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Zweiunddreißigstes Kapitel.
Ein frohes und doch trauriges Wiedersehen.

Mein größter Wunsch war jetzt, wie sich jeder denken kann, sobald wie möglich Hochzeit zu halten, falls Lorna sich damit einverstanden erklärte. Daß ich bei fleißiger Arbeit mit dem Ertrag des Gutes die ganze Familie ernähren konnte, bezweifelte ich keinen Augenblick. Annchen würde ja ohnehin bald heiraten, und vielleicht fand über kurz oder lang auch jemand Gefallen an Lieschen, die sich in letzter Zeit recht hübsch entwickelt hatte.

›Viel Schnee, viel Heu,‹ sagt das Sprichwort und ›Schnee-Jahr, reich' Jahr,‹ deshalb durften wir wohl auf gute Einkünfte hoffen. Wir hatten freilich viel Vieh verloren, aber das überlebende war ungeheuer im Preise gestiegen. Murrten wir auch im Herzen oft über schwere Zeiten, so fragt es sich doch noch sehr, ob wir durch den harten Winter nicht alles in allem wohlhabender und klüger geworden waren. Auch glücklicher möchte ich sagen, wenn uns die Not unserer Nachbarn nicht arg bekümmert hätte: den Snowes waren sämtliche Schafe gestorben und ihre Rinderherden bis auf den zehnten Teil zusammen geschmolzen; Jasper Kebby aber hätte vielleicht ins Gefängnis wandern müssen, wären wir ihm nicht bei dem Pachtzins zu Hülfe gekommen.

Von meiner Hochzeit mit Lorna wollte Mutter einstweilen nichts hören, weil sie viel zu jung sei. Ich sah ja auch selbst, daß sie an Wuchs und Gestalt noch immer schöner wurde, was ich kaum für möglich gehalten hätte. Auch der Unterschied in der Religion machte Mutter mancherlei Bedenken. Ich nahm das weniger schwer. Wir glaubten ja beide, daß Gott unser Vater sei, und es schien mir kein großes Unglück, wenn Lorna dies auf Lateinisch bekannte. Sie kam mit in unser Kirchlein, als Pastor Bowden zum erstenmal wieder den Gottesdienst hielt, der während der Wassersnot ausgesetzt werden mußte. Es gefiel ihr sehr gut und die Thränen traten ihr in die Augen, bei der Erinnerung an ihre Tante Sabine und die kleine entlegene Kapelle, zu der sie oft mit ihr gewandert war, bis sie zu schwach und krank wurde.

Die Kirche war bis zum letzten Platz gefüllt; von Nah und Fern strömten die Leute herbei in ihren Sonntagskleidern, denn Jakob, der schwatzhafter ist als die ärgste Klatschbase, hatte überall ausposaunt, das edle Fräulein Doone werde zugegen sein. Zum Glück ließ sich Lorna durch das Gaffen der Menge nicht stören, sie ahnte in ihrer angeborenen Würde nicht einmal, daß es ihr galt. Als der Gemeindegesang anhub, sah sie nicht auf, sondern ließ ihren Schleier herunter, der fast ihr ganzes Gesicht verdeckte. In Andacht vereint saßen wir neben einander, und dem lieben Gott hat es sicherlich nicht mißfallen.

Selbst unser guter Pastor war durch Lornas Anwesenheit ein wenig aus der Fassung gebracht. Eine so vornehme Dame, die obendrein meine Verlobte war, unter den Zuhörern zu haben, setzte ihn in nicht geringe Verlegenheit. Mit Hülfe des Küsters ging jedoch alles noch glücklich von statten. Mutter war nicht ganz zufrieden mit dem Lauf der Dinge, das bemerkte ich wohl. Sie hatte sich für diese besondere Gelegenheit durch Ruth Huckabacks Vermittlung einen Kopfputz in Dulverton besorgen lassen, mit einer Feder, wie man sie in Exmoor noch nie zuvor gesehen. Der Name des Vogels, von dem sie stammte, fängt mit einer Flamme an und flammend rot war auch die Feder selbst; Mutter glaubte, alle Welt müsse sie bewundern. Da dies aber nicht geschah, weil man, wie gesagt, anderweitig beschäftigt war, kam Mutter sehr mißvergnügt nach Hause, eilte gleich die Treppe hinauf und warf ihren neuen Putz in den Schrank, den sie schallend zuschlug.

