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Siebentes Kapitel.
Glück und Glas, wie leicht bricht das!

New-York war in festlicher Aufregung; die Läden geschlossen, die Häuser mit Blumen und Fahnen geschmückt, die Leute in festtäglicher Kleidung; selbst die Schiffe im Hafen hatten sämmtlich geflaggt und begrüßten mit Kanonenschüssen den 4. Juli, den Geburtstag der nordamerikanischen Republik. – Singend und jubelnd zogen Schaaren von Männern durch die Straßen, andere belustigten sich und feierten den Tag durch Abfeuern von Pistolenschüssen oder Abbrennen von Feuerwerkskörpern. – In jedem Hause war heute der Tisch festlich gedeckt, sei es in den Palästen der Fifth Avanue-Street, sei es in den Spelunken der Five points; fast nirgend fehlte heute eine Flasche Wein, um auf das Wohl der Republik anstoßen zu können.

Auch die Familie Powel's feierte diesen, für jeden Republikaner so hochwichtigen Tag, ganz entsprechend dem Patriotismus des Hausherrn. Das Mittagsmahl war so glänzend wie seit lange nicht, und die Zierde der Tafel bildete zum höchsten Entzücken des kleinen blondlockigen Buben eine herrliche Torte. – Gegen Abend ging Mr. Powel auf Zureden seiner Frau, sich doch eine Erholung und Zerstreuung zu gönnen, in's Clubbhaus, um sich an den patriotischen Reden begeisterter Republikaner zu erbauen und in die Toaste auf die Union und die Männer, welche an ihrer. Spitze standen, von Herzen mit einzustimmen.

Der Saal war dicht besetzt und fast kein Platz zu bekommen; es gelang Mr. Powel hier nur durch die Gefälligkeit eines ältlichen Herrn, der mit einigen Freunden auf einer Bank saß und zuvorkommend dieselben aufforderte, zusammenzurücken, um dem Neuangekommenen einen Platz zu gewähren.

Es war dies ein kleiner dicker Herr mit weißem Haar, rundem Gesicht und freundlichen, wohlwollenden Mienen. Aus dem Gespräch, welches derselbe mit seinen Freunden führte, und welches sich meist auf die gehaltenen Reden bezog, ersah Mr. Powel bald, daß der alte Herr nicht zu seiner Parthei gehörte, sondern ein Anhänger des Südens sei, jedoch fand er ihn so gemäßigt und ruhig in seinen Urtheilen, daß seine vorgefaßte gute Meinung dadurch nicht beeinträchtigt wurde.

Zu seinem Erstaunen hörte er, daß die Andern den alten Herrn mehrmals Mr.·Powis nannten. Sofort fiel ihm die Geschichte von dem Brief ein, und er kam auf die Vermuthung, sein Nachbar sei möglicher Weise Derjenige, an den der Brief mit dem blaßrothen Couvert gerichtet gewesen. Er konnte die günstige Gelegenheit nicht vorüberlassen, ohne des Ereignisses Erwähnung zu thun.

Eine· solche Gelegenheit bot sich während einer Pause, in welcher der Vorstand des Clubbs Unterschriften sammelte für eine Resolution, worin dem General M'Clellan ein Mißtrauensvotum ausgesprochen werden sollte.

»Wie ich eben vernehme, ist Ihr Name Mr. Powis?« wandte er sich an seinen Nachbar.

»So ist mein Name,« antwortete mit freundlichem Kopfnicken der Gefragte.

»Dieser Name interessirt mich insofern,« fuhr Mr. Powel in bescheidenem Tone fort, »als ich gestern mit einem Mr. Powis, welcher 24 Washington-Street wohnt, in indirecte Berührung seltsamer Art gerieth.«

»Washington-Street 24, das ist meine Wohnung,« sagte der alte Herr.

»Ah, so sind Sie derselbe, den ich meine. Mein Name ist Powel. Ich war es, der gestern früh aus Versehen den an Sie gerichteten Brief mit den Banknoten erhielt, den Ihnen Mr. Atzerott zugestellt haben wird. Sie können überzeugt sein, daß, obgleich ich den Brief geöffnet, ich doch keine Silbe von dem Inhalte gelesen habe, da ich gleich aus der Anrede ersah, daß er nicht für mich bestimmt sei.«

»Ein Brief mit Banknoten?« wiederholte der alte Herr befremdet, und seine Hand, die eben aus der goldenen Dose eine Prise zur Nase führen wollte, blieb auf halbem Wege stehen.

»Nun ja, der kleine Brief im blaßrothen Convert,« bestätigte Powel.

