Henry Benrath
Die Mutter der Weisheit
Henry Benrath

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Zwei Tage nach meiner Rückkehr aus Köln war in meiner kleinen Studentenwohnung der letzte Nagel geschlagen, das letzte Buch gestellt, die letzte Schublade ihrer Bestimmung übergeben. Kädda Mulch stand beglückt auf der Schwelle zwischen den beiden Zimmern und sog den Duft der späten Rosen ein, die mir Tante Malkomesius zum Einzug geschickt hatte.

– O meine Zimmer, sagte sie, meine schönen, hochwohlschönen Fürstenzimmer . . .

Dann tappte sie über den Teppich des Schlafzimmers zurück in ihre Küche, denn sie wußte, daß ich jeden Augenblick Tante Eugenies Besuch erhalten würde.

Kallenbach stand noch bei mir.

– Ich habe nun gelernt, sagte er, wie man aus nichts etwas Entzückendes machen kann. Was haben Sie eigentlich, wenn man es genau überlegt, mitgebracht? Ein paar Decken, ein paar Bilder – und die Vorhänge, die das ewig graue Licht dieser Stadt in einen Hauch von Abendrot verwandeln . . .

– Nicht ich habe diese Vorhänge ausgesucht. Eine sehr gütige, sehr wissende Frau hat sie mir geschenkt und mich verpflichtet, sie aufzuhängen. Sie haben die Farbe, die sich oft an Vorfrühlingsabenden in die Fassade von Notre-Dame einnistet . . .

– An Vorfrühlingsabenden, sagte Kallenbach, durch die hauchdünnen Gewebe auf die stille Straße schauend, 88 die im Dämmer der blauen Stunde gegen schwindende Horizonte anstieg . . . Ich sehe die dünnen Säulen der Türme vor mir aufsteigen und die Kerzen im Chor durch die offnen Türen flimmern . . .

Wir schwiegen, ein jeder versunken in seine Gedanken – und schraken auf, als plötzlich Käddas Stimme meldete:

– Die Dame ist da.

– Verzeihe tausendmal, sagte ich zu Tante Eugenie, die noch im Schlafzimmer stand, ich habe weder das Schellen noch dein Kommen gehört . . . Seit deine prachtvollen Teppiche und die Läufer auf dem Vorplatz liegen, verlischt jeder Schritt. Darf ich dir Herrn Dr. Kallenbach vorstellen, der heute vormittag promoviert hat?

– Kallenbach? fragte Tante Eugenie . . . Ist Ihr Vater etwa der Besitzer des Hotel Kallenbach in Wiesbaden?

– Jawohl, gnädige Frau.

– Dann freut es mich doppelt, Sie kennenzulernen. Ihr Vater war ein Jagdfreund meines verstorbenen Mannes.

– Ich weiß es, gnädige Frau. Es ist oft in unsrem Hause von Schloß Mellnau die Rede . . .

– Sind Sie schon lange in Philippinenthal?

– Seit drei Semestern.

– Und Sie haben mir keinen Besuch gemacht?

– Wie konnte ich annehmen, gnädige Frau . . . 89

– Also holen Sie das Versäumte nach, sofern Sie Lust dazu haben . . . Sie bleiben noch in Philippinenthal?

– Bis zum Anfang des nächsten Winters, bis zum Abschluß des Referendarexamens . . .

– So . . . Und Sie haben jetzt schon promoviert?

– Jawohl. Es ist soviel angenehmer, als Dr. jur. in dieses oft unleidliche Examen zu gehen . . .

– Sie müßten dann doch eigentlich meinen Sohn kennen, der Jura studiert. Sind Sie nicht auch bei dem Repetitor Bruchmann gewesen?

– Nein.

– Ich würde mich wirklich sehr freuen, wenn Sie mich besuchten und auch meinen Sohn kennenlernten . . . Grüßen Sie sehr Ihren Vater von mir und sagen Sie ihm, daß auch ich ihn nie vergessen habe . . .

Kallenbach verabschiedete sich.

– Also wir essen heute abend zusammen, sagte er zu mir . . . Sie holen mich ab, wann es Ihnen paßt . . .

– Woher kennst du diesen charmanten Menschen? fragte Tante Eugenie, während sie sich setzte . . . Ich dachte, du kennst niemand hier . . .

