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Elftes Kapitel.
Im Gefängnis bei Millen

Drei Tage waren verstrichen seit den Ereignissen, die wir im letzten Kapitel erzählten. Es war ein regnigter, unfreundlicher Vormittag, da saßen in einem Gasthause zu Milledgeville, einem Städchen unweit Savannah, bei einem Glase Punsch Mr. Sandford Conover und George Borton.

»Daß Sie die Meuchelmörder nicht mehr überholen konnten!« sagte der erstere, das Gespräch fortsetzend. »Dieser kleine Umstand kann Schuld sein, daß der Krieg um Jahre verlängert wird. Hätte Sheridan das Commando behalten, so wäre Lee unbedingt vernichtet und der Krieg zu Ende gewesen«

Borton schwieg, seine Gedanken schienen ganz wo anders zu verweilen. Conover griff unmuthig nach einem Zeitungsblatt, das auf dem Tische lag:

 

»Da steht es ja: Atietam, den 7. Juli. – Hören Sie, mit welcher naiven Unbefangenheit die Rebellenzeitung das Ereigniß bespricht. – »In der Nacht vom 5. auf 6. Juli wurde der General Sheridan durch Explosion eines Torpedo's verwundet. Halleck erhielt an seiner Stelle den Oberbefehl. Einen verfehlten Marsch desselben benutzend, ist es Lee gelungen, seine Armee über den York-River zurückzuziehen Wie man hört, hat an demselben Tage von Seiten der Unionisten der Angriff geschehen sollen« –

Borton nickte, zum Zeichen, daß ihn das nicht überrasche.

»Es ist aber doch eine Unverschämtheit ohne Gleichen, den Meuchelmord als ein Unglück darstellen zu wollen, das dem General durch einen Zufall passirte. Aber so machen sie's, die Rebellen; ihre haarsträubendsten Unmenschlichkeiten und Grausamkeiten wissen sie der Oeffentlichkeit gegenüber stets so zu vertuschen und zu bemänteln, daß sie als die harmlosesten Dinge von der Welt erscheinen.«

»Abgesehen noch von den Scheußlichkeiten, die sie im Geheimen begehen«, ergänzte George.

»Zu diesen gehört auch das Gefängniß bei Millen, Ga, das wir eben zu besuchen im Begriff stehen. Es ist die Quintessenz alles Elends und Entsetzens«, fuhr Conover fort. »Sie werden sich überzeugen, daß ich in meiner Schilderung durchaus nichts übertrieben habe. Daß wir von Jefferson Davis Erlaubniß erhalten haben, uns die Gefängnisse anzusehen und noch dazu mit der Weisung an den Major Wirtz, uns keine Auskunft zu verweigern, das verdanken wir nur dem hohen Ansehen, in welchem Sie bei ihm stehen. Die Rebellen lassen sonst Niemanden diesen Ort besuchen, weil sie fürchten dem Auslande gegenüber compromittirt zu werden.«

»Weshalb nur Mr. Wirtz so lange ausbleibt«, fragte George, als Mr. Conover eine Pause machte. »Er versprach doch bestimmt, uns von hier abzuholen?«

»Wie er mir sagte, hat er noch Anordnungen zu treffen zu einer militärischen Execution, die dort heute stattfinden wird. Unter dem letzten Transport Gefangener befinden sich mehrere Deserteure, die erschossen werden sollen.«

»Ein Anblick, den ich vermeide, wenn ich kann.«

»Ich auch, aber wir dürfen uns das nicht merken lassen. Mr. Wirtz scheint sich ein ganz besonderes Vergnügen daraus zu machen, uns durch dies Schauspiel Unterhaltung zu gewähren. Er kann sich nicht vorstellen, daß Einer ein Amüsement wie dies, das noch dazu so wohlfeil zu veranstalten ist, nicht gern haben sollte. – Apropos, haben Sie sich mit Geld hinlänglich versehen?«

»Um meine Bedürfnisse zu bestreiten, habe ich genug – aber zu was die Frage?«

»Ich meine, ob Sie so viel haben, um Einigen von den Gefangenen eine Kleinigkeit zustecken zu können, die armen Teufel, die meistens halb verhungert sind, lassen sich dafür von willfährigen Niggern heimlich etwas zu Essen besorgen.«

