Henry Benrath
Die Mutter der Weisheit
Henry Benrath

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Als es eben fünf schlug, betrat ich mit Möhl das Schwimmbad. Wir sprangen von den federnden Brettern, schwammen um die Wette und balgten uns im klarblauen Wasser herum wie zwei Schulbuben. Ich war so lustig, wie ich nie seit meiner Ankunft in Philippinenthal gewesen war. In das Schwimmbad gehen war in dieser Stadt ein kleines Ereignis: ein Freiwerden von dem muffigen Geruch der verstaubten Hörsäle und der überheizten Seminare. Ein Heraustreten aus der Abgeschabtheit der Anzüge in das Glänzen atmender Haut, aus der Versackung in die Gliederung. Kein noch so weiter, noch so südlicher Meeresstrand hatte mir jemals in den Tagen meines Vorlebens eine solche Entlastung gegeben wie diese hohe, weißgoldne Halle, in der es sprühte, blaute, glänzte und spiegelte, als seien die Lichter des Mittelmeeres in ihr eingefangen . . . Vom ersten Augenblick meines ersten Besuches an hatte ich diese Halle geliebt, in der soviel spielende Bewegung, soviel ungebundene Natur, soviel bezaubernd-gedankenloses Knabentum durcheinander trieben . . . Und immer hatte ich nach langem Umherwandeln in dem Korbsessel geruht, der über der Stelle stand, wo aus einer flachen Marmormuschel das Wasser in das Becken schäumte . . . Dieses Rauschen . . . Dieses gleichmäßige, ruhende Rauschen durch den Lärm des Bubengeschreis: das war das Gleichmaß der Weiten, die ich je gekannt, der ewige Gang des großen Lebens, 131 dem ich den inneren Ablauf dieses akademischen Jahres schon anzugleichen begann . . .

Auch nun, nachdem Möhl gegangen war, saß ich, in meinen weißen Bademantel gehüllt, in dem gleichen Sessel und schaute in den Regenbogen der niederstäubenden Deckenduschen, als mir auffiel, daß sich zwei Knaben von sechzehn oder siebzehn Jahren immer wieder an mir vorbeidrückten, lachten, sich nach mir umdrehten und sofort wieder die Köpfe wandten, wenn sie bemerkten, daß ich sie fragend anschaute. Der eine dieser Jungen hatte einen etwas gedrungenen, braunen, fast römischen Körper, einen ebenso gedrungenen Kopf, dichtes braunes Haar und schwermütige Augen . . . der andere, hellere, war hochaufgeschossen, ging auf schlanken, kerzengeraden Beinen, die in sehr knappe, männliche Schenkel ausliefen und sich aus fast minoisch engen Hüften bewegten. Die Brust war breit, der dunkelblonde Kopf sehr edel und hochmütig, die Augen grau, groß und von übermäßigem Leuchten . . . Die beiden wandelten Arm in Arm um das ganze Becken, nun schon zum dritten Male, und näherten sich mir wieder, während sie zusammen flüsterten und mich anschauten.

– Halt, sagte ich, den linken Fuß vorstreckend, als sie an mir vorbeihuschen wollten. Was wollt ihr von mir? . . .

Namenloses Erschrecken, jähes Erröten – und unendliche Verlegenheit . . . 132

– Also? sagte ich, aufstehend . . .

Der Dunkle fand das Wort:

– Ich bitte Sie sehr um Verzeihung für unser albernes Benehmen. Wir wissen, wer Sie sind.

– So. Dann sagt mir einmal, wer ihr seid.

– Ich heiße Edgar Wenkendorf. Meine Mutter war eine Kusine von Kunos Vater . . . Und dies hier . . .

– . . . von Langenbusch, stellte sich der andere mit einer eckigen militärischen Bewegung vor.

Ich gab beiden die Hand.

– So, sagte ich zu dem Dunklen, Sie sind also Kunos entfernter Vetter . . .

– Ich war neulich bei Tante Eugenie, da sollten Sie auch zum Tee kommen. Aber Sie haben abgesagt, und ich war sehr traurig . . .

– Warum?

– Ach, Herr Benrath, Sie sollen so schöne Witze erzählen können. Tante Eugenie sagt, man lacht sich krank – und ich lache doch so gern . . .

– Das Vergnügen können Sie haben . . .

Der Dunkle klatschte in die Hände, die vollen, dunkelroten Lippen spaltend und das makellose Elfenbein seiner Zähne sehen lassend.

– Ich auch, sagte der andere. Ich auch . . . Darf ich?

– Aber selbstverständlich . . . Ihr seid wohl Klassenkameraden?

– Ja, sagte Edgar. Wir sind Obersekundaner.