– Er ist mein Zimmernachbar . . . Er hat mich für heute abend eingeladen, um sein Examen zu feiern . . .

– Ach so . . . Wie alt mag der Junge sein?

– Er ist eben dreiundzwanzig geworden . . .

– Na ja . . . reden wir von anderem . . . Aber zunächst möchte ich mich einmal umsehen. Ich hatte Tante Eugenie, Renate und Kuno gebeten, 90 als erste Gäste zu einer Tasse Tee zu kommen. Renate hatte sich mit einer ›dringenden‹ Malstunde entschuldigt. Kuno war natürlich auf dem Corpshaus ›ausgerechnet am Nachmittag des achten November völlig unabkömmlich‹. So war ich also mit Tante Eugenie allein – und das war mir das liebste. Denn immer, wenn ich diese Frau ganz für mich hatte, war sie der Mensch, der sie im Grunde war: eine Vannier, die Tochter ihres wundervollen und bedeutenden Vaters. Sie ließ dann ihr gütiges und großes Herz offen sprechen, jenes Herz, das seit fünfunddreißig Jahren in den Namen Malkomesius gelegt war wie Burgunderwein in einen Eiskühler – und eigentlich nur noch von den Verkrampfungen seines verfälschten Schicksals lebte . . . Seine Rettung fand es in nichts anderem mehr als in der Beschönigung alles ihm Gegenwendigen und Feindlichen. Sich die ganze Härte einer bösen Wahrheit einzugestehen und mit der Aufbietung eines äußersten Wollens zu besiegen, war ihm seit dem Tage seiner Fesselung nicht mehr gegeben. Der »Fürst von Mellnau«, wie die Bevölkerung den Bismarckschwärmer und nationalliberalen Gründermagnaten Reinhold Malkomesius genannt hatte, war ein absoluter Herrscher in seinem Bereiche, ein Patriarch in seiner Familie gewesen. Daß man das Herz einer Gattin zu entfalten vermöge, hatte seiner Einsicht so fern gelegen wie die politische Gärung unter seiner Arbeiterschaft – und alle seine Leistungen waren nur denkbar, 91 nur deutbar gewesen auf der unangreifbaren Basis seiner gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Gesichertheit. Hätte sich nur ein einziges Wesen seiner nächsten Umgebung – die Gattin, oder ein Sohn, oder einer seiner jüngeren Brüder – ernsthaft gegen ihn aufgelehnt, so hätte er es vielleicht gelernt, Seiten seines Wesens fruchtbar zu machen, die in einer Aura kritikloser Willfährigkeit verkümmern mußten. Denn er war eine vornehme und weite Natur, ein Seigneur, wenn auch kein Grand-Seigneur gewesen.

– Wirklich, sagte Tante Eugenie, wirklich, Henry, hübscher und behaglicher konntest du es dir nicht gut machen. Diese Wohnung besagt, daß du viel, sehr viel zu Hause sein wirst . . .

– Aber selbstverständlich. Wozu hätte ich sie mir denn sonst – dank deiner reizenden Hilfe – so hergerichtet? Ich habe hier Tag und Nacht zu arbeiten, um mein Ziel zu dem festgesetzten Termin zu erreichen.

– Warum klammerst du dich so sehr an diesen Termin?

– Weil mir jeder Tag kostbar ist. Ich muß vorankommen. Es müssen endlich alle meine Kräfte frei werden für meine eigene Arbeit: für die schöpferische. Da – und nur da – beginnt mein Weg. Mein Weg. Die Zeit des großen Vorbereitens, der uferlosen Stoffaufnahme, drängt in ihr Ende. Die Gestaltung, die sichtbare Leistung, fordert ihr Recht. 92

– Hast du das gleiche nicht Kuno gesagt, als ihr neulich abend zusammen spracht?

– Nein. Kuno sprach mir den ganzen Abend nur vom Corps. Was er sagte, war die Verteidigungsrede eines Menschen, der sich angegriffen fühlt, ohne angegriffen worden zu sein.

– Aus der Haut fahren könnte man, rief Tante Eugenie und ließ ihren Löffel auf die Untertasse zurückfallen . . . Was soll ich nur machen, Henry? Ich schäme mich ja, wenn mich Leute nach Kuno fragen . . .

– Dazu ist doch kein Grund vorhanden. Was brauchst du nach Menschen zu fragen, mit denen du eigentlich gar keine Beziehung hast?

