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Einunddreißigstes Kapitel.
Ein nächtlicher Überfall.

Tom war kaum fort und noch flossen Annchens Abschiedsthränen, als Jeremias Stickles, von Kopf bis zu Fuß mit Schlamm bedeckt, bei uns eintrat. Er freute sich zwar, wieder zurück zu sein, war aber sonst in keineswegs rosiger Laune.

»Verfluchte Kerle,« rief er und stampfte mit dem Fuß, daß das Wasser von seinen Stiefeln herumspritzte. »So übel zugerichtet muß ein königlicher Kommissär wieder im Hauptquartier eintreffen. – Bestes Annchen, wollt Ihr mit Euern schönen Händen für mich den Bratspieß drehen? Seit vierundzwanzig Stunden habe ich keinen Bissen gegessen.«

»Dann müßt Ihr ja ganz verhungert sein,« rief mein Schwesterchen in wirtschaftlichem Eifer, »aber das Feuer brennt hell, Ihr sollt nicht lange warten.«

»Herr Stickles sagt das immer, wenn er nach Hause kommt,« meinte Lieschen mit spöttischer Miene, »er muß schon daran gewöhnt sein.«

Annchen war ganz empört. »Schäme dich,« rief sie, »wie wäre dir zu Mute, wenn du hungern müßtest. Schnell, Betty, die Bratpfanne her, und ein Stück Rehziemer.«

Stickles streckte sich behaglich in dem Lehnstuhl aus. »Hier gefällt mir's besser als draußen auf dem Moor, wo ich auf Leben und Tod habe reiten müssen und jeden Augenblick gewärtig sein Hals und Bein zu brechen. Thu' mir die Liebe an, John, und sorge für mein Pferd; das gute Tier ist fast zu Schanden gehetzt, und ihm allein verdanke ich's, wenn ich noch mit heilen Knochen davongekommen bin.«

Nachdem Mann und Roß wohlgepflegt und gesättigt waren, erzählte uns Stickles sein Abenteuer in ausführlicher Breite. Trotz der schlechten, sumpfigen Wege hatte er, von einem Reitersmann begleitet, glücklich die Landacker Brücke erreicht. Allein dort fand er die ganze Gegend überschwemmt, der Strom war weit aus den Ufern getreten und von der Brücke nur noch das Geländer zu sehen. Kurz entschlossen sprengte er in das Wasser hinein, gelangte schwimmend bis an den Brückenkopf und sah sich nach seinem Gefährten um, der sich eben anschicken wollte ihm zu folgen. In demselben Augenblick knallte ein Schuß, der Reitersmann stürzte kopfüber in den Strom und Stickles selbst fühlte eine heftige Erschütterung. Doch war er nicht verletzt, nur die Branntweinflasche, die er unter dem Mantel trug, brach in Splitter und schüttete ihren kostbaren Inhalt über ihn aus. Hinter einer Hecke aber, etwas abseits von seiner Straße, tauchten drei Männer auf; zwei waren beschäftigt von neuem zu laden und der dritte legte die Flinte auf ihn an. Stickles bedachte sich nicht lange, er gab dem Pferde die Sporen, trabte kühn durch das Wasser und geradeswegs auf den Schützen zu. Im Vorbeireiten drückte er die Pistole auf ihn ab, doch der Schuß versagte. Sein Gegner feuerte, traf aber auch nicht. Nun jagte Stickles weiter, so rasch ihn sein Pferd nur tragen wollte; jenseits des Baches aber, über den er setzte, brach er plötzlich in dem trügerischen Moor ein. Während er sich mit Mühe herausarbeitete, hatten seine Verfolger schon den Hügel erklommen. Zwei Kugeln pfiffen dicht an ihm vorbei und Stickles schwenkte triumphierend den Hut, denn er war jetzt auf wohlbekanntem Wege und wußte sich in Sicherheit. Froh, mit dem Leben davongekommen zu sein, erreichte er Plover Barrows, wo er nach der ausgestandenen Angst erquickende Ruhe und Labung fand.