»Von einem solchen Briefe weiß ich nichts.«

Ein Gefühl des Schreckens und Entsetzens bemächtigte sich Mr. Powel's. Sollte der Brief verloren gegangen sein? Doch nein, er selbst hatte ihn ja Mr. Atzerott eingehändigt, und dieser hatte ihm versprochen, ihn sofort an die rechte Adresse zu besorgen. Es mußte ein Irrthum obwalten.

Mr. Powis schien sehr unangenehm aufgeregt durch diese Nachricht.

»Haben Sie denn auch kein Geld aus dem Süden bekommen?« fragte Powel weiter.

»Nicht einen Cent!«

»Großer Gott, so ist wirklich der Brief verloren?«

»Ich wenigstens habe ihn nicht empfangen. Wie viel Geld war denn drinn?«

»Ich kann es nicht genau sagen, ich habe nur eine Banknote von tausend Dollars gesehen, die mir in die Hand fiel. Ob das Alles war, oder ob noch mehr Banknoten darin lagen, weiß ich nicht, denn ich faltete den Brief sofort wieder zusammen und steckte ihn in das Couvert.«

»Hm, das ist sonderbar. Doch beunruhigen wir uns weiter nicht, da die Sache ja sehr einfach liegt. Ein Brief mit Geldeinlage war da. Sie haben ihn selbst in Händen gehabt. Atzerott hat den Brief von Ihnen zurückerhalten, es ist also nichts anderes zu thun, als daß ich mich an Atzerott oder noch besser an die Agentur wende, welche die aus dem Süden eingeschmuggelten Gegenstände besorgt. Der Generalagent ist ein Freund von mir und wird gewiß nichts unterlassen, die Sache sobald als möglich zu ordnen.«

Powel bot ihm seine Begleitung an, die der alte Herr dankend ablehnte, da der Generalagent auch ohne sein Zeugniß keinen Zweifel in seine, Powis, Erzählung setzen werde.

Beide Männer verließen das Clubbhaus. Powis, um sofort sich an die Agentur zu wenden; Powel ging um eine Sorge reicher nach Hause.

Seine Frau wurde von der unerwarteten Mittheilung sehr ergriffen. Allein ihres Mannes Zuversicht, daß hier nur ein Irrthum oder ein Versehen Atzerott's obwalten könne, beruhigte sie einigermaßen wieder, so daß sie die Nacht ruhig schlief und von nahe bevorstehenden glücklichen Tagen träumte.

Am andern Morgen erwachten beide Ehegatten recht froh und glücklich, wußten sie doch, daß heute nicht drückende Sorgen ihnen die Freude an den Kindern, das stille Familienglück verkümmern würden.

Powel schaukelte den kleinen Knaben auf dem Knie, während seine Hand die Locken seines Töchterchens streichelte. Das blasse Gesicht der Mutter wurde beim Zuschauen dieser Gruppe von einem Strahl der innigsten Freude verklärt.

»Ach wie glücklich sind wir doch immer noch,« dachte sie. Sie erhob sich aus der Ecke, wo sie mit dem Jüngsten saß, und trat auch zu ihrem Gatten. Während ihr einer Arm den Säugling hielt, umschlang sie mit dem andern den Hals des geliebten Mannes und ihre bleiche, kalte Wange an die seinige drückend schaute sie selig vergnügt auf die plaudernden Kinder. –

Da klopfte es mit starken Schlägen, und ohne ein »Herein« erst abzuwarten, trat ein Polizeidiener in's Zimmer. Die Erscheinung einer solchen Persönlichkeit ist auch in anderen Verhältnissen wohl im Stande, augenblickliche Verstimmung hervorzurufen, um so mehr war das aber bei Powel der Fall, den beim Anblick des Poliecman, der Gedanke an den Brief wie ein electrischer Schlag traf.

Sanft machte er sich los von den Kindern, erhob sich und trat dem Mann entgegen.

»Was ist Ihr Begehr, Sir?«

Der Beamte langte statt der Antwort eine große Mappe unter dem Arm hervor und klappte sie auseinander, machte mit der Zunge die Spitze des Daumens naß und fing an mit sehr wichtigthuender Miene die Papiere in der Mappe zu durchblättern. Daraus zog er eins derselben hervor und reichte es Powel hin.

»Eine Vorladung auf das Courte-House!« sagte er lakonisch.

Powel schrack zusammen.