– Wieso keine Beziehung?

– Tante Eugenie: darf ich offen sprechen?

– Ja, warum denn nicht? Wir sind doch unter uns . . .

– Verzeihe, wenn ich erst anfragte. Es ist – wie ich von früher her weiß – nicht leicht, ganz offen mit dir zu sprechen. Man weiß nie, wo du aufhörst Vannier zu sein und anfängst Malkomesius zu werden. Wenn du Malkomesius wirst, machst du das Fenster zu . . .

– Ich habe seit fünfunddreißig Jahren das Fenster zugemacht, sagte Tante Eugenie wie zu sich selbst, während sie in ihre Teetasse starrte . . . Dann hob sie erschrocken den Kopf, wie wenn sie sich auf einer Ungehörigkeit ertappt hätte.

– Halte mich nicht für vermessen, nicht für taktlos, fuhr ich fort . . . Wer weiß, ob wir während meines 93 Aufenthaltes in Philippinenthal noch einmal so zusammen sitzen wie heute, noch ein einziges Mal so sprechen können wie jetzt. Ich verstehe vielleicht noch Kuno – denn Leidenschaften sind Leidenschaften – und es ist besser, ein Mensch hat eine, als gar keine. Das hat bekanntlich Napoleon schon festgestellt. Aber ich verstehe dich nicht.

– Warum nicht?

– Ich verstehe nicht, wieso du in diese Stadt ziehen konntest nach dem Tode deines Mannes. Ich verstehe nicht, daß du es hier noch aushieltest, als du sahest, wie die Hasen laufen. Du bist völlig vereinsamt hier. Du hast keinerlei Verkehr. Du bist – für die Leute – nicht einmal die Vertreterin der Familie, der Potenz Malkomesius. Vielleicht für die Geschäftsleute, die dir gesalzene Rechnungen schicken . . .

– Das stimmt ja alles gar nicht, Henry.

– Doch, es stimmt. Ich nenne nicht Verkehr, was du so nennst. Der französische Lektor und Fräulein Zumbusch und Tante Agathe und die jungen Leute vom Corps und der Doktor Waldtner: gut. Nichts dagegen zu sagen, entre autres! Aber wo sind denn diese »autres«? Wo sind die Ayhler, die ein wirklich großes Haus ausmachen? Wo sind die Toggenburg, die geistreichsten Leute von Philippinenthal? Wo die Wendelin, deren Kunstliebe in ganz Deutschland bekannt ist? Wo der Kreis um den Regimentskommandeur, der ein Freund des Kaisers ist und, wie 94 mir Lorsch sagte, ein Mann von Welt? Wo sind deine Beziehungen in den Nachbarstädten? Wo sind die zum Adel der Umgebung, unter dem ja schließlich auch allerhand Gutes ist? Wenn du schon durchaus hierbleiben wolltest – warum lebst du am Rande aller Möglichkeiten, in deren Mitte du gelebt hast, solange du noch Herrin auf Mellnau warst?

– Weil ich dies alles müde bin.

– Nun: wenn du es müde bist: warum machst du nicht den großen Aufbruch?

– Wohin denn?

– Nach München, nach Antwerpen, nach Gott weiß wohin! Warum gehst du nicht auf Reisen? Warum siehst du dir die Welt nicht an? Warum machst du es nicht wie deine Schwester Marguerite?

– Und Kuno?

– Aber um des Himmels willen: Kuno wird doch nicht ewig dein Schoßkind sein müssen! Er ist sechsundzwanzig Jahre!

– Hast du eine Ahnung, Henry! Kuno verkommt, wenn ich ihn allein lasse!

– Das bestreite ich. Kuno verkommt, wenn er hierbleibt! Was soll denn überhaupt dieses imaginäre Referendarexamen noch für Kuno? Wozu? Vor seinem siebenundzwanzigsten Jahre kann er es nicht machen. Im besten Fall. Dann bleiben drei unbesoldete Jahre bis zum Assessor. Und dann? Das sind doch Chimären! Schicke Kuno – unweigerlich – im nächsten 95 Semester nach Rostock, oder Greifswald, gib ihm gründliche Einpauker– und laß ihn seinen Dr. jur. machen. Und dann verschaffe ihm die Anstellung bei der M-B. A.G. Eine andere Lösung gibt es doch nicht mehr . . .