»Ah, da thut es mir leid, daß ich daran nicht gedacht habe, ich hätte die Unglücklichen reichlich beschenkt, obwohl ich gegenwärtig über keine bedeutenden Kapitalien verfüge. Erst kürzlich schickte ich nach New-York für meinen Bruder, – Sie kennen ihn ja, Charly Powel, – die Summe von 3000 Dollars.«

»Es war sehr unvorsichtig von Ihnen – mit den Briefschmugglern der Rebellen einen Geldbrief an einen Mann zu schicken, der als Republikaner bekannt ist; das ist Tollheit. Da können Sie sicher sein, daß der Brief nicht angekommen ist.«

»Oh doch, Mr. Conover, halten Sie mich nicht für so unklug, daß ich es so anstelle wie Sie eben sagen. Ich habe die dreitausend Dollars in Banknoten in einen Brief gelegt, mit blaßrothem Couvert, der eher wie ein zartes Liebesbriefchen als wie ein so inhaltschwerer Brief erscheint, habe auch das Geld nicht direkt an meinen Bruder geschickt, sondern an einen Mann, der ein Anhänger der Conföderirten ist, ein gewisser Mr. Powis.«

»Das ist etwas anderes«, räumte Conover ein. »Mr. Powis ist ein sehr liebenswürdiger und ehrenwerther Mann, der das Geld gewiß ehrlich an Ihren Bruder abgeben wird – Endlich, da kommt Mr. Wirtz.«

Ein Wagen hielt vor der Thür, worin ein Mann saß, in einen grauen Uniformmantel eingehüllt, und mit einem Federhut auf dem Kopfe. So viel man von seinem Gesicht zu sehen vermochte wegen des hoch ausgeschlagenen Mantelkragens, machte dasselbe eben keinen angenehmen Eindruck. Eine niedrige, flache Stirn, kleine, geschlitzte Augen, die zu weit auseinander zu stehen schienen, eine eingedrückte breite Nase, und ein unförmlich großer Mund, der durch einen mächtigen Schnurrbart noch mehr in die Breite gezogen erschien, das Alles zusammen charakterisirte einen Mann von niedrigen Leidenschaften und brutaler Roheit. –

Dies war der Major Wirtz, der Commandant des Gefängnisses bei Millen, Ga.

»Nun, meine Herrn, wenn's gefällig ist ...?« rief er aus dem Wagen den beiden Herren zu, die an's Fenster getreten waren, um sich zu vergewissern, daß es wirklich Mr. Wirtz sei.

Sie stiegen zu ihm in den Wagen. Ihr Weg führte sie eine ganze Strecke durch unbebaute oder niedergetretene Aecker; nach einer halben Stunde erblickten sie vor sich eine weite Fläche Haideland, eben und baumlos, so weit das Auge reichte. In der Mitte dieser dürren wüsten Fläche aber, die für alles Leben untauglich schien, da erblickte man auf einem verhältnißmäßig engen Raum tausende von Menschen beieinander – das waren die Kriegsgefangenen.

»Wir sind am Ziel«, sagte Mr. Wirtz, als der Wagen vor einer niedrigen Umzäunung stille hielt.

George blickte sich verwundert um, seine Augen schienen ein Gebäude zu suchen, oder sonst irgend ein Behältniß, – das einem Gefängnisse ähnlich sieht, allein er bemerkte nichts von alledem.

Der Major hatte ohne Zweifel seine Gedanken errathen, und die Ueberraschung des jungen Mannes schien ihm Vergnügen zu machen.

»Sie suchen das Gefängniß, Sir«, sagte er lachend, »sehen Sie hier, das sind die Umfassungsmauern des Gefängnisses.«

Er wies auf einen etwa anderthalb Fuß hohen Zaun von Pfählen, der einen viereckigen Raum von etwa zweitausend Schritt Breite und Länge einschloß.

