Boden zu bebauen, zu säen und zu ernten, gefiel mir weit besser als wie ein Dachs in der Erde zu wühlen. Ueberdies erging bald nach der Heuernte ein anderer Ruf an mich und ich mußte ihm folgen; denn die Ehre der Grafschaft und mein eigenes Ansehen standen auf dem Spiel.
Bis jetzt habe ich es im Lauf dieser Erzählung weder notwendig noch passend gefunden, meine Siege im Ringkampf aufzuzählen und zu schildern, denn das Prahlen ist nicht meine Sache. Nun aber trat ein Ereignis ein, das ich nicht unerwähnt lassen darf, weil es mit Lornas Geschick gewissermaßen in Zusammenhang steht.
Zu Bodmin in Cornwall tauchte nämlich damals ein mächtiger Riese auf. Er war siebendreiviertel Fuß hoch, seine Schulterbreite betrug zweieinviertel Fuß, über die Brust maß er siebzig Zoll, um die Wade fünfundzwanzig, und seine Hand war einen Schuh breit. Genug Gewichte aber, um zu bestimmen wie viel er wog, konnte man landauf landab nicht finden. Dieser Mann nun schickte mir im stolzen Bewußtsein seiner Größe die Aufforderung, mich ihm am ersten August in öffentlichem Ringkampf zu stellen oder seinen Boten den Ehrengürtel auszuliefern, den ich als Preisfechter für Westengland trug.
Mein Schreck war zuerst nicht gering, das gestehe ich offen. Ich bin nur sechsdreiviertel Fuß hoch und habe eine Schulterbreite von zwei Fuß, über die Brust messe ich kaum sechzig Zoll und einundzwanzig um die Wade. Trotzdem wollte Mutter nicht glauben, daß jener Riese mich bezwingen könne, und Lorna teilte ihre Ansicht. So beschloß ich denn, es auf einen Versuch ankommen zu lassen, besonders da die Freunde meines Gegners sämtliche Kosten trugen, und mir obendrein hundert Goldstücke auszahlen wollten, wenn ich Sieger bliebe. So gewiß waren sie ihrer Sache.
Wozu sollte ich noch weitläufig erzählen, was jedes Kind in der Grafschaft Devon weiß? Unsere Urenkel werden noch davon singen und sagen, denn ein kluger Mann hat den Kampf in Reime gebracht. Der Riese war ganz erschrecklich groß, aber ich vertraute auf meine Geschicklichkeit und Erfahrung. Als es mir gelang, ihm die Arme um den Leib zu schlingen, hielt ich ihn fest wie in einem Schraubstock. Doch fühlte ich bald, daß er keine Knochen hatte, und da mir bange war, ich könnte ihn zermalmen, legte ich ihn behutsam auf den Rücken nieder. Eigentlich schämte ich mich des leichten Sieges und bat meinen Gegner, er möchte mir verzeihen, worauf er mich gutmütig anlächelte.
Der Kampf erregte damals großes Aufsehen und erhöhte meinen Ruhm ganz ohne mein Verdienst, denn ich hätte ebenso gut mit einem Heuschober ringen können. Die hundert Goldstücke in der Tasche, machte ich mich vergnügt auf den Heimweg; wie würden sich Mutter und Lorna freuen, wenn ich sie ihnen zeigte! Annchen war längst verheiratet; wir hatten die Hochzeit ganz in der Stille gefeiert.
Mutter war froh mich gesund und munter wiederzusehen, es hatte ihr vor dem Kampf mit dem Riesen doch gebangt; auch Lieschen empfing mich freundlicher als sonst. Sie staunten beide, als ich meine goldenen Guineen vor ihnen in eine Schüssel ausschüttete, doch merkte ich bald an ihrem befangenen Wesen, daß etwas nicht in Richtigkeit sein müsse.
