Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Mit gutem Gewissen, wenn auch nicht ohne Bedenken über mein Verhalten gegen Ruth, ritt ich an jenem Abend heim. Bald aber sollten mich meine eigenen Angelegenheiten ausschließlich in Anspruch nehmen. Schon in der Hausflur traf ich auf Elise, die mir hastig zurief: »Geh' nicht zu Mutter hinein, John; ich muß erst mit dir reden.«
»Was in aller Welt ist denn wieder los?« fragte ich ungeduldig. »Kann man hier gar keine Ruhe mehr haben!«
»Es ist etwas sehr Wichtiges, was deine Lorna betrifft.«
»Dann schnell heraus damit. Ich kann alles ertragen, solange ich weiß, daß Lorna mich liebt.«
»Das thut sie freilich im Übermaß. Ich bin es manchmal ordentlich müde, sie deine Vortrefflichkeit rühmen zu hören. Aber Spaß beiseite. Da drinnen ist ein Fremder, ein alter Mann, der so lang wie breit ist und dichtes weißes Haar hat, das ihm bis auf die Schultern hängt. Wie er es jemals durchkämmen kann, geht über mein Verständnis. Kennst du ihn vielleicht?«
»Nach deiner Beschreibung glaube ich zu erraten, wer es ist; gesehen habe ich ihn nie. Wo finde ich aber Lorna?«
»Sie weint oben im Zimmer und Annchen hilft ihr dabei. Der langhaarige Mann kommt ihretwegen, das weiß sie; doch will sie ihn nicht sehen, bis ihr lieber John wieder da ist.« Lieschen sagte das in sehr schnippischem Ton, doch nahm ich mir nicht die Zeit sie zu schelten. Daß dieser überraschende Besuch, der sicherlich nichts Gutes brachte, niemand anders als der Rat Doone sein konnte, war mir sofort klar. Ihn aber fürchtete ich weit mehr als seinen Sohn Carver, und ich ging mit schwerem Herzen zu Lorna hinauf. Bald traten wir zusammen bei Mutter ein, wo wir den Schrecklichen fanden.
Der Rat Doone war mitten in einer langen Rede über Erbrecht und Güterbesitz, durch die er Mutter beweisen wollte, daß Haus und Hof von Rechts wegen ihr Eigentum sei. Mutter, die an der Thür stand, verneigte sich dann und wann zustimmend, hörte seinen Redeschwall verwundert an und hoffte im stillen, er werde endlich aufhören. Er sprach mit großem Nachdruck und schüttelte gerade seine lange Mähne wie im Zorn über irgend ein Vorkommnis, das er für ganz ungesetzlich erklärte.
Mich schien er nicht zu bemerken, obgleich ich in ganzer Größe vor ihm erschien; auf Lorna aber kam er mit ausgestreckten Händen zu.
»Teures Kind, geliebte Nichte, wie prächtig siehst du aus. Wahrhaftig, ganz wie eine Königin! Das kommt von den vielen guten Dingen, die man dir aufgetischt hat, es ist Euer Verdienst, Frau Ridd. Unter allen Tugenden ist doch die Gastfreundschaft am schönsten, am romantischsten. Küsse deinen alten Oheim, liebste Lorna, ich betrachte es als Gunst.«
»Ihr mögt das wohl thun, aber ich nicht,« entgegnete mein Lieb, schlagfertig wie immer. »Ihr habt gewiß Tabak geraucht, und der Geschmack ist mir zuwider.«
»Ganz recht, mein Kind. Wie gut dein Geruchssinn ist. Das liegt in der Familie. Auch dein Großvater war berühmt wegen seines scharfen Geruchs. O Frau Ridd, welcher Verlust für uns, welcher Verlust für ganz Exmoor! ›Wir werden niemals Seinesgleichen sehen‹ wie einer unserer Dichter sagt.«
»Unser großer Shakespeare,« fiel ich ihm hier ins Wort.
