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Vierundzwanzigstes Kapitel.
Der neue Capitain

Das Absegeln eines großen Schiffes aus dem Hafen ist heute nicht mehr, wie vor funfzig Jahren ein Ereigniß von großer Wichtigkeit, da man in den Hafen von Boston an manchem Tage 20 Schiffe einlaufen oder aus dem Hafen auslaufen sieht. Trotz dessen aber hatte sich am Bollwerk eine Anzahl Müssiger angesammelt, da man an der Bewegung am Bord des Macdonald sah, daß dieser im Begriff sei, die Anker zu lichten.

Jedoch waren die Vorbereitungen an Bord des Macdonald etwas zögernd, und wenn die Zuschauer auch sich gern erfreut hätten, an dem erhabenen Anblick eines Schiffes das auf die See hinausgeht, so sahen sie doch ein, daß ihre Geduld nicht ausreichen würde, denn das Schiff zog immer noch kein Segel auf, sondern lag noch fest in seinen Ankern, und die Meisten gingen weiter, ihren Geschäften nach, um so mehr als sich das Gerücht verbreitete, daß der Capitain erkrankt und ans Land gebracht sei und der neue Capitain noch gar nicht an Bord sei. Endlich, als die Sonne schon die Hälfte ihrer Bahn überschritten hatte, da fanden sich auch die Vorboten eines starken Seewindes ein und die Bewegungen an Bord des Macdonald wurden lebhafter. Nach einer Weile sah man eine der Stückpforten sich öffnen, eine Rauchsäule stieg daraus hervor, ein Blitz und der Knall einer Kanone folgte, das Signal zur Abfahrt zu geben.

Am Geländer des Bollwerks lehnte Broklyn. Heftig schrack er zusammen, als der Kanonendonner an sein Ohr drang, nicht etwa weil derselbe einen Eindruck auf seine Nerven gemacht hätte, denn dasjenige, was ihn erschreckte, kam aus einer ganz andern Richtung her.

Sein Blick war auf die Straße gerichtet, aus welcher eben Miß Lavinia Crofton und ihre Tante in Reisekleidern herkamen, um das Boot zu besteigen. Als er einen schmerzlichen Blick auf sie richtete, begegnete er dem Auge der jungen Dame, die leicht erröthend ihre Tante auf ihn aufmerksam machte.

»Sehen Sie,« sagte diese, während sie in das Boot stieg, wir haben uns durch scheinbare Gefahren nicht hindern lassen, die Reise anzutreten, denn wir sind überzeugt, daß der alte Beischiffsführer Recht hat, der uns noch soeben von den vorzüglichen Eigenschaften des Macdonald sprach.«

»Der Schurke!« dachte Broklyn.

Schüchtern sagte die junge Dame, den Blick ihres Auges zu ihm erhebend, während ihr Fuß noch zögerte das Boot zu betreten:

»Es ist noch nicht zu spät, Sir. Können Sie uns auch nur einen Schatten von Grund sagen, die Reise nicht zu machen, so treten wir noch zurück, denn merkwürdiger Weise stimmt meine Ahnung mit Ihren Befürchtungen überein. Indessen was Sie meiner Tante sagten, war doch ohne Zweifel mehr Scherz und Muthwillen als eine ernste Warnung.«

»Scherz und Muthwillen?« wiederholte er. »Ich würde nicht, wo es sich um ein solches Wagniß handelt, scherzen können, Miß Crofton.«

»Sonderbar! ... Aber sagen Sie nur einen Grund.«

Broklyn schien sprechen zu wollen, allein er drängte das Wort zurück das ihm auf den Lippen schwebte und erwiderte bloß:

»Was ich sagen konnte, das habe ich gesagt. Ich habe Sie gewarnt und warne Sie nochmals.«

»Liebes Kind,« warf sich Mrs. Lincoln ins Mittel; »nachdem was der Beischiffsführer meines seligen Gemahls uns versicherte, haben wir nichts zu befürchten. Mag es auch immerhin gewagt sein, die Sicherheit des Bugspriets ganz den Wuhlingen zu überlassen, so hat es mein Gemahl doch nie anders damit gehalten, und so können wir mit Gottes Schutz getrost an Bord gehen.«

