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An Stelle des kranken Stickles hatte Feldwebel Bloxham, der älteste der überlebenden Musketiere, deren Führung übernommen. Er hielt es für seine Pflicht, von allem was sich zugetragen durch die beiden Boten einen dienstlichen Bericht nach London zu schicken, in welchem er die Verwundung seines Vorgesetzten meldete und dringend bat, man möchte eine Abteilung Truppen mit einem kriegstüchtigen Führer nach Exmoor entsenden. Drei Nächte lang saß er beim Schein unserer Stalllaterne wach, um das Schriftstück zu verfassen, denn Oberst Stickles sollte nichts davon wissen, weil es ihm bei seinem leidenden Zustand schaden konnte. Er erfuhr es aber trotzdem durch Lieschens Unvorsichtigkeit, und die Aufregung verschlimmerte sein Fieber so sehr, daß wir vierzehn Tage lang nicht wußten ob er leben oder sterben würde. Dann ließ jedoch die Entzündung nach.
Der Bericht wurde von allen bewundert, denen der Feldwebel ihn vorlas; auch Lieschens Urteil darüber wünschte er zu vernehmen, wegen ihrer Bücherkenntnis. Sie saß auf einem Holzblock, hörte eifrig zu, verbesserte dann und wann ein Sätzchen und lobte zuletzt das Ganze nach Stil und Inhalt mit so feurigen Worten, daß Bloxham seine Pfeife ausgehen ließ und sich sterblich in Lieschen verliebte.
Die Boten des Kanzleigerichts wären gern noch länger bei uns geblieben, da ihnen unsere Kost vortrefflich bekam, aber der Feldwebel hatte Eile seinen Bericht abzuschicken und duldete keine Verzögerung. So reisten sie denn am vierten Tage nach London zurück und nahmen auf den Weg einen Korb voll Eßwaaren mit, den Annchen für sie gepackt hatte.
Da man nicht wissen konnte wie bald das Gericht Lorna unserer Obhut entreißen würde, machte ich mich eines Tages auf, um nach Watchett zu reiten, wo Benita wohnte. Der Doones wegen war ich unbesorgt, denn man sagte, sie hätten Furcht vor mir, seit ich mit ihrer Kanone das Eichenthor eingeschlagen; auch glaubten sie, ich müsse kugelfest sein, weil ich trotz meiner Breite und Größe unverletzt aus dem Feuer gekommen war. Nur Carver Doone teilte schwerlich solche abergläubischen Vorstellungen; zum Kampf mit ihm mußte ich mich daher stets bereit halten.
Unterwegs ging mir Lornas Geschichte vielfach im Kopf herum und ich begriff jetzt manches, was mir früher dunkel gewesen war. Sir Ensors Gleichgiltigkeit gegen Lornas Heirat mit einem niedern Freisassen, zum Beispiel, kam mir nicht mehr so wunderbar vor, seit ich wußte, daß sie gar nicht seine Enkelin war, sondern aus der Familie seines Todfeindes stammte. Vermutlich hatten die Doones das Kind geraubt und erzogen, um später durch eine Heirat das Vermögen der reichen Erbin in ihren Besitz zu bekommen. Seit Lorna mir ganz vertraute, hatte sie von manchem Freier erzählt, den man ihr aufdringen wollte, bis zuletzt Carver Doone, von ihrer Schönheit entzückt, alle andern Bewerber zurückdrängte. Zur Ehe zwingen durfte sie aber niemand, denn durch eine Gewaltthat wären die Doones des Anspruchs auf Lornas Besitzungen verlustig gegangen, der vor Gericht geltend gemacht werden mußte.
Bei meiner Ankunft am Strande mußte ich lange an der Thür der kleinen Schenke klopfen, bis endlich eine Stimme durch das Schlüsselloch fragte, wer draußen sei und Einlaß begehre.
»Der Knabe, den Ihr an der Pumpe traft, als die Kutsche in Dulverton zusammengebrochen war,« sagte ich. »Ihr verspracht, ihn einmal in Oare zu besuchen.«
»Das liebe Bübchen, mit der schönen, weißen Haut? Ich entsinne mich seiner gut. Wie oft habe ich gewünscht es wiederzusehen!«
Sie öffnete die Thür bei diesen Worten und prallte erschrocken zurück. Das Bübchen war gar zu groß geworden.