– Und wie alt? 133

– Sechzehn. Wir sind noch nie hängen geblieben.

– Mir wird allerdings dieses Schicksal wohl dieses Jahr –

– Ach, Blödsinn, Bowi, rede dir doch so etwas nicht ein . . .

– Wie heißen Sie?

– Bowi. Ich heiße Botho-Wilhelm. Daraus hat man Bowi gemacht . . .

– Und Sie meinen, Sie werden dieses Jahr nicht versetzt? Wo hapert es denn?

– Latein und Französisch.

– Und Griechisch geht? Das ist doch viel schwerer?

– Griechisch liegt mir mehr. Ich stehe zwar auch nicht besser als genügend, aber das ist doch wenigstens besser als nicht genügend.

– Haben Sie denn etwas zum Ausgleichen?

– Ja, Mathematik gegen Latein. Mathematik gut bis sehr gut . . .

– Bleibt also Französisch.

– Ja . . .

– Na, sagte ich, da es scheinbar in meinem Schicksal beschlossen ist, daß ich deutschen Jungen in fremden Sprachen auf die Beine helfe, so will ich Ihnen einen Vorschlag machen: Bringen Sie mir Ihre Hefte. Vielleicht kann ich Ihnen nützlich sein.

Bowi errötete:

– Das kann ich doch kaum annehmen. Wie darf ich Ihnen denn Ihre kostbare Zeit stehlen! 134

– Ich schenke Sie Ihnen ja, soweit möglich. Und was man schenkt, das muß man haben . . .

Bowi verneigte sich mehrere Male . . . Er war sehr glücklich.

– Und wie steht es mit Ihrer Wissenschaft? fragte ich Edgar.

– Ach der! sagte Bowi. Großkapitalist! In allem gut und sehr gut – nur in Mathematik schwach . . .

Ich sah, daß Edgar ein goldnes Armband trug, das am Verschluß ein kleines, farbiges Schild aufwies.

– Was ist denn das? fragte ich, sein Handgelenk gegen meine Augen hebend.

– Die Farben meines zukünftigen Corps. Burgundia.

– So . . .

– Eigentlich von der Schule aus nicht gerne gesehen, aber ich trage sie doch . . .

– Und Sie wissen heute schon, daß Sie zu einem Corps gehen wollen?

– Allerdings. Und ich weiß auch schon, wer mein Leibbursch sein wird: das wird Harry Vahrenkamp sein, der ein Jahr vor mir aktiv wird.

Ich lächelte.

– Und Sie? fragte ich Bowi, haben Sie dieselben Absichten?

– Nee, machte Bowi. Studentenspielen is nich! Ich werde Offizier, wie mein Vater. Ein paar Jahre da auf der Universität herumbummeln, das gute Geld 135 versaufen – und am Ende noch im Examen rasseln: das könnte meinem Alten so passen!

– Gott, hab' dich doch nicht so, sagte Edgar . . . Was tut denn schon so'n kleener Leutnant?

– Was er tut, is ganz wurscht. Dienst tut er. Was er is, darauf kommt's an . . .

– Na, was ist er denn? fragte ich Bowi, der sich in Positur gesetzt hatte wie ein Hahn, der zum Kampfe ausholt . . .

– Der verantwortliche Vertreter der obersten Schicht der Gesellschaft . . .

– In welchem Katechismus haben Sie das gelesen? lächelte ich.

– Bowi, klopf keine Sprüche! mahnte Edgar. Tu dich nicht so dick mit etwas, das du noch gar nicht bist. Mach erst Maturum.

Bowi, ohne jede dialektische Begabung und im Denken langsam, fand als einzige Antwort:

– Na warte nur, du mieser Ziviliste, wenn du auf dem Kasernenhof vor mir stehst!

– Da haben wir den Salat, sagte Edgar und klopfte Bowi auf die Stirn . . .

– Geh weg, sagte Bowi, der in seiner Hilflosigkeit vor Wut kochte, und stieß Edgar gegen die Brust. Edgar taumelte wider die Messingstange eines Sprunggeländers und wäre in das Wasser gefallen, wenn ihn Bowi nicht im letzten Augenblick an der Schulter gefaßt und an sich gezogen hätte. 136

– Mensch, sagte er, halb verlegen, halb erschrocken: Mensch: mußte denn gleich torkeln, wenn ick dir man freundschaftlich am Busen klopfe . . .

Edgar versuchte zu lachen. Es gelang ihm nicht recht.

– Was sich liebt, neckt sich, sagte ich. Woher können Sie denn so schön berlinern?

– Vom Vater her. Außerdem bin ich geborener Berliner. Wir sind erst seit sechs Jahren hier in diesem doofen Kaff . . .

– Scheint Ihnen aber ganz gut bekommen zu sein . . .

