Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
In Dulverton traf ich zuerst nur Ruth allein an, aber bis ich alle meine Einkäufe gemacht hatte, war auch Onkel Ruben nach Hause zurückgekehrt. Ich erschrak ordentlich als ich ihn sah, so sehr hatte er sich verändert. Aus dem zwar grauhaarigen, doch kräftigen und gesunden Mann war ein dürrer, zitternder, altersschwacher Greis geworden. Statt seiner krausen Locken deckten ihm nur noch wenige weiße Haare die Schläfen. Der feurige, energische und etwas spöttische Ausdruck seiner Augen war verschwunden; eine krankhafte Unruhe lag in seinem Blick, Furcht und Mißtrauen, ein rastloses, gieriges Verlangen.
»Wie läßt sich das erklären?« dachte ich bei mir, »hat der alte Mann etwa sein Vermögen verloren oder der Flasche zu fleißig zugesprochen?«
Er führte mich in ein kleines, unsauberes, schlecht gelüftetes Gemach neben dem Laden, in das Ruth gewiß nie Zutritt gehabt hatte, denn in ihrem Bereich war stets alles die Ordnung und Sauberkeit selbst. Ein Schreibpult, mehrere Stühle und ein hochbeiniger Drehsessel bildeten die ganze Einrichtung. Auf letzterem nahm ich Platz, während Onkel Ruben sich in den Laden begab und den Gehilfen samt den Lehrjungen nach Hause schickte, obgleich es noch früh am Abend war. Er brauche sie heute nicht mehr im Geschäft, Fenster und Thüren werde er selber schließen, hörte ich ihn sagen.
»Ein dunkler, unbehaglicher Raum,« äußerte er, wieder zu mir eintretend, »aber viele hundert gute Goldstücke sind mir hier durch die Hände gegangen.«
»Das glaube ich, Onkel; möchtet Ihr noch viele, viele hundert verdienen und Euch recht lange daran erfreuen.«
»Sag' einmal, John, wünschest du meinen Tod?« fragte er plötzlich und sah mich mit seinem scharfen und doch glanzlosen Blick durchdringend an.
»Aber Onkel, redet doch nicht so einfältig. Ich bin himmelweit davon entfernt. Wenn Ihr das nicht wißt, thut Ihr mir leid. Mein Wunsch ist im Gegenteil, Ihr möchtet so lange wie möglich leben, schon wegen« – ich stockte.
»Sprich weiter, John, weswegen? Um meinetwillen sicherlich nicht – also weswegen?«
»Um Ruths willen, wenn Ihrs durchaus wissen müßt. Wer soll denn nach Euerm Tode für sie sorgen?«
»Aber gesetzt du wüßtest, daß ich Gold besäße oder mir verschaffen könnte – Gold wie Heu – und daß du einmal das Geheimnis erben solltest – du ganz allein – würdest du dann nicht wünschen, ich möchte sterben?«
»Nun und nimmermehr! Es käme mir nicht in den Sinn Euch einen Tag Eures Lebens zu mißgönnen, böte man mir auch alles Gold auf Erden.«
Ob er meiner Versicherung Glauben schenkte, weiß ich nicht. Er sank ohne ein Wort der Erwiderung auf einen Stuhl, schloß die Augen und murmelte vor sich hin wie im Traum.