Im Laufe des Abends erstattete er mir noch Bericht, wie es ihm sonst auf der Reise ergangen war. Die ganze Streitmacht, die er im Süden angetroffen, bestand aus einem Reiterregiment und zwei Abteilungen Fußvolk, welche strengen Befehl hatten, ihren Posten nicht zu verlassen. Man gab ihm nur den einzigen Reiter mit, der jetzt, von der Kugel der Doones getroffen, im Fluß ertrunken war. Stickles blieb nichts übrig, als sich an die Behörden zu wenden; die waren auch geneigt sein Vorhaben zu unterstützen, doch entstand die Schwierigkeit, daß niemand mit Gewißheit sagen konnte, ob die Burg der Doones zu der Grafschaft Devon gehöre oder in Somerset gelegen sei. Da der Bagworthy-Fluß die Grenze zwischen den Kirchsprengeln von Oare und Brendon bildet, so schlug Stickles vor, die Landwehr beider Grafschaften möchte sich dahin einigen, ihm beizustehen das Räubernest zu zerstören, um die ganze Gegend von einer Pest zu befreien. Das ward zuletzt beschlossen, nur meinten die Bewohner von Devon, die Leute aus Somerset sollten den Anfang machen, und diese wieder wollten jenen gern den Vorrang lassen. Das Ende vom Lied war, daß Stickles gar keine Hilfstruppen mitbekam, doch gab man ihm das Versprechen, zweihundert Mann würden zu ihm stoßen, sobald die Wege wieder gangbar seien.

Was aber sollte unterdessen aus uns werden? Wir waren schutzlos in die Hände der Doones gegeben und auf unsere eigene Verteidigung angewiesen. Hätte ich nur wenigstens Tom Faggus hierbehalten, der mit seinem Scharfsinn und Mut so viel wert war wie ein halbes Dutzend Leute. Ich hielt eine lange Beratung mit Stickles über unsere Lage, zugleich erzählte ich ihm, was ich von Lornas Geschichte wußte, und daß sie bei uns eine Zuflucht gefunden. Auch Stickles war der Ansicht, wir müßten uns auf einen Überfall der Doones gefaßt machen, besonders nun sie in Erfahrung gebracht hatten, daß er wieder zurückgekehrt sei. Meine Vorsicht, das Korn in Sicherheit zu bringen, lobte er höchlich, auch empfahl er uns, die Eingänge des Hauses zu verrammeln und nachts eine Wache auszustellen. Vor allem aber riet er mir, seine Musketiere aus Lynmouth herbeizuholen und alle mutigen Männer der Umgegend, die sich auftreiben ließen, wenn sie auch keine anderen Waffen mitbrächten als ihre Heugabeln.

Es war eine schwierige Aufgabe, die er mir stellte. Denn, nachdem ich durch unsere Furt getrabt und den Hügel hinaufgeritten war, sah ich, daß die Thäler weit und breit unter Wasser standen. Der Lynn kam brüllend und schäumend herabgestürzt, große Baumstämme mit sich führend, die er an den Felsen zerschellte; von der anderen Seite aber wälzte sich ihm ein noch wilderer Strom entgegen und riß alles mit sich fort, was er in seinem Lauf antraf. Die Brücke war längst in den Fluten versunken, und es wäre Wahnsinn gewesen, sich zu Pferde hinüber zu wagen. Schon glaubte ich unverrichteter Sache heimkehren zu müssen, als ich eine Strecke weiter drüben am Ufer Will Watcombe, den Fischer, gewahrte, der ein altes Boot ausbesserte. Bei dem Tosen des Wassers konnte ich mich ihm nur durch Geberden verständlich machen, aber endlich begriff er, daß ich übersetzen wollte, holte einen Kameraden herbei und die beiden machten ein Boot flott. Es ward zwar weit in die See hinausgetrieben, aber sie langten doch glücklich bei mir an und übernahmen es statt meiner, Stickles' Befehl den Musketieren zuzustellen. Von diesen fanden sich denn auch vier bei uns ein, nachdem sie einen weiten Umweg über das Moor gemacht hatten, auch schlossen sich ihnen noch zwei Küstenwächter an, und das war immerhin eine Hülfe in unserer Bedrängnis.