– Na, sagte Bowi, das ließe sich wohl nur einwandfrei feststellen, wenn man wüßte, wie ich mich in der Berliner Luft entwickelt hätte . . .

– Sei mal froh, daß du hier bist, sagte Edgar . . . Da droben wärst du noch rüder geworden . . .

– Meinst du? fragte Bowi.

Die Jungen standen jetzt wieder dicht nebeneinander, Schulter an Schulter, als ob nichts gewesen sei.

– Racker! sagte Bowi, die Geste des Beißens machend. Immer muß er dem armen Militär eins am Zeug flicken . . .

Der Badewärter kam zu unsrer Gruppe:

– Meine Herren: darf ich Sie bitten, ans Ankleiden zu denken, es ist halb sieben . . .

– Gehn wir ein Stück zusammen? fragte ich. Ich wohne Schloßallee 8 . . . 137

– Famos! rief Bowi, da sind wir ja Nachbarn. Wir wohnen schräg gegenüber, Nummer 11 . . . Ach, schrie er plötzlich, während wir unsren Zellen zugingen, nun weiß ich, nun weiß ich: die Vorhänge, die Vorhänge! Ei wei! Das wird meiner Mutter Spaß machen, wenn ich ihr sagen kann, wer hinter diesen Vorhängen wohnt . . .

– Hat denn Ihre Mutter soviel Interesse an diesen Vorhängen?

– Aber selbstverständlich . . . Hat man denn hier je eine solche Farbe gesehen?

– Diese Farbe muß wie so viele Dinge von innen gesehen werden . . . Dann erst erfüllt sie ihren Zweck.

– Muß ich meinem Vater erklären . . .

– Warum?

– Ich habe mich verplappert, Herr Benrath. Entschuldigen Sie . . . Ich kann Ihnen das nicht sagen.

– Man kann mir alles sagen. Ich bin ja nur für meine Meinung verantwortlich, nicht für die andrer Leute . . .

– Und werden Sie meinem Vater auch nichts nachtragen? Mein Vater ist ein großartiger Mann, an dem ich mit allen Fasern hänge . . . Aber er ist, wie alle Offiziere in seiner Lage, oft ruppig und knorrig . . . Mit der Marie is es nich weit her – und wie's mit der Karriere wird, weiß man auch nich, wenn nich bald Offiziere sehr benötigt werden . . .

– Na, Bowi, also sag's schon, mahnte Edgar. Es ist doch ein köstlicher Witz . . . 138

– Mein Vater hat gesagt, das sind keine Vorhänge, das sind Schummerfetzen! Wenn es nach meinem Vater ginge, gäbe es überhaupt nur Feldbetten und Kernseife!

– Meine Herren, meine Herren, es ist höchste Zeit, mahnte der Badewärter von neuem.

Bowi rannte in seine Zelle auf die andre Seite des Bassins, Edgar, der mein Nachbar war, trat einen Augenblick in die meine. Sein eben noch so lustiges Gesicht hatte wieder den schwermütigen Ausdruck angenommen, der ihm eigen war, wenn die Züge ruhten . . .

Was mochte er noch auf dem Herzen haben?

– Sie waren auf der Schule sehr eng mit meinem Vetter Kuno befreundet? fragte er etwas scheu.

– Das kann man wohl sagen . . .

– Und dann sind Sie doch nicht mit ihm zusammen in das Corps Burgundia eingetreten?

– Eine Pennälerfreundschaft verpflichtet nicht zu Dingen, die einem nicht liegen . . .

– Ja – aber geht dann nicht eine Freundschaft in die Brüche?

– Was in sich stark ist, mein lieber Junge, geht nicht so leicht in die Brüche. Was nur durch äußere Umstände gedieh, sehr leicht, wenn diese Umstände schwinden . . .

– Wissen Sie – eigentlich möchte ich nach dem Maturum zwei Semester im Ausland studieren und mir die Welt ansehn, wie Sie es gemacht haben . . . 139 Aber ich habe mich meinem Freunde Vahrenkamp gegenüber verpflichtet, ins Corps zu gehen . . .

Er starrte auf den Boden . . . Dann drehte er seinen Kopf zu mir und sah mich an.

– Besuchen Sie mich, Edgar . . . Kommen Sie am Montag um fünf. Dann sprechen wir über alles, ja? Und jetzt ziehen wir uns rasch an . . . Ich bin heute abend eingeladen . . .

Das sorgenvolle Gesicht erhellte sich . . .

– Mensch, Edgar, schrie Bowi, der gerade den Vorhang seiner Zelle zurückschlug, von der anderen Seite herüber, biste denn immer noch dekolletiert? Ich bin fertig . . . 140

 


 << zurück weiter >>