»Sehen Sie,« sagte Mr. Wirtz, »dieser kleine Zaun hindert das Entfliehen mehr als die dicksten Mauern und Eisengitter. Wir nennen diesen Zaun die »Todtenlinie«. Alle 50 Schritte an demselben steht ein Posten; wer diese Todtenlinie zu überschreiten wagt, wird sofort niedergeschossen, und ich gebe Ihnen die Versicherung, die Posten passen gut aus, denn derjenige, der einen Gefangenen erschossen hat, bekommt als Lohn 30 Tage Urlaub.«

Conover und Borton wechselten einen Blick, in welchem sich ihr Abscheu gegen diese barbarische Anordnung aussprach.

Mr. Wirtz führte sie durch eine Oeffnung in der Todtenlinie in das Innere des Gefängnisses. Der fortwährend herabströmende feine Regen hatte das Erdreich so aufgeweicht und schlüpfrig gemacht, daß es schwer war, vorwärts zu kommen. Von dem dünnen Rasen, der früher ohne Zweifel das Land bedeckt hatte, waren nur noch wenige Spuren sichtbar, so daß die endlose, aufgeweichte Lehmfläche den trostlosesten Anblick bot.

Hier lagen halbnackt, nur dürftig mit Lumpen bekleidet und halb verhungert die Braven, welche ein schlimmeres Loos getroffen, als diejenigen, die von der Kugel durchbohrt waren. Fünftausend Menschen lebten auf diesem Raum und sehnten sich nach dein Moment, wo der Tod sie erlösen würde von ihren Qualen. Der einzige Schutz, den sie sonst vor Hitze und Kälte hatten, waren Höhlen, die sie sich in die Erde gegraben, da aber der Regen diese mit Wasser gefüllt hatte, so lagen sie Alle auf dem Erdboden zusammengekauert, um sich die nackten Glieder einander zu erwärmen, Lebende und Todte durcheinander, die ersteren so matt und kraftlos, daß es schwer war, zu unterscheiden, wie viele von diesen Jammergestalten lebendig und wie viel todt seien.

»Aber um Gotteswillen, wo finden denn die Leute Obdach?« fragte Georg. »Sie erfrieren ja bei dieser Witterung in ihren Lumpen.«

»Ich sage Ihnen,« versetzte Mr. Wirtz mit teuflischem Lachen, »sie sterben nicht; diese Yankee's haben ein Leben wie die Katzen; denn sonst müßten viel mehr sterben, ich habe jetzt nur 150–200 Todte täglich, die andern leben uns zum Tort ruhig weiter auf unsre Kosten. Was meinen Sie wohl, was uns der Unterhalt dieser Bestien täglich lostet?«

»Der Unterhalt der Gefangenen wird wohl so viel nicht kosten, wenn man von ihrem Aussehen auf die Verpflegung schließen darf,« bemerkte Mr. Conover.

»Da haben Sie recht,« bestätigte der Commandant. »Der Unterhalt der Gefangenen kostet uns gar nichts, denn wenn sie ankommen, so nehmen wir ihnen ohne Weiteres das Geld, was sie bei sich haben, ab und ziehen ihnen die Kleidungsstücke, die noch irgend brauchbar sind, aus, das deckt gewöhnlich die Kosten ihres Unterhaltes bis sie todt sind.«

»Um so mehr, als Sie die Leute nicht mit Pudding und Braten füttern werden,« fügte Conover hinzu, der sich nur mit Gewalt zu diesem Scherze zwang, um seinen Führer bei guter Laune zu erhalten.

Dieser fand denn auch die Bemerkung so spaßhaft, daß er von Herzen darüber lachte.

»In der That nicht, Mr. Conover,« sagte er; »wir füttern sie nicht mit Braten und Pudding. Wissen Sie, daß die Verpflegung uns pro Mann täglich noch nicht auf 3 Cent zu stehen kommt?«