»Da Sie mir nichts anders sagen können oder sagen wollen,« versetzte Miß Crofton zu Broklyn gewandt, »so muß ich denn gehen. Für die Absicht, uns zu warnen, danke ich Ihnen, und wenn das, was Sie sagten, nichts als ein Scherz war, den Sie sich mit uns erlaubten, so verzeihe ich Ihnen.«

Damit war sie in das Boot gestiegen, und während ihnen Broklyn seufzend nachblickte führten sie die Ruder der Matrosen mit kräftigen Schlägen dem Schiffe zu.

Erst als sie bereits die Hälfte des Weges zurückgelegt hatten, begab er sich in ein Boot, um denselben Weg zu machen, und etwa eine Viertelstunde später als die beiden Damen stieg er die Falltreppe zum Macdonald hinan. Schnell brach er sich Bahn durch die Menge, die stets auf dem Deck eines Schiffes in Thätigkeit ist, das eben in See stechen will, bis er vor Mr. Crofton stand, der eben dem Oberbootsmann seine Verwunderung aussprach, daß der neue Capitain noch nicht an Bord sei.

»Ich habe das Vergnügen, mich Ihnen als den designirten Capitain Ihres Schiffes vorzustellen, Mr. Crofton,« redete er ihn an. »Hier sind die Papiere, welche zu meiner Beglaubigung dienen.«

Er überreichte dem Schiffseigner eine Anzahl Zeugnisse und andere Papiere, die der alte Herr sorgfältig durchlas, wobei er oft, über das Blatt hinwegschielend, einen prüfenden Blick auf die Person des neuen Capitains fallen ließ, eine Prüfung, die durchaus zu seiner Zufriedenheit ausfiel.

»Hm, vortreffliche Zeugnisse, Mr. Broklyn,« sagte der alte Herr. »Ich heiße Sie willkommen, und wenn Ihre Erfolge auf diesem Schiff auch nur einigermaßen Ihren früheren Leistungen entsprechen, so können wir hoffen, eine gute Fahrt zu haben.« "

Broklyn biß sich in die Lippen.

»O, ahntest Du, welchem Schurken Du Dich und Dein Gut anvertraust,« schien er sich selber zu sagen; laut aber dankte er und bat, ihn nunmehr den Offizieren und den übrigen Mannschaften vorzustellen.

»Alle Mann auf Deckt« ertönte das Kommando des ersten Offiziers.

Das Gerücht, daß der Capitain an Bord sei, hatte sich schnell verbreitet, und die Neugierde beflügelte die Matrosen, mit größter Eile dem Kommando zu gehorchen. Mr. Crofton übernahm es, der Mannschaft den Kommandeur vorzustellen, worauf dieser mit einigen ernsten und eindringlichen Worten sie zum Gehorsam gegen seine Befehle und zur pünktlichsten Erfüllung ihrer Pflichten, namentlich zu einer Zeit, wo Gefahr ihnen drohte, ermahnte.

Am Schluß dieser Ceremonie brachte der Oberbootsmann ein Hoch aus den Capitain aus.

Inzwischen hatte sich ein stehender Wind erhoben, und sobald Broklyn sich von all den Fragern, die ihn umstanden, befreit sah, beschloß er, das Schiff unter Wind zu bringen. Er ließ deshalb den Lootsen rufen und that ihm diese Absicht kund.

Es ist Gesetz, daß, so lange der Lootse an Bord ist, dieser das Kommando führt, selbst der Capitain darf seinen Befehlen nicht widersprechen, erst auf offener See, wenn der Lootse das Schiff verläßt, übernimmt der Capitain das Kommando wieder. Diesem Gesetz gemäß, gab denn auch der Lootse den Befehl: »Anker auf!«

Das Gangspill setzte sich sofort in Bewegung, und unter dem unmelodischen Gesang der Matrosen ward der Anker aufgewunden.

