Henry Benrath
Die Mutter der Weisheit
Henry Benrath

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Genau vierzehn Tage später baten mich Bowis Eltern zu einem Abendessen. Zum erstenmal in meinem Leben kam ich mit mittleren Offizierskreisen einer deutschen Provinzstadt in Berührung. Es waren außer mir noch eingeladen ein Major von Atzenow mit seiner Gattin und der Leutnant Elgaß. Ich führte Bowis Schwester Kathinka zu Tisch und hatte zu meiner Linken seine Mutter.

– Also Sie haben sich gut eingewöhnt? fragte mich diese.

– Ausgezeichnet, gnädige Frau. Ich komme mir fast wie zu Hause vor . . .

– Das können wir noch nicht gerade behaupten, sagte Frau von Atzenow. Von Posen nach Philippinenthal ist ja auch keine Kleinigkeit.

– Sie waren gern in Posen?

– Kolossal gerne, antwortete der Gatte für seine Frau. Da oben hatte man die Empfindung, am rechten Platze zu sein. Man fühlte sich als Pionier in einer feindlichen Umgebung. Man war Kolonisator. Aber hier: Warum is man eigentlich in Philippinenthal? fragt man sich immer wieder. Und dann, sehen Sie: eine Universitätsstadt . . . Hier herrscht der Student. In Posen: Die Regierung und das Militär . . . Hier is man Tangente in den Augen der Bevölkerung, die recht nett ist, aber im Grunde doch fast beleidigend gleichgültig, vielleicht abgesehen von der Lebensmittelbranche, die am Regiment verdient . . . Stimmt doch? 141

– Na, selbstredend, sagte der Oberstleutnant von Langenbusch, selbstredend. Ich mache das nu jetzt sechs Jahre hier mit – ich kann mir Schöneres denken. Mir ist diese Bevölkerung zu flau. Die Leute sind schon verbildet. Sie rutschen zu viel hin und her, fahren zu oft in die naheliegenden Großstädte, Frankfurt – Wiesbaden – Darmstadt – und sind ganz unsichere Kantonisten. Sie lesen auch zuviel Zeitung – und haben Begriffe von persönlicher Freiheit, die einem über die Hutschnur gehen . . .

– Das kann ich ganz und gar nicht unterschreiben, sagte ich. Die Bevölkerung dieser Gegend ist sogar sehr militärfromm, unterwürfig allerdings ist sie nicht . . .

– Sind Sie aus Philippinenthal?

– Nein, Herr Major. Ich bin Rheinländer . . .

– So . . .

– Herr Benrath hat lange auf der Sorbonne und der Nationalbibliothek in Paris gearbeitet, sagte Frau von Langenbusch, und ist jetzt hierhergekommen, um zu promovieren . . .

– Aha . . . Wie interessant . . .

– Er war so liebenswürdig, Bowis Schulfranzösisch etwas aufzufrischen, damit der Warnungszettel an Weihnachten ausbleibt, fuhr sie fort . . . und will das auch noch weiter fortsetzen, wenn er nach Weihnachten wieder zurück ist.

– Sie werd'n mir doch aus meinem Jungen keinen 142 Franzmann machen, lachte Bowis Vater, sein Glas gegen mich hebend . . .

– Nicht die geringste Anlage dazu vorhanden, Herr Oberstleutnant. Also keinerlei Gefahr im Verzug . . .

– Kennen Sie den Doktor Jacquemier? fragte Elgaß.

– Selbstverständlich.

– Ich höre mir seinen Zyklus über George Sand und ihre Beziehungen zu Musset und Chopin an. Der Mann spricht ausgezeichnet . . .

– Sieh da, sagte Frau von Atzenow, Elgaß hört literarische Vorlesungen . . . Elgaß ist überhaupt so ein Heimlicher . . .

– Sie sind erkannt, Elgaß, rief Langenbusch . . . Aber lassen Sie sich nich irre machen! Was einer weiß, das weiß er . . . Un wozu's gut is – das kann im voraus keiner sagen . . . Wenn das mit den Schikanen in der Marokkofrage noch lange so weiter geht, dann wird die Bombe ja wohl bald zum Platzen kommen . . .