Ich selbst erreichte Plover Barrows schon zwei Stunden vor den Soldaten, denn ich war in größter Eile wieder heimgeritten. Bei meiner Rückkunft fand ich das ganze Haus in Aufregung. Die Frauen zitterten wie Espenlaub; nur Lorna schien ihre Fassung bewahrt zu haben. Sie erwiderte auf meine Fragen, daß niemand schuld sei an dem Schrecken als sie allein, und erzählte was sich zugetragen hatte.

In der Abenddämmerung war Lorna in den Garten geschlüpft, um aufzupassen, ob die Schnecken sich nicht an die jungen Hyazinthensprossen wagten, die eben erst aus dem Beete hervorguckten. Sie hatte glücklich eine große Hausschnecke entdeckt und trug sie im Triumph nach dem Entenhof, wo über den Vielfraß Gericht gehalten werden sollte. Da bemerkte sie in dem noch wenig belaubten Erlengebüsch, jenseits des Flusses, zwei funkelnde Augen, die unverwandt auf sie gerichtet waren, und erkannte mit Entsetzen das Gesicht des grausamen Carver Doone, der hinter dem Busch lauerte.

Von Angst gelähmt, vermochte sie weder einen Hülferuf auszustoßen noch die Flucht zu ergreifen. Wie gebannt starrte sie nach dem Schrecklichen hin. Der aber weidete sich an ihrer Furcht, hob mit kaltem Hohngelächter seine lange Flinte und zielte gerade auf Lornas Herz. Sie stand wie angewurzelt, konnte kein Glied regen und hätte sich doch so gern vor der tödlichen Kugel geschützt, denn Carver traf sicher, das wußte sie.

Mitleidslos, mit teuflischem Grinsen betrachtete jener sein willenloses Opfer. Dann senkte er langsam den Lauf der Flinte und drückte los. Die Kugel schlug dicht vor Lorna in den Boden ein, daß die nasse Erde sie überspritzte. Während mein Herzlieb, zu Tode erschrocken, auf den Rasen sank, über ihre eigene Feigheit in Thränen zerfloß und mich zitternd herbeiwünschte, trat der boshafte Unhold drüben dicht an den Rand des Flusses, strich sich den kohlschwarzen Bart und sagte mit dumpfer Stimme:

»Diesmal schonte ich deiner noch, weil es zu meinen Plänen paßt und ich nie im Zorn handle. Kehrst du aber nicht morgen zu uns zurück, mit allem was du mitgenommen hast, und hilfst mir den Thoren vernichten, der sich für dich ins Verderben stürzt, so hat deine letzte Stunde geschlagen und du bist ein Kind des Todes.«

Wie zur Bekräftigung stieß er die leere Flinte auf den Boden, wandte sich und schritt fort ohne sich umzusehen. Lorna sah seine Riesengestalt langsam über unsere Wiese gehen und unter den Bäumen verschwinden.

Obgleich mich Carvers Frechheit empörte, suchte ich doch vor allem die geängstigte Lorna zu beruhigen. Als ich ihren Mut pries, weil sie nicht geflohen sei – was sie doch gar nicht konnte – sah sie mich mit einem so glückseligen Lächeln an, daß ich begriff, wie süß das Lob aus einem geliebten Munde dem Ohre allezeit klingt, mag es nun verdient oder unverdient sein.

Wir ließen uns durch des tückischen Carvers Worte nicht in Sicherheit wiegen, was er vielleicht bezweckte, sondern erwarteten mit Bestimmtheit, der Angriff werde schon in der nächsten Nacht erfolgen. Die nötigen Vorkehrungen wurden getroffen, besonders allerlei Vorräte an Lebensmitteln herbeigeschafft, damit die Besatzung nicht zu hungern brauchte. Die Leute waren auch alle guten Mutes und zählten ihre Runden nach den Gläsern Bier, die sie austranken.