»Auf das Courte-House? Und weswegen?«

»Es betrifft die Unterschlagung eines Briefes.«

Das Wort Unterschlagung machte Powel erbeben. Doch faßte er sich sofort wieder, da er sich sagte, daß, wenn eine Unterschlagung wirklich vorliege, diese nicht von ihm, sondern von Atzerott begangen sein müsse; und mit möglichster Ruhe antwortete er dem Beamten:

»Es ist gut, ich werde pünktlich erscheinen.«

Die junge Frau brach, als sich der Polizeidiener entfernt hatte, in Thränen aus. Powel aber beschwor sie, ruhig zu sein, da ihm ja nichts Uebles widerfahren könne; dann küßte er die Kinder, nahm zärtlichen Abschied von seiner Frau, versprach zum Mittagessen wieder zu Hause zu sein und ging, der Vorladung gemäß, nach dem Courte-House. –

Jeder District in New-York hat sein eigenes Gerichtsgebäude, das sogenannte Courte-House, in welchem sich zugleich Gefängnisse, namentlich für Untersuchungsgefangene, befinden. In dem eigentlichen Stadtgerichtsgebäude, der City-Hall, werden nur große Prozesse verhandelt.

Obgleich Powel fest überzeugt war, daß es sich nur um seine Vernehmung als Zeuge handelte, so machte doch der mit Wachen besetzte Eingang des Gebäudes einen unheimlichen Eindruck auf ihn. Von einem Gerichtsdiener wurde er dann in das Verhörzimmer vor den Untersuchungsrichter geführt. Derselbe empfing ihn ernst und gemessen.

»Es ist eine Anzeige eines hiesigen Agenten eingegangen, nach welcher ein von der Agentur beförderter Brief mit Banknoten abhanden gekommen ist,« begann er. »Der Brief ist irrthümlich in Ihre Hände gerathen. Ich ersuche Sie, mir mitzutheilen, was Sie von jenem Briefe wissen.«

Powel kam der Aufforderung nach und erzählte Alles, was er darüber wußte. Aus Zartgefühl verschwieg er aber seine eigene drückende Lage und die Stimmung, in welcher er sich befunden, als der Brief ankam. Er fügte hinzu, daß das Alles sei, was er davon sagen könne, daß aber weitere Auskunft jedenfalls Mr. Atzerott zu geben im Stande sei.

Der Untersuchungsrichter war der ganzen Mittheilung aufmerksam gefolgt. Sein Auge hatte scharf und durchdringend auf dem Sprechenden geruht. Als dieser zu Ende war, sagte er:

»Ist das was Sie ausgesagt haben volle Wahrheit, so daß Sie das Protokoll unterschreiben können?«

Powel bejahte.

»Nun denn, so muß ich Ihnen die Mittheilung machen, daß Atzerott, der soeben vernommen worden, ausgesagt hat, daß er wohl wisse, wie er Ihnen an jenem Tage einen Brief in blaßrothem Couvert gebracht, jedoch weder diesen noch einen andern von Ihnen zurück erhalten habe. Diese Aussage ist der Mann bereit mit einem Eide zu bekräftigen.«

Wenn ein Blitz vor ihm niedergefahren wäre, so hätte Powel nicht mehr zusammenschrecken können, als da er diese Worte hörte. Alle Entsetzen, die sich an das Wort »Diebstahl«, »Unterschlagung« knüpften, traten ihm vor die Seele.

»Unmöglich!« schrie er. »Nimmer kann der Mann das gesagt haben!«

»Ich habe diesen Widerspruch in den Aussagen vorhergesehen,« entgegnete ruhig der Richter, »und deshalb Mr. Atzerott zu einer Confrontation mit Ihnen hierher citirt. Derselbe wird sogleich erscheinen.«

Der Richter klingelte. Powel vermochte sich kaum aufrecht zu erhalten. Aus Mitleid schob ihm der Richter. einen Stuhl zu, an dessen Lehne sich der Angeschuldigte krampfhaft anklammerte.

Die Thür öffnete sich, und Atzerott trat ein. Mürrisch betrachtete er unter den buschigen Brauen hervorblickend erst den Richter, dann den Angeklagten. Sein Aeußeres schien ruhig und ohne die allermindeste Erregung.