»Es ist kaum zu glauben; was bekommen denn diese Leute?«

»Sie bekommen täglich einmal Suppe und weiter nichts. Mr. Tucker hatte eigentlich vorgeschlagen, ihnen gar nichts zu geben, sondern sie ruhig verhungern zu lassen, allein der Kriegsminister Breckenridge hat die sehr vernünftige Ansicht geltend gemacht, daß man dies schon nicht dürfe, um die Sympathien des Auslandes nicht zu verlieren, allein wenn man ihnen täglich nichts weiter giebt als einen Napf Suppe, so erreicht man, meint er, dasselbe, nur langsamer, und Niemand kann sagen, daß wir die Gefangenen verhungern lassen. Der Kostenersparniß halber wird auch wohl manchmal vergessen, die Suppe zu verabreichen – Sie verstehen wohl, mit bestem Wissen vergessen – und so was kann vorkommen; – das hilft sofort, denn schon am andern Morgen haben wir an hundert Todte mehr als gewöhnlich.«

»Ist es denn möglich,« flüsterte George seinem Freunde zu, daß solche schaudererregenden Verbrechen in einem civilisirten Lande unter den Augen, ja, mit dem Wissen der höchsten Behörden ungestraft verübt werden? – Die göttliche Gerechtigkeit darf solche Gräuel nicht unbestraft lassen!«

Sie setzten ihren Weg nach dem entgegengesetzten Ende des Gefängnißraumes fort, um in den Zelten für die Wachtmannschaften, oder unter den dort vereinzelt stehenden Tannen einigen Schutz vor dem Regen zu finden. Mit jedem Schritt, den sie zwischen den zahllosen Erdhöhlen und den Elenden hindurch, die zitternd vor Frost in dem Morast lagen, vorwärts thaten, begegneten sie neuen Schauderscenen und neuen Qualen.

Da standen einige Karten mit Mauleseln bespannt, und ein dutzend Neger waren beschäftigt, die umherliegenden Leichen aufzulesen und darauf zu laden. Sie packten die Wagen so voll mit Leichen, daß Köpfe, Beine und Arme über die Seitenbretter herabhingen. Der Anblick war so ekelerregend und empörend, daß George und Conover gern schnell vorbeigegangen wären; – Mr. Wirtz aber blieb stehen.

»Wer hat Euch gesagt, Ihr schwarzen Hunde,« schrie er die Neger an, »daß Ihr die Todten so rein auflesen sollt, als gelte es, die Atmosphäre aus den Charlestown-Platz zu reinigen. Ihr sollt nur so viel wegfahren, als unbedingt nöthig ist. Thut Ihr nicht Eure Schuldigkeit, Ihr Hunde, so lasse ich Euch aufknüpfen und hier faulen bis an den jüngsten Tag. – Nun was giebts? – Was wollt Ihr, Lumpengesindel?«

Diese letzte Frage war an drei Männer gerichtet, welche sich in ehrerbietiger Haltung dem Major genähert hatten. Es waren Gefangene, Männer, deren Anblick bei Jedem, in dessen Brust nicht bereits der letzte Funken von Menschlichkeit erloschen war, das tiefste Mitgefühl erregen mußte. Sie waren im wörtlichen Sinne nur mit Fetzen bekleidet. Der Eine hatte nichts als ein Paar zerrissene Beinkleider an, der Zweite ein Hemde, das in Fetzen ihm am Leibe hing und ein Paar Beinkleider, die bis an die Kniee reichten, das untere Ende war abgerissen, der Dritte, der noch am vollständigsten bekleidet war, hatte Beinkleider und Weste an, auch eine Kopfbedeckung, die er ehrerbietig in der Hand hielt. Barfuß waren alle Drei. Rechnet man zu dieser Bekleidung die abgemagerten, gramverzehrten Gesichter und den Heldenruhm, den in früheren Tagen diese Leute geerntet, so kann man sich die ingrimmige Wuth vorstellen, mit welcher Conover und Borton auf den Peiniger dieser Unglücklichen blickten.

Auf die barsche Frage des Majors trat Einer von ihnen vor.