Was that aber Lorna zu meinem größten Mißvergnügen? Sie schlang ihre Arme um Mutters Hals und bat, man möge ihr erlauben, nach dem Doonethal zurückzukehren.

»Aber Kind, fühlst du dich denn unglücklich bei uns?« fragte Mutter sehr liebevoll.

»O nein, nein! Nur viel, viel zu glücklich. Friede, Ruhe und wahre Herzensgüte habe ich hier erst kennen gelernt. Wie schlecht und undankbar wäre ich aber, wollte ich zugeben, daß Ihr Euch alle um meinetwillen in so schreckliche Gefahren stürzt. Laßt mich fort; einen so hohen Preis für mein Glück dürft Ihr nicht zahlen.«

»Du bist im Irrtum, liebes Kind,« erwiderte Mutter, Lorna zärtlich an sich drückend; »wir sind nicht deinetwegen allein bedroht. Geh' nur zu John, der wird dir erklären, daß die Politik dabei im Spiele ist.«

Mein Lieb kam nun zu mir; hundert bange Fragen standen ihr im Gesicht geschrieben. Ich versicherte ihr, daß der Angriff, (wenn es überhaupt dazu käme) aus ganz anderen Ursachen unternommen werde als sie vermute. Falls sie heute nacht Lärm höre, solle sie ja nicht an das Fenster kommen, sondern sich nur fester in ihre Decken hüllen und ihre lieben Augen wieder schließen.

Da schmiegte sie sich dicht an mich und flüsterte: »Kannst du nicht fern bleiben von dem Kampf, John?«

»Mein Herz,« antwortete ich und küßte ihr die dunkeln Wimpern, »es wird vermutlich alles still bleiben. Sollten wir uns aber wehren müssen, so darf ich dabei nicht fehlen.«

»Weißt du, was ich glaube, John? – Wenn die Flüsse alle aus den Ufern getreten sind und das Land überschwemmen, wie du sagst, steht gewiß auch das Doonethal unter Wasser, meinst du nicht?«

»Natürlich,« rief ich, »daran hätte ich längst denken sollen. Wie gut, daß es dir eingefallen ist. Alle Gewässer vom Bagworthy-Walde und die Massen geschmolzenen Schnees können unmöglich durch die enge Schlucht am Wasserfall abfließen. Mindestens zwanzig Fuß hoch muß das Thal überschwemmt sein. Und ich Narr habe das gar nicht bedacht!«

»Schon einmal, vor sechs Jahren, nach dem vielen Regen, stand das Wasser schuhtief in unsern Zimmern und wir mußten auf die Berge flüchten. Aber jetzt wird es wohl weit schlimmer sein.«

»Ohne Zweifel. Zu deiner hübschen Grotte kann kein Mensch mehr gelangen, meine Lorna.«

»Um die Grotte ist mir's nicht leid, sie hat ihren Zweck erfüllt,« sagte Lorna mit lieblichem Erröten. »Ich denke nur an die armen Frauen und Kinder, die ohne Obdach umherirren. – Ein Gutes ist aber doch dabei: die Doones können nur wenige Männer gegen uns ausschicken, solange sie selbst in solcher Not sind.«

»Da hast du recht. Wie klug du bist! Deshalb wurden auch nur drei gesandt, um Stickles den Weg abzuschneiden. Wenn sie kommen, werden wir sie mit Leichtigkeit zurückschlagen. Unser Haus aber können sie nicht in Brand stecken. Das Dachstroh ist viel zu naß.«

