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Dreiundvierzigstes Kapitel.
Selbst ist der Mann.

Als der Winter vorbei war, wollten die Doones nicht länger mehr ruhig in ihrem Thale bleiben, obgleich sie sich dazu verpflichtet hatten, solange die zu liefernden Abgaben pünktlich entrichtet würden. Diese bestanden wöchentlich aus einem gemästeten Ochsen, zwanzig Schafen, zwei Rehböcken, sechzig Scheffeln Mehl, dritthalb Oxhoft Most, hundert Pfund Kerzen und vielen anderen Dingen, die das Leben behaglich und angenehm machen. Damit hätten sie sich füglich begnügen können, aber sie thaten es nicht, trotz aller hinterlegten Pfänder und feierlichen Verträge. Sie ritten auf Raub aus und schleppten zwei schöne junge Mädchen, Wirtstöchter aus unserer Nachbarschaft, gewaltsam mit sich fort. Der Unwillen hierüber war groß und steigerte sich zur Entrüstung, als die Doones schon wenige Tage später eine neue, unerhörte Frevelthat verübten. Diese schreckliche Begebenheit gehört, samt ihren Folgen, der Geschichte an und hat sich genau so zugetragen, wie ich sie hier erzähle.

Christof Badcock, ein wackerer Pächter im Kirchspiel Martinhoe, lebte mit seiner hübschen jungen Frau Margarete glücklich und zufrieden. Es war an einem Abend im Februar, und der Mann noch nicht vom Felde heimgekommen, das er zur Frühjahrsaat bestellte, da saß Frau Margarete, seiner wartend, an ihrem blankgescheuerten Herde, auf dem das Feuer zur Abendsuppe brannte. Sie hatte ihr Söhnchen auf dem Schoß, ein gesundes, prächtiges Kind, der Eltern Stolz und Freude, das sich schon ganz allein aufrichten und eine Reise rund um den Tisch machen konnte, mit Hilfe etlicher Stuhlbeine, an denen es sich festhielt.

Plötzlich ging die Thür auf, und statt ihres Christofs sah Frau Margarete sechs große, bewaffnete Männer auf sie zustürzen. Sie stieß einen gellenden Schreckensschrei aus und wollte fliehen, aber schon hatten die zwei stärksten und wildesten Räuber sich ihrer bemächtigt; ihr Flehen, ihr Geschrei, alles war umsonst. Sie rissen das Kind aus der Mutter Armen, schleuderten es auf den Boden und schleppten die bewußtlose Margarete mit sich fort. Der eine Doone, nach der Beschreibung muß es Carver gewesen sein, schwang sich aufs Pferd, hob das arme Weib zu sich in den Sattel, rief seinen Gesellen zu, sie sollten das Haus plündern, und ritt mit seiner Beute davon.

Die Zurückgebliebenen durchsuchten erst jeden Winkel im oberen Stock, doch fanden sie nur wenig, was des Mitnehmens lohnte, und kamen zornig die Treppe wieder heruntergepoltert. Die Magd hatte den schreienden Knaben beschwichtigen wollen, als sie jedoch die Männer auf der Stiege hörte, geriet sie in solche Angst – sie war noch ein junges Ding – daß sie sich eilends im Backofen versteckte, das Kind aber in der Küche auf der Diele liegen ließ.

Laut fluchend wirtschafteten die Doones zwischen den Töpfen und Tigeln herum; etwas Speck, Eier und Käse war ihre ganze Ausbeute. »Verdammtes Nest!« – »Elende Hungerleider, die nicht einmal des Plünderns wert sind!« – »Und dabei brüllt der Balg einem noch die Ohren voll!« so tobten und schrieen sie durcheinander.

»Wart', ich will dir den Mund stopfen,« rief einer der Männer. Er griff nach dem sich sträubenden Knaben und warf ihn wie einen Ball gegen die niedrige Decke; ein anderer fing ihn auf, und das grausige Spiel ward noch fortgesetzt, als das Geschrei des armen Kindes längst für immer verstummt war.

Nachdem die Unmenschen die kleine Leiche in die Ecke geworfen, waren sie auf ihren Pferden wieder davon geritten.