»Herr Major, wir erlauben uns die Bitte, daß man doch womöglich noch heute aus dem Theil des Gefängnisses, den wir bewohnen, die Todten fortschafft. Die Luft ist bereits durch die Verwesenden völlig verpestet, daß es nicht mehr möglich ist, darin zu athmen.«

»Lügt nicht, Ihr Lumpengesindel!« entgegnete Wirtz. »Bei solchem Wetter verfaulen die Yankeeleichen nicht sobald.«

»Aber es ist seit 8 Tagen kein Todter mehr abgeholt, so daß uns dadurch schon der Platz beengt ist; es war all die Tage sehr warm, erst seit gestern regnet es; und der Pestgeruch trägt sichtlich dazu bei, die Todten zu vermehren.«

»So krepirt ins Teufels Namen; ich kann Euch hier nicht hunderte von Wagen zur Verfügung stellen.«

Damit wandte Mr. Wirtz den Petenten den Rücken. – George drückte ihnen heimlich seine Börse in die Hand und folgte wankenden Schrittes seinem Führer.

Sie gingen nunmehr den kleinen Zaun, die Todtenlinie, entlang, diese Linie, die von allen den Unglücklichen gefürchtet und vermieden wurde, wie der Tod selbst; der Rasen in der Nähe derselben war deshalb auch weniger zertreten als anderswo. Das verführte jenen alten entkräfteten Mann, den George in einiger Entfernung bemerkte. Auf allen Vieren kroch er heran an die Todtenlinie, um das dort nach dem Regen frisch aufgeschossene Gras zu pflücken und seinen Hunger damit zu stillen; aber noch ehe seine Hand sich ausstreckte nach dem Grün, krachte ein Schuß in Georges unmittelbarster Nähe. Der diensteifrige Posten hatte den Alten erschossen.

»Sagte ich's Ihnen nicht,« bemerkte der Major, »daß die Leute hier verstehen, Ihre Schuldigkeit zu thun?«

»Aber dieser hier,« versetzte Georg auf den entseelten Alten deutend, »war ja völlig unschuldig, er beabsichtigte nicht, die Todtenlinie zu überschreiten.«

»Ich habe es wohl gesehen,« entgegnete Mr. Wirtz mit pfiffigem Blinzeln. »Aber die Kerle schießen, wenn auch nur der entfernteste Schein einer gegründeten Veranlassung dazu da ist – die dreißig Tage Urlaub sind eine verlockende Aussicht.« –

Sie hatten jetzt den Gefängnißraum fast durchschritten und sahen bereits den Platz neben der Tannengruppe, auf welchem die Zelte für die Offiziere und Wachtmannschaften aufgeschlagen waren, vor sich. Georg warf noch einen Blick tiefsten Mitgefühls auf die namenlos Elenden, denen dieser Ort zum Aufenthalt angewiesen war, zurück, da fiel sein Blick aus einen jungen Mann – er zuckte zusammen und mußte sich am Arm Conover's halten.

»Seh'n Sie dort den Jüngling?« preßte er entsetzensbleichen Gesichts hervor.

Conover folgte dem Finger seines Freundes. Da stand ein hübscher junger Mann mit wettergebräunten Zügen. Sein Antlitz drückte wohl tiefen Gram aus, allein es war durch Hunger und Entbehrung noch nicht abgemagert. Er konnte noch nicht lange hier sein. Man hatte ihm von seiner Bekleidung nur Hemd und Beinkleider gelassen.

»Was! Sehe ich recht?« rief Mr. Conover. »Beim Himmel das ist Frederic Seward!« –

Der Bezeichnete hatte den Beiden halb den Rücken gewandt und schien sie nicht zu bemerken. Sein Auge war unverwandt auf den Tannenplatz gerichtet. Was war es, das dort seine Aufmerksamkeit erregte? –

Ein schönes Mädchen mit dunklen Augen ging dort umher; ein Neger trug ihr einen schweren Korb mit Erfrischungen nach, welche sie an die Soldaten verkaufte. Bereits in jedem Zelte und jeder dort gelagerten Gruppe hatte sie ihre Waaren angeboten, und mancher Offizier hatte ihr lüstern in die Feueraugen geblickt, ihr die Wangen gestreichelt und, mehr durch ihre Reize als ihre Waare verführt, von ihr gekauft.

Jetzt näherte sie sich dem Gefängnißraum, um auch den Posten an der Todtenlinie ihre Waaren anzubieten.