Die Frauen legten sich frühzeitig zu Bett; nur Gwenny Carfax und unsere alte Betty durften aufbleiben, weil sie uns nützlich sein konnten. Nach meiner Unterredung mit Lorna war mir vor dem Überfall der Doones nicht mehr bange. Schwerlich würden sich mehr als acht bis zehn Mann an dem Zuge gegen uns beteiligen, weil sie in der Wassersnot für ihre eigenen Heimstätten sorgen mußten. Wir aber zählten – Stickles und mich eingeschlossen – acht wohlbewaffnete Männer, zu denen sich noch unsere drei Knechte, der Küster und der Schuhmacher gesellten. Auf diese letzteren fünf war aber kein großer Verlaß, wenn sie auch bei ihren Bierkrügen sehr tapfere Reden führten. Sie waren mit Sensen und Dreschflegeln bewaffnet, und Jakob trug seine alte Donnerbüchse, die dem Schützen leicht gefährlicher werden konnte als seinen Feinden.

Was ich wünschte und hoffte war, Carver Doone diesmal in Person gegenüberzutreten und meine lange Rechnung mit ihm auszugleichen, aber nicht durch einen Schuß im Dunkeln, sondern im Ringkampf, Mann gegen Mann. In ihm glaubte ich endlich einmal einen ebenbürtigen Gegner zu finden, der mir an Stärke und Muskelkraft völlig gewachsen war, und den zu bezwingen kein Kinderspiel sein würde.

Statt also im Hause zu bleiben oder mit den Musketieren die Runde zu machen, begab ich mich in den Wirtschaftshof, wo die Doones wahrscheinlich mit dem Angriff beginnen würden. Sie pflegten bei solchem Überfall zuerst die Heuschober anzuzünden, um sich von der Feuersbrunst leuchten zu lassen, wenn sie die Bewohner ausplündern oder ermorden wollten. Bei uns aber, hoffte ich, sollte ihnen der Streich nicht gelingen; unser Heu und Stroh war zu naß um Feuer zu fangen.

Meine geladene Flinte und einen tüchtigen Knittel neben mir, saß ich wartend im Hofe. Es summte mir in den Ohren und die Augenlider wurden mir schwer. Nicht lange, so sank mein Kopf auf das weiche Heu, ich dachte noch im Halbschlummer an Lorna, dann übermannte mich die Müdigkeit und ein fester, bleierner Schlaf befiel mich.

Es war schändlich so einzuschlafen, während ich mir doch vorgenommen hatte recht wachsam zu sein. Aber ich hatte nach einem sauern Tagewerk den langen Ritt unternommen und den Kampf mit der Wasserflut; dann kam der große Schreck bei der Heimkehr und ich mußte mir das Hirn mit Plänen zermartern, was mir stets am schwersten fällt. Da ich nun hierauf noch tüchtig zu Abend gegessen hatte, war es kein Wunder, wenn ich die Augen nicht mehr offen halten konnte.

Zwar vor Aufgang des Mondes durften sich die Doones nicht füglich hinauswagen. Bei nächtlichem Dunkel war ein Ritt durch die überschwemmten Thäler allzu gefährlich. Ich hätte also unbesorgt eine Weile der Ruhe pflegen können, aber einzuschlafen wie ein Murmeltier, und noch dazu an solchem Ort, war eine große Thorheit. Wie leicht konnte ich in einem Feuerbett aufwachen!

Das wäre auch gewiß geschehen, hätte Lorna mich nicht geweckt. Ich fühlte mich am Arm gerüttelt, sprang auf und griff nach meinem Knittel, um den ersten besten Gegner zu Boden zu schlagen.

»Wer ist da?« schrie ich. »Zurück! – Ehrlichen Kampf, keine Hinterlist!«

»Nicht doch, John,« rief Lornas geliebte Stimme, »schlägst du mich nieder, so stehe ich nie mehr auf.«

»Du bist es, mein Mädchen? – Hier draußen, und mit bloßem Kopf? So folgst du meinem Befehl? Komm' gleich ins Haus zurück, Herzensschatz.«

»Wie könnte ich schlafen, John, wenn vielleicht unter meinem Fenster der Tod auf dich lauert? Die Stunde der Gefahr ist da, die Dunkelheit hält die Doones nicht mehr zurück.«

Sie hatte recht. Der Mond stand hoch am Himmel und erhellte die ganze Gegend. Es wäre unser aller Verderben gewesen, wenn mich der Schlaf noch länger gefangen hielt.