Lorna sah uns erschrocken an – es mußte wohl irgend etwas verkehrt gegangen sein. »Was Mutter nur haben mag,« meinte Annchen, »sie war ganz zerstreut in der Kirche und hat nicht ein einziges Mal Amen gesagt. Sei nur ganz ruhig, liebe Lorna, du kannst nichts dafür. John wird wohl schuld daran sein, denn um ihn macht sich Mutter stets die meiste Sorge.« Das war ein wunder Punkt bei Annchen und häufig ein Anlaß für ihre Eifersucht.

»Sprich nicht von Dingen, die du nicht verstehst,« sagte ich, »diesmal bist du gänzlich im Irrtum. – Lorna, mein Herz, komm' mit mir.«

»Ja, geh' nur mit ihm, Lorna,« rief Lieschen und ließ die Unterlippe hängen, was ihr gar nicht schön steht. »Außer nach dir fragt ja John jetzt nach niemand mehr, und wer möchte es ihm verdenken?«

»Dummes Zeug,« versetzte ich nicht allzu höflich, denn ich sah, daß Lornas Augenlider bebten. »Kümmere dich nicht um ihr Gerede, mein Engel, und komm' mit mir.«

Mein Engel folgte mir seufzend, aber sie lächelte gleich wieder als wir allein waren.

Dergleichen kleine Eifersüchteleien lassen sich vielleicht nicht ganz vermeiden, wo so viele Frauenzimmer beisammen sind. Doch liebten und bewunderten alle meine Lorna und verdoppelten nach solchem Auftritt ihre Freundlichkeit gegen sie. Sie besaß ein so feines richtiges Gefühl, daß sie die geringste Kränkung gewiß tief empfand, aber sie ließ nichts davon merken und trug niemand etwas nach.

Schon früher habe ich erwähnt, daß die kleine Ruth Huckaback uns ihren Besuch zugesagt hatte, sobald sie zu Hause abkommen könne. Sie war das letzte Mal in Unmut von uns geschieden und Mutter wünschte sehr, das gute Einvernehmen mit ihr wieder herzustellen, damit die arme gute Ruth (die eine so reiche Erbin war) uns nicht ganz entfremdet würde. Es sei Christenpflicht zu vergeben und zu vergessen; auch könne Ruth sich uns auf mancherlei Art nützlich machen.

Da wir nun keinen Angriff mehr zu befürchten hatten und die Schramme auf meiner Stirn fast geheilt war, forderte mich Mutter zu wiederholten Malen auf, in Dulverton einen Besuch zu machen, Ruth wieder mit uns auszusöhnen und bei der Gelegenheit die flammende Feder zu bezahlen, die ich vorhin erwähnt habe. Dieser Auftrag kam mir nicht unwillkommen, weil ich gern eine ähnliche Feder, vielleicht purpurfarben, für Lorna gekauft hätte; Purpur ist ja die königliche Farbe, und Lorna war von Rechts wegen eine Königin.

So ritt ich denn an einem schönen Frühlingsmorgen, wohlbewaffnet und mit Mundvorrat versehen, bei Vogelgezwitscher und Blumenduft ins Land hinaus. Unterwegs hatte ich meine helle Freude an der Schöpfung, die in Glanz und Schönheit prangte; ich kann mich nie satt sehen an ihren Werken und schon beim Anblick eines grünenden Weizenfeldes geht mir das Herz auf.

Als ich in Dulverton einritt und bald darauf an Herrn Huckabacks Thür klopfte, war die Mittagsstunde nicht mehr weit. Ruth öffnete mir selbst und die Röte stieg ihr in die Wangen sobald sie mich gewahrte. Was für hübsche treuherzige Augen das kleine Ding hatte. Wahrhaftig, wäre Lorna nicht die unbestrittene Herrin meines Herzens gewesen, (der Ruth auch nicht das Wasser reichte) vielleicht hätte die alles ausgleichende Natur an uns einmal wieder die alte Erfahrung bestätigt, daß der Riese die Zwergin liebt.

Mutter hatte mir noch beim Abschied auf die Seele gebunden, ich solle thun was ich könne, damit Ruth uns wieder freundlich gesinnt sei. Deshalb schlang ich bei der Begrüßung den Arm um sie und gab ihr einen herzhaften Kuß. Es war nur eine verwandtschaftliche Regung, aber als ich merkte, daß die kleine Base tief errötete und ohne sich zu sträuben mich mit glückseligen Blicken ansah, erschrak ich, als hätte ich ein Unrecht begangen, denn Ruth wußte noch kein Wort von meiner Lorna.