War es Wahrheit, oder täuschte sich Mr. Conover, als er zu bemerken glaubte, daß ihre Blicke weit weniger geneigte Käufer als vielmehr einen der Gefangenen innerhalb des Raumes suchten? – Nein, es war keine Täuschung. Er konnte bemerken, daß sie plötzlich still stand und mit dem Neger hinter ihr einige Worte heimlich wechselte. Ihre Blicke deuteten dabei auf Frederic Seward, der Neger winkte zum Zeichen des Einverständnisses mit dem Kopfe. Ja, es wollte ihnen scheinen, als ob Frederic, dessen Blicke unverwandt auf dem Mädchen hafteten, mit dieser einen verstohlenen Gruß und heimliche Zeichen wechselte.

Auch der Major Wirtz hatte das schöne Mädchen bemerkt. Er machte seine Begleiter aufmerksam auf sie.

»Wahrhaftig, eine der schönsten Quadroonen, die ich je gesehen,« sagte er. »Wird meinen Offizieren ein sehr angenehmer Zeitvertreib sein, bei ihrem langweiligen Dienst auf dieser Station. Beim Henker, ich muß das Mädchen kennen. Wenn ich nicht wüßte, daß Esther viel zu vornehm erzogen ist, um sich zu solchem Gewerbe herzugeben, so würde ich darauf schwören, daß es die dem Minister Breckenridge entlaufene Sklavin ist.«

Der Name des Besitzers von White-House machte George sofort den unglücklichen Zusammenhang der Gefangennehmung seines Freundes klar. Als sie sich am Ufer des James-River getrennt hatten, war er nach White-House gegangen, um zu erfahren, wer der Mann am Steuer des verfolgten Bootes gewesen; man hatte ihn ergriffen, um ihn hier des gräßlichsten Todes sterben zu lassen.

Scheinbar unabsichtlich näherte sich Georg dem Gefangenen und berührte leise seinen Arm. Frederic wandte sich schnell um und hätte fast einen Schrei der Ueberraschung ausgestoßen, als er seinen Freund erkannte.

»Hier,« flüsterte dieser, »nimm meine Uhr, Geld habe ich leider nicht mehr, aber ich werde Alles aufbieten, Dich zu befreien.«

Er wollte sich abwenden, um keinen Verdacht zu erregen.

Frederic hielt ihn noch zurück.

»Da, und Du nimm das,« sagte er, seinem Freund eine Karte in die Hand drückend.

Auf der Karte stand der Name M'Clellan hinter welchem mit Blei von Frederic's Hand das Wort »Verräther« geschrieben stand.

Die schöne Marketenderin hatte sich jetzt dem Posten genähert, welcher Frederic zunächst stand; er kaufte einige Pastetchen, die sie ihm in Papier wickelte. In dem Augenblick, als Wirtz sich umwandte, um weiter zu gehen, da erfaßte der Wind eines der scheinbar zum Einwickeln bestimmten Papiere und trug es eine Strecke durch die Luft, bis es vom Regen durchnäßt im Innern des Gefängnißraumes zur Erde fiel. Ein Blick genügte, um dem jungen Major Seward anzudeuten, daß das Papier für ihn bestimmt sei.

Als George nach einer Weile rückwärts sah, bemerkte er, wie Frederic mit dem Ausdruck des Entzückens das Blatt aufhob. –

Bei den Zelten angekommen, fanden sie, von einer Campagnie Soldaten bewacht, die angekommenen Gefangenen in Reih und Glied aufgestellt. Vom langen Marsche erschöpft und von Hunger und Entbehrungen abgemattet, waren die Leute dem Umsinken nahe.

Viele von ihnen waren bereits zu Boden gefallen und lagen in dem nassen Grase. Major Wirtz aber gab den Befehl:

»Wer sich hinlegt, wird sofort erschossen!«

Die Entkräfteten rafften sich wieder auf und von ihren Leidensgenossen unterstützt, versuchten sie zu stehen, denn sie wußten recht gut, daß die Rebellen ihre barbarischen Befehle auch schonungslos zur Ausführung bringen würden.

»Wie viel sind es?« fragte der Major den Hauptmann, welcher die Escorte kommandirte.

»Eintausend zweihundert Mann,« antwortete dieser.