Während dieser Zeit stellte sich der Capitain auf das Quaterdeck, von wo aus er die Arbeiten der Matrosen sowohl wie das ganze Schiff bequem zu übersehen vermochte. Die hohen Masten und Spieren, die vollkommen der Größe des Schiffes entsprachen, die Form und Lage der Segel, der Ueberfluß namentlich an leichten Segeln, die Bauart des Rumpfes, das Alles überzeugte ihn, daß das Schiff ein scharfer Segler sein müsse; rechnete er dahinzu eine muntere und geübte Mannschaft, so mußte sich das Herz eines Seemanns vor Freude und Stolz heben.

In der That sein Auge glänzte, als er es über all diese Gegenstände, die seinem Kommando unterworfen waren, hingleiten ließ. Und mit selbstzufriedenem Lächeln murmelte er:

»Es ist Hoffnung, dem Freibeuter zu entkommen, und ich kann immerhin dabei den Schein des Einverständnisses mit ihm bewahren.«

Als er sich nach diesen Worten umwandte, um auf dem Deck auf- und abzugehen, begegnete er dem erstaunten Blick der Wittwe des Capitain Lincoln.

»Ich hätte wirklich nicht erwartet, Sir,« rief sie, »Sie an einem so verantwortungsschweren Posten zu sehen, nach dem, was Sie uns vor wenigen Stunden noch über das Schiff mitzutheilen beliebten. Es scheint, Sie haben sich nachträglich überzeugt, daß die Gefahr doch nicht so groß ist.«

»Keineswegs, Ma'am,« antwortete er. »Sie wissen, es kann dem Schiff sehr leicht ein Unheil begegnen.«

Das sinnende Auge Miß Lavinia Crofton's ruhte auf ihm. Leicht erröthend senkte sie den Blick, als er sich plötzlich an sie wandte:

»Nicht weil ich meine Ansicht, daß diese Fahrt leicht gefahrvoll werden könnte, geändert habe, bin ich hier. Im Gegentheil um Sie schützen zu können und eine Gefahr die Ihnen, meine Damen drohen könnte, abzuwenden, würde ich jeder Zeit mein Leben wagen.«

»Ist die Gefahr dadurch, daß Sie diesen Platz einnehmen, geringer?« fragte Lavinia. »Denn daß Sie allen Ernstes an eine Gefahr glauben, daran wage ich nicht mehr zu zweifeln.«

»Ich glaube, daß die Gefahr dadurch geringer ist,« antwortete er.

»Werden Sie uns für die ganze Fahrt begleiten oder nur bis an den Ausgang des Hafens den Oberbefehl führen?« fragte sie weiter.

»Wie lange ich den Oberbefehl führen werde, weiß ich nicht,« erwiderte er gedankenvoll. »Jedenfalls bis an's Ende unserer Fahrt.«

»Liebe Lavinia, sagte Mrs. Lincoln, »es scheint, daß wir dem Herrn Capitain im Wege sind, wir wollen ihn daher nicht länger mit Fragen aufhalten, die Mr. Broklyn ungelegen sind, da er für gut befindet, seine Antworten jetzt wie vorher in geheimnißvolles Dunkel zu kleiden.«

Sie nahm den Arm ihrer Nichte und empfahl sich, offenbar ein wenig beleidigt, durch die unvollkommenen Antworten des jungen Mannes.

»Sie kennt mich nicht,« sagte Broklyn sinnend dem jungen Mädchen nachblickend. »Würde sie mich kennen, sie würde sich nicht mit Unwillen sondern mit Verachtung von mir wenden. – O, Vater, das ist der Fluch Deiner Schuld, die sich auf mich vererbt, nimmer darf ich wagen, mich um die Liebe eines edlen Mädchens zu bewerben', ich muß schuldbewußt meine fluchbeladene Stirn senken vor diesem Blicke.«

Er konnte diese trüben Gedanken nicht weiter verfolgen, da die Arbeiten auf dem Schiffe seine Aufmerksamkeit in Anspruch nahmen. Die Anker waren eingewunden und die Matrosen waren vollauf damit beschäftigt ein Segel nach dem andern beizusetzen. Und so wie ein Segeltuch nach dem andern von den Raaen fiel und den Wind auffing, gewann das Interesse, welches jeder Seemann an seinem Schiffe nimmt, mehr und mehr die Oberhand über jedes andere Gefühl.