– Aber die Marokko-Verhandlungen sind doch am 4. November zwischen Caillaux und Kiderlen abgeschlossen worden, Herr von Langenbusch. Die handelspolitischen und wirtschaftlichen Interessen Deutschlands im Reich des Sultans sind gesichert, und sein Verzicht auf Landerwerbung in Marokko ist kompensiert durch die Abtretung eines großen Gebietes im Innerafrika – wenn ich nicht irre dreihunderttausend Quadratkilometer. 143

Stillschweigen.

– Und Sie glauben, lachte Atzenow, daß die Kerle nun Ruhe geben?

– Haben Sie politische Beziehungen in Paris? fragte Elgaß.

– Nicht die geringsten. Ich lebe ausschließlich in künstlerischen und wissenschaftlichen Kreisen. Was ich an politischen Menschen kenne, sind Leute, die ich zufällig einmal in irgend einem befreundeten Hause treffe . . .

– Kennen Sie den deutschen Botschafter?

– Nein.

– Soll 'n Schlappschwanz sein, sagte Atzenow, seine Frau ablösend. Na, überhaupt – unsre Auslandvertretungen . . .

– Wollen Herr Major mir die Frage erlauben, ob man so verallgemeinern kann? sagte Elgaß.

– 's muß schon schlimm sein, bemerkte Frau von Langenbusch, ihre etwas gerötete Nase betupfend (sie litt an chronischem Stockschnupfen). Sie halten ja immer den Diplomaten die Stange, Elgaß.

– Ich bemühe mich, ihrem schweren Berufe gerecht zu werden, meine verehrte gnädige Frau . . .

– Da haben Sie recht, sagte Langenbusch. Ein schweinemäßiger Beruf. So'n Mann weiß ja schließlich selbst nicht mehr, ob er lügt oder die Wahrheit sagt . . .

– Dann, rief ich, dann ist er allerdings ein sehr schlechter Diplomat . . . 144

– Finde ich auch, Herr Benrath, bestätigte Elgaß. Denn der Grad der Selbstdisziplin und Selbstkontrolle entscheidet doch wohl auch hier . . . Ich denke es mir fabelhaft, tausend Fäden in der Hand zu halten und sie je nach Bedarf spielen zu lassen . . .

– Pfui Deuwel! prustete der Oberstleutnant . . . Nischt für mich! Klare Verhältnisse – ja oder nein . . . Anders kann ich nicht leben . . . Und, letzten Endes, wird ja auch nur so Geschichte gemacht . . . Die gordischen Knoten löst nur das Schwert. Aber wir wollen die Politik ruhen lassen . . . Hier kommt 'n Hase, der um freundlichen Zuspruch bittet . . .


Ich saß nach Tisch, als sich die Offiziere im Arbeitszimmer des Hausherrn noch über dienstliche Dinge unterhielten, mit Bowi bei den Damen im Salon . . . in einem regelrechten grünen Plüschsalon, dem nur ein schöner Kristalleuchter und einige Blumenstöcke – Primeln und Kamelien aus dem Ayhlerschen Treibhause – eine etwas erhöhtere Aura gaben.

– Tanzen Sie viel drüben? fragte mich Kathinka.

– Nein. Während der Saison einmal die Woche . . . Und Sie?

– Noch weniger . . .

– Wie ist das möglich? Hier, in einer Universitätsstadt, wo so viel nette junge Leute in den Verbindungen sind?

– Vater wünscht solchen Verkehr nicht . . . 145

– Wir leben hier, schnuffelte die Mutter Langenbusch, in einem studentenfeindlichen Haus. Mein Mann hält nicht viel von dem ganzen Verbindungskram und noch viel weniger von dem gelehrten Betrieb. Er findet das alles anmaßend. Diese Wichtigtuerei der Professoren, ihre Eitelkeit, wenn sie irgend einen Wälzer geschrieben haben, den kaum einer versteht und noch weniger einer liest: das ist nichts für ihn. Er ist eine zu einfache, zu soldatische Natur . . . Sein eigner Stand genügt ihm. Wir haben überhaupt mit Zivilisten keinen Verkehr, die Ayhlers ausgenommen . . . Wir müssen uns natürlich seinem Geschmack anpassen . . .

– Aber?