Der Rat Doone räusperte sich. »Sehr verbunden. – Das ist wohl Euer Sohn, Frau Ridd, der große John, der berühmte Ringer. Und auch mit den Musen ist er vertraut. Wie hat sich doch alles bei uns verändert seit meiner Jugend! Nur die Schönheit der Frauen nimmt zu von Jahr zu Jahr.« Der alte Bösewicht verbeugte sich tief vor Mutter; sie knixte verlegen und ihr Aussehen strafte ihn nicht Lügen.
»Irre ich mich nicht,« fuhr der Rat mit Würde fort, »so ist es dieser junge Recke, der eine so unwiderstehliche Anziehungskraft auf meine arme kleine Nichte ausübt. Ich meinerseits habe nichts gegen die Verbindung einzuwenden. Auf die Unterschiede des Ranges und der Geburt lege ich nur geringen Wert. Sie beruhen meiner Ansicht nach nicht auf ewigen, unveränderlichen Naturgesetzen. Als ich jung war hat mich vielleicht auch kleinlicher Stolz beseelt, aber jetzt gilt es mir schon längst als einer der ersten Grundsätze der Staatswirtschaft – – Ihr folgt mir doch, Frau Ridd?«
»Ich gebe mir alle Mühe, doch verstehe ich Euch nicht ganz.«
»Euer Sohn aber ist gewiß schnell von Begriffen.«
»Ja, das hat er von seinem Vater geerbt, der war so klug und einsichtig – –«
»Ich kann es mir denken, Frau Ridd, er schlägt gewiß beiden Eltern nach. Um aber wieder auf unsern Hammel zu kommen – dies Gleichnis wird Euch geläufig sein – so bin ich jetzt der Vormund dieser jungen Dame, wenn auch nicht gerichtlich dazu bestellt. Ihr Vater war Sir Ensor Doones ältester Sohn, ich bin der zweitgeborene und der Baronstitel geht auf mich über, da er in weiblicher Linie nicht forterbt. Stimmt das mit Euern Ansichten von den Geschlechtsregistern überein, Frau Ridd?«
»Ich weiß davon nur was in der Bibel steht, Herr Rat,« erwiderte Mutter bedächtig, »aber es wird wohl so sein wie Ihr sagt.«
»Besten Dank für Eure Zustimmung. Ich werde der Adelskammer darüber berichten. Dagegen erteile ich nun als Lornas Vormund meine Erlaubnis zu ihrer Heirat mit Euerm Sohn.«
»O wie gütig von Euch; wie freut mich das! Ich habe es ja immer gesagt, daß die gelehrtesten Herren meist auch am besten und gutherzigsten sind.«
»Ein erhabener Gedanke, werte Frau. – Lorna und John werden ein herrliches Paar sein. Und wenn er sich zu den Unsern zählen will –«
»Nein, o nein,« rief Mutter. »Daran dürft Ihr nicht denken. Mein Sohn ist zur größten Ehrlichkeit erzogen –«
»Das ist freilich schlimm. Es paßt nicht zu den häuslichen Gepflogenheiten der Doones. Doch vielleicht könnte er dieses Vorurteil besiegen.«
»Nun und nimmermehr; es wäre ihm ganz unmöglich. Selbst als kleiner Junge konnte er keinen Apfel stehlen, als ihn einmal böse Buben dazu verlocken wollten.«
»Dann ist die Sache freilich hoffnungslos,« sagte der Rat, sein ehrwürdiges Haupt schüttelnd. »Mir sind dergleichen unheilbare Fälle wohlbekannt; die Erfahrung hat gelehrt, daß solche anerzogene, höchst unpraktische Vorurteile einen Menschen ganz unbrauchbar machen.«
»Aber mein John ist im höchsten Grade brauchbar; er arbeitet für drei und macht sich überall nützlich.«
»Ich sprach von höherem Nutzen und aus einem weiteren Gesichtspunkt – von den Fähigkeiten des Verstandes und Herzens. – Aber wie ist mir denn? Weshalb dankt mir die Nichte Lorna nicht, daß ich – vielleicht allzu bereitwillig – ihren Wünschen nachgegeben habe? Mir scheint, wenn ich Dank begehrte, hätte ich meine Erlaubnis hartnäckiger weigern müssen.«
So aufgefordert trat Lorna vor, und ihr edler Blick ruhte fest auf den blitzenden Augen des Oheims, welche unter seinen buschigen weißen Brauen halb zugeschneiten Fenstern glichen.