»Der Wächter am Hause schläft auch. Gwenny, die mich herbegleitet hat, sagt, er schnarcht schon seit zwei Stunden. Ich glaube, wir Frauen sollten die Wache übernehmen, weil die Männer so müde sind von der Tagesarbeit. Rate einmal, wo Gwenny jetzt ist.«

»Doch nicht ins Doonethal gegangen?« Ich traute dem mutigen kleinen Ding wahrhaftig jede Kühnheit zu.

»Nein; zwar schlug sie es vor, aber wegen des Hochwassers wollte ich nichts davon hören. – Sie sitzt dort oben im Baum und überblickt das ganze Thal. Wenn die Doones durch den Strom reiten, wird sie uns rechtzeitig warnen.«

»Welche Schande,« rief ich, »daß wir Männer schlafen und die Mädchen Wachtdienste thun. Ich will selbst auf den Baum steigen und Gwenny zu dir herunterschicken. Geh' nur jetzt zu Bett, liebes Herz. Verlaß dich darauf, ich schlafe nicht wieder ein.«

»O, schicke mich nicht weg,« bat sie traurig. »Haben wir doch schon weit schlimmere Gefahren mit einander bestanden. Im Hause ängstige ich mich viel mehr, als wenn ich bei dir bin.«

»Du darfst nicht hierbleiben; es ist rein unmöglich. Wie könnte ich kämpfen so lange du in dem Bereich der Kugeln bist? Sollen wir zwei uns vielleicht in der Obstkammer verkriechen und nicht eher wieder herauskommen, als bis Haus und Scheunen niedergebrannt sind? Was meinst du dazu?«

Das kam Lorna doch lächerlich vor. »Ich sehe wohl ein, daß ich mehr schaden als nützen würde,« sagte sie. »So will ich dir denn gehorchen und ins Haus gehen, aber niederlegen kann ich mich nicht. Versprich mir nur eins, daß du dich so viel wie möglich schonen und keiner Gefahr aussetzen wirst, schon um meinetwillen.«

»Sei nur ganz ruhig, Lorna. Ich stecke die Flinte durch den Heuschober, wenn ich schieße.«

Sie traute mir selbst das Unmögliche zu.

»Das ist prächtig, dann können sie dich nicht sehen,« rief sie. »Aber auf den Baum darfst du nicht klettern, hörst du, es ist zu gefährlich.«

»Wenigstens würde ich, bei meiner Größe, weithin sichtbar sein; das wäre nicht zweckmäßig. Nun laß uns aber nicht länger plaudern, sondern geh', mein Lieb.«

»Gott behüte dich,« rief sie und schritt leichten Fußes über den Hof. Ich aber schulterte das Gewehr, entschlossen, bis zum Morgen die Runde zu machen; denn es wurmte mich sehr, daß ich meine Pflicht vernachlässigt hatte und Lorna mich mahnen mußte.

Noch war ich jedoch nicht lange vor den Ställen und Scheunen auf und ab marschiert, als ich eine kleine kuglige Gestalt vom Mond beschienen auf mich zukommen sah.

»Zehn Mann hoch sind sie drunten über den Fluß gesetzt,« rief Gwenny erregt, als brächte sie frohe Kunde. »Jetzt kriechen sie alle den Heckenweg entlang. Hätte ich Eure Flinte, ich könnte ein paar von den Gesellen niederschießen.«

»Es ist kein Augenblick zu verlieren. Lauf' ins Haus, Gwenny, und hole Herrn Stickles mit allen seinen Leuten; ich bewache unterdessen hier den Wirtschaftshof.«

Ich wollte den Doones nicht den Triumph gönnen unsere Scheunen anzuzünden. Den Knittel in der Hand, die Flinte neben mir, stellte ich mich am ersten Kleeschober auf.