Als vom Oberbramsegel bis zum Verdeck Alles in Ordnung und das Schiff, mit dem Vordertheil dem Ausgang des Hafens zugewendet, unter Segel gebracht war, da maß noch einmal sein kundiges Auge das Schiff. Jede Raa, jedes Segel von den obersten Flaggenknöpfen bis zum Rumpf betrachtete er prüfend, und diese Betrachtung befriedigte ihn sichtlich.

Majestätisch flog das Schiff dem Ausgange des Hafens zu und lenkte in das Fahrwasser der Klippen bei Linnes-Eiland ein.

Die schwarze Fregatte lag in einer Entfernung vom Hafen, daß sie von den Kanonen des Forts nicht mehr erreicht werden konnte, aber so, daß die Brigg dicht an ihr vorbei zu passiren gezwungen war. Es gilt für eine Ehre, ein Fahrzeug stets von der Windseite zu passiren und diese Absicht hatte auch offenbar der Lootse des Macdonald.«

»Luv an!« ertönte die Stimme des Lootsen am Vordertheil des Schiffes. »Bleiben Sie beim Winde, Herr, wir rennen sonst auf die Fregatte auf!«

»Die Fregatte!« widerholte er, schwermüthig lächelnd. »Ich wollte lieber unter den Kanonen eines feindlichen Forts vorübersegeln als an diesem ...«

Er vollendete nicht, denn eben trat Mr. Crofton an ihn heran, der die beiden Damen am Arm führte.

»Wissen Sie, Herr Capitain,« redete er Broklyn an, »Sie haben meine kleine Lavinia ordentlich ängstlich gemacht. Sie fühlt sich gar nicht sicher auf diesem Schiffe und äußerte eben: sie wünschte lieber, wir hätten die Fahrt auf jenem schönen Schiffe dort machen können.«

»Es ist in der That ein schönes Schiff,« erwiderte der Capitain, »doch möchte ich nicht behaupten, daß es sicherer und bequemer ist als dies.«

»Welch ein Ebenmaß, welche Ordnung in den Tauen! Wie ein Vogel scheint es auf dem Wasser zu ruhen,« sagte Miß Crofton, während sie der Fregatte immer näher kamen.

»Liebes Kind,« sagte ihr Vater, »ich bewundere Deine Kenntniß in der Schifffahrtskunst – Du scheinst mir ebensoviel Anlage zu haben, die Frau eines Seemanns zu werden, wie Deine Tante.«

Miß Crofton erröthete leicht und, vielleicht um ihre Verlegenheit zu verbergen, that sie die Frage:

»Sagen Sie, Herr Capitain, ist jenes schöne Schiff dort ein Kriegsschiff der Union?«

»Es scheint so,« sagte Broklyn ausweichend, und empfahl sich, um nach dem Vordertheil des Schiffes zu gehen.

Die Fregatte lag jetzt schnurgerade im Wege und Jedermann war gespannt, ob es noch gelingen würde, an der Windseite des Schiffes vorbeizukommen.

Auch Broklyn theilte diese Spannung, aber aus ganz andern Gründen. Er kannte die Absicht des Kapers nicht und konnte also nicht wissen, ob Semmes nicht beabsichtigte, das Schiff in Angesicht des Forts zu nehmen, wenigstens hatte das Schiff eine Lage, daß es mit seinen Kanonen das ganze Deck des Macdonald zu bestreichen im Stande gewesen wäre, die Kanonen des Forts aber waren in dieser Entfernung so gut wie unwirksam.«

Mit jedem Augenblick war Broklyn mehr überzeugt, daß es jetzt zu einer Entscheidung kommen werde, und schwankte noch in der Vermuthung, auf welche Weise der Freibeuter sich seiner Prise bemächtigen werde. Er stieg auf die Ankerwinde, um zu erspähen, weiches die Absicht des Feindes sein möchte und welche Vorbereitungen derselbe zu seinem Werk treffe. – Wie erstaunte er aber, als er auf dem ganzen Schiffe keine Spur von Leben wahrnahm. Es hatte den Anschein, als wäre das Schiff von seiner ganzen Mannschaft verlassen, nur eine einzige menschliche Figur war auf demselben sichtbar, es war dies ein Matrose, der auf dem Ende einer der unteren Raaen saß und etwas an dem Tauwerke ausbesserte.