»Wofür soll ich Euch danken, Oheim?«
»Ich sagte es dir bereits, liebe Nichte. Weil ich das größte Hindernis aus dem Wege geräumt habe, das dich bisher von dem Gegenstand deiner Zuneigung getrennt hat.«
»Wenn ich glauben könnte, Ihr thätet es aus Liebe zu mir, wie dankbar wollte ich Euch sein. Aber ich weiß, Ihr haltet noch etwas vor mir verborgen.«
»Es ist wahr, meine Einwilligung ist um so verdienstlicher und uneigennütziger, weil eine klar erwiesene Thatsache vorliegt, welche schwächeren Gemütern wohl als ein Ehehindernis erscheinen möchte. Bei meiner freien Anschauung halte ich es jedoch für kein solches.«
»Welche Thatsache meint Ihr, Oheim? Muß ich sie wissen?«
»Ich glaube wohl, liebe Nichte. Sie wird die festeste Grundlage Eurer unverbrüchlichen ehelichen Eintracht bilden. Ihr beiden jungen Leute – ach, die Jugend ist doch das köstlichste Erdengut – werdet von Anfang an ein gemeinsames Interesse als Mitgift erhalten, aus welchem gegenseitiges Wohlgefallen, Friede und Einigkeit entspringen muß.«
»Ich verstehe Euch nicht. Weshalb drückt Ihr Euch nicht deutlicher aus?«
»Um deine Spannung zu verlängern, mein Kind. Das ist oft erfreulicher als die Wahrheit vorzeitig zu erfahren. Bestehst du aber darauf, so wisse: Dein Vater hat Johns Vater erschlagen, und Johns Vater erschlug den deinigen
.«
Der Rat Doone lehnte sich behaglich in den Stuhl zurück, um zu beobachten, welchen Eindruck seine Worte gemacht hätten. Lorna und ich traten unwillkürlich näher zu einander und Mutter sah uns beide an.
Da niemand sprach, schlang ich den Arm um die Geliebte, die sich fest an mich schmiegte, und that zuerst den Mund auf: »Herr Rat,« sagte ich aufs Geratewohl, »Ihr wißt so gut wie ich, daß es Sir Ensors Beifall hatte.«
»Was hatte seinen Beifall, mein guter Freund? Daß sie sich gegenseitig totgeschlagen haben?«
»Nein Herr, das nicht – wenn es je stattgefunden hat, was ich stark bezweifle – sondern daß wir uns lieben, Lorna und ich. Eure Enthüllung wird unsern Bund nicht trennen. Ja, könntet Ihr selbst die Wahrheit Eurer Behauptung beweisen, so soll auch das uns nicht scheiden, wenn Lorna denkt wie ich.« Mein Lieb drückte mir innig die Hand und jedes weitere Wort war überflüssig.
Auch Mutter verstummte vor maßlosem Staunen, der Rat aber schaute mich mit zornglühenden Augen an.