»Wo ist Lorna?« fragte ich, denn ich konnte die Ungewißheit nicht länger ertragen. »Ich will ihr mein Geld zeigen, so viel hat sie noch nie beisammen gesehen.«
Mutter seufzte tief. »Sie wird jetzt weit mehr sehen, vielleicht mehr als ihr gut ist. Ob sie dir treu bleibt, muß die Zeit lehren.«
»Was soll das heißen, Mutter? Habt Ihr Euch entzweit? Warum kommt Lorna nicht, mich zu begrüßen? So redet doch endlich.«
»Wie ungeduldig du bist, John. Auf deine Mutter würdest du ruhig acht Tage lang warten, und es hat dich doch niemand so lieb wie ich.« Mutter war immer eifersüchtig auf Lorna gewesen; sie wandte sich weinend ab und ließ das Bügeleisen stehen, bis es die Wolldecke versengte.
Ich war wie von Sinnen. »Lieschen,« rief ich, »du hast doch zuweilen Verstand. Willst du mir nicht sagen, wo Lorna ist?«
»Gräfin Lorna Dugal ist nach London abgereist, Bruder John. Sie wird schwerlich je wiederkommen; wir müssen zusehen, wie wir ohne sie fertig werden.«
Sie verzog dabei den Mund so spöttisch, daß mich der Zorn übermannte.
»Du kleine – – –« (ich mag das häßliche Wort nicht hinschreiben) rief ich. »Ist meine Lorna fort – wirklich fort – und ohne mir Lebewohl zu sagen? Gewiß hast du sie vertrieben mit deinem gehässigen Wesen.«
»Da bist du gänzlich im Irrtum. Was Leute aus niederem Stande reden und thun, kümmert eine so vornehme Dame wenig. Gräfin Lorna Dugal verließ uns, weil sie dazu gezwungen wurde; sie weinte, daß es zehn Herzen hätte brechen müssen, wenn ein Herz wirklich brechen kann.«
»Gutes, liebes Lieschen,« flehte ich, »sage mir wie alles gekommen ist, und jedes Wort das sie noch geredet hat.«
Sie blieb bei meinem Bitten ebenso ungerührt wie vorhin bei meinem Schelten. »Das ist schnell geschehen,« versetzte sie; »die hochgeborene Dame sprach überhaupt sehr wenig, außer mit Mutter und Gwenny Carfax; letztere hat sie mitgenommen. Für den ›armen John‹ aber hat sie aus Mitleid einen Brief zurückgelassen. O wie prächtig sah sie aus in den neuen Kleidern, die man für sie hergeschickt hatte.«
»Wo ist der Brief, du boshaftes Ding?«
»In dem kleinen Fach an Gräfin Lornas Bett, aus dem wir ihren Diamantschmuck stehlen ließen.«
Ich stürmte so hastig in das Zimmer meiner verlorenen Lorna hinauf, daß das ganze Haus davon zitterte und fand richtig meinen Schatz. Der Brief war so einfach, natürlich und liebevoll, wie ich es mir nur wünschen konnte. Manches ist mir zu heilig, um es fremden Augen zu zeigen, aber einige Stellen daraus will ich hersetzen: »Mein Herzliebster und künftiger Gebieter! Nimm es nicht für ungut, daß ich ohne Abschied von dir gehe, denn ich kann die Leute nicht überreden, auf deine Heimkehr zu warten. Mein Großonkel, ein vornehmer Lord, erwartet mich in Dunster, da er sich nicht getraut nach Exmoor zu kommen. Zur Sühne dafür, daß ich als Kind der Geächteten ohne Recht und Gesetz aufgewachsen bin, stellt man mich jetzt unter die besondere Obhut des königlichen Kanzleigerichts. Den Onkel hat man zu meinem Vormund eingesetzt und ich muß unter seiner Aufsicht leben, bis ich einundzwanzig Jahre alt bin. Ich finde es schrecklich ungerecht und grausam, daß man mir wegen eines Erbes an Geld und Gut die Freiheit raubt. Auf alles wollte ich verzichten; ich habe den Leuten gesagt, ich begehrte weder Titel noch Reichtum, und habe sie kniefällig angefleht, mich hier zu lassen, wo ich zum erstenmal glücklich gewesen bin. Aber sie lachten mich nur aus, nannten mich ein Kind und meinten, ich solle mit dem Lordkanzler darüber reden, sie hätten ihre Befehle und müßten gehorchen. Selbst Herr Stickles war angewiesen, ihnen bei der Ausführung behülflich zu sein. Es brach mir fast das Herz, John, ohne Abschied von dir zu gehen, und doch war es vielleicht besser so. Ich bin gewiß, du hättest Widerspruch erhoben und dich mit Gewalt dagegen gewehrt, deine Lorna an Menschen abzutreten, die sie nun und nimmermehr lieben können.«