Sofort kam Broklyn die Idee, daß dieser Matrose vielleicht die Aufgabe habe, einen Fanghaken in die Takelage des Macdonald zu werfen, um die beiden Schiffe aneinanderzuhalten, und rasch beschloß er, diesen Plan zu hintertreiben.

Er wandte sich an den Lootsen und theilte ihm mit, daß es ihm unmöglich schiene, an der Windseite vorbeizukommen, es sei wohl das sicherste, das Schiff von der Leeseite zu passiren.

»Lassen Sie mich nur machen, Capitain,« antwortete der Lootse, der nicht Willens schien, in der kurzen Dauer seines Kommandos etwas von seinem Rechte zu vergeben. – »Luv, Junge, halt beim Winde! – Weich keinen Zoll breit vom Winde. – Luv, sage ich.«

»Sie sehen, es geht nicht,« versetzte Broklyn ernst. – »Sie treiben gerade auf das schwarze Schiff an.«

Der Lootse aber, obwohl er einsah, daß Broklyn Recht habe, sträubte sich noch, seinen Fehler einzugestehen.

»Ich habe Kaution gestellt,« sagte er kurz, »und ich muß wissen, ob es geht oder nicht, aber es kann sein, daß der Wind sich ein wenig ändert – in dem Falle –«

Broklyn ließ ihn nicht ausreden.

»Herr, während Sie hier schwatzen, haben Sie schon das Schiff ins Verderben gerannt. – Aus dem Winde mit dem Schiffe!« schrie er mit donnernder Stimme dem Manne am Steuer zu.«

»Ich leide es nicht, Sir,« protestirte der Lootse.

»Ist ein Boot da?« fragte Broklyn.

Die Frage wurde von den Umstehenden bejaht.

»So laßt den Lootsen einsteigen.«

»Ich will nicht einsteigen, ich habe das Recht und die Pflicht hier zu sein.«

»Werft ihn hinein!«

Noch ehe der Lootse einen neuen Protest begonnen, hatte man ihn unter Lachen auf die Fallreepstreppe gehoben und in sein Boot befördert.

»Vom Wind abfallen!« kommandirte Broklyn jetzt mit fester Stimme.

Der Mann am Steuer gehorchte und ließ das Steuerrad eine schnelle Umdrehung machen. Die ferneren Commandos des Capitäns waren eben so bestimmt und sicher, und wurden eben so schnell und gewissenhaft ausgeführt, und der Erfolg zeigte genugsam, daß die Führung des Schiffes sich jetzt in den Händen eines Mannes befand, der seiner Ausgabe völlig gewachsen war. Gebieterisch, aber ruhig und sicher war seine Haltung, und das Bewußtsein, dem Commando eines geschickten Führers gehorchen zu können, machte die Mannschaft willig und diensteifrig und erfüllte sie mit Respekt vor ihrem Vorgesetzten.

Das Manöver, welches Broklyn jetzt beim Wenden des Schiffes machte, war der Art, daß es nur bei der größten Aufmerksamkeit und Geschicklichkeit möglich war. Ein Segeltuch nach dem andern flatterte oft lose im Wind, bis es sich wieder in veränderter Stellung an den Raaen spannte, bis das Schiff dem neuen Drucke nachgab und eine andere Richtung einschlug.

Während der ganzen Zeit, die zu diesem Manöver erforderlich war, hatte Broklyn stets seine Aufmerksamkeit zwischen seinem eigenen und dem Kaperschiffe getheilt.

Die todtenähnliche Ruhe herrschte noch immer auf demselben, kein spähendes Auge ließ sich an den Luken erblicken, und der Matrose, der noch immer einsam im Tauwerke saß, würdigte, selbst im gefährlichen Momente des Zusammenstoßes, den Macdonald auch keines Blickes, ruhig setzte er seine Arbeit fort, als ob der Macdonald gar nicht in der Welt wäre.