Sie führte mich in die Küche, wo alles blitzblank gescheuert war, und während sie zwischen den Töpfen und Pfannen herumhantierte, versicherte sie mich immer wieder, wie sehr sie sich freue, daß ich gekommen sei. Mehrmals suchte ich ihr zu erklären, wie die Sachen in Plover Barrows ständen; ich erzählte von dem feindlichen Angriff, und daß wir die Doones zurückgeschlagen hätten, ihre Königin aber noch in unserer Mitte weile. Aber Ruth begriff den Zusammenhang der Dinge nicht, sie verwechselte Lorna mit Gwenny Carfax und erkundigte sich nur, wie sich Sally Snowe befände. Ich wußte mir nicht zu helfen und meine leisen Andeutungen über Lorna blieben der kleinen Base unverständlich, besonders weil sie dabei eifrig beschäftigt war das Mittagessen zu bereiten. Ruth gehörte eben zu den Mädchen, die so viel praktischen Geschäftssinn haben, daß sie sich von allem selbst überzeugen müssen, und nur glauben, was sie mit eigenen Augen gesehen haben.

Ich erkundigte mich nun, was aus Onkel Huckaback geworden sei, von dem wir seit undenklichen Zeiten nichts gesehen und gehört hätten, worauf Ruth erwiderte, ihres Großvaters Treiben sei ihr selbst seit mehr als einem halben Jahr ganz rätselhaft. Zu jeder Stunde des Tages oder der Nacht verschwände er, ohne ein Wort zu sagen. Wohin er gehe und wann er wieder käme wüßte niemand. Und in was für Kleidern er fortreite – jeder Hausierer oder Fuhrknecht würde sich schämen solches Zeug zu tragen. Seinen guten anständigen Sonntagsanzug aber ließe er im Schranke hängen. Das Schlimmste von allem wäre jedoch, daß das Gemüt des armen alten Mannes offenbar von einer schweren Sorge verdüstert sei.

»Ihr könnt mirs glauben, Vetter Ridd,« fuhr sie traurig fort, »es zehrt etwas an seinem Lebensmark. Essen und Trinken schmeckt ihm nicht und es macht ihm sogar kein Vergnügen sein Geld zu zählen. Nichts freut ihn mehr auf der Welt. Wenn er seine Pfeife raucht, versinkt er ganz in Gedanken und zieht von Zeit zu Zeit kleine braune Steine aus der Tasche, die er unverwandt anstarrt. Sein Geschäft, auf das er früher so stolz war, überläßt er jetzt fast gänzlich den Gehilfen und mir.«

»Was sollte denn aber aus Euch werden, liebe Ruth, wenn dem alten Herrn etwas zustößt?«

»Das weiß ich nicht und mag nicht daran denken,« erwiderte sie. »Meine Zukunft hängt ganz von Großvaters Belieben ab.«

»Sie würde vielmehr von Euerm eigenen Belieben abhängen; die Freier kämen gewiß scharenweise herbei.«

»Das wäre mir ganz unerträglich, und ich habe den Großvater mehr als einmal gebeten mich davor zu bewahren. Zuweilen droht er mir mit der Armut, aber ich habe ihm immer versichert, daß es etwas gibt, was ich weit mehr fürchte, nämlich für eine reiche Erbin zu gelten. Aber das ist ihm ganz unverständlich, er begreift es nicht.«

»Natürlich nicht, da er so großen Wert auf das Geld legt. Auch kein anderer wird's Euch glauben, der Euch nicht dabei in die treuen, lieben, wunderhübschen Augen schaut.«

Ich wollte ihr gar nicht schmeicheln und sagte nur, was ich wirklich glaubte und ohne Scheu auch in Lornas Gegenwart wiederholen würde. Ruths offener Blick, ihre großen braunen Augen hatten mir immer besonders gut gefallen, sie ließen sich sogar ein ganz klein wenig mit Lornas Augen vergleichen, weil sie so klar und aufrichtig waren. Jetzt aber senkte die kleine Base den Blick und erwiderte nichts.

»Ich will doch einmal nach meinem Pferde sehen,« sagte ich, »der Bursche, dem ich es übergab, sah es so verwundert an, er füttert es vielleicht mit dem Tuch aus Euerm Laden.« Damit ging ich in den Stall.

Onkel Ruben kam nicht zum Essen, nur der Gehilfe, ein würdiger Fünfziger Namens Thomas Cockram, war mit bei Tische. Er schien selbst Absichten auf die kleine Ruth zu haben und betrachtete mich daher mit ganz unnötigem Mißtrauen. Das ärgerte mich und ich verdoppelte meine Aufmerksamkeit für die Base, weil ich sah, wie sehr ihn das verdroß.