Hier hatte mein Herzlieb wieder geweint, das Papier zeigte Thränenspuren; dann folgten einige zärtliche Worte, die niemand zu wissen braucht. Der Schluß aber lautete: »Auf eines darfst du dich fest verlassen – und ich hoffe, es wird dir Trost gewähren, sonst würde ich selbst untröstlich sein – weder Rang noch Reichtum, noch irgend ein Geschick soll meine Treue für dich wankend machen. Wir haben mancherlei Not, Gefahr und Trennung erduldet, aber nie hat sich ein Zweifel zwischen uns gedrängt. Laß uns einander auch fernerhin vertrauen wie bisher. Mag man dir künftig über mich sagen was man will, so laß dich doch nicht Kleinmut und Zaghaftigkeit beschleichen, gib deinem Herzen Gehör und verbanne jeden Gedanken, den es nicht gut heißt und der unwürdig ist deiner dir immerdar getreuen Lorna Dugal.«
Große Thränen rollten aus meinen Augen auf die Stellen, die Lorna mit ihren Zähren benetzt hatte.
»Nun ist alles aus und ich habe sie für immer verloren,« sagte mein Verstand voll Bitterkeit, aber mein Herz flüsterte dagegen: »Sei nur getrost, es wird noch alles gut werden.«
Die Erntezeit, die im vorigen Jahr für mich so vergnüglich gewesen, brachte mir diesmal nichts als sauere Arbeit. Der Ertrag war noch reichlicher, aber ich empfand weder Dank noch Freude darüber. Ich mußte mich zwingen rüstig und heiter zu scheinen, damit die Knechte auch wacker die Hände regten und nicht im Fleiß erlahmten, denn ein schlechtes Beispiel wirkt ansteckend. Den ganzen Tag über arbeitete ich wie ein Pferd und war abends so matt und müde, daß ich nicht einmal mehr die Kraft besaß, über mein Unglück zu brüten. Ohne das hübsche Annchen, ohne die lieben Augen meiner Lorna, war es daheim gar zu einsam und traurig. Es schien kaum der Mühe wert, sich nach dem Abendessen noch hinzusetzen, um eine Pfeife zu rauchen.
Lieschen konnte sehr liebenswürdig sein, wenn sie wollte, aber sie war hoffärtig von Natur und hatte Lorna nicht recht leiden mögen, teils weil sie zu den Doones gehörte, die Vaters Tod verschuldet hatten, teils weil sie ihr an Schönheit, Anstand und Bildung weit überlegen war und selbst in ihrem Anzug einen viel feineren Geschmack verriet. Die Doones hatten mein Herzlieb stets prächtig gekleidet, ob mit gestohlenen oder gekauften Sachen, weiß ich nicht. Als nun Lornas wahre Abkunft entdeckt wurde, schämte sich Lieschen nicht etwa über ihr früheres Benehmen, sondern ward nur mürrisch und unzufrieden, weil sie gegen eine hochgeborene Dame so oft unfreundlich gewesen war. Sie fürchtete und haßte nämlich die Adligen, hatte auch ganz eigentümliche Begriffe über sie aus ihren Büchern geschöpft und sich in den Kopf gesetzt. Vor Mutter durfte sie freilich dergleichen nicht laut werden lassen, aber mich verfolgte sie mit allerlei Spöttereien und kleinen Nadelstichen, die mich tief kränkten und gegen die ich mich nicht wehren konnte.
Von Mutter hätte man eigentlich erwarten sollen, sie würde meinen Kummer teilen, mit mir trauern, meine Lieblingsgerichte kochen und mich mehr verhätscheln als mir lieb war. Von alledem geschah jedoch nichts, und ich muß gestehen, das verdroß mich nicht wenig. Eine Mutter denkt und fühlt eben oft anders als wir glauben, und die meinige hatte ihre besondere Art.