– Und ich?

– Du? Entweder du bleibst hier und schaffst dir wieder einen Verkehr – oder du tust, was ich dir vorschlug . . .

– Marguerite sagt das gleiche . . .

– Sei überzeugt, daß ich nicht wiederhole, was sie sagt. Meine Erwägungen kommen aus meinem Herzen!

– Das weiß ich . . . Könntest du nicht Kuno sagen, was du mir gesagt hast?

– Zehnmal, wenn er es hören will. Aber das Entscheidende ist, daß du es ihm sagst – und zwar . . . als unwiderruflich . . .

Tante Eugenie sah mich an mit einem verzweifelten Blick aus ihren müden, blaßgrauen Augen. Dann weinte sie plötzlich auf:

– Wenn man fünfundzwanzig Jahre lang mit einem Malkomesius verheiratet war, dann hat man verlernt, Entschlüsse zu fassen . . . Und wenn man zehn Jahre als Witwe in dieser Stadt hingetrauert hat, noch mehr . . .

– Es ist alles, alles gut zu machen, Tante Eugenie, wenn du jetzt noch nachholst, was du unterlassen hast. 96

– Glaubst du?

– Ja. Zu deinem und aller Beteiligten Besten . . .

– Aber wann?

– Sogleich. Kuno mag dieses Semester noch die Charge haben – aber im Sommersemester gehen.

– Ja, es ist besser im Sommer, sagte Tante Eugenie, die Tränen trocknend . . . Sie sagte es wie ein Kind, welches Zahnschmerzen hat, seufzt, es wolle lieber mit dem Gang zum Arzt bis übermorgen warten . . . Sie sagte es mit einer sichtlichen Erleichterung . . . fast mit einer Dankbarkeit gegen mich dafür, daß ich selbst diesen Aufschub gutgeheißen hatte . . . Und begann in Ruhe, ein neues Stück Toast zu essen, das ich mit Butter gestrichen und ihr auf den Teller hingelegt hatte.

– Hast du eigentlich die Eltern Elmenhain schon besucht? fragte sie.

– Nein. Ich hatte noch keine Zeit, will aber im Laufe der Woche einmal hingehen. Siehst du Otto Elmenhain manchmal bei dir oder bei Kuno?

– Nie.

– Wie schade! Er ist ein kluger, gebildeter, wenn auch vielleicht etwas überspannter Mensch . . .

– Es ist da diese ewige Schwierigkeit mit Corps und Burschenschaft . . .

– Wieso? Das hat doch nichts mit persönlichen Beziehungen zwischen Menschen zu tun . . .

– Gewiß nicht. Aber es färbt ab . . . Und besonders 97 natürlich, wenn ein Mensch ein so fanatischer Burschenschafter ist wie Otto Elmenhain . . .

– Möglich. Ich will das nicht bestreiten. Wenn der einen Gaul reitet, reitet er ihn meistens zu Tode. So war er schon auf der Schule – so wird er wohl heute noch sein.

– Er soll übrigens das Niveau seines Bundes ganz außerordentlich gehoben haben . . . und auch jetzt noch heben, obwohl er schon längst in Amt und Würden ist als Assistent des Physikalischen Institutes.

– Das glaube ich ohne weiteres . . . Ich freue mich sehr, ihn wiederzusehen. Und vor allem: seine Mutter . . .

– Ach – magst du diese Frau?

– Ich liebe sie!

– Nun bist du mir aber ein Rätsel.

– Aber wieso denn? Diese Frau ist doch das Natürlichste, das Herzerfrischendste, das es auf Gottes Erdboden gibt . . .

– Du wirst ja ganz begeistert . . .

– Was habe ich als Primaner an reizenden Stunden bei den Elmenhains verbracht, solange sie noch in Usberg wohnten!

– Frau Elmenhain macht sich hier ein wenig lächerlich mit ihrer Singerei. Weißt du, lieber Junge, was für den Hausgebrauch und für die Ohren von Primanern reicht, das reicht noch nicht für die 98 öffentlichen Konzerte des Akademischen Gesangvereins oder für die Kirchenkonzerte der Cäciliengesellschaft.