»Ihr könnt unmöglich mein kleiner Freund von damals sein. Weshalb wollt Ihr mich täuschen?«
»Wißt Ihr noch wie ich Euch Wasser pumpen mußte, bis das Glas ganz beschlagen war? – Ich bin das Bübchen von damals und komme, Euch Nachricht von Eurem kleinen Fräulein zu bringen.«
»So tritt nur ein, du großes kleines Bübchen,« sagte sie und sah mich mit ihren dunkeln Augen forschend an. Sie war sehr stark geworden, aber ihre hübschen klugen Züge kamen mir doch bekannt vor. Eine Weile betrachteten wir einander, dann zweifelten wir nicht länger.
Sobald mich Frau Benita Odam, das war jetzt der Name der Italienerin, mit Speise und Trank gestärkt hatte, nahm sie mir gegenüber am Tische Platz. Ich brachte das Gespräch auf unsere erste Begegnung und die Unglücksnacht, die derselben gefolgt war, worauf mir Benita, überwallend von Zorn und Entrüstung, wie das ihre südliche Natur mit sich brachte, fast dieselbe Geschichte erzählte, die Stickles aus ihrem Mund gehört hatte, nur verweilte sie länger bei der armen Mutter und ihrem Knaben und sprach mit besonderer Zärtlichkeit von dem kleinen fünfjährigen Mädchen, weil sie sah, mit welchem Anteil ich ihren Worten folgte.
»Würdet Ihr das Kind wohl noch erkennen, nun es ein großes Fräulein geworden ist?« fragte ich.
»Ich sollte denken ich müßte mein Schwarzauge wiedererkennen. O, das arme kleine Ding! Haben es die Unmenschen denn nicht aufgefressen, lebt es wirklich noch?«
»Es lebt, und ist jetzt eine wunderschöne junge Dame. Laßt mich diese Nacht unter Euerm gastlichen Dache schlafen, Frau Benita, und kommt morgen mit mir nach Oare, so will ich Euch zu ihr führen.«
Benita hatte große Angst vor der Reise und ihren Gefahren, doch ich sprach ihr Mut ein, und der Wunsch, das schöne Fräulein zu sehen, besiegte endlich ihre Bedenken. Von Herrn Odams Seite fürchtete ich keinen Einspruch und ging daher nach Watchett hinunter, um ein Gefährt für den folgenden Tag zu mieten. Zugleich gedachte ich die letzte Ruhestätte der Gräfin Dugal aufzusuchen, so hieß Lornas unglückliche Mutter. Einen Wagen fand ich leicht, aber das Grab konnte mir keiner zeigen.
Graf Dugal hatte sein Schloß bei Watchett nie bewohnt, es war ihm durch Erbschaft zugefallen und nach seinem frühen Hinscheiden von einem Seitenverwandten in Besitz genommen worden. Die Plünderung und der Tod der vornehmen Dame hatten damals natürlich große Aufregung in der Nachbarschaft hervorgerufen, doch war absichtlich die Kunde verbreitet worden, sie sei eine reiche Ausländerin, die aus Gesundheitsrücksichten die Küste Englands bereise. Ob ihre englischen Diener von dem neuen Schloßbesitzer bestochen worden waren, um die Wahrheit nicht zu enthüllen, oder ob sie aus Angst die Flucht ergriffen hatten, erfuhr niemand. So geschah es denn, daß die arme Gräfin mit ihren Kindern, angesichts ihres stolzen Herrenhauses, in ein unbekanntes Grab gelegt wurde. Kein Denkmal bezeichnete die Stätte, kein Mensch außer der armen italienischen Dienerin weinte ihr eine Thräne nach. Wahrlich ein trauriges Geschick.
Hätte ich Benita von meinem Vorhaben unterrichtet, und mich nicht darauf verlassen, daß man mir in Watchett Auskunft geben könne, ich würde das Grab ohne Schwierigkeit gefunden haben. Die Leute, denen ich begegnete, kannten mich aber alle, von den letzten Ringkämpfen her, und es lag ihnen offenbar weit mehr daran, den großen, starken John Ridd zu sehen und zu begaffen, als ihm zu zeigen was er sehen wollte. Sie nahmen mich jubelnd in ihre Mitte, zogen mit mir in allen Wirtshäusern herum und ich mußte mit ihnen auf das Wohl der Grafschaft Somerset trinken, bis ich ganz matt und müde wurde trotz der hohen Ehre. Auch ließ sich ihre Einladung zu Tische nicht gut ausschlagen, und ich aß und trank auf ihre Kosten, wiewohl ich wußte, daß Frau Odam eine Wildente für mich gebraten hatte.