»Also meine Nachricht gefällt Euch, Herr Ridd. Sie überrascht Euch wohl nicht einmal?«
»Keine Gewaltthat kann mich überraschen, seit die Doones in Exmoor hausen, Euer Gestrengen. Vordem kam es wohl auch vor, daß eine Börse gestohlen wurde oder ein Schaf, aber dann ward der Missethäter in aller Form Rechtens gehängt. Seit den Zeiten der Doones ist das anders geworden, und wir haben uns an vieles gewöhnen müssen.«
»So wagst du elender Knecht mit mir zu reden?« schrie der Rat in rasender Wut. »Wir sollen Euch Bauernpack wohl noch um Erlaubnis fragen bei unserm Thun und Lassen?«
»Nichts für ungut, Euer Gestrengen,« erwiderte ich, denn ich schämte mich in Lornas Gegenwart heftig zu werden. »Ich wollte mir nur noch die Bemerkung erlauben, daß, wenn unsere Väter in Haß gegen einander entbrannt sind und beide in dem Streit unterlagen, so sollten ihre Nachkommen weiser sein und durch Liebe und Treue –«
»O John, willst du weiser sein als dein Vater?« fiel mir Mutter ins Wort.
»Die heutige Jugend,« sagte der Rat in strengem Ton, »zeigt doch bei jeder Gelegenheit ihren Mangel an richtigem Gefühl. Fort von der Seite dieses Mannes, Lorna Doone. Bekenne nun auch du, ob es dir erwünscht erscheint, den Sohn des Mörders deines Vaters zu ehelichen.«
»Ich brauche es nicht erst zu sagen,« erwiderte sie mit leiser Stimme, »daß Eure Mitteilung tief schmerzlich für mich wäre, wenn ich ihr Glauben schenkte. Obgleich von jeher durch meine Verwandten an Greuelthaten aller Art gewöhnt, habe ich doch noch nicht alles Gefühl für Recht und Unrecht verloren. Allein ich weiß auch, daß man im Doonethal meist ohne Scheu die Unwahrheit redet. Ihr selbst habt mir Eure Ansicht darüber oft genug auseinandergesetzt, Oheim, und werdet Euch daher nicht wundern, daß ich von Eurer ganzen Geschichte kein Sterbenswort glaube. Aber wäre sie selbst erwiesen, so kann ich nur sagen: wenn John Ridd mich haben will, bin ich sein auf ewig!«
Die lange Rede hatte Lornas Kraft erschöpft, sie sank bewußtlos in meine Arme. Zwar suchte ich sie mit süßen Liebesworten aus ihrer Ohnmacht zu wecken, aber sie konnte mein zärtliches Flüstern nicht hören.
»Ihr abscheulicher Mensch,« rief Mutter und drohte dem Rat Doone mit geballter Faust, »da seht, was für ein Unheil Ihr angerichtet habt. Umbringen könnt Ihr die Leute mit Euern schrecklichen Worten, aber den Schaden wieder gut zu machen versteht Ihr nicht. Reicht mir die Riechflasche dort; habt Ihr denn gar keine Hände? Was nützen da alle Eure Titel und Würden?«
Mutter war ganz außer sich, und auch mich überlief es bald heiß, bald kalt, während mein Lieb so bleich an meiner Brust lag. Der Rat trat mit geheuchelter Betrübnis beiseite; sich wirklich zu schämen, war er wohl nicht im stande.
»Mein Herzenskind,« fuhr nun Mutter fort, sich zärtlich um Lorna bemühend, »mein Liebchen, mein Schätzchen, es ist ja kein Wort wahr von allem, was der alte Lügner behauptet. Wäre es aber wirklich geschehen, so solltest du unsern John trotz alledem haben. Der liebe Gott hat Euch für einander geschaffen und nichts kann Euch trennen, es komme was da wolle. Schau' doch wieder auf, mein armes Täubchen, dein John ist ja bei dir und ich auch. Den Rat Doone aber mag der Teufel holen.«
Solche Reden sahen Mutter gar nicht ähnlich; doch hatte ich sie nur um so lieber, weil sie so frei von der Leber weg sprach; mein Lebtag vergesse ich es ihr nicht. Jetzt kamen auch Annchen und Lieschen herbeigelaufen, die auf mir unerklärliche Weise gemerkt haben mußten, daß etwas Schlimmes in der Luft lag. Der Rat Doone aber, der, obgleich er ein herzloser Bösewicht war, doch viel auf Anstand hielt, winkte mir, die Frauen allein zu lassen. Das that ich auch gern, sobald ich mein Lieb ihrer Fürsorge übergeben hatte.