»Ihr habt Euch bei Euerm langen Ritt übermüdet, Onkel,« sagte ich. »Laßt mich Euch ein Glas Wein bringen; die Base Ruth weiß im Keller Bescheid.«
»Du solltest dich schämen überhaupt von meiner Enkelin zu sprechen, John,« rief er, sich schnell in die Höhe richtend. »Du hast dich sehr schlecht gegen sie benommen und ihre Liebe verschmäht. Ja, mache nur große Augen,« fuhr er fort, als ich ihn sprachlos vor Überraschung anstarrte – denn ich hätte nie geglaubt, daß er darum wisse – »du bist ein eitler Narr und der größte aller Thoren. Ist dir Ruth nicht gut genug? Sie ist zwar klein, aber bei ihr ist jeder Zoll so viel wert als deine sieben Schuh zusammengenommen. Glaubst du etwa, alle Mädchen wären in dich verliebt, weil du ein großer Ringer bist und ein paar Schafsköpfe dich den schönsten Mann in England nennen? Ich halte dich für einen ganz verschlagenen Menschen, John Ridd; aber mich sollst du nicht hintergehen.«
Ich ließ mir von Onkel Ruben manches gefallen, schon um der Verwandtschaft willen, aber diese Worte kränkten mich doch zu tief. Um Ruths willen bezwang ich mich aber, ihm nicht zu antworten wie er es verdient hätte. Schweigend nahm ich meinen Hut und ging hinaus.
Bald war ich zum Heimweg gerüstet, nur noch den Mantelsack brauchte ich aufzuschnallen. Draußen fand ich Ruth bei dem Pferde stehen.
»Ihr wollt fortreiten, Vetter,« sagte sie mit nassen Augen, »aber Ihr wißt nicht wie viel Trauer und Schmerz Ihr hier zurücklasset. Es wird Großvater sicher reuen, daß er Euch schlecht behandelt hat, denn er ist jetzt so schwach wie ein Weib. Mache ich ihm Vorwürfe darüber, dann ist er unglücklich und ärgert sich über sich selbst; das thut mir wiederum leid und ich suche ihn zu trösten. Dann denkt er gleich, ich habe ihm unrecht gethan und erbittert sich vielleicht gegen Euch. Man muß eben Geduld mit ihm haben, er fühlt sich elend und ist verdrießlich.«
Ruth redete mir noch lange freundlich zu, bis ich meinen Groll vergaß. Sie war doch ganz anders als die übrigen Mädchen; es steckte wirklich etwas Besonderes in ihr.
Viel Zeit hatte ich nicht mehr, aber ich trat doch noch einmal bei Herrn Huckaback ein. Er knurrte nur leise, als er mich sah, was zu heißen schien: »Ich dachte mir's wohl, daß er nicht fort wäre.« Bald wurde er jedoch zugänglicher und ließ eine Flasche Wein bringen. Er trank auf meine Gesundheit und wünschte mir ein gutes kleines Weibchen; ich dagegen ließ ihn und die Base Ruth leben.
»Gestehe es nur, John,« sagte er, seine runzlige Hand auf mein Knie legend. »Du hast eine heimliche Neigung für meine Enkelin. Versuche nicht es zu leugnen, denn ich weiß es.«
»Ich habe Ruth sehr gern,« erwiderte ich, um jedem Mißverständnis zu begegnen, »aber ich liebe sie nicht.«
»Ach was, die Liebe wird schon kommen, wenn das Mädchen Geld hat.«
»Ja, aber in meinem Fall – –«
»Sprich nicht weiter, John; ich will dich durchaus nicht drängen. Ob du meine Enkelin nimmst oder nicht, ist deine Sache. Es ist wohl kaum je einem jungen Menschen solche Gelegenheit geboten worden, sein Glück zu machen. Was aber auch die Zukunft bringen mag, ich habe mich entschlossen, dir mein Geheimnis anzuvertrauen; denn, erstens reibe ich mich auf, wenn ich es noch länger für mich behalte, und zweitens verlasse ich mich auf deine Verschwiegenheit. Auch brauche ich einen Mann wie dich, der mir bei dem Unternehmen hilft, und du bist mein nächster Blutsverwandter.«
»In allem was gut und redlich ist und nicht gegen die Landesgesetze verstößt, will ich Euch gerne beistehen,« sagte ich, denn mir war bange, es handle sich um eine Verschwörung.