Die Vordertheile der beiden Schiffe standen einander gegenüber. Broklyn strengte sich an, irgend etwas von der Absicht oder den Vorbereitungen des Kapers zu erspähen, – aber vergebens, es war nichts aus demselben zu bemerken, und der Matrose auf der unteren Raae schien von der Nähe eines Schiffes gar keine Ahnung zu haben, obwohl der Macdonald so dicht vorbeisegelte, daß man dem Andern hätte einen Zwieback auf's Deck werfen können.

Die Gefahr des Zusammenstoßes war jetzt vorüber. Broklyn athmete auf. Seine Befürchtung, daß der Freibeuter ihn im Angesicht des Hafens angreifen würde, hatte sich nicht bestätigt, oder der Plan, falls ihn Semmes gehabt, war durch sein Manöver vereitelt.

Jetzt, da seine Thätigkeit nicht mehr für die Direction des Schiffes so gänzlich in Anspruch genommen wurde, suchte er mit den Blicken die Damen. Sie standen nicht weit von ihm und betrachteten das geheimnißvolle Schiff. Broklyn näherte sich ihnen.

»Das Schiff dort,« sagte Mrs. Lincoln, »muß eine außerordentlich träge Mannschaft haben, daß sie es nicht einmal der Mühe werth hielten, aus ihren Kojen herauszukommen, als die Gefahr eines Zusammenstoßes so nahe war – oder täuschte ich mich, war diese Gefahr nicht vorhanden?«

»Es war allerdings Grund zur Besorgniß,« antwortete Broklyn, »indessen jetzt sind wir geborgen.«

»Und das verdanken wir Ihrer Geschicklichkeit, Mr. Broklyn,« sagte Miß Crofton.

»Allerdings,« bestätigte Mrs. Lincoln, »und ich sehe jetzt immer mehr ein, daß Sie sich im Park nur über uns belustigen wollten, als Sie von der Gefahr dieser Reise sprachen.«

»Bei meiner Ehre, Ma'am, was ich dort sagte, ist noch jetzt meine Meinung,« betheuerte der Capitän.

»Das von dem Bugspriet und den Wuhlingen? –«

»Das vielleicht nicht,« fiel er lachend und ein wenig erröthend ein. – »So viel aber steht fest, hätte ich eine Mutter oder Schwester, oder sonst eine Person, die mir theuer ist, sie sollte diese Fahrt mit dem Macdonald nicht machen.«

»Ich glaube Ihnen, Mr. Broklyn,« versetzte Miß Lavinia, »aber doch wünschte ich, daß Sie uns mehr Vertrauen schenkten und die geheimnißvolle Art, mit der Sie uns warnen, ablegten; – oder dürfen Sie nicht sprechen?«

Die Frage war in einem solchen Tone gestellt, daß er unmöglich umhin konnte, zu antworten. Er begann deshalb:

»Ich weiß, meine Damen, daß mein Benehmen mich in zweifelhaftem Lichte erscheinen lassen muß. Ich bin Ihnen Aufklärung darüber schuldig. Was ich befürchte, ist ...«

Noch ehe er vollendet, ward sowohl seine wie der Damen Aufmerksamkeit abgelenkt. Am anderen Ende des Schiffes rief ein Matrose:

»Die Siebenschläfer in der schwarzen Fregatte sind jetzt aufgewacht und zeigen, daß ihr Schiff nicht bestimmt ist, im Zauberschlaf dazuliegen!«

Broklyn wandte sofort seine Aufmerksamkeit wieder dem Schiffe zu. Der Matrose hatte recht. Auf dem Verdecke standen zwei Personen, die ihm grüßend zunickten. Es ward Broklyn nicht schwer, in dem Einen den Capitän Semmes zu erkennen und der Andere? – Er kannte ihn auch.

»Es ist der Schurke, der sich der Beischiffsführer Blunt nannte,« murmelte er.