Den unglücklichen Christof Badcock traf der Schlag mit vernichtender Gewalt. Er ging umher wie sinnverwirrt und sah uns nur mit thränenlosen, vorwurfsvollen Blicken an. Sein stummer Schmerz rührte uns mehr als es die verzweifeltsten Klagen und Verwünschungen gethan hätten. Nein, länger ließ sich die Tyrannei und Grausamkeit der Doones nicht ertragen, wir hatten schon bisher übermenschliche Geduld mit ihnen gehabt. Auf die Hilfe der Regierung zu warten war vergebens. Man strafte und bedrohte damals jedermann aufs härteste, der gewagt hatte, einen der versprengten Soldaten aus Monmouths Heer zu schützen und zu verpflegen; ja, während ich in London war, geriet meine eigene Mutter in Verdacht, einem armen Flüchtling Obdach gewährt zu haben. Nur Herrn Bloxhams Fürsprache hatte sie es zu danken, daß man sie nicht wegen ihrer Güte und Barmherzigkeit vor Gericht brachte. Doch wenn es galt, die Heimstätten friedlicher Landleute vor Raub und Gewaltthat zu schützen, regte die hohe Obrigkeit keine Hand.

Die Erbitterung wuchs von Tag zu Tag, man war entschlossen sich selbst zu helfen. Wo ich mich nur blicken ließ, umringten mich die Leute in Scharen und behaupteten einstimmig, daß es meine Pflicht sei, mich bei einem neuen Angriff gegen das Doonethal an ihre Spitze zu stellen. Ich wies sie an die Friedensrichter und versuchte ihnen begreiflich zu machen, daß ich außer stande sei, einen Schlachtplan zu entwerfen; nur die Mißgriffe, welche man das letztemal begangen habe, seien mir klar. Doch sie gaben meinen Gründen kein Gehör. »Führe uns, so gut du kannst!« riefen sie. »Wir wollen standhalten so gut wir können und nicht fortlaufen, das versprechen wir.«

Das Schicksal der Badcocks ging mir selbst tief zu Herzen, aber trotzdem konnte ich mich nicht entschließen, die Doones jetzt anzugreifen, denn sie hatten sich, während meiner Abwesenheit in London, nichts gegen uns zu Schulden kommen lassen. Da sich jedoch die Aufregung im Lande nicht mehr dämpfen ließ und kein anderer Führer zu finden war, schlug ich endlich vor, man solle die Geächteten in aller Form auffordern, Frau Margarete ihrem Gatten zurückzugeben und den Mörder des Kindes auszuliefern. Weigerten sie sich, diese Bedingung zu erfüllen, dann sei ich bereit, den Rachezug anzuführen und wir wollten mit vereinten Kräften suchen, die Räuber auszurotten. Das waren die Leute wohl zufrieden, nur entstand die Schwierigkeit, wer die Botschaft ins Doonethal bringen solle, um dort, wie man allgemein glaubte, eine Kugel durch den Kopf zu bekommen. Da sich niemand meldete, meinte man, die Aufgabe falle von Rechts wegen mir zu, weil ich den Vorschlag gemacht habe, und ich übernahm sie, um nur alles weitere Hin- und Herreden los zu sein.

Am Nachmittag machte ich mich auf den Weg, von einigen Zeugen begleitet, die ich jedoch, ihrem Wunsche gemäß, vor dem Doonethor zurückließ. Der Vorsicht halber hatte ich mir eine Bibel auf die Brust und eine zweite auf den Rücken gebunden, weil Mutter versicherte, jede Kugel werde am Worte Gottes abprallen. Ich schwenkte eins von Lieschens weißen Taschentüchern an einer Bohnenstange hin und her, im übrigen war ich unbewaffnet, denn ich kam als friedlicher Abgesandter.

Zwei wohlgesittete junge Doones hielten am Eingang Wache und ich teilte ihnen meine Absicht mit, worauf sie sich erboten, den Hauptmann zu holen, wenn ich mich inzwischen still verhalten und nicht herumspionieren wollte. Das versprach ich bereitwillig, denn ich kannte ja schon alle ihre Vorrichtungen zur Genüge. An eine Felswand gelehnt wartete ich, bis die Männer zurückkehrten und mir den Bescheid brachten, Hauptmann Carver werde kommen, sobald er seine Pfeife ausgeraucht habe. Das dauerte lange, und ich plauderte unterdessen über allerlei mit den beiden jungen Leuten, die so harmlos aussahen und doch sicherlich schon manche schwarze, ruchlose That auf dem Gewissen hatten.

Endlich nahte sich der große Carver mit langsamem stolzem Schritte. Sein Hochmut verdroß mich nicht wenig. »Was wollt Ihr von mir, junger Mann?« fragte er herablassend und als sähe er mich zum erstenmal.

Ich unterdrückte den starken Widerwillen, den ich bei seinem Anblick stets empfinde, und antwortete mit erzwungener Mäßigung, daß ich ihn nur zu seinem und seiner Gefährten Nutz und Frommen zu sprechen wünsche. Die Missethat, welche die Doones kürzlich begangen hätten, erfülle die ganze Bevölkerung mit gerechter Entrüstung und dürfe nicht ungeahndet bleiben. Falls er jedoch die gewaltsam entführte Frau Margarete freigeben und den schändlichen Mörder ihres Kindes ausliefern wolle, würden wir uns noch diesmal aller feindlichen Schritte enthalten und die Sache weiter gehen lassen wie bisher.

