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Einundzwanzigstes Kapitel.
Ein mächtiger Bundesgenosse

Die Gegend von Leesburg, eine Stadt in einem den östlichen Gouvernements von Virginien, war wie ausgestorben. – Seltsam! die Straße von Leesburg nach Washington war sonst die verkehrreichste unter den in der Nähe befindlichen, denn sie war die Ader, welche das industrielle Leben der Conföderationsstaaten mit dem Potomac in Verbindung setzte, diesem Riesenstrom, der bis weit hinauf, selbst oberhalb Washington, noch sogar Kriegsschiffen zugänglich ist. Jetzt mied Alles diese Straße. Reisende machten weite Umwege, um diese Straße nicht zu berühren. Die Bürger von Leesburg mußten wie Einsiedler leben, denn nie sah man einen eine der Nachbarstädte besuchen, und ebenso sah Leesburg keinen Bürger der Nachbarstädte seit langer Zeit in seinen Mauern. –

Woher kam das? – Ganz einfach. Die Umgebung von Leesburg war durch einen Militärcordon abgesperrt. Niemand wurde weder hinein noch hinaus gelassen. Aber dieser Militärcordon war, wenigstens für die Ankommenden, überflüssig, denn diese trugen kein Verlangen, das abgesperrte Terrain zu berühren, sondern scheuten wie gesagt, keine Kosten, um es zu umgehen; denn dort die Zelte, die südlich von Leesburg auf dem Blachfelde errichtet waren, die waren das Gelbe-Fieber-Lazareth.

Zu allen Leiden und Schrecken, mit welchen der Krieg die Conföderirten-Armee überhäufte, hatte sich als schlimmstes Uebel auch das gelbe Fieber, diese grauenhafte Pest, in der Armee verbreitet. Um das Uebel möglichst an seiner weiteren Verbreitung zu verhindern, hatte man in der Nähe größerer Heeresabtheilungen einen District abgegrenzt und durch eine Militärcordon abgesperrt, und dahin wurden so schleunig wie möglich diejenigen gebracht, an welchen sich auch nur im entferntesten die Symptome des gelben Fiebers offenbarten.

Einer dieser Schreckensorte war das Blachfeld von Leesburg sowie die Stadt selbst, denn die gefährliche Nähe des Pestlazareths hatte die Seuche auch hier heimisch gemacht. Nunmehr wird es dem Leser begreiflich erscheinen, daß jene Gegend öde und unheimlich und gemieden war wie ein Kirchhof um Mitternacht. Kein ·Leben, kein Verkehr mit der Nachbarschaft. – Keine Postverbindung, keine Handelsverbindung. – Die Karren, welche regelmäßig ab- und zufahren, um die Erkrankten zu bringen und die Genesenen hinaus zu schaffen – der Letzteren freilich waren sehr, sehr wenige – das waren die einzigen Fuhrwerke, die man seit vielen Wochen hier sah.

Um so mehr muß es ausfallen, daß an einem heißen Nachmittage, gerade als die Pestkarren doppelt beladen ankamen auf der Heerstraße ein Wagen daher fuhr, geradeswegs aus Leesburg zu, als oh die Insassen dieses Fuhrwertes keine Ahnung hätten von den Schrecken, die sich vor ihnen ausbreiteten. –

In dem Wagen saßen zwei Männer, der eine ein schöner Jüngling mit dunklem Haar und kleinern Schnurrbart, der andere ein Mann von 40 Jahren, mit röthlichem, struppigem Haar, stumpfen Zügen und boshaft blickenden grauen Augen. Der Letztere führte die Zügel der beiden schnellen und kräftigen Pferde.

Etwa 2 Meilen Vier amerikanische Meilen send ungefähr gleich einer deutschen Meile. von Leesburg stand an der Straße ein kleines Häuschen, in welchem sich die Posten des Cordons befanden. Die Straße war hier durch einen Schlagbaum abgesperrt. Als das Fuhrwerk sich demselben in scharfem Trade näherte, rief der Posten, sich dem Wagen in den Weg stellend:

»Zurück!«

»Oeffnen Sie den Schlagbaum, ich habe Eile!« erwiderte der Jüngere der Reisender ohne den Befehl zu achten.

