Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Vierzigstes Kapitel.
Blutige Arbeit.

Es wäre vergebens, wollte ich versuchen, sämtliche Abenteuer haarklein niederzuschreiben, die ich auf meinem Zuge erlebte. Durch allerlei falsche Nachrichten wurde ich bald hierhin bald dorthin gesprengt, und oftmals mußte ich ganz von meiner Straße abweichen, um den Regierungstruppen nicht in die Hände zu fallen. Wollte ich auch nur die Namen aller Städte aufzählen, durch die ich kam, es gäbe eine lange Liste.

An einem Sonntag, den 4., 5. oder 6. Juli – das Datum konnte ich bei meinen Irrfahrten nicht im Kopfe behalten – ritt ich abends todmüde in Bridgewater ein. Wir bedurften beide der Ruhe, mein Pferd und ich, und freuten uns, wieder einmal an einem Ort zu sein, wo man für sein gutes Geld Fleisch und Hafer kaufen konnte.

Die ganze Stadt war mit den Truppen des Herzogs angefüllt, meist zusammengelaufenes Volk vom Lande, ungeübt im Soldatenhandwerk, kaum die Hälfte gewöhnt eine Flinte zu handhaben. Es ging ein Gerede unter ihnen, des Königs Heer solle schon in der folgenden Nacht angegriffen und mit Gottes Hilfe vernichtet werden; aber ich hatte gelernt, keinem Gerücht mehr zu glauben. Nachdem ich mich vergeblich unter den armen bäuerischen Kriegern nach Tom Faggus umgesehen hatte, beeilte ich mich in mein Wirtshaus zu kommen, wo ich einmal ordentlich auszuschlafen hoffte.

In der Stadt herrschte noch reges Leben, Lichter glitten hin und her und lautes Schreien und Rufen tönte bis in mein Zimmer herauf. Ich schob den Riegel vor, fest entschlossen, mich nicht von der Stelle zu rühren, und wenn auch das Haus in Flammen stände.

Mehrere Stunden mochte ich schon in festem, traumlosem Schlummer gelegen haben, als ich durch einen heftigen Schmerz geweckt wurde. Die Wirtin stand mit einem Licht vor mir, zog mich an den Haaren und rüttelte und schüttelte mich.

»Laßt mich in Ruhe,« brummte ich, »mein Bett ist vorausbezahlt und ich stehe nicht auf.«

»Wollte Gott, junger Mann, die Soldaten des Königs schliefen heute nacht nur halb so fest wie Ihr. Pfui der Schande! Macht daß Ihr in die Schlacht kommt; das Schießen ist schon in vollem Gange und ein Mensch mit Euern Gliedern könnte eine Kanone zum Schweigen bringen.«

»Ich bleibe lieber im Bett,« sagte ich, »was geht mich der Kampf an? Jedenfalls bin ich auf König Jakobs Seite.«

»Dann schlaft nur weiter,« schalt die Frau; »hätte ich das gewußt, ich würde mich nicht so angestrengt haben Euch zu wecken. Nach Eurer Sprache zu urteilen seid Ihr aus Somerset; aber verlaßt Euch darauf: kein Mädchen der Grafschaft wird Euch eines Blickes würdigen, wenn Ihr heute nacht auf der faulen Bärenhaut liegen bleibt.«

»Was frage ich nach den Mädchen von Somerset; die Dame, der ich diene, ist weit schöner als alle die braunen Dinger. Für sie allein würde ich mein Schwert ziehen.«

Ich hatte mir am vergangenen Abend vier Maß Bier von der Wirtin einschenken lassen und ihr dabei meinen Namen genannt! Jetzt ärgerte es mich, daß John Ridds Ruf nicht einmal bis zu ihr gedrungen war, während ich glaubte, er sei im ganzen Lande bekannt. Meine Eitelkeit war verletzt, und das hinderte mich wieder einzuschlafen, trotz aller Müdigkeit. Als ich durch das offene Fenster das Knattern des Gewehrfeuers hörte, samt Trommelwirbel und Trompetengeschmetter, da duldete es mich nicht länger auf dem Lager. Vielleicht war Tom Faggus dort mitten im Gefecht, und schon der nächste Augenblick konnte Annchen zur Witwe machen und mein Patchen zur Waise, noch ehe es das erste Zähnchen hatte.