Frau von Langenbusch drohte mit dem Finger:

– Sie sind ein Schwerenöter, Herr Benrath, Sie wollen mir hier Bekenntnisse entlocken . . .

– Bekenntnisse?

– Na, was denn anderes?

– Sag's doch schon, drängte Kathinka . . . Wir sind andrer Ansicht als Papa. Und wir werden uns auch durchsetzen . . . Wir werden mit der Burgundia Beziehungen aufnehmen. Ich will es – und was ich will: das drücke ich durch!

Ihr schöner, hellblonder Kopf glühte . . .

– Kennen Sie einen Baron Lorsch? fragte Frau von Langenbusch . . .

– Jawohl . . . 146

– Sie kennen Lorsch? riefen Mutter und Tochter zusammen . . . Lothar von Lorsch? . . . Ach Gott, erzählen Sie uns doch von ihm . . . Er ist ja wie vom Erdboden verschwunden . . . Wo ist er denn?

– Sein Vater hat ihn in das Orientalische Seminar nach Berlin geschickt. Er muß dort ein halbes Jahr lang arbeiten und wird zu seinem Doktorexamen im Hochsommer wieder hierherkommen . . .

Mutter und Tochter warfen sich einen Blick zu, den Blick einer Erleichterung . . .

– Dieser Lorsch, sagte Frau von Langenbusch, ist der netteste Corpsstudent, den wir jemals hier sahen . . . Pst, machte sie dann sogleich . . . Die Herren kommen . . .

– Nee, nee, nee, nee, mein lieber Atzenow, polterte der Oberstleutnant, das wäre ganz bestimmt nich im Sinne von S. M. Wenn er uns hier besucht, so ist das eine reine Regimentsangelegenheit. Daß die Bürger zu der Sache rangeholt werden – – Na, wir werden ja sehen . . .

Elgaß war zu mir in eine Fensternische getreten.

– Sehn Sie Herrn Jacquemier auch bei sich? Haben Sie Verkehr mit ihm?

– Ja. Er war vorige Woche einen Abend bei mir . . .

– Ach . . . Würden Sie es als unbescheiden empfinden, wenn ich Sie bäte, mich mit ihm bekannt zu machen?

– Das tue ich mit dem größten Vergnügen. 147

– Ich möchte, daß er mich literarisch in einer gewissen Richtung berät . . . Ich lese sehr viel . . . Zeit hat man ja hier haufenweise, wenn man will . . .

– Wenn man will . . .

– Na natürlich. Is nich alles in diesem Leben: wenn man will?

Zum erstenmal an diesem Abend sah ich eine Belebung in das blasse, schmale Gesicht des I,eutnants hinaufklimmen . . . in dieses beängstigend abgeriegelte Fin-de-race-Gesicht eines Hamburger Großkaufmannssohnes.

– Wie halten Sie es denn hier in Philippinenthal aus? fragte er, den rechten Mundwinkel etwas hochziehend und die kleinen, kaltgrauen Augen schließend.

– Gut.

– Ehrlich gut?

– Ja.

– Kommen Sie auf Ihre Kosten?

– Ja.

– Fehlt Ihnen nich so das Drum-und-Dran? Der Reiz überhaupt?

– Nein.

– Versteh ich nich.

– Wissen Sie, was ich nicht verstehe? Daß Sie hier in diesem Regiment sind . . .

– Bin ich wohl auch nich mehr allzulange . . . Lesen Sie auch viel? 148

– Für mein Doktorexamen, sehr viel . . . Für andres habe ich leider augenblicklich nicht genug Zeit . . .

– Interessieren Sie sich für erotische Literatur?

– Nein.


– Ja, Herr Benrath, sagte er zu mir, als ich ihn etwa anderthalb Stunden später bis an das Kasernentor begleitet hatte . . . so is das nun mit mir. Daß man, wenn alle Ventile fehlen, kein besonders guter Soldat ist, werden Sie verstehen . . . Man braucht zu lange Zeit, bis man hinter sich selbst kommt . . . Un merkt man schließlich, wie die Hasen laufen, dann is man schon im Eise festgefahren . . . Nein, nein . . . es is nich immer sehr schön, dieses sogenannte Leben . . . 149

 


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