Der alte Mann lachte, daß ihm die Augen übergingen. »Haha, also auch du bist in die Falle gegangen,« rief er, »so gut wie der schlaue Stickles und seine kostbaren Musketiere. Und wir dachten doch, du hättest Lunte gerochen und wärest uns auf der Spur. Wir selbst haben die Gerüchte von dem Aufruhr in Dulverton, der Landung von Waffensendungen an der Küste, dem Schwertergeklirr und Kanonendonner auf dem Moor, in Umlauf gesetzt, ohne daß jemand eine Ahnung davon hatte. – Es mag ja viel Unzufriedenheit im Lande sein – aber hinter der Rebellion im Westen, dem großen Aufstand in Exmoor, steckt – wer meinst du wohl?«
»Was weiß ich,« entgegnete ich ärgerlich, »vielleicht Mutter Melldrum oder der Teufel selbst.«
»Fehlgeschossen! Niemand anders als Ruben Huckaback in eigener Person.«
»Nun, dann hat ja Hauptmann Stickles doch recht gehabt, als er Euch einen Rebellen nannte.«
»Freilich, wie sollte auch ein so kluger Herr einen alten Mann wie mich nicht durchschauen? Komm' nur und sieh dir unsere Rebellion an, John. Ich will dir jetzt alles kundthun und verlange nicht einmal einen Eid von dir, nur dein Wort, daß du schweigen willst, besonders auch gegen deine Mutter.«
Das versprach ich ihm, obgleich ich auf solche Verpflichtungen nicht gern eingehe. Meine Neugier war jedoch rege geworden und ließ sich nicht länger beschwichtigen.
Onkel Ruben erschien auf einmal um zehn Jahre jünger; er sah überglücklich aus. »Du wirst nun mein Geschäftsteilhaber,« sagte er, mir das Glas wieder vollschenkend, »deine Muskelkraft erspart uns mindestens zwei Pferde bei der Arbeit; von heute an ist dein Glück gemacht.«
»Aber wohin soll ich kommen? Wo soll ich Euch finden?«
Er blickte mich noch einmal forschend an: »Triff mich morgen früh, Punkt zehn Uhr, am Teufelssumpf,« sagte er, mir die Hand zum Abschied reichend.
Da ich wußte, wie sehr Herr Huckaback die Pünktlichkeit liebte, brach ich am folgenden Tage schon gegen acht Uhr nach dem bezeichneten Orte auf. Mir war unheimlich zu Mute, das muß ich gestehen, und ich hatte aus Vorsicht meine Flinte mit Blei von einem alten Kirchendach geladen, denn das schützt bekanntlich gegen Zauberspuk.
Es war nicht das erste Mal, daß ich mich nach dem Teufelssumpf begab, und zwar zu Fuß, weil ich das für sicherer hielt. Bald nach Jakobs Abenteuer hatte ich den berüchtigten Platz aufgesucht, wo, nach seiner Ansicht, der Gehängte wieder lebendig geworden war. Aber ich sah damals nichts als den großen schwarzen Morast, den dichtes Röhricht umstand, mochte auch weder allzusehr in die Nähe gehen, noch das jenseitige Ufer durchforschen.
Heute aber hatte ich mir vorgenommen, das ganze Geheimnis zu ergründen, denn was Onkel Ruben sich zutraute, konnte ich auch wagen. Ich stieß meinen Ladestock noch einmal fest in den Flintenlauf; es war alles in Ordnung, und nun sollten die Hexen nur kommen. Nachdem ich auf einem steilen Pfad durch die Schlucht hinabgestiegen war, wo von den Felswänden große Farnkräuter wie Spinnweben mir zu Häupten hingen, sah ich den Teufelssumpf vor mir liegen. Es war totenstill ringsum, kein lebendes Wesen regte sich in der grausigen Einsamkeit. Lange saß ich in einer Felsennische und schaute gedankenvoll auf das dunkle Gewässer. Dort hatte einst, der Sage nach, das Schloß eines bösen Zauberers gestanden, welcher mit seinen Künsten ganz Exmoor in Angst und Schrecken hielt. Ein heiliger Mann kam in die Gegend und befreite sie durch Gebet und Beschwörung von dem Unhold. Die Erde verschlang diesen samt seinem Palast, gerade an der Stelle, wo man jetzt den schrecklichen Morast vor sich sieht mit seiner schwarzen Flut. Der Heilige aber gründete drei Meilen westlich davon die kleine Kapelle, in der er selbst begraben liegt, und wo auf dem Friedhof Lornas Tante Sabine und auch Sir Ensor die letzte Ruhestätte gefunden haben, als ihre Zeit gekommen war.