»Es ist doch zu ärgerlich,« sagte der alte Mann, als ich ihm in der Küche ein Glas heißen Grog eingeschenkt und eine von Tom Faggus' Zigarren zu rauchen gegeben hatte, »man kann mit den Frauen nie vernünftig reden, ohne daß sie gleich schelten und zanken. Eine verständige Antwort bekommt man selten zu hören.«
»Ich weiß nicht,« erwiderte ich – eine sehr nützliche Redensart, weil sie meist so viel Wahrheit enthält. Was hätte ich auch sagen sollen? Der Rat Doone war ja nun unser Gast, und ich mußte ihm höflich begegnen. So ließ ich ihn trinken, essen und rauchen, und er machte sichs sehr behaglich an unserm Kamin.
»Alles in allem seid Ihr doch wunderbar gute Leute,« meinte er, sein Glas abermals leerend; »statt mich den Soldaten auszuliefern, was Euch ein Leichtes sein würde, thut Ihr was Ihr könnt, um mich betrunken zu machen.«
»Behüte, Euer Gnaden,« erwiderte ich, ihm wieder einschenkend; »wir haben nicht oft die Ehre einen vornehmen Herrn an unserm Herd zu bewirten. Da müßt Ihr schon fürlieb nehmen mit dem was wir bieten können.«
»Mein Sohn,« versetzte der Rat, sich breit vor das Feuer stellend, als wolle er beweisen, daß er noch ganz nüchtern sei, »ich hatte mir vorgenommen Euch meine Strenge zu zeigen, aber Ihr habt mich bezwungen. Eure schöne Gastlichkeit, dies behagliche Heim, der Grog und der treffliche Imbiß machten mir diesen Abend zu einem höchst angenehmen. Gott weiß wie lange ich nichts so Gutes genossen habe.«
»Euer Gnaden loben uns weit über Verdienst.«
»Nein, nein, ich sage dir, es hat mir bei Euch gefallen, und ich bin keineswegs leicht zu befriedigen. Ich spreche dir den Dank eines Edelmanns aus, wenn unsere Familie auch nicht mehr ganz so vornehm ist wie sonst. Aetas parentum – wie sagt doch der Lateiner? Ich höre, du warst auch auf einer gelehrten Schule.«
»Freilich, Euer Gestrengen, doch aus dem Latein bin ich nie recht klug geworden.«
»Das schadet nichts, John, es war wohl um so besser für dich,« sagte der Rat und schüttelte so traurig seine Silberlocken, als sei das Latein ihm zum Fallstrick geworden. Ich aber dankte Gott, der es gefügt, daß ich so frühzeitig aus der Schule kam, sonst hätte es auch mein Verderben werden können.
Allein würde der ehrwürdige Rat an jenem Abend nicht mehr den Heimweg gefunden haben, er befand sich in einer zu schwankenden Verfassung. So nahm er denn mit unserm besten Gastbett fürlieb, auf dem die Samariterin am Brunnen in altertümlichem Schnitzwerk abgebildet ist. Ich brachte ihn selbst zur Ruhe, und am folgenden Morgen dankte er mir für alles, woran er sich noch erinnern konnte.
Mir gingen indessen mancherlei Zweifel im Kopfe herum, ob das Wohlwollen, das er für uns an den Tag legte, erheuchelt sei oder nicht. Hatte er eingesehen, daß ihm nichts übrig blieb, als gute Miene zum bösen Spiel zu machen, oder stellte er sich nur freundlich um uns zu täuschen? Es schien mir auch verwunderlich, daß der Grog ihm so zugesetzt haben sollte. Die paar Gläser konnten doch einem so weisen und starken Manne unmöglich etwas anthun. Dazu kam noch, daß Lorna mir erzählte, sie sei in der Nacht aufgewacht und habe ein Geräusch gehört, wie wenn jemand vorsichtig ihre Schubfächer durchsuche. Als sie sich aber im Bette aufrichtete um zu horchen, blieb alles wieder still. Da meinte sie, es müsse wohl eine Maus gewesen sein und war ruhig wieder eingeschlafen.