»Sie dürfen nicht hierdurch, Sir! Die Straße ist gesperrt. Sie müssen von Charlestown über Aldie fahren.«

»Oeffnen Sie, sage ich,« wiederholte der junge Mann in befehlendem Tone. »Ich will nicht über Aldie fahren, sondern grade über Leesburg.

»Dies ist die Gelbe-Fieber-Station, Sir.

»Das weiß ich.«

»Sie wissen es und wollen doch hindurch?«

»Keine Umstände; öffnen Sie.«

»Ich darf nicht öffnen, Sir.«

»So rufen Sie den Sergeanten.«

Es war nicht nöthig, denselben erst hinauszurufen, denn er war bereits herausgekommen, aus Neugierde, die Verwegenen zu sehen, die sich nicht scheuten, diese Straße zu passiren.

»Lassen Sie öffnen, Sergeant,« wandte sich der Jüngere der beiden Reisenden an ihn· »Hier, das wird genügen.«

Er hielt dem Sergeant ein Blatt Papier hin, das er aus seinem Portefeuille nahm.

»Ah, eine Vollmacht des Kriegsministers, das ist was anders!« sagte der Sergeant und zog unverzüglich den Schlagbaum in die Höhe. – »Meinetwegen fahren Sie durch. Aber ich sage Ihnen, Sie kommen schwerlich so wieder hinaus, wie sie hineingekommen sind.« –

Die Reisenden hörten diese Warnung nicht mehr, denn so schnell wie die flinken Pferde nur auszugreisen vermochten, fuhren sie davon, geradewegs auf das Thor von Leesburg.

Die Straße, durch welche sie fuhren, war eine Hauptstraße der Stadt, allein sie war menschenleerer wie eine Dorfstraße an einem Sonntagsmorgen. Die Häuser waren geschlossen, selbst zum Theil die Fensterläden. Die Verkaufsläden hatten die Jalousien vor den Schaufenstern herabgelassen, und die großen schwarzen Buchstaben auf den weißen Schildern über denselben sahen aus wie Grabschriften ausgestorbener Handelsfirmen. Nur selten huschte eine Gestalt aus einem Hause heraus über die Straße, um bald darauf in einem andern Hause wieder zu verschwinden, das war das einzige Lebenszeichen, welches die Reisenden in dieser sonst so belebten Stadt gewahrten. Ueber den Hausthüren fast aller Häuser waren Tafeln aufgehängt mit der Aussehrift: »Hier ist das gelbe Fieber.« Von den wenigen Häusern, die diese Warnungstafel nicht hatten, gab es einige, deren Fensterladen sämmtlich geschlossen waren, ein Zeichen, daß das gelbe Fieber sie bereits ihrer sämmtlichen Bewohner beraubt hatte.

»Ich muß gestehen, daß dieser Aufenthalt hier nicht ganz nach meinem Geschmack ist,« brummte der ältere der beiden Reisenden. »Hätte ich gewußt, daß es hier so aussieht, so hätte ich mich für die Ehre bedankt, Sie hierher zu begleiten.«

»Ich stelle Ihnen anheim, sofort umzukehren,« erwiderte der Andere kurz. »Nur machen Sie keine Ansprüche aus die festgesetzte Belohnung.«

Der Andere antwortete nichts; jedoch schien ihn die Erwähnung der Belohnung etwas mit der Situation ausgesöhnt zu haben, denn sein stumpfes Gesicht belebte sich sichtlich; und in viel weniger verdrießlichem Tone hub er nach einer Weile wieder an:

»Wenn wir nur erst die Wohnung des Pest-Doctors erfahren könnten. Wahrhaftig, man begegnet in den Prairien von Californien leichter einem Menschen, wie in dieser Peststraße. – Doch halt, dort kommen mehrere Wagen. Die Leute werden uns Bescheid sagen können.«