In Powels Adern kochte es. Ohne eine Aufforderung des Richters zum Reden abzuwarten, fuhr er den Eintretenden an:

»Sie haben erklärt, den Brief mit der Geldeinlage nicht von mir zurückerhalten zu haben? Das kann doch nur Vergeßlichkeit – einen schlimmeren Ausdruck will ich nicht gebrauchen – von Ihnen sein!«

Jetzt schlug Atzerott langsam seine Augen auf, schaute Powel einen Augenblick starr und trotzig in das erhitzte Gesicht, wobei er verächtlich die Achseln zuckte, dann wandte er sich an den Richter und sprach mit der größten Ruhe:

»Wie ich dem Herrn Richter gesagt habe, so verhält es sich. Einen Brief, kleingefaltet, in einem rothen Couvert habe ich dem Herrn da vorgestern gebracht. Ich erinnere mich dessen genau. Was der Brief enthielt, weiß ich natürlich nicht; Geldwerth war wieder deklarirt noch durch Siegel angedeutet. Der Herr giebt zu, den Brief von mir empfangen zu haben, ihn geöffnet und Geld darin gefunden zu haben. Ich habe Herrn Powel seit jenem Tage nicht wieder gesehen.«

»Mensch, wie können Sie so…..«

Ein ernster, mahnender Blick des Richters unterdrückte das beleidigende Wort, das Powel auf der Zunge hatte.

»Es war vorgestern Mittags um 2 Uhr,« fuhr er fort, »als ich Ihnen auf der Straße begegnete, Sie auf Ihren Irrthum aufmerksam machte, Ihnen sagte, daß Geld in dem Briefe sei, und als Sie mir versprachen, den Brief sofort zu besorgen. Ich glaubte Ihren Worten, traute Ihnen, und nun unterstehen Sie sich, alles dies in Abrede zu stellen?«

»Herr Richter«, sagte Atzerott in gekränktem Ton, »ich weiß nichts von dem, was der Herr da redet – Es bleibt bei meiner Aussage – was ich gesagt ist wahr, und ich bin bereit es zu beschwören.«

»Heiliger Gott!« fuhr Powel in furchtbarster Aufregung heraus. »Wissen Sie denn nicht, daß Sie mich mit diesem Leugnen anklagen, als hätte ich den Brief mit dem Gelde unterschlagen?«

»Was Sie gethan haben, werden Sie wohl am besten wissen, mich geht es weiter nichts an;« entgegnete Atzerott mit größter Ruhe und Kälte.

»Sie behaupten, Herrn Powel an dem Tage überhaupt nicht gesehen zu haben?« fragte ihn der Richter.

»Es ist, wie ich sage«, antwortete er.

»Haben Sie denn keine Zeugen, daß· Sie um die angegebene Stunde mit Mr. Atzerott gesprochen haben?« wandte sich der Richter an Powel.

»Es war auf der Straße«, entgegnete dieser. »Obwohl viele Leute an uns vorübergingen, entsinne ich mich doch nicht, ob ein Bekannten unter ihnen war.«

»Können Sie denn nicht sagen, wie viel Geld in Banknoten in dem Briefe war?«

»Ich habe die Banknoten nicht berührt. Sobald sich den werthvollen Inhalt, der nicht mein Eigenthum war, erblickte, brannte mir der Brief wie Feuer zwischen den Fingern.«

»Und haben Sie auch nichts von dem Inhalt des Briefes gelesen, nicht nach dem Namen des Absenders gesehen? Es wäre dies doch eine verzeihliche Neugierde gewesen.«

»Kein Wort habe ich mehr gelesen von dem Augenblick an, da ich wußte, daß der Brief nicht an mich gerichtet war.«

Ein ungläubiges Lächeln schien auf dem Gesichte des Richters auftauchen zu wollen, doch es verschwand sofort wieder.

Mr. Atzerott mußte es aber doch bemerkt und den Grund desselben errathen haben, und den Augenblick gewandt benutzend, sprach er mit schlecht verhehltem höhnischem Lächeln:

»Das soll ein Mensch glauben! Der Herr hat den Brief geöffnet, das Geld in Händen gehabt und soll nicht in den Brief hineingeschaut haben. Das ist eben so wenig wahr, als seine Behauptung, daß er mir den Brief zurückgegeben hat.«

»Sie haben hier weiter keine Meinung auszusprechen,« bedeutete ihm streng der Richter, »sondern nur zu antworten. – Haben Sie noch eine Frage an den Herrn zu richten, oder etwas sie Ihrer Vertheidigung vorzubringen?« wandte er sich darauf an Powel.

Der Angeredete richtete sich hoch auf, die krampfhaft geballte Hand auf die heftig arbeitende Brust drückend, und mit flammenden Blicken auf Atzerott sprach er:

»Ich kann weiter nichts sagen, als daß der Mann da die Unwahrheit gesprochen hat, so wahr ein Gott über uns ist, der in das Innerste der Menschen schaut und einst uns Beide richten wird!« –

Hierauf brach er erschöpft zusammen.