Unmöglich konnte ich jedoch zu meiner Lorna zurückkehren und ihr sagen, daß die Bewohner von Watchett mir keine Zeit gelassen hätten, meinem Versprechen gemäß nach dem Grabe ihrer Mutter zu suchen. Ich bat daher Benita, mir die Stelle genau zu beschreiben, und begab mich am nächsten Morgen schon vor Sonnenaufgang nach dem Friedhof. In dem entlegensten Winkel, von einer Trauerweide beschattet, fand ich den kleinen grasbewachsenen Hügel, unter dem die letzten Sprossen – wie man glaubte – eines hochedlen Geschlechtes ruhten. Nichts sprach hier von Rang und Reichtum, kein Leichenstein war ihnen von liebender Hand gesetzt worden, nicht einmal aus Mitleid hatte man ihr Andenken gepflegt. Ein einfaches L. D., vielleicht von Meister Odams Hand kunstlos in einen unbehauenen Stein geschnitten, war die ganze Inschrift.
Ich pflückte einen kleinen Weidenzweig vom Grabe, um ihn Lorna zu bringen, und kehrte damit nach Benitas einsamem Gasthaus ›zur Wildkatze‹ zurück.
Wie wir verabredet hatten, ward die Fahrt gleich nach dem Frühstück angetreten. Wir saßen zu dreien in dem Gefährt und Benita hielt ihr Kleinstes auf dem Schoß. Die Frau des Fuhrmanns hatte versprochen unterdessen für das Geschäft und die übrigen Kinder zu sorgen.
Wir kamen ohne Unfall über das Moor und erreichten noch vor Dunkelwerden Plover Barrows. Die erste, die uns am Hofthor entgegenkam, war zufällig Lorna selbst. Sie trug an dem warmen Sommerabend ein leichtes weißes Kleid und das schöne Haar floß ihr in dunkeln Wellen über die Schultern. Freudig lief sie auf das Fuhrwerk zu, doch plötzlich stand sie still und schaute Benita an. Ihre frühere Wärterin hatte sie auf den ersten Blick erkannt: »O diese Augen, diese Augen!« rief sie und war mit einem Sprung auf dem Boden. Als Lorna aber noch immer verwundert und zweifelnd dastand, raunte ihr Benita ein paar Worte auf Italienisch zu und bewarf sie dabei wie im Kinderspiel mit einer Handvoll Heu aus dem Wagen. Da fiel es meinem Lieb wie Schuppen von den Augen: »Nita, Nita!« rief sie und sank ihr weinend an die Brust.
Nach diesem Wiedersehen, das war ich fest überzeugt, würde es keine Schwierigkeit mehr haben Lornas hohe Abkunft und Geburtsrecht durch Zeugenaussage und Indicienbeweis festzustellen. Das Halsband war zwar fort – durch Annchens Weisheit – aber wir hatten den schweren Goldreif noch, meinen Verlobungsring, den Benita sofort wiedererkannte, denn die Wildkatze auf demselben war das Wappen der Grafen von Lorne.
Lornas Vater war zwar ein Edelmann von reinstem Blut, aber ihre Mutter kam doch aus einem noch weit älteren und berühmteren Geschlecht; sie stammte in gerader Linie von den mächtigen Häuptlingen des Hauses Lorne, die den Königen von Schottland mehr als einmal die Spitze geboten hatten. Durch Hader und Zwist in der eigenen Familie hatten sie sich allmählich um ihre Herrschaft gebracht, denn ihr heißes Blut und ihr ungefüger Wille duldeten keinen Widerspruch. Die Doones, welche von mütterlicher Seite her mit den Grafen von Lorne verwandt waren, besaßen große Güter als sogenannte Kunkellehen mit ihnen gemeinsam, hatten sich jedoch mit dem vorletzten Grafen, dessen Tochter Sir Ensors Gattin war, aufs heftigste entzweit. Den eigentlichen Grund ihrer Fehde und alles Für und Wider habe ich nie recht verstehen können, ein Rechtsanwalt wäre vielleicht klug daraus geworden. Genug, daß die Doones wußten, Lorna sei die letzte rechtmäßige Erbin der großen Besitzungen und darauf ihre Pläne gründeten. Zum Glück war noch eine ebenbürtige Nebenlinie vorhanden, sonst hätten sie das Kind wohl ohne weiteres, um es aus dem Wege zu räumen, den Wasserfall hinuntergeworfen. Sie selbst hatten ihren Anspruch eigentlich verwirkt, als sie in die Acht erklärt wurden. Heiratete aber Lorna einen der Ihrigen, so hofften sie ihre Schandthaten mit Geld abkaufen zu können und einen Gnadenbrief zu erlangen. Welch' ein Triumph über den alten Grafen, wenn ein verhaßter Doone sein Nachfolger wurde!