Die Wagen, welche er sah, waren aber der Art, daß ihnen Jeder, der etwa des Weges gekommen wäre, weit aus dem Wege gegangen wäre, denn es waren die sogenannten Pestkarren. Langsam fuhren sie, sich in verschiedene Gegenden vertheilend, die Straße hinab. Ein Neger führte die Pferde, ein anderer folgte den Wagen nach und hatte die Aufgabe, alle Fenster zu beobachten, etwa wie Einer, der Sand oder Wasser feil hat und des Winkes gewärtig ist, um zu Diensten zu stehen. Wo er am Fenster eine winkende Hand bemerkte, da hielt der Wagen still; die beiden Neger traten dann, eine kleine hölzerne Bahre tragend, in das Haus und nach wenigen Minuten kehrten sie mit einem Leichnam beladen zurück. Nicht alle Todten hatten die Ehre, in Särgen bestattet zu werden, die Meisten entbehrten dieses Vorzuges; sie wurden dann ohne weitere Umstände in den Wagen geworfen zu den übrigen Leichen. Die Wagen hatten nach Art der Kohlenfuhrwerke hohe Kasten, die oben bedeckt waren und faßten eine ganze Anzahl Todter mit und ohne Särge. – Hatte vor einem Hause der Wagen die vorhandenen Todten aufgeladen, so setzte er sich wieder in Bewegung und fuhr langsam weiter, bis in einem andern Haufe seine Dienste beansprucht wurden. Hatte er volle Ladung, so gings im Trabe zum Thore hinaus, wo die Kalkgruben waren.

Als die beiden Reisenden dem ersten dieser Wagen begegneten, sagte der, welcher den Kutscher machte, zu einem der Neger:

»Du da, Nigger, kannst mir wohl sagen, wo Mr. Blackburn wohnt?«

»Der Oberarzt vom Lazareth, Sir?«

»Derselbe – wo ist der wohl anzutreffen?«

»Das da ist Massah Blackburns Haus,« antwortete er, mit der Peitsche auf ein nahegelegenes Haus deutend. »Aber er wird wohl nicht mehr zu Hause sein, um diese Zeit pflegt er nach dem Lazareth zu fahren.«

Eben wollte derjenige der beiden Reisenden, welcher den Kutscher machte, die Pferde antreiben, um nach dem bezeichneten Hause zu fahren, als ihn sein Gefährte an der Schulter erfaßte.

»Nun, was giebts?« fragte er überrascht.

»Sehen Sie, dort oben am Fenster –« erwiderte der Andere, mit der Hand nach der bezeichneten Stelle deutend. – »Sehen Sie dort das schöne Mädchen?«

»Nein, in der That nicht – doch ja, jetzt sehe ich sie – beim Teufel sie ist schön. Es scheint eine Kreolin oder Quadroone zu ein.«

In diesem Augenblick wurde der Gegenstand dieser Unterredung gewahr, daß sie beobachtet wurde. Kaum hatte sie aber einen Blick auf die beiden Fremden geworfen, als sie mit einem Schrei zurückfuhr.

»Ich muß das Mädchen kennen,« sagte der jüngere von den beiden Reisenden. – »Wäre sie nicht hier in Leesburg, mitten im Schooß der Pest, so würde ich darauf schwören ... doch nein, wie sollte sie hierher gekommen sein?«

»Worauf wollten Sie schwören, Sir?« fragte der Rothhärige.

»Daß jenes Mädchen die Quadroone Esther ist,« antwortete der Jüngere.«

»Alle Teufel, wenn das wäre, so könnte man sich vom Herrn Kriegsminister eine ansehnliche Belohnung verdienen!« rief jener. »Hm, das muß ich herauskriegen.«

Inzwischen waren sie vor dem Hause des Oberarztes vom Lazareth angelangt.

Die Vermuthung des Negers bestätigte sich übrigens nicht, denn Doctor Blackburn war noch zu Hause und saß mit einer Gemüthsruhe und einem Appetit beim Frühstück, wie sich deren wahrscheinlich kein Anderer in dieser Stadt erfreute. Als er hörte, daß vor seiner Thür ein Wagen hielt, murmelte er in den Bart:

»Die Esel glauben doch nicht etwa, daß ich tobt bin? – Hyams,« wandte er sich an seinen Diener, »sieh doch einmal nach, ob es der Karten ist, der vor der Thür hält.«

Hyams kam zurück mit der Meldung, daß zwei Herren ihn dringend zu sprechen wünschen.

»Nun, Du hast ihnen doch gesagt, daß ich keine Zeit habe, mich mit den Patienten in der Stadt zu befassen? – Sag ihnen, ich hätte hinlänglich im Lazareth zu thun.«

»Das habe ich ihnen gesagt, Mr. Blackburn, aber sie sagen, es sei auch nicht wegen eines Patienten.«

»Nicht? – Nun meinetwegen laß sie eintreten.«

Die beiden Männer traten ein. Mr. Blackburn richtete den Kopf auf, um sie zu betrachten, wobei sie von seinem Gesicht nichts weiter sahen, als eine habichtartig gekrümmte Nase, und zwei tückisch blinzelnde Augen; alles Andere war ein ungeheurer Wald von Haar, das sich nach allen Richtungen emporsträubte.