Rasch sprang ich auf, kleidete mich an und sattelte Kickums um nach dem Schlachtfeld zu reiten. Den Weg dahin konnte mir der schläfrige Stallknecht nicht zeigen, was kümmerte es ihn, wer die Oberhand behielt, so lange man seinen Lohn nur pünktlich zahlte.

Trompetensignale und Flintenschüsse leiteten mich in das offene Marschland hinaus. Beim Mondlicht glaubte ich den Weg nicht verfehlen zu können, aber nicht lange, so verschleierte der Nebel die ganze Landschaft. Zwar war es kein Nebel, wie wir ihn in Exmoor haben, man konnte den Mond noch immer hindurchscheinen sehen, aber die Gegend war mir fremd, überall durchzogen sie Sümpfe und breite Wasserlachen, so daß eine Wildente, die dort ihr eigenes Nest besaß, sich kaum zurecht gefunden hätte, geschweige denn ich und mein Pferd. Glaubte ich auf dem richtigen Pfade zu sein, und hörte das Schlachtgetümmel schon immer näher heranbrausen, so lag plötzlich wieder ein Morast oder ein Wassergraben vor mir und versperrte mir den Weg. Die gräßlichen Töne, die vom Kampfplatz zu mir herüberschallten, vergesse ich mein Lebtag nicht: das Wutgebrüll der Angreifer, das Geheul der Verwundeten, das Ächzen und Stöhnen, dann plötzlich eine lautlose Stille, wenn der Tod seine Ernte gehalten hatte.

Ich verzweifelte schon, jemals einen Ausweg aus dem Gewirr von Sümpfen, Seen und Röhricht zu finden, in das ich geraten war, als ein herrenloses Pferd vom Schlachtfeld dahergesprengt kam. Kickums folgte seiner Spur und so gelangten wir endlich nach dem Dörfchen West-Seeland, wo des Königs Truppen gelagert hatten, ehe sie zu dem nächtlichen Angriff aufbrachen; ihre Wachtfeuer brannten noch. Hier verschaffte ich mir einen Führer, der mich auf vielen Umwegen bis zu der Nachhut des Rebellenheeres geleitete. Wir kamen auf ein offenes Moor, das trübe Wasserstreifen durchzogen; rings wuchsen Binsen, Riedgras und Wasserlilien. Es war etwa vier Uhr und beim Schein der aufgehenden Sonne bot sich uns ein grausiges Bild.

Hätte ich es doch nie gesehen; es verfolgt mich noch jetzt im Traume! Wollte Gott, solche Greuelscenen wären in England nie vorgekommen. Menschen, die noch eben auf Sieg und Ehre gehofft hatten, flohen jetzt nach allen Richtungen, blutüberströmt, bedeckt mit Schweiß und Schlamm; Schwerverwundete lagen röchelnd am Boden, zahllose Leichen deckten das Gefilde. Wer schildert den jammervollen, entsetzlichen Anblick! Das Herz kehrt sich mir im Leibe um, wenn ich nur daran denke.

Ich hatte gerade einem Sterbenden einen Labetrunk aus meiner Flasche gereicht und kniete neben ihm, um auf die Abschiedsgrüße für sein Weib und seine Kinder zu lauschen, die er mir mit gebrochener Stimme zuraunte. Da fühlte ich etwas Warmes meine Wangen berühren; es war ein Pferd, das sich dicht an mich drängte. Rasch sprang ich auf und erkannte Winnie, die mich mit flehenden Augen traurig anblickte. Dann wandte sie den Kopf nach dem Schlachtfeld hin, wieherte leise und sah mich wieder an, als wollte sie sagen: »Verstehst du mich?«

Ich streichelte die Stute, nannte sie bei Namen und versuchte mich auf ihren leeren Sattel zu schwingen. Aber sie schüttelte die Mähne und gallopierte eine Strecke weit fort, blieb dann stehen und sah sich um, ob ich ihr folge. Als ich Kickums bestieg und mich in Trab setzte, gab sie ihre Freude durch fröhliches Wiehern kund und eilte nun rasch vorwärts. Kanonenkugeln kamen daher gesaust und schlugen dicht neben Winnie in den Boden, daß der Schlamm hoch aufspritzte; aber sie beachtete es nicht und beschleunigte nur ihren Lauf. Mir mißfiel Winnies Tollkühnheit, denn ich hätte viel lieber Mann gegen Mann mit einem Feinde gekämpft, als kalten Blutes den Geschossen entgegenzureiten, die durch die Luft schwirrten. Doch wollte ich an Mut nicht hinter dem treuen Tiere zurückstehen.