Zum Frühstück erschien der ehrwürdige Rat im besten Wohlbefinden und später begleitete er Annchen in die Milchkammer, um sich zeigen zu lassen, wie wir den sauern Rahm gewinnen, der ihm so gut geschmeckt hatte. Sie kamen miteinander ins Gespräch, und Annchen ward sehr eingenommen für den schönen alten Herrn, der so gerecht und billig dachte, und sich so günstig über Tom Faggus äußerte.
»Hierher bringt man die Näpfe zum abkühlen, Euer Gnaden,« sagte Annchen, auf die lange Reihe deutend. »Zuerst stellt man sie eine Weile in der Küche auf die warme Holzasche, bis Blasen aufsteigen und der Rahm sich oben sammelt und so dick und fest wird wie – wie meine beiden Hände.«
Der Rat hörte ihr lächelnd zu. »Wißt Ihr wohl,« sagte er »daß der Rahm noch weit fester wird und man dreimal so viel erhält, wenn man, ohne die Oberfläche zu berühren, mit geschliffenem Glas, einer Schnur Perlen oder sonst einem glänzenden Ding darüber hinfährt?«
Annchen machte große Augen. »Nein, das höre ich zum erstenmal. Was man doch alles lernen kann! Der Versuch läßt sich ja leicht machen, ich will mein Korallenhalsband holen. Aber, nicht wahr, es ist doch kein Hexenspuk?«
»Durchaus nicht, liebes Kind. Ihr braucht auch nur zuzusehen, wie ich es mache; es wird Euch kein Leid geschehen. Aber Korallen dürfen es nicht sein, überhaupt nichts Buntes. Einfache Glasperlen sind am besten, besonders wenn sie recht glänzen.«
»O, die kann ich Euch verschaffen,« rief Annchen; »die liebe Lorna hat ein altes Halsband von Glasperlen oder geschliffenen Edelsteinen, die ganz weiß sind und nur im Sonnenlicht oder bei Kerzenschein bunt schillern. Sie leiht es uns gewiß gern. Gleich hole ich es.«
»Es glänzt wohl nicht halb so schön wie Eure hübschen Augen. Aber Ihr dürft beileibe nicht verraten, daß ich es haben möchte, Annchen, oder wozu wir es brauchen, sonst wird der Zauber gebrochen. Sagt niemand ein Wort davon und bringt das Halsband her, wenn Ihr wißt, wo meine Nichte es aufbewahrt.«
»Freilich weiß ich es. Sie hat es sich erst letzte Woche von John zurückgeben lassen, der es für sie aufhebt. Neulich trug sie es, als – jemand zum Besuch hier war. Er sagte, es sei eine große Kostbarkeit und sprach sehr gelehrt über die Steine, ich habe vergessen wie er sie nannte. Aber mag es auch noch so wertvoll sein, es kann doch nichts schaden, wenn wir es über die Milchnäpfe halten.«
»Bewahre; es ist ja gut und nützlich, wenn der Rahm recht dick wird. Jede gute That aber trägt ihren Lohn in sich, das könnt Ihr mir altem Manne aufs Wort glauben, mein schönes Kind.« Er sah so edel und wohlwollend aus, daß Annchen ihm unbedingt vertraute. Schnell lief sie fort, um das Halsband meiner Lorna zu holen.
Es befand sich zufällig seit zwei Tagen wieder in ihrem Besitz. Denn nun wir seinen hohen Preis kannten, fürchtete Lorna, irgend ein habgieriger Mensch möchte mir ein Leid anthun, um es zu rauben. Weil ich ihr zu teuer war, wollte sie es mir nicht länger lassen. Anfangs weigerte ich mich zwar um ihretwillen, es herauszugeben, doch war ich im Grunde froh, daß ich es nicht mehr zu hüten brauchte.