Während ich noch über die alte Geschichte nachsann, erschien plötzlich, wie aus dem Boden gewachsen, ein Reiter auf der anderen Seite des Sumpfes. Zuerst erschrak ich nicht wenig, denn ich fürchtete, es sei irgend ein Teufelsspuk; bald jedoch erkannte ich Herrn Huckaback an seinem weißen Haar. Nun sprang ich auf, schwenkte den Hut und rief ihm zu; meine Stimme hallte schauerlich von den Klippen und Bergen wieder. Er gab keine Antwort, sondern winkte mir nur, zu ihm herüber zu kommen, und ich schritt vorsichtig den schmalen Steg entlang, der zwischen der Felswand und dem Röhricht rund um den Sumpf führte. Drüben war eine weite Lichtung, nur hie und da mit verkrüppeltem Gebüsch, Gras und Unterholz bewachsen.
»Du fürchtest dich wohl gar?« sagte Onkel Ruben, mir ins Gesicht sehend. »Ich brauche einen Mann, der nicht nur Kraft und Verschwiegenheit besitzt, sondern auch Mut. Nach deinen Thaten beim Kampf um das Doonethal hielt ich dich für kühn und unerschrocken.«
»Mir bangt vor keinem Feinde, den ich mit Händen greifen kann,« versetzte ich; »hier aber muß man es mit Hexen und Zauberern aufnehmen.«
»O du Erznarr,« rief er, »der Zauber, mit dem wirs zu thun haben, hält alle Welt in Bann. Binde mein Pferd fest, John, doch nicht zu nah am Sumpfe. Wir haben den Eingang gut gewählt. Folge mir nur Stufe für Stufe, aber vorsichtig, denn es ist trügerischer Boden. Ich bin jetzt schon daran gewöhnt.«
Er ging mir auf einem Zickzackweg voraus, bis wir an eine große runde Öffnung kamen, die aussah wie ein mit Holz verkleideter Brunnenschacht. Es nahm mich Wunder, daß man sich die Mühe gegeben hatte, hier einen Brunnen zu graben, da es doch rings in den Bergen so viele Quellen gab. Neben dem Loch lagen Haufen von braunem Gestein umhergestreut, wie ich es nie zuvor gesehen hatte.
Onkel Ruben bemerkte meine verwunderte Miene. »Früher war ein Baumstamm quer über die Öffnung gelegt,« sagte er mit grimmem Lächeln, »aber ein Halunke, der uns auflauerte, kam gerade dazu, als einer unserer Leute aus dem Schacht heraufstieg. Der Schuft war halbtod vor Schrecken und hat sich nie wieder hergewagt. Wir glaubten damals, du hättest ihn dazu angestiftet, John, aber das war wohl ein Irrtum.«
»Wie konntest du mir nur zutrauen, Onkel, daß ich dein Thun und Treiben ausspionieren würde? Du warst doch unser Hausgenosse.«
»Es giebt verschiedene Menschen und Ansichten in der Welt, John. Du bist jung, stark und romantisch angelegt; ich dagegen nehme die Sachen wie sie wirklich sind, wie ich sie seit siebzig Jahren gefunden habe. – Willst du nun mit mir kommen, in die Höhle des Zauberers, oder fehlt es dir an Mut?«
»Ich bin keine Memme. Wohin Ihr gehen könnt getraue ich mich auch.«
Er winkte mir nun, einen schweren Kübel mit eisernem Reifen in den Schacht hinabzulassen. Derselbe hing schwankend an einem großen, in die Erde eingegrabenen Querbalken; am Henkel war ein Seil befestigt, das um eine Rolle lief und in der Tiefe verschwand.