Carver Doone verneigte sich spöttisch. »Mir scheint, Sir John, Eure Standeserhöhung hat Euch den Kopf verdreht,« sagte er mit verächtlicher Miene. »Wir liefern von dem, was wir besitzen, nichts und niemand aus, am allerwenigsten unsere Blutsverwandten. Die Frechheit des Antrags, den Ihr stellt, übersteigt fast noch Eure Undankbarkeit. Kein Mensch in ganz Exmoor hat uns so gröblich mißhandelt wie Ihr. Unsere Mädchen habt Ihr entführt, unsere Jünglinge erschlagen, Ihr seid ein unverschämter Schurke – Sir John. Wir dagegen haben Euch weder Haus und Hof angetastet, noch Eure Frauen geraubt; wir haben unsere Königin, die Ihr durch schnöde Hinderlist an Euch gelockt habt, ruhig in Eurem Besitz gelassen, haben Euch sogar Urlaub gegeben, damit Ihr Euerm Vetter, dem Straßenräuber, beistehen könntet und einen Adelsbrief davontragen. Und wie dankt Ihr uns solche Großmut? – Ihr entflammt und schürt den Zorn jener Bauern über einen Scherz unserer jungen Leute und macht Euch zum Überbringer ihrer frechen Forderungen. Ihr falsche, undankbare Schlange!«

Carvers harte Worte kränkten mich tief und ich überlegte im stillen ernstlich, ob die Vorwürfe, die er mir machte, doch vielleicht nicht unbegründet seien. Endlich erwiderte ich entschlossen:

»Daß ich Euch für die uns bewiesene Nachsicht Dank schulde, leugne ich nicht; um ihn Euch abzutragen, bin ich hergekommen. Von den Missethaten, deren Ihr mich anklagt, spricht mich mein Gewissen frei. Ich habe die Königin aus Eurer Gewalt befreit, weil Ihr sie verhungern ließet, nachdem Ihr sie als Kind geraubt und ihr Mutter und Bruder getötet hattet. Doch darüber will ich jetzt kein Wort verlieren, so wenig als über die Ermordung meines eigenen Vaters. Gott wird einst richten zwischen mir und dir, Carver Doone, du elender Bösewicht!«

Er sah mich mit so stolzer Verachtung an, daß ich unwillkürlich den Blick senken mußte. »Du hast gewählt, John Ridd,« sagte er, »meine Langmut ist jetzt zu Ende. Ich strebe stets, selbst den abscheulichsten Verbrechern gegenüber gerecht zu sein, aber du bist der verworfenste Mensch, der mir je begegnet ist.«

Diese Anklage traf mich wie ein Keulenschlag. Einen Augenblick stand ich ganz betäubt da, doch faßte ich mich, sah Carver ruhig ins Gesicht und sagte: »Lebt wohl für heute, Carver Doone, die Stunde der Abrechnung zwischen uns ist nicht mehr fern!«

»Du Narr, die Stunde ist da!« rief er und sprang beiseite, »Feuer!«

Mit einem Satz stand ich hinter den Felsenpfeilern des Eingangs und war geborgen; ich hatte die auf mich gerichteten Gewehrläufe im Dunkeln blitzen sehen. Während die Schüsse krachten und laut in den Bergen wiederhallten, lief ich davon, so rasch mich meine Füße trugen, und dankte Gott, daß es mir gelungen war, den feigen tückischen Verrätern zu entfliehen.

 

Jetzt erklärte ich mich ohne Zögern bereit, die Führung der wackern, redlichen Männer zu übernehmen, die vor Begierde brannten, jene frechen Räuber für ihren unerträglichen Übermut zu züchtigen und womöglich vom Erdboden zu vertilgen. Ich stellte nur die eine Bedingung, daß man den Rat Doone schonen solle; er war zwar ein ebenso großer Bösewicht wie die andern, jedoch weniger gewaltthätig; auch hatte er sich gegen Annchen freundlich erwiesen.