»Was wünschen Sie?« fragte der Arzt, wobei er sich, da er seine Beobachtung der Gäste beendet, nicht weiter im Essen stören ließ.

»Wir wünschen uns Ihnen vorzustellen,« sagte der Jüngere von den Beiden. – »Mein Name ist Wilkes Booth und dieser mein Freund ist Mr. Atzerott.«

»Hm, habe nicht das Vergnügen, Einen von Ihnen zu kennen,« antwortete der Arzt, indem er gleichgültig über seinen Teller hin einen flüchtigen Blick auf seine Gäste warf.

»Ich weiß, daß Sie uns nicht kennen,« versetzte Booth, »und vielleicht hätte ich nicht das Vergnügen gehabt, Sie kennen zu lernen, wenn nicht Mr. Payne, der Prediger von Georgsville, wissen Sie, und Mr. Cleary mich an Sie empfohlen hätten. Wollen Sie gefälligst dies Schreiben des Mr. Cleary lesen?«

Der Name dieses berühmten Politikers und einflußreichen Parteiführers verfehlte seine Wirkung nicht auf den sonst so unzugänglichen Mann. Er legte Messer und Gabel sofort bei Seite und las mit Interesse das Schreiben.

»Bitte, nehmen Sie Platz, Mr. Booth. – Setzen Sie sich, Mr. Atzerott. – Sie haben ohne Zweifel noch nicht gefrühstückt. ... Hyams, noch zwei Couverts und eine Flasche Portwein!« –

Das war die nächste Wirkung, welche das Schreiben hatte. Booth hatte keinen Appetit, hatte aber gegen ein Glas Portwein nichts einzuwenden; Atzerott aber ließ sich das Frühstück nicht minder als den Wein munden, und repräsentirte in dieser Beziehung den zweiten Mann in Leesburg, dem es nicht an Gemüthsruhe und Appetit fehlte.

»Sie kennen den Inhalt des Schreibens, Mr. Booth?« wandte sich darauf der Arzt an seinen Gast.

»Nicht dem Wortlaut aber dem Inhalt nach, Mr. Blackburn. So viel ich weiß, fordert Mr. Cleary Sie auf, mir zu meinen Plänen Ihre Wissenschaft zur Verfügung zu stellen. – Ist dem so?«

»Ganz richtig, und ich kenne meine Pflicht so gut, daß ich mich nicht weigern werde, Ihnen in Allem zu willfahren, was Sie verlangen ... Nur begreife ich nicht recht, wie Ihnen bei Ihrem Plane meine Wissenschaft was helfen kann, es sei denn, daß Sie beabsichtigen« – fügte er mit rauhem Lachen hinzu – »Jemand zu vergiften.«

»Sie haben es so ziemlich getroffen, Mr. Blackburn. Ich wünsche allerdings eine gute Partie recht wirksamer Gifte von Ihnen zu haben – aber das ist nicht Alles.«

»Was sonst noch?«

»Ich wünsche auch Ihren Rath.«

»Was das betrifft, so dürfte der nicht minder wirksam sein als meine Gifte. Worin kann ich Ihnen rathen, Mr. Booth?«

»Ich setze voraus, Sie kennen den ganzen Umfang meiner Mission, Mr. Blackburn. – Gut, so kann ich etwas rückhaltloser reden. – Ich beabsichtige, sobald ich in Washington meine Anordnungen getroffen habe, nach New-York zu gehen.«

»Das ist eine schöne Stadt, ich kann Ihnen diese Reise nur empfehlen, Mr. Booth.«

»Diesen Rath wollte ich nicht hören, es ist eine andere Sache, in welcher ich Ihren Rath verlange. Sie wissen, daß New-York keine Brunnen hat, Sir?«

»Ich weiß. Das Wasser wird von einem hochgelegenen Bassin aus durch Röhren in die Stadt geleitet.«

»Ganz recht. Ich beabsichtige nun, das Wasser dieses Bassins, und damit ganz New-York zu vergiften. Was sagen Sie dazu?«

Mr. Blackburn hielt den Bissen im Munde still, an dem er eben kaute, und schaute den Sprecher beinahe mit dem Ausdruck des Schauders an. Er war so betroffen von dieser Erklärung, daß er keine Antwort zu geben vermochte.