Annchen fand den Schmuck richtig in dem geheimen Fach an Lornas Bett, das sie selbst als sichern Versteck empfohlen hatte; sie eilte damit zu dem Rat hinunter und hielt ihm die funkelnden Steine hin.
»O, das alte Ding kenne ich gut,« sagte er in geringschätzigem Ton. »Vielleicht genügt es für unsere Zwecke, wenn wir nichts Besseres haben. Jetzt fahre ich über die Schüssel hin: ›Hokuspokus Fidibus; Wasser ist kein Spiritus. –‹ Was für ein ängstliches Gesicht Ihr macht, Annchen.«
»Ach Herr, ich fürchte, das ist ein Zauberspruch. Was wird Mutter sagen! Ich komme gewiß nicht in den Himmel. Jetzt fängt der Rahm schon an zu steigen, scheint mir.«
»Ihr müßt nicht hinsehen, sonst wird der Zauberbann gebrochen, der Teufel fliegt mit der Schüssel davon und alle Eure Kühe ertrinken.«
»Wie schrecklich. Warum verführt Ihr mich zu solch' arger Sünde. – Hebe dich weg, alte Hexe von Endor!«
Plötzlich hatte die Thür geknarrt, und durch die Öffnung war ein Besenstiel gefahren, den wahrscheinlich die Hand unserer Betty regierte. Aber Annchen schlug die Thür mit Gewalt zu und schob den Riegel vor. Sie getraute sich nicht dem Rat Doone noch weitere Vorwürfe zu machen, denn er rollte seine blitzenden Augen wie zwei Feuerräder, runzelte die weißen borstigen Brauen, wobei dunkle Furchen seine Stirn durchzogen, und sah so schrecklich aus, daß sie glaubte den Gottseibeiuns leibhaftig vor sich zu erblicken. Ob er das Mädchen erschrecken wollte, oder sich nur das Lachen verbeißen, weiß ich nicht.
»Kein Mensch darf etwas davon erfahren,« sagte er in geheimnisvollem Flüsterton, und drei Stunden wenigstens darf niemand den Ort betreten. Bis dahin hat der Zauber seine Wirkung gethan, die Milch hat sich in Rahm verwandelt und Ihr werdet mir Euer Lebtag Dank wissen, daß ich Euch den Spruch gelehrt habe. Laßt das Halsband vierundzwanzig Stunden lang hier unter dem Napf liegen und seid ohne Furcht, thörichtes Kind; wenn Ihr meinen Anweisungen folgt, geschieht Euch kein Leid.«
»O gewiß, ich werde alles thun was Ihr wollt.«
»So geht ohne ein Wort zu sagen auf Euer Zimmer, schließt Euch ein, betet das Vaterunser rückwärts und kommt vor drei Stunden nicht wieder heraus.«
Er küßte Annchen auf die Stirn und ermahnte sie, ihre schönen Augen nicht rot zu weinen; sie aber lief schluchzend fort, um seinen Befehlen zu gehorchen. Das Vaterunser rückwärts zu beten gelang ihr jedoch nicht, und als sie endlich wieder zum Vorschein kam, war der Rat Doone längst über alle Berge.
Er hatte sich von Mutter mit solcher Würde und so tiefgefühltem Dank verabschiedet, daß sie kaum Worte genug zu seinem Lobe finden konnte.
»O, wie schlecht ist doch die Welt,« rief sie, »wie schändlich verleumdet man einen Menschen, nur weil er vornehmer und klüger ist als die andern. Warum hast du uns nur nie von deinem liebenswürdigen Oheim erzählt, Lorna? – Sahst du wohl, Lieschen, wie schön sein Silberhaar von dem dunkeln Samtkragen abstach und was für weiße Hände er hat? Wie ehrfurchtsvoll schlug er die Augen nieder, als er sich vor mir verbeugte, und weil er vor Rührung nicht reden konnte, drückte er mir stumm die Hand. Mir ist ein so vollendeter Kavalier noch nicht vorgekommen.«
Ich war mit finsterm Blicke eingetreten. »Willst du ihn nicht zum Manne nehmen?« fragte ich (was freilich nicht recht war.) Er kann dir deine Verehrung reichlich vergelten. Hunderttausend Pfund hat er gestohlen.«
»Bist du wahnsinnig, John,« rief Mutter erbleichend.