Das Rebellenheer war in alle Winde zerstreut. Die tapfern Landleute, nur mit Sensen, Picken und Heugabeln bewaffnet, hatten stundenlang im Musketenfeuer gestanden, ohne ihren Gegnern auf den Leib rücken zu können, da die Wassergräben sie trennten. Jetzt waren noch wenige am Leben, die sich zu verzweifeltem Kampf an einander schlossen. Gerade als wir herangeritten kamen, sahen wir den letzten Akt des großen Trauerspiels.

Die Sonne hatte den Nebel vertrieben und von beiden Seiten stürmten des Königs Reiter in rasendem Galopp auf die hilflose Schar der Landleute ein. Wer seine Sense noch mit schwachem Arm zur Abwehr erhob, wurde erbarmungslos niedergeschossen oder in Stücke gehauen. Nach rechts und links mähten die Schwerter in dem dichten Haufen; es bestand vom Anfang an kein Zweifel darüber, wie der Kampf enden müsse. Da ich den armen Leuten nicht helfen konnte und die Kugeln mir gar zu nah um die Ohren pfiffen, war ich froh, daß Winnie jetzt links abbog, und folgte ihr mit erleichtertem Herzen.

Das wackere Tier blieb auf offenem Felde vor einem niedrigen Schuppen stehen, wieherte leise und spitzte die Ohren, um ihres Herrn sonst so fröhlichen Gegengruß zu vernehmen. Da aber keine Antwort kam, drang Winnie ins Innere und ich fand sie am ganzen Leibe zitternd vor dem leblosen Tom Faggus stehen, den sie ängstlich beschnupperte. Der arme Tom sah aus wie eine Leiche, und ich fürchtete schon, hier sei keine Hilfe mehr möglich. Als ich mich aber zu ihm niederbeugte und seine Hand erfaßte, stöhnte er leise. Ich richtete ihn auf, sah die klaffende Wunde in seiner rechten Brust und suchte das Blut zu stillen so gut ich konnte, und ihm einen Verband anzulegen bis ärztlicher Beistand zur Stelle sein würde. Dann flößte ich ihm Branntwein mit Wasser ein, den er mit sichtlichem Behagen trank und nach mehr verlangte. Bald kam Farbe in seine Wangen und er fühlte sich weniger schwach. Er sah Winnie an und erkannte sie; von meinem Arm gestützt saß er aufrecht da und schaute wie träumend um sich.

»Ist Winnie verwundet?« stieß er mühsam hervor.

»Bewahre, sie ist gesund und wohlbehalten.«

»Dann bin ich es auch. Setze mich auf ihren Rücken, John. Wir sterben zusammen, Winnie und ich.«

Wenn er früher dergleichen Äußerungen that, hielt ich es für leichtfertigen Scherz, jetzt sah ich, daß er fest an dies Verhängnis glaubte. Doch wollte ich seinem Geheiß nicht folgen. Es schien mir so gut wie ein Mord, Tom in seinem jetzigen Zustand auf ein Pferd zu setzen. Selbst wenn er sich eine Zeitlang im Sattel halten konnte, mußte er sich notwendig verbluten. Als er mein Widerstreben sah, runzelte er die Stirn und versicherte in abgebrochenen Sätzen, er werde sich den Verband abreißen und keine Hilfe mehr von mir annehmen, wenn ich ihm nicht den Willen thue.

Noch zögerte ich; da stürmte draußen ein Reiterschwarm zur Verfolgung der Flüchtigen am Schuppen vorbei; nur eine Weißdornhecke verbarg uns vor ihren blutgierigen Blicken.