»Ich fahre zuerst hinunter,« sagte Herr Huckaback; »wenn der Eimer wieder heraufkommt, so folge mir nur beherzt.«
Er pfiff in das Loch hinein; ein schriller Ton antwortete von unten, worauf er in den Kübel stieg und rasch meinen Blicken entschwunden war.
Während ich oben allein zurückblieb, im Tageslicht, unter Gottes freiem Himmel, kämpfte ich schwer gegen meine Abneigung, in den finsteren Schacht zu steigen. Ich würde mich nie dazu entschlossen haben, hätte ich mich nicht geschämt vor einem Abenteuer zurückzuschrecken, das der schwache Greis unternahm. Jetzt kam der Eimer wieder herauf; ich sprach ein Stoßgebet, stieg ein und ergab mich in mein Geschick.
Mir klapperten die Zähne vor innerer Erregung, wie sehr ich mich auch zusammennahm. Ich hielt mich mit starkem Arm an dem Seile fest, um nicht durch mein Gewicht den Boden des Kübels einzudrücken; immer dunkler wurde es um mich her, immer blauer schien der Himmel droben. Jetzt stieß ich mit einem so kräftigen Ruck unten auf, daß ich fast das Gleichgewicht verloren hätte. Onkel Ruben und ein Bergmann, dessen Züge mir bekannt vorkamen, standen mit Pechfackeln neben mir in dem finstern Raum.
»Willkommen in der Welt des Goldes, John Ridd,« sagte Herr Huckaback mit triumphierendem Lächeln. »Ein größerer Hasenfuß ist wohl noch nie in den Schacht hinuntergefahren, nicht wahr, Carfax?«
»Wenn sie's zum erstenmal versuchen, ist einer wie der andere,« versetzte der Angeredete, ein kurzer breitschulteriger Mann.
»Aus eigenem Antrieb steige ich gewiß nicht wieder so tief in die Erde,« rief ich aus dem Kübel springend. Ich stieß mich dabei recht unsanft an das Schienbein, was Onkel Ruben sehr belustigte. Carfax dagegen verzog keine Miene, er schien mich nur als unwillkommenen Eindringling zu betrachten. Die Fackeln beleuchteten das Dunkel ringsumher mit mattem Schein; auf einer Seite entdeckte ich einen kleinen mit Pfosten gestützten Gang, nach der andern öffnete sich eine Wölbung im Felsen, doch weiterhin herrschte undurchdringliche Finsternis; ich kam mir vor wie eine Maus in der Falle.
»Du fühlst dich wohl enttäuscht, John?« fragte Onkel Ruben, der ganz gespenstisch aussah bei dem flackernden Licht. »Glaubtest du etwa, Decke, Wände und Boden wären hier unten von eitel Gold?«
»Haha!« lachte Carfax, »das hat er sicherlich erwartet.«
»Etwas Besseres als Schmutz und Dunkelheit dachte ich allerdings hier zu finden.«
»Nun, so komm' mit, wir wollen dir etwas Besseres zeigen. Dein starker Arm thut uns not, um ein Werk zu vollenden, dem wir allesamt nicht gewachsen sind.«
Wir betraten einen engen, gewundenen Felsengang, der zu einer etwas breiteren Stelle führte, an der ein mächtiger Steinblock quer über den Weg lag; mehrere große Schmiedehämmer, teils verbogen, teils mit zerbrochenen Stielen, lagen am Boden verstreut umher.