Natürlich gingen uns alle diese Dinge sehr im Kopf herum, aber ehe wir noch Zeit hatten mit uns ins reine zu kommen, was nun geschehen sollte, nahm ein anderes wichtiges Ereignis unsere ganze Aufmerksamkeit in Anspruch. Ich meine Annchens Hochzeit mit Tom Faggus. Wir hatten den Tag immer wieder hinausgeschoben, da wir, trotz der unleugbaren Vorteile, die Heirat nur sehr ungern sahen. Zwar Toms frühere Übertretungen des Gesetzes, seine Räubereien auf der Landstraße, trugen wir ihm nicht nach. Das alles war durch des Königs Gnadenbrief und die Hochachtung, welche er jetzt in der ganzen Umgegend genoß, reichlich wieder gut gemacht. Unser Bedenken war nur, ob er auch in Zukunft seinen Vorsätzen treu bleiben und sich der Mäßigkeit befleißigen werde. Sollten wir ein so liebes, munteres und hübsches Mädchen wie unser Annchen, die sich überall nützlich machte und sogar fünfhundert Pfund besaß, an einen Mann wegwerfen, der zum Trunk neigte? Das wäre doch jammerschade. Wenn man in Annchens Gegenwart auch nur ein Wort hiervon fallen ließ, geriet sie außer sich vor Entrüstung und fragte mit glühenden Wangen, ob man etwa Tom Faggus schon einmal betrunken gesehen habe. Nach seiner schweren Arbeit und dem weiten Ritt über die Berge, könne man ihm doch die paar lumpigen Gläser, die er zur Stärkung brauche, wohl gönnen. Sie ließ uns gar nicht ausreden und wollte keine Vernunft annehmen.
Einmal kam Faggus wieder angeritten und setzte uns förmlich die Pistole auf die Brust. »Keine Ausflüchte mehr,« rief er, »entweder – oder. Ich liebe das Mädchen und sie liebt mich. Wir heiraten einander mit Eurer Erlaubnis oder gegen Euern Willen. Sprecht ja oder nein, daß ich weiß, woran ich bin.«
Ich sah Mutter an. Auf einen Wink von ihr wäre Faggus zum Fenster hinausgeflogen, aber sie hielt mich zurück. »Du hast allen Grund dich zu beklagen, Tom, das gebe ich zu,« sagte Mutter. »Laß mich ganz offen mit dir reden, das wird am besten sein. Wir haben an deiner Verbindung mit Annchen nie rechte Freude gehabt, mein Sohn und ich; nicht sowohl um deiner Vergangenheit willen, als weil uns für die Zukunft bangt. – Einen Augenblick Geduld – höre mich ruhig an. Daß du dein altes Leben auf der Landstraße wieder aufnehmen wirst, fürchten wir nicht; wohl aber, daß du dich dem Trunke ergibst und dein Weib unglücklich machst. Es wird mir schwer, dir das hier in meinem eigenen Hause zu sagen, während unser –« Mutter stockte.
»Unser Bier und Most und Branntwein auf dem Tische steht« fiel ich ein; »sage es ihm nur gerade heraus, Mutter; wir Ridds halten nicht hinter dem Berge.«
»So ist es, Tom, und du weißt wie gern ich dir davon gönne soviel du magst.«
Wäre ich an seiner Stelle gewesen, ich hätte in einem Hause, wo man mir so etwas zu bieten wagte, kein Glas wieder angerührt, nicht ein Tropfen würde mehr über meine Lippen gekommen sein. Aber Tom trug einem nichts nach.
»Freilich, gute Mutter,« sagte er lächelnd, »ich weiß, Ihr gebt es mir gern, darum will ich mir gleich wieder einschenken.«
Er mischte sich einen sehr schwachen Grog, und Mutter und ich mußten ihm noch zureden, das Getränk doch stärker zu machen.
»In der ganzen Christenheit gibt es keinen so nüchternen Menschen wie mich,« rief er, unserer Aufforderung Folge leistend. »Sagen wir morgen in acht Tagen, Mutter, das paßt wegen Eurer Wäsche.«
»Wie rücksichtsvoll du bist, Tom. An so etwas hätte John niemals gedacht.«
»Gewiß nicht,« erwiderte ich stolz; »wenn ich mit Lorna Hochzeit halte, frage ich nicht erst bei Betty Maxworthy an, ob ihr der Tag auch recht ist.«
Tom Faggus hatte also sein Stück wirklich durchgesetzt und die Vorbereitungen zur Hochzeit wurden getroffen. Das ganze Kirchspiel geriet in Aufregung, denn Annchen war durch ihre Güte und Schönheit der Liebling aller Welt geworden. Mit den Geschenken, die man ihr aus der Umgegend darbrachte, hätte man einen großen Laden ausstatten können. Stickles, der jetzt wieder gehen konnte und seine Genesung nächst Gottes Gnade hauptsächlich Annchens treuer Pflege verdankte, hatte für sie eine großmächtige Bibel mit Silberbeschlägen aus Taunton verschrieben, wie der Pastor selbst keine besaß. Sogar die Musketiere legten von ihrem Sold soviel zusammen, um ihr einen silbernen Bierkrug zu kaufen, zum Dank für die gute Verköstigung, ein Geschenk, das dem Bräutigam wohl besser gefallen mochte als der Braut.