»Nun schnell, John; ich reite hinter ihnen drein. Der Augenblick ist günstig. Winnie bringt mich sicher durch – wir sterben zusammen, sie und ich.« Ich verstand die Worte kaum, die er murmelte, aber sein Entschluß war unerschütterlich und half ihm selbst den grimmen Schmerz überwinden. So band ich ihm denn seine breite Schärpe mehrmals fest um die durchschossene Brust, setzte ihn auf Winnies Rücken, stellte seine Füße in den Bügel und riet ihm sich vornüber zu lehnen, damit die Wunde nicht wieder zu bluten anfange. Er lag fast mit dem Gesicht auf dem Nacken der Stute, aber seine Augen glänzten von neuem Lebensmut, als er mit kaum hörbarer Stimme flüsterte:

»Gott segne dich, Schwager, du hast mich gerettet. Meiner Winnie kommt niemand gleich. Von ihr getragen werde ich leicht gesund werden. Sorge nur für dich selbst, John Ridd!«

Er schnalzte mit der Zunge und die Stute flog davon, in weichem wiegendem Lauf, flüchtig wie ein Vogel.

Da stand ich nun und sah mich nach Kickums um, der in der Wiese graste. Ich hatte eine gute That gethan und dankte Gott, daß sich mir die Gelegenheit geboten. Wie ich selbst aber auf meinem abgetriebenen Gaul, und rings von Schurken umgeben, mit heilen Knochen davonkommen sollte, war mir für jetzt noch ein Rätsel. Tom hatte gut sagen: ›Sorge für dich selbst, John;‹ ich war wieder einmal ein gutmütiger Narr gewesen und durfte mich glücklich schätzen, wenn ich nur ins Gefängnis wandern mußte, statt einen Strick um den Hals zu bekommen. Was würde Lorna dazu sagen?

Jedenfalls brauchten wir beide Ruhe, mein Pferd und ich. Deshalb beschloß ich zu bleiben wo ich war und einstweilen auf mein Frühstück zu verzichten. Der trockene Kuhdünger im Schuppen bot mir ein weiches Lager, dessen Duft mich angenehm einschläferte, und nicht lange, so fielen mir die Augen zu.

Ich mochte vielleicht vier Stunden geschlafen haben, da wurde ich mit rauher Hand aufgeschüttelt und wieder zum Bewußtsein gebracht. Gähnend richtete ich mich in die Höhe und sah etwa zwanzig Soldaten mit drohenden Geberden um mich stehen.

»Der Schuppen gehört Euch nicht, Ihr wackern Leute,« sagte ich, als ich ganz wach geworden war. »Was wollt Ihr eigentlich hier – was führt Ihr im Schilde?«

»Nichts Gutes für dich; es bringt dich an den Galgen,« meinte einer.

»Wollt Ihr wissen, wie man zum Schuppen hinauskommt?« fragte ich ruhig, denn ich bin kein Prahlhans.

»Den Weg hinaus wollen wir dir zeigen« – rief ein Bursche. »Ja, und auch wie man aus dieser Welt kommt« – fiel ein anderer ein. »Aber nicht den Weg zum Himmel,« meinte ein dritter, der ihn gewiß nicht kannte. Dann lachten sie laut über ihren feinen Witz.

»Legt Eure Waffen ab und versucht einen Gang mit mir,« sagte ich; denn ich hätte den Kerlen gern einen kleinen Denkzettel gegeben. Sie sahen gar nicht wie Christenmenschen aus, mit ihren bärtigen kaffeebraunen Gesichtern, dem verwilderten Anzug und ihrem ungeschlachten Wesen. Doch war ich ein Thor, mich überhaupt mit ihnen einzulassen, das erkannte ich später nur allzu deutlich. Die rohen Gesellen lachten mich aus, daß ich es mit ihrer zwanzig aufnehmen wollte; sie stellten ihre Gewehre draußen zusammen und machten sich zum Faustkampf bereit. Auch ich hatte meine Flinte und die beiden Reiterpistolen beiseite gelegt; der Teil des Schuppens, in dem ich mich befand, war mit Brettern abgezäunt, so daß nur zwei der Burschen auf einmal heran konnten.