»Du abscheulicher Bösewicht,« rief Herr Huckaback, indem er dem Felsstück, das wohl so groß war wie Mutters bester Kleiderschrank, einen Fußtritt versetzte; »jetzt hat wohl deine letzte Stunde geschlagen. – Nun, John, laß uns einmal eine Probe deiner Kraft sehen, von der man so viel erzählt. Nimm den großen Hammer dort und schlage damit diesen Block entzwei, mit dem wir uns schon seit zwei Wochen vergebens herumplagen. Es wird nicht leicht sein die Nuß aufzuknacken, aber es ist wohl der Mühe wert.«
»Ich will thun was ich kann,« versetzte ich, Rock und Weste abwerfend, als gelte es einen Ringkampf, »nur fürchte ich, der Stein ist mir zu hart.«
»Natürlich, ich sag' es ja,« rief Carfax; »den Block zerbrechen kann nur ein Mann aus Cornwall, aber einer der tüchtige Knochen hat und nicht so klein ist wie ich.«
»So, meint Ihr? Na, ich will mich nicht rühmen, aber mit den Leuten aus Cornwall hab' ich's schon öfters aufgenommen. Zerschlage ich aber den Stein, so muß ich auch meinen Anteil von dem Golde haben, das er enthält.«
»Du glaubst wohl, das Gold wird herausfallen, wie der Kern aus der Nuß?« fragte Onkel Ruben spöttisch. »Mach' nur keine Umstände, ich weiß, du kannst ihn zerbrechen, wenn du willst, obgleich du nur aus Somerset stammst.«
Um der Ehre unserer Grafschaft willen und auch Onkel zu Liebe machte ich mich ans Werk. Erst besah ich den Block bei Fackelschein; er flimmerte wohl hier und da ein wenig, unterschied sich aber sonst nicht von dem übrigen Felsgestein. Ich ergriff nun den Hammer, schwang ihn hoch über meinem Kopf und ließ ihn mit voller Wucht auf den Block niedersausen. Laut hallte es von den Felsen wieder und alle Arbeiter kamen herbeigelaufen, aber der Stein war unversehrt. Zum zweitenmal schlug ich aus Leibeskräften zu, allein wiederum vergebens. Carfax lachte, Onkel Ruben machte ein höchst verdrießliches Gesicht und die Bergleute triumphierten.
»Mein Werkzeug ist zu leicht,« sagte ich, ließ mir einen Strick geben und band die drei größten Schmiedehämmer fest zusammen. Wie der Krieger seine Streitaxt, schwang ich die gewaltige Waffe nun ein paarmal über meinem Kopf im Kreise herum. Dann holte ich weit aus und ließ sie mit aller Macht auf das Felsstück niederschmettern. Krachend barst es auseinander und funkelnde Goldadern glänzten an den Bruchstellen.
»Was sagt Ihr dazu, Simon Carfax?« rief Onkel und rieb sich vergnügt die Hände, »seht Ihr, daß ich recht hatte!«
»Ja, ja, er hat seine Sache ziemlich gut gemacht,« brummte dieser. »Vorwärts, Ihr Leute, schafft die Stücke in unsere Stampfmühle.«
Es freute mich, daß ich ihnen hatte nützen können. Der Block war zu breit gewesen, um ihn durch den Gang zu ziehen, und sie waren außer stande ihn zu zerkleinern. Jetzt ließ er sich leicht fortschaffen, und jedes Bruchstück ward sorgfältig aufgelesen.
»Zum Dank dafür, daß du uns den Gefallen gethan hast, will ich dir jetzt unser wunderbares Geheimnis enthüllen,« sagte Onkel Ruben zu mir, während die anderen um die Ecke verschwanden.
Ich wäre zwar gern so bald wie möglich wieder ans Tageslicht hinaufgestiegen, denn die ganze Sache ging weit über mein Verständnis, doch folgte ich ihm durch die gewundenen Gänge, bis wir an einen freien Platz gelangten. Hier war ein seltsames Ungeheuer aufgestellt, das wie eine riesige Kaffeemühle aussah, die mittelst einer Winde in Bewegung gesetzt wurde.
»Laßt die Leute eine Ladung Steine aufschütten und die Kurbel einmal herumdrehen, damit John einen Begriff davon bekommt,« wandte sich Onkel Ruben an Carfax.