So kam es denn, daß ich keine Menschenseele besaß, mit der ich auch nur einmal über Lorna reden mochte; selbst Hauptmann Stickles war nicht mehr bei uns, sondern südwärts gegangen. Das hielt ich zuletzt nicht länger aus, und eines Tages, als der Weizen geschnitten war und in Garben gesetzt, sattelte ich um fünf Uhr morgens mein Pferd Kickums und ritt davon, ohne Mutter ein Wort zu sagen; etwas Angst war ihr vielleicht gesund.
Kickums war ein launisches Tier voller Tücken; scheinbar sanft wie ein Lamm, schnellte es oft plötzlich mit den Hinterbeinen in die Luft, warf den Reiter ab und ließ ihn noch die Zähne fühlen, wenn er am Boden lag. Ich hatte in meiner finstern, grämlichen Stimmung damals eine große Vorliebe für das Pferd gefaßt und mochte nur Kickums reiten. Dieser erwiderte auch meine Neigung und duldete keinen andern Herrn; saß ich auf seinem Rücken, so schlug und biß er wohl gar voll Eifersucht nach jedem, der in unsere Nähe kam.
Das kräftige Tier trug mich jetzt mit solcher Windeseile nach Molland, wo ich mir bei Annchen Rat und Trost holen wollte, daß ich schon um neun Uhr mein rosig erglühendes Schwesterchen in den Armen hielt.
»Wie geht es dir, mein Herzchen,« sagte ich, »ist Tom auch gut gegen dich?«
»Welche Frage,« rief sie strahlend vor jungem Glück, »er ist der beste, gütigste, edelste Mensch auf der Welt.«
»Das höre ich mit Vergnügen, hoffentlich bleibt er auch künftig so brav. Halte nur die Branntweinflasche unter Verschluß.«
»Gewiß, gewiß – aber wie geht es der lieben Lorna?« fragte sie, um dem Gespräch rasch eine andere Wendung zu geben. »Sie ist wohl schuld daran, daß ich dich so ewig lange nicht gesehen habe?«
»Im Gegenteil, ihr verdankst du's, daß ich heute hier bin. Das heißt, ich komme, weil ich mit jemand von ihr reden möchte, der ein gutes Herz hat und mich versteht. Zu Hause sind sie alle wie toll. Sogar Mutter behandelt mich schlecht – und Elise –« ich stockte, weil mir Worte auf die Zunge kamen, die Annchen verletzt hätten.
»Ist denn Lorna nicht mehr bei Euch?« fragte sie, mit weiblichem Scharfsinn sofort das Richtige erratend.
»Sie ist fort; ich werde sie nie wiedersehen. Es geschieht mir schon recht, warum wollte ich auch so hoch hinaus.«
Betrübt führte mich Annchen ins Haus, damit wir uns ungestört aussprechen könnten. Wie niedergeschlagen ich auch war, ich mußte doch staunen über die feine und geschmackvolle Einrichtung der Wohnung, denn dergleichen hatte ich in Exmoor noch nicht gesehen.
»Potz tausend,« rief ich, »bei Euch sieht's ja vornehm aus. So findet man's weder in Plover Barrows, noch bei Onkel Ruben. Es ist doch alles ehrlich erworben?«
»Meinst du, ich würde auf einem Stuhl sitzen wollen, der mir nicht gehört, oder mich auf eine Ruhebank legen, die nicht mit gutem Gelde bezahlt ist?«
»Eine Ruhebank? Wozu brauchst du eine Ruhebank, bei Tage und im Wohnzimmer? Das ist ja die reinste Thorheit. Eigentlich dachte ich dich in der Milchkammer zu treffen, wo du hingehörst.«
»Wie häßlich von dir, John – nein, ich will nicht weinen. Zwei Monate lang habe ich dich nicht gesehen, und nun kommst du, bloß um mich auszuschelten. Da ist mein Mann doch ein edlerer Charakter.«
»Liebes Schwesterchen,« sagte ich, gerührt von Annchens Thränen, die reichlich flossen, »ich tadle dich ja nicht, sondern freue mich, daß du deinen Mann lieb hast und es Euch gut geht. Deine Sachen sind wunderhübsch, und meinethalben kannst du dich täglich zehnmal auf deine Ruhebank legen, wenn es dir Spaß macht. Wahrscheinlich bezahlt dein Mann das alles mit dem Gelde, das ihm die Ponies einbringen, die er in Exmoor gestohlen hat. Könnte nur Mutter deine Einrichtung sehen, sie geriete außer sich vor Entzücken.«
Annchen küßte mich dankbar und wir setzten uns; aber der Stuhl mit den zierlichen Beinen krachte schrecklich unter meiner Last.