»Nun, was sagen Sie dazu?« wiederholte Booth.

»Eine Idee so großartig, daß man sich erst an dieselbe gewöhnen muß, um nicht bei dem bloßen Gedanken zurückzuschaudern,« versetzte Blackburn und rückte unwillkürlich seinen Stuhl ein wenig weiter von dem Erfinder dieser großartigen Idee.

»Die Idee ist nicht ganz mein Werk,« erklärte Booth, der wohl in Blackburn's Seele dessen Abscheu lesen mochte, »sie ist zuerst angeregt durch einen Freund, den ich kürzlich besuchte, Mr. Robert Payne. Sie kennen ihn? den Sohn des Predigers zu Georgesville.«

»Eine anerkennenswerthe Bescheidenheit, Sir, daß Sie das einräumen,« meinte Blackburn nicht ohne Ironie.

»Hm,« dachte Atzerott der sich durch die Verhandlungen bei seinem Frühstück nicht stören ließ. »Es ist doch wahr, daß man selbst ein Verbrecher erster Größe sein kann und doch empört und entrüstet ist, wenn man entdeckt, daß Andere ebenso zu handeln im Stande sind. Ich bin überzeugt, daß Blackburn nie ein Gewissen besessen hat, und ich glaube, sein Abscheu gegen Booth's Anschlag ist bloßer Neid wegen der Concurrenz.«

»Sie haben mir immer noch nicht ihre Ansicht über meinen Plan mitgetheilt, Mr. Blackburn,« fuhr Booth zu diesem gewendet fort. »Halten Sie es für thunlich und erfolgreich, das Reservoir zu vergiften?«

Mr. Blackburn sann nach, indem er sich in seinen Sessel zurücklehnte und seinen Zeigefinger in die Krümmung seiner Nase hakte. Dann räusperte er sich und antwortete:

»Meine Ansicht ist die: es geht, – mit ungeheuren Kosten geht es, aber da sich das Wasser stündlich erneuert, wirkt es nicht für die Dauer. Es werden vielleicht hundert oder tausend Menschen sterben und dann hört die Wirkung auf. Man würde überdies aus der Gleichartigkeit der Symptome sofort auf eine Vergiftung schließen, die Vergiftung des Wassers herausfinden und Maßregeln treffen, das künftig zu verhüten. Unter den hundert oder tausend Menschen aber, die gestorben sind, ist vielleicht kein Einziger, dessen Tod Ihnen wie der Conföderation auch nur einen Pfifferling nützen könnte. Was aber die Hauptsache ist: – wir haben in New-York viele und mächtige Verbindungen, und diese dürfen nicht ohne Unterschied mit den Andern leiden.«

Mr. Booth fand diese Gründe zwar einleuchtend, doch hatte er auf diesen Plan, dessen Ausführung namentlich auch Mr. Cleary warm empfohlen hatte, zu große Hoffnungen gebaut, als daß er kalten Blutes hätte das Gebäude zusammenstürzen lassen sollen. Etwas verstimmt, entgegnete er daher:

»Es ist sehr leicht, Mr. Blackburn, einen Plan zu tadeln und umzustoßen, aber schwer einen zu ersinnen, der dem meinigen in Hinsicht des möglichen Erfolges gleichkommt.«

Mr. Blackburn schwieg eine Weile gedankenvoll und hakte wieder seinen Zeigefinger in die Krümmung seiner Nase, als ob er an einem Ventil drückte, das die Schleusen seines Geistes öffnete. Das Ergebniß dieses Experiments war, daß er nach einer Pause langsam und mit Nachdruck und gleichsam im Selbstgespräch, denn er blickte dabei keinen seiner Gäste an, die Erklärung von sich gab:

»Ich weiß wohl einen Bundesgenossen, der viel mächtiger ist, als eine Armee von 2 Millionen Soldaten, aber ich weiß nur nicht, in welcher Weise man diesen Bundesgenossen an die rechte Stelle bringen soll.« –

Booth horchte hoch auf.

»Reden Sie, Mr. Blackburn, was meinen Sie mit dem Bundesgenossen?«

»Ich meine damit,« antwortete der Arzt, noch immer im Selbstgespräch vor sich hinschauend – »das gelbe Fieber!«

Jetzt war es an Booth zu erstaunen. Wie Blackburn von seiner Idee frappirt war, so blickte er jetzt mit stummem Erstaunen auf den Erfinder dieser neuen Idee.