Unser Hof ward zum Versammlungsplatz gewählt. Dort fanden sich die Männer bewaffnet ein und brachten ihre Frauen mit, die hinwiederum von zahlreichen Kindern begleitet waren. Da gab es ein Geschrei und Gezappel der kleinen Beine, ein Umarmen und Küssen, daß es aussah, als wollten wir eine Kleinkinderschule halten, statt einer Truppenmusterung. Ich bin ein großer Freund der Kinder, die mich meist sehr zutraulich als ihren Spielgefährten betrachten. Bald hatte ich denn auch die ganze Bande auf dem Halse, und die muntern Plagegeister setzten mir schlimmer zu, als eine Schar Doones gethan hätte. Daß ich so gut mit den Kleinen umzugehen wußte, gewann mir die Herzen der Mütter, und deren Einfluß sicherte zugleich meine Herrschaft über ihre Gatten. Ja, die Frauen warben Rekruten für uns unter Freunden und Verwandten, so daß selbst mehrere Landwehrmänner aus Barnstaple und Tiverton zu uns stießen; ihre langen Schwerter und blanken Musketen machten einen höchst kriegerischen Eindruck.

Auch Tom Faggus schloß sich uns an, da seine Wunde ihm nur noch selten zu schaffen machte. Ich hätte ihm gern den Oberbefehl abgetreten, doch er hielt es für besser, daß ich die Führung übernahm, weil mir der Kriegsschauplatz am bekanntesten war. Onkel Ruben kam gleichfalls, um uns mit Rat und That beizustehen, und brachte aus Dulverton eine Anzahl Packer und Markthelfer mit. Er hatte den Doones seine Ausplünderung nie verziehen, obwohl er sich nicht mehr vor ihnen fürchtete, seit er von der Regierung gegen eine jährliche Abgabe das Recht erlangt hatte, überall in Exmoor nach Edelmetallen suchen zu dürfen. Die Goldgräberei wurde jetzt nicht mehr geheim betrieben und Onkel Ruben hielt so viele Bergleute in seinem Sold, daß er glaubte, den Geächteten die Spitze bieten zu können. Für die Stunde des Angriffs stellte er uns zwei Dutzend wohlbewaffnete Männer unter Simon Carfax, ihrem Aufseher, zur Verfügung; vorher aber wollte er seine Arbeiter nicht unnütz feiern lassen.

Wir berieten lange hin und her über den Kriegsplan, Tom Faggus, Onkel Ruben und ich; dabei verfielen wir endlich auf einen listigen Anschlag, wie man einen Teil der Räuber aus dem Thal fortlocken und so die feindliche Macht schwächen könne. Von wem die feine Kriegslist ursprünglich stammte, ließ sich später nicht mehr feststellen, aber die Welt hielt Tom Faggus für den Urheber und meinte, nur ein Straßenräuber sei klug genug, so etwas zu ersinnen.

Die Doones, das wußte man, liebten den Branntwein und andere starken Getränke, aber das Gold nicht minder. Ihre Geldgier und ihr übergroßes Selbstvertrauen sollten ihnen nun zum Fallstrick werden. Sie prahlten, daß sie des Königs Truppen und die Landwehr zweier Grafschaften aus dem Felde geschlagen hätten und ihre Burg nicht einer Handvoll armseliger Ackerknechte übergeben würden. Wir wußten jedoch aus bitterer Erfahrung, daß Hochmut vor dem Fall kommt, und hofften die Selbsterhebung der Feinde werde auch ihnen eine schmähliche Niederlage bereiten. Unser Plan war folgender:

Wir verbreiteten das Gerücht, daß in dem Bergwerk am Teufelssumpf eine große Masse Goldes zum Fortschaffen bereit liege, und sorgten dafür, daß es auch den Doones zu Ohren kam. Darauf überredeten wir mit vieler Mühe den Bergmann Simon Carfax, Gwennys Vater, sich eine geheime Zusammenkunft mit dem Rat Doone auszubitten. Diesem sollte er den Vorschlag machen, ihm am Freitag, gegen Mitternacht, den ganzen Goldtransport in die Hände zu spielen, und sich den vierten Teil des Schatzes als Lohn ausbedingen. Da aber das Gold unter einer starken und wohlbewaffneten Bedeckung über das Moor geschafft werde, müßten wenigstens zwanzig Doones auf den Fang ausziehen. Ging der Rat darauf ein, so sollte Carfax die Räuber unter irgend einem Vorwand an einer mit uns verabredeten Stelle, wo man sie leicht überfallen konnte, halten lassen und ihnen im Dunkeln Wasser in die Flintenläufe schütten.

Carfax weigerte sich zuerst standhaft, die Rolle des Verräters zu übernehmen, doch stellten wir ihm so dringend vor, wie verdienstlich es sei, den frechen Schurken ihr Handwerk zu legen, daß er uns zuletzt für gute Bezahlung den Willen that und bei der Ausführung des Streiches mit erstaunlicher Kaltblütigkeit zu Werke ging.


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