»Du hast wohl Angst, die Splitter werden mir in den Leib fahren, wenn der Stuhl mit mir zusammenbricht?« sagte ich, denn sie nahm eine gar zu bedenkliche Miene an. »Ich kenne die Dinger; sie werden in London schockweise gemacht und sind gar nicht teuer; schont man sie recht, so halten sie vielleicht ein halbes Jahr. – Doch lassen wir deine Möbel jetzt und sprechen wir von etwas anderem. Willst du hören wie alles gekommen ist?«
Annchen merkte wohl, daß mir schlecht zu Mute war, und nahm meine Reden weiter nicht übel. Sie gab mir einen handfesten Stuhl und küßte und tröstete mich so gut sie konnte.
»Du siehst ganz verändert aus, John,« rief sie, »ordentlich hohlwangig. Mir scheint, ich muß wieder heimkommen, um für dich zu sorgen; wir zwei haben ja immer zusammengehalten.«
»Es kennt mich auch niemand so wie du. Lorna hat mich von jeher überschätzt, und die andern halten zu wenig von mir.«
»Mutter doch gewiß nicht, John.«
»Nein, aber Mutter will mich ganz für sich allein haben. Sie quält mich noch am meisten, weil sie meint, mein Kopf und Herz und all mein Hoffen und Sorgen müssen einzig ihr gehören.«
Nun erzählte ich Annchen, was ich von Lornas Geschichte wußte, und daß ich nicht hoffen dürfe, die Geliebte je wieder zu sehen. Davon wollte sie jedoch nichts hören – sie war ja selbst ein so treues Gemüt – und schalt mich über meine Verzagtheit. Als ich sie aber um ihre Meinung fragte, was ich denn nun anfangen solle, riet sie mir, zu warten bis ihr lieber Tom nach Hause käme, der werde schon Rat wissen.
Ihr lieber Tom kannte freilich die Welt, besonders von ihrer dunkeln Seite, doch kam es mir gar nicht in den Sinn, mich in meinem künftigen Verhalten gegen die Gräfin Lorna Dugal nach dem Ermessen eines Tom Faggus zu richten. Ich schwieg jedoch, um Annchen nicht nochmals zu kränken, und als Tom zu Tische heimkam, ward ihm die Sache vorgelegt.
Er gehörte zu den Menschen, die sich über nichts verwundern, weil sie schon alles im voraus gewußt haben. Auch über Lornas Geschichte hätte er uns längst Auskunft geben können, wie er behauptete. Bei näherer Erkundigung kam jedoch nichts weiter zu Tage, als daß er damals die Kutsche der Gräfin Dugal bei Bampton angehalten hatte. Als er sah, daß nur Frauen darin saßen, ließ er die Reisenden, in seiner gewohnten ritterlichen Art, ungehindert weiter ziehen, von dem Diamantenhalsband ahnte er natürlich nichts. Zum Abschied hatte ihm die Gräfin noch mit eigener Hand eine Flasche Rotwein gereicht, die er auf ihr Wohl leerte.
Da nun Tom im Zuge war, mit seinen früheren Heldenthaten zu prahlen, hörte er nicht wieder auf, bis ich sein Geschwätz satt bekam und es für meine Pflicht hielt, ihm einmal den Standpunkt klar zu machen.