Atzerott hörte diese mit starker Stimme und in heftiger Aufregung gesprochenen Worte so ruhig und gleichgültig mit an, als ob sie ihn gar nichts angingen. Einen Augenblick schaute er den Zusammengesunkenen mitleidig und mit Achselzucken an. Dann wandte er sich an den Richter und sagte in anscheinend gleichgültigem Ton:

»Fragen Sie doch den Herrn einmal, Herr Richter, wo er seit vorgestern das viele Geld, die Goldstücke herbekommen hat? Obgleich notorisch die größte Armuth bei ihm herrscht, hat seine Frau am andern Tage alle Rechnungen, Miethe, Bäcker, Schlächter, Kaufmann – alles in blankem Golde bezahlt und den Luxus sogar so weit getrieben, zu dem gestrigen Feste eine große Torte zu kaufen.«

Als hätte ihn eine Natter gebissen, sprang Powel von seinem Sitze auf und mit glühenden Blicken starrte er den Sprechenden an, während seinen zitternden Lippen das Wort »Schurke!« entfuhr.«

Ein ernster Verweis des Untersuchungsrichters traf ihn; dann fragte ihn dieser:

»Ist das wahr? – Wie erklären Sie diese für Ihre Umstände sehr eigenthümliche Erscheinung?«

Powel erzählte nun die Begegnung mit seinem Freunde auf der Eisenbahn, wobei die Scham seine Wangen röthete, und er einige Verlegenheit nicht verbergen konnte.

Hatte schon seine Frau, als er an jenem Abende ihr diese Begebenheit mittheilte, dieselbe auffallend gefunden, so schienen seine beiden jetzigen Zuhörer vollständig überzeugt zu sein, daß die Erzählung weiter nichts als ein Märchen sei.

Atzerott blickte, als Powel geendet hatte, mitleidig zu dem Untersuchungsrichter auf, und dieser hatte alle Mühe, seinen Zügen den nöthigen Ernst zu bewahren, und dem Zeugen nicht zu verrathen, daß er eben so ungläubig sei, wie er.

Er entließ endlich Atzerott mit dem Bemerken, jeden Augenblick bereit zu sein, zu weiterer Vernehmung vor ihm zu erscheinen.

Als er sodann mit Powel allein war, sprach er mit ruhigem, ernstem Ton:

»Ihre Lage ist eine eigenthümliche und verwickelte. Ich muß meiner Pflicht genügen. Sie geben zu, den Brief mit einer Geldeinlage geöffnet in Ihren Händen gehabt zu haben. Der Brief ist verschwunden; unmittelbar darauf befinden Sie sich im Besitz von Goldstücken, deren Erwerbung Sie durch eine Erzählung, die – ich kann nicht anders sagen – gar zu romantisch und unwahrscheinlich klingt, zu erklären suchen. Brief und Geld müssen, da sie einmal vorhanden waren, auch irgendwo sein. – Gehen Sie in sich! – Denken Sie nach!« – er sprach dies in eindringlichem fast bittendem Ton – »ob Sie vielleicht nur der Meinung gewesen sind, den Brief an Atzerott zurückgegeben zu haben, ob Sie nicht vielleicht den Brief nur verlegt und noch in Ihrer Wohnung haben!«

»Reden Sie nicht weiter, Herr Richter,« fuhr Powel mit unterdrückter Erregung auf. »Ich sprach die Wahrheit, thun Sie Ihre Pflicht. Ich bin auf Alles gefaßt.«

»So bedauere sich, Ihnen mittheilen zu müssen, daß Sie vor der Hand in Untersuchungshaft bleiben müssen. Ich werde die Untersuchung so rasch wie möglich zu Ende führen.«

Powel war auf's Neue auf seinem Sitz zusammengebrochen und nicht im Stande, sich ferner zu beherrschen, seine nun vollends unglücklich gewordene, verzweifelnde Familie vor Augen, brach er in ein krampfhaftes Schluchzen aus, und in abgerissenen Sätzen stieß er die Worte hervor:

»Bedenken Sie, was Sie thun – Herr Richter! Es ist mein Todesurtheil, das – meines guten ehrlichen Namens – meiner ganzen – armen Familie!«

»Ich kann – ich darf nicht anders handeln!« entgegnete der Richter nicht ohne Bewegung.

Er klingelte. Ein Gerichtsdiener trat ein, der die Weisung erhielt, den Gefangenen abzuführen.

Willenlos folgte ihm Powel in's Gefängniß.


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