Die Räuber hoben unser verschlossenes Thor aus den Angeln und kamen so ruhig in den Hof geritten, als hätten wir sie eingeladen. Dann öffneten sie die Ställe, zogen unsere braven Pferde heraus und stellten die ihrigen ein. Ich bebte vor Grimm über diese Unverschämtheit. Im Schatten des Hauses sah ich unsere Musketiere in Bereitschaft und nur auf Stickles' Befehl zum Losfeuern wartend; er wollte aber klugerweise den Feind erst näher herankommen lassen.

»Vorwärts, Ihr faulen Burschen,« ertönte jetzt Carver Doones tiefe Stimme; »steckt uns ein Licht an, damit wir den Leuten hier die Kehlen abschneiden können. Und laßt es Euch nochmals gesagt sein: wer Lorna zu berühren wagt, den steche ich auf der Stelle nieder. Sie gehört mir. Aber es sind zwei andere Jungfern hier im Hause, die dürft Ihr mitnehmen, wenn Ihr wollt. Auch die Mutter soll noch recht hübsch sein. Wir haben genug Geduld gehabt mit den frechen Bauerntölpeln; jetzt soll ihnen ihr Recht werden. Tötet alle Männer und Kinder und brennt das verfluchte Nest zu Asche.«

Als er so gotteslästerlich sprach, legte ich auf ihn an. Er trug ein Licht am Gürtel, ich konnte sicher zielen und der Tod war ihm gewiß. Nur abzudrücken brauchte ich und Carver Doone war für immer stumm gemacht. – Sollte man es glauben – ich vermochte es nicht. Später habe ich das oft bitter bereut. Aber ich hatte noch nie Menschenblut vergossen, auch niemand ein Leid zugefügt, außer den unbedeutenden Beulen, Schrammen und blauen Flecken, wie man sie bei einem ehrlichen Ringkampf davonträgt. Die Flinte entsank meiner Hand und ich griff wieder nach meinem Knittel.

Jetzt kamen zwei junge Männer auf mich zu, mit Bränden von geteertem Hanf, die sie an Carvers Lampe angezündet hatten. Als der erste seine Fackel kaum einen Schritt von mir an den Kleeschober hielt – der Rauch verbarg mich ihm – schlug ich auf seinen gekrümmten Arm, daß der Knochen brach. Ein Schmerzensgebrüll ausstoßend fiel er zu Boden, der Feuerbrand auf ihn. Dem andern riß ich die Fackel aus der Hand und schlug ihn damit ins Gesicht. Wütend stürzte er sich auf mich, aber ich kam ihm mit kühnem Griff zuvor und warf ihn mit zerbrochenem Schlüsselbein über seinen Kameraden hin.

Nach diesem gelungenen Streich hätte ich vortreten mögen, um Carver zum Kampf herauszufordern, aber ich dachte an Lorna. Wer sollte sie schützen, wenn die Schurken mich umbrachten?

Plötzlich blitzte am Hause ein greller Schein auf, ein gewaltiger Knall folgte und braune Rauchwolken zogen durch die Luft. Sechs unserer Leute hatten auf Stickles' Befehl Feuer gegeben, als die Doones zu Raub und Mord herangeschlichen kamen. Zwei von ihnen fielen, die übrigen wichen zurück; solche Gegenwehr war ihnen neu. Länger bezwang ich mich nicht; ich schritt quer über den Hof auf Carver zu, den ich im Mondlicht an seiner Größe erkannte, und faßte ihn am Bart. »Seid Ihr ein Mann, so stellt Euch mir,« rief ich.

Er fand vor Staunen keine Antwort; noch nie hatte ihm jemand zu trotzen gewagt. Rasch griff er zur Pistole, doch ich vereitelte seine Absicht.