»Laß doch deine Abenteuer auf der Landstraße ruhen,« sagte ich. »Du hast die Tochter eines redlichen Mannes geheiratet und thust weit besser über deine Vergangenheit zu schweigen. Was dem einen recht ist, ist dem andern billig. Was würdest du sagen, wenn ich dich hier an deinem neumodischen Kamin festbände, alle deine Sachen aufpackte und mit deinen eigenen Pferden davonführe? Daß ich es thun kann, weißt du, nur die Ehrlichkeit hindert mich daran. Gibt es kein Eigentumsrecht auf Erden, so gehört dir auch der Stuhl nicht, auf dem du sitzest. Du hältst dich für so ungeheuer klug, Tom Faggus, und bist doch ein großer Thor, sonst würdest du dich nicht mit deinem früheren Räuberleben brüsten, sondern suchen es in Vergessenheit zu bringen, nun du ein ansässiger Bürger geworden bist. Eins oder das andere – beides vereinigen kannst du nicht.«
Tom erwiderte kein Wort auf meine strenge Rede, die mir sauer genug ankam, aber es galt der Wahrheit die Ehre zu geben, und da durfte ich nicht zaudern. Er stand unbeweglich an seinem Kamin, als hätte ich meine Drohung wahrgemacht und ihn wirklich dort festgebunden. Annchen schlich sich leise an seine Seite und warf mir zürnende Blicke zu.
»Ich danke dir, John,« hob Tom endlich an, und die Hand, die er mir reichte, zitterte in der meinigen. »Du hast mir einen großen Dienst erwiesen. Kein anderer Mensch auf Gottes Erdboden hätte gewagt, so mit mir zu reden, und ich würde es mir auch von keinem andern gefallen lassen. Es ist alles wahr was du sagst und ich will es mir zu Herzen nehmen. John, mein Bruder, wenn du je etwas Gutes gethan hast, so hast du es heute gethan.«
Er verließ uns rasch, damit niemand seine Erregung sehen sollte, doch Annchen eilte ihm nach, mit einer Miene, als hätte ich einen Mord begangen. Ich selbst war heftig ergriffen, sattelte Kickums, ritt fort und atmete die frische Luft auf dem Moor in vollen Zügen ein.
Nur Annchen zu Liebe hatte ich so frei und offen mit ihrem Manne geredet, denn wir wußten alle, es würde ihr das Herz brechen, wenn er je wieder auf Abwege geriete. Ich durfte also weder ein Blatt vor den Mund nehmen, noch ihn zum Helden stempeln, das that er selbst schon genugsam. Sie würden mir wohl beide grollen, weil ich so rasch fortgeritten war, und gerade zur Mittagszeit, aber bis wir uns wiedersahen, war das längst vergessen.
Da ich nun noch Zeit hatte, beschloß ich den Umweg über Dulverton zu machen, denn ich sehnte mich nach einem befreundeten Herzen, das mich verstehen und mit mir fühlen würde. Für ein junges mutiges Pferd wie Kickums war die Anstrengung nicht zu groß.
In der Hauptstraße begegnete mir Ruth Huckaback, die mit einem Korb in der Hand vom Marktplatz kam.
»Ei, Base Ruth, wie seid Ihr gewachsen!« rief ich. »Ihr kommt mir wirklich viel größer vor.«
Darüber freute sich die Kleine so sehr, daß sie mir mit lieblichem Erröten zulächelte und näher trat mich zu begrüßen, trotz aller abwehrenden Zeichen die ich machte, denn ich kannte die Unart meines Pferdes. Kaum hatte sie mir aber das Händchen gereicht, als Kickums rasch wie der Blitz den Kopf nach ihr umwandte und ihren linken Arm mit den Zähnen packte, daß sie vor Schmerz laut aufschrie. Ich hieb das boshafte Tier mit aller Macht über den Kopf, daß es zurücktaumelte, aber erst beim zweiten Schlage ließ es die arme Ruth los, und ich hob sie zu mir in den Sattel. Bleich und bewußtlos lag sie vor mir; ich hätte Kickums umbringen mögen vor rasendem Zorn. Ich stieß ihm die Sporen in die Weichen, daß er wie der Wind davonflog, und ich Mühe hatte mich und die Kleine festzuhalten. Doch rief ich den Leuten, die allerwärts herbeigelaufen kamen, noch zu, man möchte so rasch wie möglich einen Wundarzt nach Herrn Huckabacks Wohnung senden.