»Um diese Tageszeit? Das haben wir doch noch nie gethan,« murrte der Bergmann, schickte sich jedoch gleich an, der Weisung zu gehorchen. Er schüttete einen Korb voll von dem Gestein in den oberen Behälter, worauf etwa ein halb Dutzend Leute das Rad zu drehen begannen. Ein so entsetzliches Getöse, wie nun entstand, hatte ich mein Lebtag nicht gehört, ich wünschte mich meilenweit weg und hielt mir die Ohren zu.
»Genug für jetzt,« rief Onkel; »unser guter Block kommt erst heute abend an die Reihe, wenn der Teufel seine nächtliche Arbeit beginnt. Du darfst von alledem kein Wort verraten, John; hörst du aber künftig in der Dämmerung unsere Mühle knarren, so weißt du, was es bedeutet.«
Sie hatten das wirklich sehr klug eingerichtet, um sich vor der Zudringlichkeit Unberufener zu schützen. Wer in der Dunkelheit den furchtbaren Ton über Sumpf und Moor schallen hörte, dachte gewiß nicht daran näher zu gehen, sondern floh den unheimlichen Ort, so rasch ihn seine Füße trugen.
Es ging wohl schon von altersher die Sage, man habe in den Bergen von Exmoor das Gold klumpenweise gefunden, aber so tief in der Erde danach zu graben, schien mir ein gefährliches und gottloses Beginnen. Herr Huckaback gab auch zu, daß er und seine beiden Geschäftsteilhaber bis jetzt mehr Gold in die Grube gesteckt als herausgeholt hätten. Doch rechnete er sicher darauf, in kurzer Frist seine Auslagen hundertfach vergütet zu erhalten.
Daß die Goldgrube bisher unentdeckt geblieben war, verdankten sie zum Teil der abergläubischen Furcht, die in der Gegend herrschte, zum Teil ihrer eigenen Vorsicht. Nur bei Nachtzeit hatten sie die Vorräte und Werkzeuge, deren sie bedurften, herbeigeschafft und alles Gestein, das aus dem Bergwerk gefördert werden mußte, in den Sumpf versenkt. Überdies hielt die Angst vor den Doones und Gerüchte von einem nahen politischen Aufstande alle Gemüter in Spannung, und zu müßiger Neugier war keine Zeit. Einmal wäre jedoch Hauptmann Stickles ihrem Treiben fast auf die Spur gekommen. Kurz vor dem verunglückten Angriff auf das Doonethal durchforschte er nämlich mit seinen Musketieren die ganze Umgegend. Er gelangte auch an den Teufelssumpf und würde die Einfahrt in den Schacht sicherlich entdeckt haben, wäre nicht Simon Carfax von den aufgestellten Wächtern noch rechtzeitig gewarnt worden. Er ließ das Loch zudecken und mit Ginster und Heidekraut verkleiden, auch jede verräterische Spur beseitigen, worauf er sich in einer Felsenspalte verbarg und sah, wie die Reiter vorbeitrabten, ohne Argwohn zu schöpfen.
Auf Lornas Verschwiegenheit konnte ich mich fest verlassen, und so erzählte ich ihr denn bei der Heimkehr alle meine Erlebnisse im Innern der Erde. Sie hörte mir staunend zu und verlangte besonders, mehr von Simon Carfax zu erfahren.
»Er muß der Vater unserer Gwenny sein,« rief sie, »von dem sie sagt, er sei in einer Grube verschwunden und nie wieder zum Vorschein gekommen. Ich will nur hoffen, daß er sein Kind nicht absichtlich ausgesetzt hat.«
Sie wünschte die Sache ohne Aufschub ergründet zu sehen; so begab ich mich denn, trotz meiner Scheu vor jener dunkeln Unterwelt, einige Tage später noch einmal in das Bereich der Goldgräber, bestieg den engen Eimer und ließ mich in die Tiefe nieder. Da man wußte, daß ich Herrn Huckabacks Verwandter war, der vielleicht später sein Erbe wurde, wehrte man mir die Einfahrt nicht; auch hatte ich mir durch meine neuliche Kraftprobe an dem Felsblock ein Recht dazu erworben. Carfax, der die Aufsicht im Bergwerk führte, kam mir unten entgegen und fragte nach meinem Begehr. Er trug einen losen Sack um die Schultern und sein Bart war wohl zwei Fuß lang.
