Henry Benrath
Die Mutter der Weisheit
Henry Benrath

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Am 15. März gab Kallenbach sein Zimmer auf. Am nächsten Tag wurde es von Manfred Bodenbach, sehr gegen meinen Willen, bezogen.

Manfred ging erregt im Musikzimmer auf und ab:

– Nein – – soweit bin ich wirklich nicht gesonnen, die Diplomatie zu treiben. Soviel Rücksicht, wie du verlangst, geht mir gegen den Strich. Es wäre doch der Gipfel der Unnatürlichkeit gewesen, wenn ich diese einzigartige Gelegenheit nicht ergriffen hätte. Es sind Ferien. Fast alle meine Bundesbrüder sind fort. Die wenigen, die hier sind, haben für ihr Examen zu arbeiten. Herumhockerei auf meiner Bude hat es niemals gegeben. Ich mag das nicht.

– Und Otto Elmenhain?

– Donner und Doria, schrie Manfred – und er war wirklich beinahe ein entfesselter Donar –, dieser Name fängt an, rotes Tuch für mich zu werden! Ich tue, was mir Freude macht. Komme, was da wolle!

Ich ließ ihn toben . . . Ich war glücklich, daß er tobte. Ich wußte, daß wir ausgezeichnet sprechen würden, sobald er sich beruhigt hatte . . . Nun stand er gegen den Flügel gelehnt und schaute mich an. Mit Augen, in denen der Vorwurf funkelte . . . immer schwächer . . . und schließlich in einer Trauer losch. Dann kam er zu mir:

– Soll ich – um des lieben Friedens willen – vielleicht doch nicht hier wohnen?

– Komm, sagte ich. Setz dich zu mir. Wir wollen 207 jetzt ruhig sprechen . . . Du bist hier eingezogen und du wirst selbstverständlich hier wohnen bleiben. Du hast einen freien Entschluß gefaßt, und dessen habe ich mich nur zu freuen . . . Wie dieser Entschluß sich bei Otto Elmenhain auswirkt, werden wir ja in aller Kürze erfahren. Es wird deine Aufgabe sein, dich mit ihm auseinanderzusetzen.

– Selbstverständlich. Ich habe gehandelt – und ich werde verantworten.

– Gut. Wenn es dir gelingt, Otto den überpersönlichen Sinn der Wahlverwandtschaft klarzumachen, werden wir bald den Frieden auf allen Fronten haben . . .

Aber, mein lieber Manfred, es ist da noch ein ganz anderer Punkt, über den wir einmal reden müssen. Man soll tiefe und schicksalhafte Beziehungen nicht abnutzen. Man muß sich nicht immer in dem kleinen Nebenbei des äußeren Lebens begegnen, wenn man sich im Innersten begegnet . . . Die Türen dürfen nicht immer entriegelt sein oder gar offenstehn. Das erscheint dir vielleicht unmenschlich: glaube mir, nur wahres und großes Gefühl hat diese Weisheit aller Weisheiten eines Tages gefunden. Der Sinn unserer Freundschaft ist eine Vertrautheit von Wesen zu Wesen. Nicht von Werten spreche ich – sondern von Stufen. Verstehst du mich?

– Ja. Denn eben um dieser Stufe willen kam ich ja.

– Und sollst du bleiben. Wenn du sie so genau fühlst 208 wie du sie seither gelebt hast, dann ist alles gut. Es ist nicht wahr, daß Bewußtheit die Kraft eines Fühlens mindere. Das behaupten die Phantasten, die Schwärmer, die Verzückten, die Ewig-Sehnsüchtigen. Von alle dem sind wir beide nie etwas gewesen. Wir lieben, was klar ist, blau, licht, einfach. Wir sind beide ganz bewußte, ganz irdische Menschen. Es ist uns nie in den Sinn gekommen, die blaue Blume zu suchen. Sie ist uns anvertraut. Es ist an uns, sie zu hüten . . . 209

 


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