»Geh' du zuerst, Bob,« hörte ich sie sagen, du bist der Größte; du und Hans, der Ringer; wir andern decken Euch den Rücken.«

»Mir recht!« rief Bob; »ich will dem langen Menschen schon eins auswischen – alle Zähne schlag' ich ihm ein. Aber, so wahr wir ›Oberst Kirkes Lämmer‹ heißen, jeder von Euch zahlt mir nachher ein Glas Schnaps.«

Bob rannte ganz dummdreist drauf los, um mich seine Fäuste fühlen zu lassen, aber ich packte ihn mit starkem Griff am Nacken, hob ihn in die Luft und schleuderte ihn mit aller Wucht über die Köpfe seiner Kameraden weg. Hans, der Ringer, der nun sein Heil versuchen wollte, verstand zwar etwas von seiner Kunst, aber er war zu leicht; schon nach wenigen Augenblicken sandte ich ihn hinter Bob drein. Als die andern sahen, wie übel ich ihren Gefährten mitgespielt hatte, sank ihnen der Mut; sie pflogen Rats zusammen und wichen einen Schritt zurück. Nun ging ich zum Angriff über; ich stürmte so plötzlich und mit solcher Gewalt auf sie ein, daß sie durcheinanderliefen, sich drängend und stoßend wie eine Herde Schafe, die der Hund zu Paaren treibt. ›Kirkes Lämmer‹ machten wirklich bei dieser Gelegenheit ihrem Namen alle Ehre.

Ich hatte meine Flinte aufgerafft, aber die Pistole zurückgelassen; deshalb nahm ich mir zwei andere aus dem Vorrat der ›Lämmer‹. Rasch schwang ich mich auf mein Pferd, das sich tüchtig in Trab setzte, und winkte dem Mordgesindel noch ein Lebewohl zu. Die Schüsse, die sie mir nachsandten, trafen nicht, und ich dankte Gott für meine Rettung, denn die Kerle hätten mich ohne Verhör und Urteil am nächsten Baum aufgeknüpft, wäre es nach ihnen gegangen.

Mein Wort hatte ich gehalten: ich hatte Tom aufgefunden und gerettet – wenn er überhaupt zu retten war. Jetzt konnte ich ruhig nach Hause reiten und Mutter durfte stolz auf mich sein. Einstweilen empfand ich aber einen Bärenhunger und sehnte mich danach ihn zu stillen.

Da stieß ich ganz unversehens auf eine zweite Abteilung von Kirkes ›Lämmern‹, die mich nicht durchließen. Sie hatten vor einer kleinen Schenke die Bierfässer wie Kanonen quer über den Weg aufgepflanzt und kamen mir mit den gefüllten Gläsern schwankend entgegen.

»Viktoria, wir haben unserm König den Sieg erfochten, den müssen wir feiern! Herunter von deinem Pferd, du langer Rebell, und trinke mit uns!«

»Ich bin kein Rebell. Mein Name ist John Ridd; ich stehe auf seiten des Königs. Jetzt habe ich Hunger und möchte frühstücken.«

Das Bier bezahlte ich, aber die Leute waren im übrigen sehr gastfrei, das muß ich zu ihrem Lobe sagen. Sie konnten einen Eierschmarren machen, der mir sehr köstlich mundete nach allen überstandenen Nöten. Wir schmausten, rauchten, plauderten zusammen; sie gaben mir von ihrem Tabak, schlugen mich auf die Schulter und schworen, einen solchen Kerl wie mich hätten sie noch nie gesehen.

So weit ging alles gut, aber da führte der Zufall die unverschämten ›Lämmer‹ herbei, mit denen ich im Schuppen handgemein geworden war.

Nun hatte der Friede ein Ende und es entstand eine große Schlägerei. Meine Gastfreunde behaupteten steif und fest, ich sei kein Gefangener, sondern ein getreuer Unterthan des Königs und der beste Kamerad von der Welt. Die Leute vom Schuppen aber schworen, ich sei ein verdammter Rebell und solle am Strick baumeln, allen Schafsköpfen zum Trotz, die sich durch meine Lügen anführen ließen.