»Welches sind darunter die Deserteure?«

»Die dreißig Mann am linken Flügel.«

»Lassen Sie diese dreißig Mann dort hinführen.« – Er deutete auf den Platz rechts von den Zelten.

Die Zurückbleibenden mußten nun zunächst ihre Mäntel, Röcke und Stiefel ausziehen, dann durchsuchten die escortirenden Unteroffiziere ihre Taschen nach Geld und andern Werthsachen, und prüften zugleich die Hemden, welche die Leute anhatten. Wer das Unglück hatte, ein noch leidlich gutes Hemd zu haben, mußte dasselbe ebenfalls ausziehen. Die ganze Procedur dauerte etwa zwei Stunden. Mehrere sanken leblos nieder, drei wurden wegen Contravention gegen das Verbot sich niederzulegen, ohne Weiteres todt geschossen·

Als Alles besorgt war, wurden die Halbnackten und Halbverschmachteten in das Innere der Todtenlinie geführt und dort ihrem Schicksale überlassen. –

Conover und George Borton hatten genug gesehen und hätten diesen Schauderscenen gern den Rücken gewandt, allein der Major Wirtz ließ nicht nach, bis sie darin willigten, noch der Erschießung der Deserteure beizuwohnen.

Zitternd vor der nächsten Minute, oder trotzig dem fürchterlichen Augenblick entgegensehend, oder in dumpfer Verzweiflung standen die Verurtheilten da. Auf einen Wink des Majors ward ihnen vom Profoß summarisch ihr Todesurtheil vorgelesen. Nachdem dies geschehen, trat der Profoß mit einigen Soldaten in ein Zelt und ließ dort zwölf Gewehre laden, elf mit Kugeln, eins blind, damit Niemand sich ein Gewissen daraus machen könnte, den Betreffenden erschossen zu haben. Diese zarte Rücksicht auf das Gefühl der zwölf Mann, welche dazu kommandirt waren, die Execution zu vollziehen, war nicht nöthig, denn man las es den rohen Gesellen auf dem Gesichte, daß ein solcher Dienst gar sehr nach ihrem Geschmack sei.

Da solche Exekutionen sich in dem Gefängnisse bei Millen sehr häufig wiederholen, so hielt man stets einen Vorrath von Särgen bereit, die in demselben Zelt, wo die Gewehre geladen wurden, aufgestapelt standen.

»Es ist bei uns so Gebrauch,« sagte Mr. Wirtz erklärend, daß mit den auf standrechtliches Urtheil Hingerichteten nach dem veralteten Gebrauch verfahren wird. Sie werden noch in Särge gelegt, während wir – wie Sie gesehen – mit den Andern nicht viele Umstände machen.«

Zwei Soldaten trugen einen Sarg an die Stelle, wo die Hinrichtung stattfinden sollte. Die Konstruktion dieses Sarges machte übrigens dem ökonomischen Talent des Mr. Wirtz alle Ehre, denn an demselben war weder Arbeit noch Material verschwendet; aus ziemlich mangelhaft behobelten Brettern war eine Art Kasten zusammengesetzt, so eng, so abgepaßt, daß man hätte behaupten mögen, daß darin kein Kubikzoll Raum übrig sei. Er war der Form des Körpers so angepaßt, wie etwa ein Geigenkasten der Geige.

Der Erste von den dreißig Verurtheilten wurde herbeigeführt. Es war ein bildschöner junger Mann, finster und trotzig blickten seine dunklen Augen, aufrecht und stolz war seine Haltung. Ohne eine Spur von Furcht oder eine Bewegung seines Innern, trat er auf den Platz und ließ sich die Augen verbinden. Wie gern hätten die beiden Zeugen dieses Schauspiels es vermieden, dem schrecklichen Ende dieses Unglücklichen beizuwohnen, sie besaßen nicht die Neugierde, für sie hatte solch Schauspiel nicht den Reiz, den es für die hübsche Marketenderin zu haben schien, die sich von allen Seiten mit ordentlich peinigender Spannung dem Platz der Hinrichtung zu nähern suchte, so daß sie von den Posten fast mit Gewalt zurückgehalten werden mußte.