»Ich habe mit Euch zu reden, Carfax,« sagte ich so streng ich konnte, denn der Mann war im Grunde nur meines Onkels Diener und hatte mir bis jetzt wenig Ehrerbietung gezeigt. »Habt Ihr nicht aus Cornwall ein kleines Mädchen, Namens Gwenny, mitgebracht und sie in der Wildnis ausgesetzt, wo sie hätte verschmachten müssen?«
Er zitterte am ganzen Leibe und starrte mich mit seinen glanzlosen Augen an. »Gwenny war meine Tochter, Herr, das letzte von fünf Kindern, das mir geblieben,« erwiderte er mit bebender Stimme. »Gern gäbe ich alles Gold her, das ich hier zu gewinnen hoffe, wenn ich sie wieder hätte.«
»Ihr sollt sie haben, und zwar ganz umsonst, sobald ich weiß, daß Ihr sie nicht absichtlich verlassen habt.«
»Ich, Gwenny verlassen!« rief er außer sich vor Entrüstung. »Der Kummer um sie hat mir schier das Herz gebrochen. Man sagte mir, sie sei in den Schacht gestürzt und tot und begraben. Die verfluchten Schurken haben mich betrogen.«
Der Mann mußte sich an die Felswand lehnen, so groß war seine Erschütterung. Sobald er sich wieder gefaßt hatte, zögerte er jedoch keinen Augenblick mich zu begleiten. Zu Hause angekommen, führte ich ihn in den Kuhstall und schickte Gwenny zu ihm. Das Wiedersehen zwischen Vater und Tochter zu schildern vermag ich nicht. Jedenfalls war die Freude groß und es dauerte lange, bis sie heraus kamen, mir ihren Dank zu sagen.
Carfax war so wütend über den abscheulichen Streich, der ihm gespielt worden war, daß er am liebsten mit dem ganzen Unternehmen nichts mehr zu thun haben wollte. Das wäre aber ein großer Schaden für Onkel Ruben gewesen, den ich ihm ganz gegen meine Absicht zugefügt hätte. Die Teilhaber an dem Geschäft hatten nämlich den Bergmann, der wegen seiner Kenntnis der Metalle berühmt war, aus Cornwall verschrieben, aber daß er sein Töchterchen mitbrachte, war ihnen durchaus nicht angenehm. Er gedachte das Kind bei Leuten in der Nachbarschaft in Pflege zu geben, was man jedoch zu hindern suchte, weil dadurch das Geheimnis leicht verraten werden konnte. Unter dem Vorwand, seine Ankunft zu feiern, machte man ihn sinnlos betrunken, so daß er dreimal vierundzwanzig Stunden lang alles um sich her vergaß. Als er endlich wieder nüchtern geworden war, fragte er gleich nach Gwenny und suchte allenthalben nach ihr mit Weinen und Klagen. Das ward seinen Kameraden bald unbequem, und da niemand wußte, wo das Kind hingeraten war, schworen sie allesamt, es sei im Schacht verunglückt – was leicht hätte geschehen können – man habe es unten tot gefunden und begraben, es sei nun nicht mehr zu ändern und er solle sich's aus dem Sinn schlagen.
Das alles erzählte mir Carfax mit Thränen in den Augen und dankte mir immer von neuem, daß ich ihm sein Kind zurückgegeben hätte, was doch durchaus nicht mein Verdienst war. Er versicherte, er habe seitdem keinen Tropfen mehr über die Lippen gebracht, denn der Branntwein sei schuld an seinem ganzen Unglück. Auch bestand er streng darauf, daß die andern Bergleute keinerlei geistige Getränke zu sich nahmen, und dies erwies sich als das beste Mittel, die Arbeit ruhig und stetig zu fördern und vor jedermann geheim zu halten.