»Halt, Carver Doone, so war es nicht gemeint,« rief ich. »Ihr seid ein Thor, mich als Gegner zu verachten. An Schlauheit mögt Ihr mir überlegen sein, Ihr elender Bösewicht, aber nicht an Manneskraft. So liegt denn im Kot, wie es Euch gebührt.«

Im selben Augenblick streckte ich ihn der Länge lang zu Boden. Es war ein Ringerstückchen, dem keiner widersteht, der nicht selbst im Ringkampf erfahren ist, und wäre seine Kraft noch so groß. Als die Doones ihren Hauptmann fallen sahen, ergriffen sie die Flucht; wer sich nicht die Zeit nahm, sein Pferd aus dem Stall zu ziehen, lief zu Fuß davon; einer von ihnen schoß noch nach mir und die Kugel streifte meine Stirn. Carver Doone erhob sich fluchend und machte sich aus dem Staube. Ich stimmte dafür, die Feinde zu verfolgen und einzufangen, aber Stickles meinte, wir wären draußen zu sehr im Nachteil, auch dürften wir die Frauen nicht unbeschützt zurücklassen. Das leuchtete mir sofort ein und wir begnügten uns mit dem erfochtenen Siege. Eins war gewiß: so lange die Doones ihre Gewaltherrschaft in Exmoor ausübten, waren sie noch nie auf so kräftigen Widerstand gestoßen oder hatten solche Niederlagen erlitten. Wie würde Carver mit den Zähnen knirschen, fluchen und wettern über die Schlappe, die er doch nur dem Mangel an Vorsicht und seiner eigenen Selbstüberhebung zu danken hatte.

So etwas war zu Sir Ensors Lebzeiten unerhört gewesen, und Carvers Leute standen gewiß nicht an, seiner schlechten Leitung die Schuld beizumessen.

Wir hatten bei dem verunglückten Raubzug zwei Gefangene gemacht und sechs treffliche Pferde erbeutet. Die beiden toten Doones begruben wir ohne Sang und Klang. Zum Glück waren sie nicht von meiner Hand gefallen. Den Tod eines Menschen auf dem Gewissen zu haben, scheint mir die drückendste Bürde, die man tragen kann.

Wer am meisten über meine Wunde jammerte, ob Mutter, Annchen oder Lorna, will ich nicht entscheiden. Das Pulver hatte mir die Haut verbrannt, deshalb sah die Schramme viel schlimmer aus als sie wirklich war. Das Auswaschen, Pflasterauflegen, Schluchzen und Klagen wollte kein Ende nehmen, und ich schämte mich ordentlich vor Jeremias Stickles, mich so verhätscheln zu lassen.

Endlich überzeugte ich die Meinigen doch, daß ich den Geist noch nicht so bald aufgeben würde, und sie dankten Gott von ganzem Herzen dafür.

Stickles schickte unsere Gefangenen gefesselt nach Taunton, ohne erst einen Haftbefehl abzuwarten. Ich hatte ihnen mit Annchens Hülfe den Notverband angelegt und nach Kräften für ihre Pflege gesorgt; auch würde ich sie gern losgelassen haben, falls sie versprechen wollten sich zu bessern, aber Stickles behauptete, hier handle es sich um das öffentliche Wohl und gab es nicht zu, was mich höchlich verdroß. Wenn ich im Ringkampf meinen Gegner werfe, bekomme ich seinen Einsatz; die beiden Doones aber, die ich niedergeschlagen hatte, waren meine Gefangene, und es schien mir selbstverständlich, daß ich über sie verfügen könne. Dem widersprach jedoch Stickles; er lachte über meine Unkenntnis der Gesetze, und ich wollte nicht mit ihm streiten. Wie er voraus gesagt hatte, kamen die beiden armen Kerle gleich nach dem nächsten Gerichtstag an den Galgen.

Schon tags darauf erhielten wir so bedeutende Verstärkung von der Küste, daß wir keinen Angriff mehr zu fürchten brauchten. Ja, man sprach sogar davon, den Kriegszug gegen das Doonethal zu beginnen, ohne die Ankunft der Landwehr abzuwarten. Da die Mehrzahl aber keine Lust bezeugte beim Kampf bis zu den Knieen im Wasser zu stehen, hielt man es für klüger das Unternehmen zu verschieben, bis sich die Fluten verlaufen hätten.


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