Der Macdonald hatte jetzt Aussicht, ungehindert die offene See zu gewinnen. Broklyn wandte seine Aufmerksamkeit jetzt den Segeln zu, und daß er bald das eine Segel beisetzte, bald ein anderes straffer anzog, hatte die Wirkung, daß der Macdonald durch die Wellen des Oceans dahinschoß mit einer Schnelle, die er selten erreicht hatte. Es dauerte nicht lange, so hörte das Land auf, sichtbar zu sein und erschien nur als ein grauer Nebelstreifen, der sich unzählige Meilen am Horizont hin erstreckte.

Die Sonne war bereits untergegangen. Broklyn, der bis jetzt auf einer der Raaen gestanden, und mit einem Fernrohr die Bahn, welche sie durchlaufen hatten, sorgfältig durchforscht hatte, kam jetzt mit sichtlich zufriedener Miene herunter.

»Er folgt uns nicht,« dachte er. »Noch eine Stunde Vorsprung und er überholt einen solchen Segler, wie der Macdonald ist, nicht mehr.«

Er begab sich in die Kajüte und verbrachte dort, sich ganz seinem gewinnenden Humor überlassend, eine Stunde in heiterer Unterhaltung mit den Damen. Das enge Zusammensein auf einem Schiffe ist mehr als irgend was geeignet, die Herzen einander zu nähern. Eine Stunde vermag dort mehr als auf dem Lande jahrelanger Verkehr. Daher kam es denn auch, daß Mr. Crofton und seine Familie mit dem jungen Capitän bald einen Freundschaftsbund geschlossen hatten. Mr. Crofton erzählte, daß er mit seiner Familie in St. Thomas, wo er sich angekauft, zu leben gedenke, wenn es ihm dort behagen würde. Seine Fabriken in Baltimore aber würde er einem alten, lieben Freunde, dem es augenblicklich schlecht gehe, übergeben, einem Mr. Powel, der durch die Schuld eines schurkischen Compagnons ins Unglück gestürzt worden sei.

Dem Capitän schnitten diese Worte in die Seele, und er sehnte sich, das Gespräch abzubrechen. Er ersuchte die Herrschaften – da eben die Mitternachtswache herausgerufen wurde – ihn auf das Deck zu begleiten und sich an dem Anblick der nächtlichen See zu erfreuen, der ihnen jedenfalls überraschend sein würde.

Die Nacht war unheimlich finster. Obwohl der Mond glänzend aufgegangen war, so bedeckte ihn doch meistens Gewölk.

Lavinia fuhr unwillkürlich zusammen, als sie auf's Verdeck kam – es war ein schauerliches Entzücken, das sich ihrer bemächtigte. In tausend Bildern spiegelte der Mond sich ab in den Gipfeln der Wellen, die sich bis an den Rand des Horizontes hin erstreckten, und die endlose Wasserwüste mit ihren schäumenden Wogen, welche sich dem Bug des Fahrzeuges entgegenstemmten, das in diesem unendlich großen Element so unendlich winzig erschien, forderte unwiderstehlich zur Bewunderung und Anbetung auf.

Broklyn, für den dieser Anblick den Zauber längst verloren hatte, – und eine ganz alltägliche Erscheinung war, störte die sprachlose Bewunderung seiner Passagiere nicht, sondern begab sich nach einem andern Theile des Schiffes, um von dem Kenntniß zu nehmen, was ihm nöthig schien.

Pfeilschnell schoß vor dem scharfen Nordost das Schiff dahin, wobei es sich stark auf die Seite neigte, und wenn es eine Welle durchschnitt, spritzte es den Schaum in einem weiten Halbkreise vor sich her.

Mr. Broklyn beobachtete die Wellen und durchmaß mit scharfem Auge die Wolkenzüge am Horizont, beobachtete den Punkt des Kompasses, von woher die Windstöße kamen, die jetzt anfingen, mit bedenklicher Heftigkeit das Schiff auf die Seite zu schleudern.