»Liebe Ruth,« sagte ich, »wann kommt Ihr denn nach Plover Barrows? Wir erwarten Euch schon so lange. Wie schön war es doch, als Ihr in der Morgenfrühe die neugelegten Eier aus den Nestern holtet, oder Euch abends mit Lieschen ins Heu verstecktet, damit ich Euch suchen sollte. Ja, ja, Herr Cockram, solche Dinge machen der Jugend mehr Spaß, als mit der Elle hinter dem Ladentisch zu stehen oder ›bezahlt‹ ins Buch zu schreiben und das Geld einzustreichen. Ihr solltet selbst einmal nach unserm Gut kommen und Euch von frischer Milch und Eiern nähren, das gäbe Euch schnell ein jugendliches Aussehen und die gute Luft würde Euch den Brustkasten weiten.«

Herr Cockram machte ein Gesicht wie sieben Meilen böser Weg und Ruth hatte Mühe ernsthaft zu bleiben, das sah ich wohl. Sie wußte es auch höchst geschickt anzufangen, daß wir den Gehilfen bald los wurden. Denn statt ihm zum Nachtisch ein Glas Wein anzubieten, sprach sie sehr ernsthaft von einer Preisberechnung, die noch vor ihres Großvaters Rückkunft verbessert werden müsse, wozu mindestens drei große Geschäftsbücher durchzusehen wären. Cockram schielte mich von der Seite an als wollte er sagen: »Ich durchschaue Euch ganz, aber wartet nur bis meine Zeit kommt und dann seht zu – –« doch schon hatte sich die Thür hinter ihm geschlossen. Zu mir aber sagte Ruth: »Vetter, welchen Wein wollt Ihr trinken zur Stärkung nach Euerm weiten Ritt? Großvater hat mir alle Schlüssel übergeben und sein Keller ist gut versorgt. Soll ich Euch eine Flasche Portwein holen oder Xeres?«

»Ich kenne den Unterschied nicht, aber versuchen wir Portwein, Base, Portwein klingt am vornehmsten.«

Das gute Ding brachte eine altmodisch geformte Flasche herbei, die mit Staub und Spinnweben überzogen war, und bald funkelte der köstliche Wein in meinem Glase. Wir saßen vergnügt beisammen, Ruth trank auch ein Glas, mir zur Gesellschaft, und goß meines immer wieder voll, wie sehr ich auch bemüht war es einmal bis auf den Grund zu leeren.

»Einem so großen, starken Mann schadet solcher Tropfen nicht,« sagte sie rosig erglühend, was ihr sehr gut stand; »ich habe Euch sagen hören, Vetter, Ihr könntet trinken so viel Ihr wolltet, Euch stiege der Wein nie in den Kopf.«

»Das ist freilich wahr, und Ihr habt das nicht vergessen?«

»O nein, ich weiß noch jedes Wort, das Ihr geredet habt mit Eurer tiefen Stimme. – Wie wenig doch in solcher Flasche ist – ich muß noch eine heraufholen. Sagt nur nicht nein; Großvater kommt, fürchte ich, erst heim, wenn Ihr längst wieder fort seid. Da muß ich die Wirtin machen.«

»Nun, wenn Ihr durchaus wollt, habe ich nichts dawider. Ihr dürft mich nicht unhöflich schelten. – Wie alt seid Ihr denn eigentlich, Ruth?«

»Ich werde bald achtzehn Jahre, lieber Vetter,« sagte sie und sah so freundlich aus, daß ich auf einmal Lust bekam sie zu küssen. Aber ich dachte an Lorna, lehnte mich in den Stuhl zurück und wartete auf die zweite Flasche.

»Wißt Ihr noch, wie wir damals zusammen getanzt haben?« fragte ich, während sie den Kork herauszog und die ersten Tropfen vorsichtig abgoß. »Anfänglich fürchtetet Ihr Euch vor mir, weil ich so groß bin.«

»Ja, Ihr kamt mir wie ein Riese vor, der mich mit Haut und Haar verspeisen könnte. Aber jetzt weiß ich, wie lieb und gut Ihr seid.«

»Und wollt Ihr kommen und auf meiner Hochzeit tanzen, Base?«

Sie ließ vor Überraschung fast die Flasche fallen. Dann füllte sie mein Glas mit klarem Wein. Ihre Wangen waren bleich geworden. »Was habt Ihr mich eben gefragt, Vetter?«

»Nichts Wichtiges, Ruth. Ich denke so bald wie möglich Hochzeit zu halten. Ihr müßt dabei sein, wir haben Euch alle so lieb.«

»Das will ich, Vetter, gewiß – wenn der Großvater mich im Geschäfte entbehren kann.« Sie trat an das Fenster und ihr Atem ging schwer. Ob sie gähnte oder seufzte konnte ich nicht unterscheiden.