Der Verurtheilte, dem man übrigens noch die Rücksicht gewährt hatte, daß man ihm seine Kleider ließ, mußte sich aus den Rand seines Sarges setzen. Zehn Schritte vor ihm stellten sich die zwölf Mann in zwei Gliedern auf.

»Legt an!« befahl der Offizier der die Execution kommandirte.

Der Verurtheilte hörte das Klappern der Gewehrriemen, das Knacken des Hahnes. Noch einmal wie im Fluge eilten die Träume einer glücklichen Zukunft an seiner Seele vorüber, die er oft geträumt, seit er dem Joche der Sklaverei entflohen.

»Esther!« tönte es leise von seinen Lippen, er dachte, daß er den Namen zum letztens Male gerufen, denn nur noch ein Moment trennte ihn vom Jenseits, – es fehlte nur noch das Kommando: »Feuer!«

Aber dies Kommando erfolgte nicht. – Der Galopp eines Pferdes ward hörbar. Ein Reiter sprengte grade aus den Platz zu, wo eben die Hinrichtung vor sich gehen sollte, und winkte mit einem weißen Tuche, ein Zeichen, daß man mit der Vollstreckung des Todesurtheils zögern solle.

Die Soldaten nahmen wieder das Gewehr bei Fuß.

Der Reiter war der Adjutant des Kriegsministers, er überreichte Mr. Wirtz ein Papier, mit dem Bescheide, daß er dasselbe sofort lesen möge.

»Ah, das ist was anders!« rief Mr. Wirtz, nachdem er mit einigen Beschwerden die Lektüre zu Ende gebracht. – Es war dies die Liste worauf die Namen derjenigen Deserteure standen, die nicht erschossen werden sollten, sondern in Freiheit gesetzt werden mußten, es war das Blatt, welches M'Clellan dem Kriegsminister Breckenridge übergeben hatte.

»Da hätten wir bald ein schlimmes Versehen gemacht,« flüsterte Mr. Wirtz dem Lieutenant zu, »wir hätten beinahe unsre eigenen Spione erschossen. Vielleicht gar ist dieser Ouadroone hier« – er wies auf den Jüngling, der auf seinem Sarge sitzend sich verwunderte, daß das Kommando »Feuer!« so lange ausblieb – auch einer von denen ... Wie heißt Du?« wandte er sich an den Verurtheilten.

»Edward Brown,« war die kurze, trotzige Antwort.

»Woher gebürtig?«

»Aus Virginien.«

»Sehen Sie nach, Herr Lieutenant, ob der Name auf der Liste steht.«

Der Lieutenant faltete das Papier auseinander.

»Nein, es scheint nicht ... doch ja, hier ganz zuletzt, da steht er: Edward Brown, Farbiger aus Virginien.«

»Der Dummkopf, warum sagt er das nicht« – brummte Wirtz, »wir hätten uns können die allergrößten Vorwürfe zuziehen. Der Kerl verdiente schon wegen dieser Dummheit todtgeschossen zu werden. – Stehen Sie auf« – wandte er sich darauf an den jungen Mann, nachdem demselben die Binde abgenommen war, »Sie können gehen, haben sich aber bis morgen früh beim Kriegsminister Mr. Breckenridge zu melden.«

Edward Brown traute seinen Ohren nicht. Man ließ ihn, den eingefangenen Deserteur, frei ausgehen? Was hatte das zu bedeuten? – Und gar erst wie ein Traum klang ihm der zweite Theil des Befehls, daß er sich bei seinem frühern Herrn melden solle.

Ein Glück für ihn, daß er schlau genug war, seine Verwunderung nicht zu verrathen, sondern daß er von der Erlaubniß zu gehen so unbefangen Gebrauch machte, als ob seine Befreiung eine Sache wäre, die sich ganz von selbst verstände.

Als er sich jenseit der Posten befand, da stürzte die schöne Marketenderin auf ihn zu, in ihre Arme schloß sie ihn, noch ehe er sie erkannt hatte. Thränen der Glückseligkeit entströmten ihren Augen, als sie flüsterte:

»Bruder, Du bist gerettet!«


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