»Wohl möglich, denn es ist um rasend zu werden. Dein vollendeter Kavalier ist mit Lornas Halsband auf und davon gegangen. Fünfzig Freigüter, so groß wie unseres, können Lorna den Schaden nicht ersetzen.«
Alle schwiegen entsetzt, und in mir kochte es vor Wut über unsere unerhörte Dummheit. Doch nicht der Wert des Halsbands war es, weshalb ich ergrimmte, es war Lornas Kummer über den Verlust ihres alten Erbstückes und die schmähliche Verletzung des Gastrechts, was mich im Innersten empörte.
Lorna kam jetzt leise zu mir, legte die Hand auf meine Schulter und sah mich schweigend an. Doch senkte sie rasch den Blick, als fürchte sie sich vor mir; ich mochte wohl aussehen wie der Satan selbst, in meinem Zorn. Das erschreckte mich doch und der böse Geist wich aus meinem Herzen.
»Aber John,« flüsterte sie endlich, »soll ich denn denken, dir sei mehr an meinem Gelde gelegen als an mir?«
Ich hätte mich gern allein mit ihr ausgesprochen, um in ihrem Innern zu lesen wie in einem offenen Buch, aber sie sagte nur: »Komm' zur Mutter, sie trifft der Schlag am schwersten, nicht mich.«
Sie hatte recht und ich bat sie Mutter zu trösten, bis ich meiner Erregung Herr geworden sei. Denn wenn ich einmal in Leidenschaft gerate, brauche ich Zeit, um mich wieder zu besänftigen.
Mutter saß noch immer starr und stumm im Lehnstuhl, Lorna aber trat zu ihr, faßte ihre beiden Hände und bat: »Liebste Mutter, härme dich doch nicht so; ich kann es nicht ertragen, dich traurig zu sehen. Kummer und Gram aber sind mein Tod; das hat man mir immer gesagt.«
Mutter fiel Lorna bitterlich schluchzend um den Hals und zerfloß in Thränen, bis Lieschen in ihrer Eifersucht trockene Taschentücher brachte. Ich selbst wäre froh und zufrieden gewesen, hätte ich hoffen dürfen, sie würden bis zur Mittagszeit genug geweint haben. Denn mir war die große Last vom Herzen genommen, die mich bedrückte, seit Tom Faggus uns zuerst erklärt hatte, wie kostbar das Halsband sei. Nun konnte doch niemand behaupten, daß ich Lorna ihres Geldes wegen heiraten wollte. Vielleicht verwehrten die Doones mir auch ihren Besitz nicht mehr, nachdem sie sich ihres Eigentums bemächtigt hatten.
Wer schildert aber Annchens Schmerz? – das arme Ding hätte ihr Leben verwettet, daß sie den Schmuck in vollem Glanz unter dem Milchnapf finden werde. Sie forderte stolz, ich solle ihn aufheben, wenn auch der Zauber gebrochen werde. Das hatte ich natürlich längst gethan. Als Annchen den leeren Platz darunter sah, ward sie bleich wie die Wand. Sie würde vor Schrecken zu Boden gefallen sein, aber Lorna, die sie innig liebte, schloß sie in die Arme und wünschte, daß alle Diamanten wären wo der Pfeffer wächst.
Annchens Kummer that uns von ganzem Herzen leid, doch gab ich ihr den guten Rat, wenn sie wieder einmal einen Zauberspruch brauche, sich lieber an Mutter Melldrum zu wenden, deren Beruf es doch wenigstens sei, die schwarze Kunst auszuüben.