Während sie nun grimmig über einander herfielen und sich die Köpfe zerbläuten, hätte ich mein Pferd besteigen sollen, aber es schien mir nicht passend, mich heimlich aus dem Staube zu machen. Ich war noch unschlüssig, ob ich bleiben oder fliehen sollte, als ein höherer Offizier mit gezogenem Schwert herbeigestürmt kam.

»Oho!« rief er zornglühend und fuchtelte mit der flachen Klinge unter den Soldaten herum, »Ihr wollt meine ›Lämmer‹ sein und schlagt hier die Zeit tot, statt mindestens hundert Gefangene zu machen, die mir ein gutes Lösegeld zahlen! Was habt Ihr da für einen jungen Menschen? – Rede, Bursche, wer bist du? und wieviel wird deine Mutter geben um dich loszukaufen?«

»Ich bin kein Rebell, Euer Gnaden, sondern ein ehrlicher Landmann und getreuer Unterthan. Meine Mutter braucht kein Lösegeld zu zahlen.«

»Ein Landmann bist du? Ha, ha, die können am besten zahlen. Hinauf mit dir an jenen dürren Baum, du sollst als Frucht daran hängen.«

Oberst Kirke winkte seinen Leuten, und ehe ich an Widerstand denken konnte, ward ich mit starken Seilen gebunden und von sechs Soldaten zu dem Baume geschleppt. Die Züge des Obersten waren unbeweglich und hart wie ein Eichenklotz; er schaute so finster drein, daß keiner meiner Gastfreunde von vorhin es wagte ein gutes Wort für mich einzulegen, im Gegenteil, sie zerrten die Stricke um so fester an, ihren Eifer zu beweisen. So wandte ich mich denn selbst an den Obersten und beschwor ihn, den Ruhm seines Sieges nicht durch das Blut eines Unschuldigen zu beflecken. Statt der Antwort befahl er den Leuten mich auf den Mund zu schlagen; als aber mein alter Gegner Bob das bereitwillig thun wollte, hielt ich die Zähne vor und er hieb sich die Knöchel wund. Noch einmal erhob er die geballte Faust gegen mich, aber mein rechter Arm war gerade frei geworden und ich schlug Bob so kräftig zu Boden, daß er das Aufstehen vergaß. Möge Gott mir die Sünde verzeihen! Oberst Kirke ward grün und gelb im Gesicht vor unbändiger Wut. Er schrie, man solle mich totschießen, wie einen Hund, und in den Graben werfen. Die Soldaten legten die Gewehre an, zielten und warteten nur auf das Kommandowort, um Feuer zu geben. Mir blieb keine Zeit mich aufs Sterben vorzubereiten, allerlei Gedanken an Lorna und Mutter schwirrten mir durch den Kopf und ich hielt die Hand vor die Augen. Wie in kaltem Schweiß gebadet stand ich da, als der Oberst nun langsam zu zählen anfing, um sich an meiner Qual zu weiden: »Eins – zwei – drei – Feuer!«

Da erscholl Hufschlag, und während Kirke noch das letzte Wort auf den Lippen hatte, kam ein Reiter zwischen mich und die Gewehrmündungen gesprengt. Ein Schuß ging los, das Pferd scheute und schlug nach vorn und hinten aus. Sogar der Oberst prallte erschrocken zurück.

»Was fällt Euch ein, Hauptmann Stickles,« schrie er erbost; »wie dürft Ihr Euch erdreisten, zwischen mich und meinen Gefangenen zu treten?«

»Gebt mir einen Augenblick Gehör, Herr Oberst,« erwiderte mein guter Freund Jeremias, und seine tonlose Stimme klang mir wie die liebste Musik. Er nahm eine so ernste, wichtige Miene an, daß Oberst Kirke den Soldaten winkte, die Hinrichtung einstweilen zu verschieben, und mit Stickles etwas abseits trat. Was sie sprachen konnte ich nicht verstehen, aber ich glaubte mehrmals den Namen des Oberrichters Jeffreys zu hören.

»So übergebe ich Euch denn meinen Gefangenen, Hauptmann Stickles,« sagte Kirke jetzt laut und vernehmlich; »Ihr bürgt mir für ihn.« Sein Gesicht war scheußlich anzusehen; es wurmte ihn wohl gewaltig, daß seine böse Absicht vereitelt wurde.