Wenn je ein Pferd für seine Tücke gestraft worden ist, so war es Kickums, denn ich kannte mich selbst nicht vor Wut. Ich zog den Zügel an, bis ich dem Tier fast die Kinnlade zerbrach, bearbeitete es mit der Faust und zerriß ihm die Flanken mit den Sporen. Mit gesenktem Haupte und am ganzen Leibe zitternd, stand es endlich vor Onkel Rubens Hause still. Rasch sprang ich herab und trug das Mädchen ins Zimmer.
Es war ein reizender und rührender Anblick zugleich, als die kleine Ruth allmählich wieder zu sich kam und ihr die Farbe in Stirn und Wangen stieg. Ihr nußbraunes welliges Haar hatte sich bei dem tollen Ritt aufgelöst und fiel über ihre Augen und Schläfen wie ein dichter Schleier. Ich drückte einen Kuß darauf in meiner Freude sie in Sicherheit zu sehen; ein Vetter darf sich solche Freiheit wohl nehmen.
»Armes Kind,« sagte ich, »das böse Tier hat Euch schrecklich weh gethan; bitte, zeigt mir Euern Arm.«
Sie schob den Ärmel ohne weiteres in die Höhe, um den Schaden zu betrachten. Dicht über dem Ellenbogen sah man auf dem blütenweißen Arm drei häßliche blutrote Wunden. Ich erschrak heftig, denn ich weiß, daß ein Pferdebiß tödlich werden kann. Rasch zog ich den verletzten Arm an meine Lippen, um das Gift auszusaugen. Zu meiner Verwunderung sträubte sich Ruth heftig; sie mochte wohl meine Absicht mißverstehen, aber dies war nicht der Augenblick, um mit Kindereien Zeit zu verlieren.
»Seid vernünftig, Base,« sagte ich sie festhaltend. »Es muß sein; das Gift geht Euch sonst ins Blut. Glaubt Ihr etwa, ich thue es zum Vergnügen?«
Als sie ihren Irrtum begriff, ward sie dunkelrot vor Scham und überließ sich mir nunmehr willenlos. So fuhr ich denn fort die Wunde auszusaugen, bis der schädliche Stoff ganz entfernt war. Ich hatte die Kur eben beendet, als der Wundarzt eilig eintrat, offenbar mit dem Wunsche rasch wieder fortzukommen.
»Aha, ich sehe schon, um was es sich handelt,« rief er, »man sagt mir, es sei ein Pferdebiß. Höchst gefährlich; die Wunde muß sogleich ausgebrannt werden. Zündet Feuer an und macht das Eisen glühend.«
Die arme Ruth wäre vor Schrecken fast wieder in Ohnmacht gefallen. »Nicht doch, Herr Doktor,« sagte ich, »Ihr braucht den Arm meiner Base nicht zu brennen; er ist viel zu hübsch dazu und ich habe das Gift schon ausgesogen. Seht nur wie rein und kühl die Wunde ist.«
»Wahrhaftig, da bin ich ja gar nicht mehr nötig,« rief der gelehrte Herr. »Ich sehe, Ihr seid in den besten Händen, liebes Kind, und die Schramme wird bald heilen. Macht kalte Umschläge von Brod und Wasser und wechselt sie stündlich dreimal. Morgen spreche ich wieder vor; jetzt wartet man auf mich beim Kartenspiel.« Er war schon wieder zur Thür hinaus.
Als Onkel Ruben heimkam sah ich wohl, daß er noch auf mich erzürnt war, denn er schrieb mir die Schuld an der Erbitterung zwischen Simon Carfax und den andern Bergleuten zu, welche den schlimmen Streich mit Gwenny gespielt hatten. Ruth berichtete nun, was ihr zugestoßen, und erklärte mit Thränen in den Augen, sie müsse dem Vetter Ridd ewig dankbar sein, er habe ihr das Leben gerettet. Das besänftigte den alten Mann mit einem Schlage und er benahm sich sehr freundlich gegen mich. Wenn er irgend etwas auf Erden liebte, so war es seine Enkelin.