Ich war in großer Verlegenheit; liebte sie mich denn? Daß sie nicht einmal nach dem Namen meiner Braut fragte, schien mir ganz unbegreiflich. Vielleicht glaubte sie, es sei Sally, oder fürchtete durch den Ton ihrer Stimme eine zu große Gemütsbewegung zu verraten. Nach einigem Bedenken fand ich es doch am männlichsten, ihr zu erzählen wie alles gekommen sei.

»Kommt, setzt Euch zu mir, Base Ruth, ich habe Euch viel zu berichten.«

»Ich will lieber hier am Fenster stehen bleiben, – aber erzählt nur, Vetter, – ich höre Euch gern zu. Hier kann ich sehen, ob Großvater heimkommt. Er ist stets so gütig gegen mich. Was sollte aus mir werden ohne ihn?«

Nun begann ich meine Geschichte. Ich sagte ihr, daß ich Lorna von Kindheit auf geliebt habe, und schilderte alle Hindernisse und Gefahren, die ich überwunden hatte. Auch beschrieb ich ihr, wie einsam, arm und verlassen meine Lorna in der Welt stehe, welche traurige Jugend sie verlebt habe, bis ich sie endlich befreien konnte; nebst manchen andern Einzelheiten, die der Erwähnung nicht bedürfen. Ruth hörte mir schweigend zu und sah mich gar nicht an; doch merkte ich wohl, daß ihre Thränen flossen. Als ich geendet hatte fragte sie leise und immer noch mit abgewandtem Gesicht: »Und liebt sie Euch denn, Vetter? Sagt sie, daß sie Euch von ganzem Herzen liebt?«

»O gewiß. Scheint Euch das unbegreiflich bei ihrer hohen Abkunft und ihrem edlen Sinn?«

Ohne ein Wort der Erwiderung trat Ruth hinter meinen Stuhl und küßte mich auf die Stirn.

»Mögt Ihr so glücklich sein in Euerm neuen Leben, Vetter,« flüsterte sie, »wie Ihr es verdient – so glücklich wie Ihr andere machen könnt. Tragt mir's nicht nach, wenn ich verstimmt bin und immer nur an den Großvater denke. Ich sorge schlecht für Euch, ich weiß es. Ihr habt mir so schön erzählt, und ich vergaß sogar Euch Wein einzuschenken. Bedient Euch selbst, lieber Vetter; ich bin sogleich wieder da.«

Sie eilte zur Thür hinaus, und als sie wiederkam war jede Spur von Trauer und Thränen aus ihrem Gesicht verschwunden. Nur ihre Hände waren kalt und bebten vor innerer Erregung.

Onkel Ruben kam nicht nach Hause und Ruth, die mir noch soeben einen vierzehntägigen Besuch versprochen hatte, falls es der Großvater erlaubte, meinte beim Abschied, es werde sich schwerlich ausführen lassen. Unter den Umständen hätte ich es nicht für passend gehalten noch weiter in sie zu dringen, obgleich ich jetzt erst recht wünschte, sie möchte zu uns kommen. Lorna selbst hätte sie wohl am besten von der flüchtigen Neigung geheilt.

Daß es sich bei dem kleinen Mädchen um ein tieferes Gefühl handle, konnte ich unmöglich annehmen. Auch sprach ich mich selbst, wenn ich zurückdachte, von jedem Vorwurf frei. Ich hatte sie nie vor andern ausgezeichnet, niemals mit ihr getändelt (bis auf den heutigen Tag) und im Vollbesitz meiner eigenen Liebe kaum an sie gedacht. Hätten nicht Mutter und die Schwestern ihr den Kopf mit schlauen Andeutungen warm gemacht, so würde Ruth sicherlich nie von selbst auf den Gedanken gekommen sein, daß sie mir gut wäre. Wer weiß, ob man ihr nicht eingeredet hat, ich liebe sie über alle Maßen; denn wo es gilt eine Heirat zu stiften, ist selbst auf die allerbesten Frauen kein Verlaß.


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