Stickles verbeugte sich ernst: »Ich übernehme die Verantwortung, Oberst Kirke,« sagte er. »Folgt mir, John Ridd, Ihr seid mein Gefangener.«

Die wackern ›Lämmer‹ banden mich los, und sobald ich die Arme frei hatte, grüßte ich den Obersten ehrfurchtsvoll, wie es seinem Range gebührte. Er aber achtete nicht darauf, sondern eilte fort, um nach andern Gefangenen zu suchen, von denen er Lösegeld erpressen konnte.

Dankbar schüttelte ich Jeremias die Hand und er selbst war nicht weniger gerührt. »Eine Liebe ist der andern wert, John,« sagte er, »du hast mich damals vor den Kugeln der Doones gerettet und ich habe dich heute durch Gottes Gnade vor noch weit schlimmeren Gesellen beschützt. Kehrst du heim, so laß das Annchen wissen, die mich so treu gepflegt hat.«

 

Kickums, mein Gaul, glich Winnie so wenig, wie ein Mann einem Weibe gleicht. Er hatte wohl gemerkt, daß ich in Gefahr schwebte und eine Weile von ferne zugesehen, aber sich für mich aufzuopfern fiel ihm nicht bei. Er dachte an seine gefüllte Krippe in Plover Barrows und machte sich eilig dahin auf den Weg. Das ist nun einmal so der Lauf der Welt, und ich will Kickums nicht tadeln; mich beunruhigte nur der Gedanke an die Sorge und Angst meiner Mutter, wenn das Pferd ohne seinen Reiter auf unserm Hof ankommen würde.

Auf dem Weg nach Bridgewater, den Jeremias mit mir einschlug, hätte er mich gern entfliehen lassen. Da ich mir aber keines Unrechts bewußt war, weder Waffen gegen den König getragen hatte, noch seinen Feinden Vorschub geleistet, weigerte ich mich, die Flucht zu ergreifen. Vielleicht wäre dann unser Gut mit Beschlag belegt und Mutter von Haus und Hof vertrieben worden. Nein, ich wollte Stickles' Gefangener bleiben und mein Urteil erwarten.

»Dann laß uns eilen, nach London zu kommen, mein Sohn,« sagte Jeremias; »Verhör und Urteil giebt es hier nicht, das wäre zu weitläufig. Man hängt die Leute ohne solche Förmlichkeiten. Wir wollen uns an General Churchill wenden, der mir gewogen ist, vielleicht hilft er uns, daß wir rasch unser Ziel erreichen.«

In Bridgewater fanden wir den jungen Edelmann, der später als Herzog von Marlborough durch seine Siege im Ausland so berühmt geworden ist. Er empfing uns mit vieler Höflichkeit und stellte ein kleines Kreuzverhör mit mir an. Meine Antworten mochten ihn wohl befriedigen, denn er befahl ohne langes Zaudern, mich dem königlichen Gerichtshof in Westminster vorzuführen, und beauftragte Stickles, der ohnehin Geschäfte in London hatte, mich sicher dahin zu geleiten. Mit dieser Wendung der Dinge war ich ganz einverstanden und wünschte nur Mutter die Nachricht zukommen zu lassen, daß ich wohlauf sei und eigentlich nur dem Namen nach ein Gefangener. Ich suchte nach Feldwebel Bloxham, damit er meine Botschaft ausrichte; leider konnte ich ihn aber nicht finden und mußte den Brief einem Soldaten anvertrauen, der gegen gute Bezahlung versprach, ihn zu besorgen.

Wir machten uns nun schleunig auf den Weg; Stickles hatte mir ein Pferd verschafft und wir erreichten London glücklich, wenn auch nicht ohne Aufenthalt. Ich konnte wahrlich von Glück sagen, daß ich nicht Zeuge alle der gräßlichen, blutigen Auftritte und Strafgerichte zu sein brauchte, die sich während der nächsten Wochen in dem unglücklichen Lande abspielten. Die Haare standen mir schon zu Berge, wenn ich nur davon erzählen hörte.


 << zurück weiter >>