Da kam Lorna zu mir mit feuchten Augen und bittendem Blick. Sie legte ihre kleine Hand in die meinige, als wollte sie mir etwas sagen und scheute sich doch zu reden.
»Was fehlt dir, mein Herz?« fragte ich, ihre Erregung bemerkend.
»Lieber John, könntest du mir wohl etwas Geld leihen?«
»Alles was ich besitze – wie viel brauchst du denn?«
»Ich habe es mir hin und her überlegt,« erwiderte sie, »aber unter zehn Pfund darf es nicht sein.«
Sie sah mich ganz erschrocken an, was ich zu einer so großen Forderung sagen würde. Um sie ein wenig zu necken versetzte ich mit ernster Miene: »Zehn Pfund? Was willst du mit zehn Pfund anfangen, Kind?«
»Das ist meine Sache,« entgegnete sie, allen Mut zusammennehmend; »wenn eine Dame einen Herrn um ein Darlehen bittet, darf er nicht forschen, wozu sie es braucht.«
»Kann sein, kann aber auch nicht sein,« sagte ich bedächtig. »Du sollst zehn Pfund haben oder meinetwegen zwanzig, aber ich will wissen zu welchem Zweck.«
»Nein, das erfährst du nicht. Hätte ich dich nur gar nicht darum gebeten. Du lieber Himmel, es kommt ja nichts darauf an.«
»Doch, es kommt viel darauf an und ich durchschaue alles. Du willst unserm Annchen ein Hochzeitsgeschenk machen, obgleich du durch ihre Einfalt hunderttausend Pfund eingebüßt hast und sie, Gott sei's geklagt, früher heiraten wird als wir, was einer jüngeren Schwester schlecht ansteht. Aber du sollst deinen Willen haben, weil es gar so lieb und gut von dir ist. Du bist ein vornehmes Edelfräulein und lässest dich so freundlich zu uns einfachen Leuten herab. Wir sind viel zu gering für dich, und eines Tages wirst du fortgehen und uns verachten.«
»Sprich doch nicht so, John. Ich werde auf alles Verzicht leisten, was sich zwischen uns stellt.«
»Glaube mir, das kannst du nicht.«
»Aber ich will und werde es thun. – Sage mir nur, was soll ich Annchen schenken? Nichts ist mir gut genug für sie. Ich habe sie von ganzem Herzen lieb, und wie wird sie mir fehlen! – Denkst du denn wirklich, John, daß ich einmal sehr reich werden könnte?«
»Ohne allen Zweifel. Sonst würde der Lord-Kanzler sich schwerlich um dich bemühen.«
»O lieber John, wenn ich reich bin, dann leihe mir doch zwanzig Pfund. Ein Geschenk zu machen, das nur zehn Pfund kostet, wäre mir zu gering.«
Das versprach ich ihr unter der Bedingung den Einkauf selbst besorgen zu dürfen. Ich konnte sie dann leicht über den Preis täuschen, und das schien mir redlicher, als sie zu Gunsten meiner Familie auszubeuten. In Lornas Auftrag und um zahllose andere Besorgungen und Bestellungen zu machen, die ich kaum im Kopf behalten konnte, begab ich mich daher an einem der nächsten Tage nach Dulverton. Noch im letzten Augenblick fielen den Mädchen eine Menge ganz notwendiger Dinge ein, die ich ihnen durchaus mitbringen müsse. Sie kamen mir sogar mit Aufträgen nachgelaufen, als ich schon eine Strecke fortgeritten war.
Ich erklärte, ich würde mir alle Mühe geben, von ihrem Putz und Kram nichts zu vergessen. Auch sollte ich Onkel Ruben zur Hochzeit einladen und ihm vorstellen, daß er bei dem Fest um keinen Preis fehlen dürfe. Mutter hatte mir das ganz besonders eingeschärft, da es ihr von größter Wichtigkeit schien.