Um Ruth etwas von ihren Schmerzen zu zerstreuen, beschrieb ich ihr Annchens neumodische Einrichtung und kam dann allmählich auch auf meine eigenen Angelegenheiten und Lornas plötzliche Abreise zu sprechen. »Ich werde sie wohl nie wiedersehen,« sagte ich mit erzwungener Fassung »und muß suchen sie zu vergessen, sie steht doch viel zu hoch über mir.«
»So dürft Ihr nicht reden, Vetter,« versetzte Ruth leise und mit abgewandtem Blick. »Ein redliches, wackeres und mutiges Herz ist weit köstlicher als Rang und Reichtum. Sie wäre Eurer Liebe nicht wert, ließe sie sich durch Glanz und Pracht von Euch abwendig machen.«
»Sprecht weiter, liebe Base! Ratet mir, was ich thun soll.«
Jetzt senkte sie die Augen nicht mehr, sondern sah mir voll ins Gesicht: »Ihr sollt thun, was jeder Mann thun muß, der ein Mädchen gewinnen will. Kann sie Euch kein Liebeszeichen senden, auch nicht zu Euch zurückkehren, so müßt Ihr sie aufsuchen, zum Beweis, daß Ihr nicht vergessen werden wollt. Dann wird sie sich zu Euch herablassen, Euch wieder ihre Huld zuwenden –«
»Dessen bedarf es nicht zwischen uns. Sie hat mir nie ihre Gunst entzogen, und ihr gehören alle meine Gedanken. Auf der ganzen Welt findet sich nicht ihresgleichen.«
»Sorgt nur, daß sie ebenso von Euch denkt. Einen andern Rat kann ich Euch nicht geben. – O, wie mein Arm schwillt, wie weh er thut, trotz Eurer Güte und Heilkunst. Es wird am besten sein, ich lege mir einen neuen Umschlag auf und gehe zu Bett, wenn Ihr nichts dagegen habt. Grüßt Eure Mutter und Lieschen vielmals. Wie ist mir denn – – das ganze Zimmer dreht sich ja im Kreise herum.«
Die Dienerin eilte herbei und Ruth sank ihr besinnungslos in die Arme. Sie hatte gewiß schon während unseres Gesprächs heftige Schmerzen gelitten.
Den Heimweg mußte ich zu Fuß antreten, denn Kickums war so zu Schanden geschlagen, daß ich ihn unmöglich reiten konnte; Onkel Ruben bot mir sein Pferd an, aber das hätte mich nicht tragen können. Ich versprach bald wieder zu kommen, um mich nach dem Befinden der Base zu erkundigen und Kickums abzuholen; dann ging ich beim Vollmondschein mit langen Schritten über das Moor nach Hause.
Mutter war überglücklich mich wieder zu haben, denn sie fürchtete schon, ich sei nach London gegangen, weil es mir daheim nicht mehr behagte. Voll Bangigkeit spähte sie in die Nacht hinaus, bis der Schall meiner Tritte von fernher zu ihr herübertönte. Als sie mich in den Armen hielt und ich die Silberfäden auf ihrem Haupte sah, die sich rasch vermehrt hatten, seit Annchen nicht mehr bei uns war, da schwand jeder Groll. Sie herzte und küßte mich, wir sprachen kein Wort, aber zwischen uns beiden war alles wieder gut.
Die Ernte ward nun in die Scheuern gebracht und Pastor Bowden dankte dem Himmel dafür in der Kirche und außerhalb derselben, denn der Zehnte war für ihn sehr reichlich ausgefallen. Der letzte kalte Winter, die Furcht vor Mißwachs und unsere Klagen über teuere Zeit, hatten die Kornpreise gewaltig in die Höhe getrieben, und wir thaten was wir konnten, damit sie nicht fielen.