Diese Idee hatte in der That etwas so schauerlich Großartiges, teuflisch Imponirendes, daß selbst Atzerott den Mann, der die Idee ausgesprochen, mit dem Ausdruck höchster Bewunderung anstierte.

Blackburn fuhr fort, in der Weise des Selbstgespräches, während Booth ihm die Worte von den Lippen zu haschen schien.

»Wenn das gelbe Fieber, wie wir es hier haben, in New-York, Washington und Boston wäre – es würde besser für uns und unsern Sieg arbeiten als eine Million starke Armee es könnte.«

»Ein mächtiger Bundesgenosse,« bestätigte Booth, die vorige Bezeichnung des Doktors wiederholend. – »Aber man muß sich erst an die Idee gewöhnen, sie ist so großartig, daß nur starke Gemüther sie zu fassen vermögen.«

»Ich hoffe, Sie haben ein starkes Gemüth, Mr. Booth,« sagte Blackburn ein wenig beleidigt. »Wenigstens spricht die Wasservergiftung nicht dagegen.«

»Ich denke, ich habe ein starkes Gemüth,« pflichtete Booth bei, »wenigstens fühle ich, daß ich vor Ihrer Gelbenfieber-Importation nicht mehr erschrecke.«

»Um so besser,« brummte der Arzt durch seinen vollen Bart, nur fürchte ich, daß wir uns diesen Bundesgenossen nicht werden gewinnen können.«

»Und warum nicht? – Ist es nicht möglich, die Seuche in die Städte des Nordens einzuführen?«

»Ich sehe nicht, wie es möglich ist,« entgegnete Blackburn. »Das einzige wäre, daß ein Kranker von hier schnell nach der nächsten Stadt geschafft, ein anderer von dort weiter und so fort bis in die Städte der Union; allein um das zu bewerkstelligen, würden auch die zwischen hier und Washington liegenden Städte Virginiens mit der Seuche heimgesucht werden müssen.«

»Ist denn keine andere Verbreitung möglich als die durch Ansteckung?« fragte Booth

»Nein,« war die Antwort. »Dazu kommt, daß, selbst wenn wir auch nur bei den ersten Symptomen einen Kranken von hier fortschafften, derselbe doch schwerlich weiter als 10 Meilen würde reisen können, und zwar bei der schnellsten Expedition. Dort würde er zusammensinken und liegen bleiben. Was anders wäre es, wenn wir einen Kranken gleich bis nach Washington expediren könnten. Dann wäre es leicht, die Krankheit nach den Unionsstaaten zu bringen, ohne die Städte Virginiens der Gefahr auszusetzen, aber eine so weite Reise kann ein Befallener nicht machen.«

»Wie wäre es,« schlug Atzerott vor, den das Gespräch zu interessiren anfing, »wenn man einige Nigger ansteckte und diese schleunigst forttransportirte, auf die brauchte man keine Rücksicht zu nehmen, und wenn sie als Leichen in Washington ankämen.«

»Der Vorschlag ist nicht übel,« meinte Booth; »was sagen Sie dazu, Mr. Blackburn?«

»Ich sage, daß er unausführbar ist, denn es ist ein Factum, daß Nigger für die Ansteckung des gelben Fiebers gänzlich unempfänglich sind.«

Die drei saßen eine Weile sinnend da. Jeder strengte sich an, ein Mittel zu finden, um diesen grauenerregenden Plan ausführbar zu machen. Der Arzt nahm nach langem Schweigen zuerst das Wort.

»Ich verzweifle noch nicht an der Ausführbarkeit,« sagte er, man müßte nur Versuche machen, und das soll sogleich geschehen, es ist dies die Stunde, in welcher ich das Lazareth zu besuchen pflege, ist es Ihnen recht, meine Herren, so begleiten Sie mich, Sie könnten dann sich sofort durch eigenen Augenschein von dem Resultat des Versuchs überzeugen und beurtheilen, wie weit sich Nutzen daraus ziehen ließe.«

Booth war sogleich damit einverstanden, den Arzt nach dem Gelbenfieber-Lazareth zu begleiten, Atzerott willigte nur mit Widerstreben ein, dem Experiment beizuwohnen.


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