»Es ist eine Bö Ein heftiger Sturm. im Anzuge,« murmelte er, keineswegs mit einer so besorgten Miene, welche solche Wetterzeichen sonst auf dem Antlitz eines Seemanns hervorzurufen pflegen. Vielmehr schien er mit dem Resultat seiner Beobachtung äußerst zufrieden. Nachdem er wieder eine Weile das Gewölk am östlichen Himmel betrachtet hatte, fuhr er fort:

»Der Macdonald hat eine Geschwindigkeit, die Semmes nur durch Anwendung der Dampfkraft zu übertreffen im Stande ist. – Er folgt uns nicht, und thäte er's, so würde es ihm schwer werden, uns bei diesem Vorsprung einzuholen – wahrscheinlich aber ist er gar nicht aus den Klippen von Lynnes Eiland herausgekommen, da er gar keinen Lootsen an Bord hat, und auf dem bequemen Wege den der Macdonald genommen hat, kann er nicht hinaus, denn er wird doch nicht wagen, unter den Kanonen des Forts vorbeizusegeln. – Wie mir wahrscheinlich ist, steckt er noch zwischen den Klippen, und so wie sich nur etwas von einer Bö erhebt, so ist er verloren!«

Diese Betrachtungen hatten ihn dermaßen beruhigt, daß er mit fast heiterer Stimme seine Befehle ertheilte, um den herannahenden Sturm zu empfangen. Dann wandte er sich um, um Mr. Crofton und die Damen aufzusuchen, die noch immer in einiger Entfernung auf dem Deck standen.

Als er indessen, gleichsam um sich zu überzeugen, ob sich auch wirklich nichts Verdächtiges blicken lasse, noch einmal nach jener Gegend des grauen Horizontes blickte, von welcher er den Kaper erwarten mußte, hielt er plötzlich inne, und seine Stirn umdüsterte sich schnell.

»Trauen Sie dem Wetter nicht?« fragte Mrs. Lincoln, die sich mit den Andern in diesem Augenblicke dem Capitän näherte und seine Verstimmung bemerkte.

»Es giebt schlimmere Anzeichen als die eines Sturmes,« antwortete er. »Sehen Sie einmal dorthin, Ma'am, bemerken Sie nichts?«

»Nichts, als das endlose Meer.«

»Nein, ich meine dort am Horizont. Geben Sie Acht, wenn die Woge dort vor uns fällt, werden Sie es sehen, vor der grauen Wolke da – sehen Sie?« Wie ein Spinngewebe zeichnen sich Masten und Spieren auf dem Gewölk ab – beim Himmel, das ist ein Schiff.«

»Segel, ahoi!« rief der wachthabende Fockmast-Matrose aus seinem Mastkorbe herab.

»Wes Weges?« fragte Broklyn rasch.

»Auf der Leeseite, dicht beim Wind!« erscholl die Antwort herab.

»Ja wohl, er hat recht,« sagte Broklyn tief seufzend.

»Ich sehe nicht ein, was dabei Beunruhigendes ist, wenn wir ein Schiff erblicken,« meinte Mr. Crofton.

»Darin wäre nichts Beunruhigendes,« war des Capitäns Antwort. »Aber dort – gerade dort sollte das Schiff nicht sein. Wollte Gott, es steuerte einen anderen Cours.«

Mr. Crofton wollte über diese Aeußerung gern näheren Aufschluß haben, aber der Capitän ließ ihm nicht Zeit zum Fragen.

»Setzt das Bramsegel bei! Laßt das große Halstau los!« erscholl sein Commando.

Der erste Offizier sah den Capitän verwundert an.

»Herr Capitän,« wagte der Offizier schüchtern einzuwenden, »der Macdonald ist kaum im Stande, bei dieser Luft die Segeltücher auszuhalten.«

»Thun Sie, wie Ihnen befohlen, Sir,« wiederholte Broklyn gebieterisch.

Dem Befehle wurde gehorcht. Neue Massen Leinewand breiteten sich aus. Aechzend gab der Macdonald dem neuen Drucke nach, und mit verdoppelter Gewalt durchbrach er die Wogen, als ob das Schiff selbst das Bewußtsein hätte, daß es seine Pflicht sei, mit größerer Schnelligkeit der gefährlichen Nähe des Verfolgers zu entfliehen.


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