– Möglich. Aber wer mit solcher Hingabe, mit solcher Leidenschaft singt, der braucht vielleicht – gerade hier in Philippinenthal – nicht unbedingt vollkommen zu sein. Die Dirigenten der beiden Vereine lassen sie doch immer wieder singen, nach dem was du sagst. Wozu sind sie ihr gegenüber verpflichtet? Professor Elmenhain ist ein in den Ruhestand versetzter Archivdirektor, der wohl hier genau so als Einsiedler leben wird wie in Usberg – und sie selbst . . .

– Sie selbst schwimmt mitten im Strom. Sie ist im Damenvorstand des Casinos, im Roten Kreuz, im Schwimmclub, im Wanderclub, im Skiclub . . . was weiß ich noch – –

– Und sicherlich jung und frisch, als ob sie dreißig Jahre alt wäre . . .

– Zu jugendlich, zu frisch . . . Weißt du: es gibt eine Grenze, Henry . . .

– Natürlich. Aber für jeden eine andere, die sich bemißt nach Vorleben und Temperament . . . Warum alles über einen Kamm scheren? Schade, daß du nicht mit dieser Frau befreundet bist . . .

– Sie hat scheußlich über Kuno und Renate gesprochen . . .

– Darf man wissen, was?

– Sie hat beide verwöhnte, eigensüchtige Kinder 99 genannt, denen mit fünfundzwanzig hintendrauf geholfen wäre . . .

– Tante Eugenie: ziehe von diesem Ausspruch das allzugroße Temperament ab: bleibt nicht ein Korn von Wahrheit?

– Möglich. Aber was geht diese Frau das an?

– Das ist eine andere Frage. Wir sagen alle oft Dinge, die uns nichts angehn. Und das Leben wäre vielleicht furchtbar langweilig, wenn es nicht manchmal solche – Entgleisungen gäbe . . .

– Dein Mundwerk, lieber Henry, läßt wirklich nichts zu wünschen übrig . . . man könnte manchmal meinen, man hört . . .

– Germaine, nicht wahr?

– Allerdings.

– Ich hatte heute früh einen Brief von ihr. Sie bleibt den ganzen Winter auf ihrem Gut bei Valencia. Du siehst, sie ist viel bräver, als du glaubst . . .

– Alfonso muß ihr ein ungeheures Vermögen hinterlassen haben . . .

– Es ist halb so schlimm, wie man gesagt hat. Aber immerhin: es reicht für einen und auch für zwei . . .

– Kuno hat es ja gar nicht verstanden, sich mit ihr zu stellen. Er hat alles ernst genommen, was sie sagte, und sie dann dauernd der Unlogik geziehen.

– Na – es ist sehr kühn, von einer Frau zu verlangen, was man im besten Fall von einem Mann verlangen kann . . . 100

– Unverschämtheit!

– Im Gegenteil: eine Verbeugung vor dem größten Charme der Frau . . .

– Du bist gut geworden . . . Du kannst so bleiben . . . Aber halte deinen Schnabel hier in Philippinenthal. Man würde wenig Sinn für deine Frechheiten haben . . .

– Habe keine Sorge, Tante Eugenie: was für den Hausgebrauch gilt, gilt nicht für eine empfindsame Gesellschaft, die um eine Alma mater Kunibertiana kreist. Wenn ich sicher auch noch fast alles zu lernen haben werde: eines habe ich bestimmt schon gelernt: Unterschiede zu machen . . . Was ich dir sage, sage ich sicher niemand anderem!

Kädda Mulch erschien:

– Ein eingeschriebener Eilbrief . . .

– Geben Sie her zum Unterschreiben.

– Ach Gott, meine Zimmer, sagte Kädda, meine hochnobelschönen Zimmer . . . Ein reines Buttewar . . .

Und sie tappte davon.

– Das ist ja eine köstliche Frau, sagte Tante Eugenie . . .

– Ich kann mich irren: aber manchmal dünkt mich, sie wird eine der wichtigsten Erscheinungen meines Lebens bleiben.

Kädda kam wieder:

– Soll ich dem Mann ein Trinkgeld geben?

– Aber natürlich. Geben Sie ihm ein paar Groschen.

– Jo, jo . . . Ein Liebensbrief . . . Nix wie 101 Liebensbrief . . . Nix wie Duftbrief . . . Frau Malkomesius: die Weibsleut hawwe die Kränk in sich . . .

Nein, es war kein Liebesbrief gekommen: nur der Korrekturbogen einer Zeitschrift, mit der Bitte um sofortige Erledigung. 102

 


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