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Fünftes Kapitel.
Ein Besuch bei Jefferson Davis

Um 11 Uhr Vormittags pflegte Seine Excellenz der Präsident Jefferson Davis seine Audienzen zu ertheilen. Er saß in seinem Arbeitszimmer, das mit mehr Luxus ausgestattet war, als sonst auf ein solches verwendet zu werden pflegt. Kostbare Teppiche bedeckten den Fußboden, und schwere Portièren hingen an den Thüren, das Ameublement bestand aus kunstvoll geschnitzten Meubeln von Eichen- und Cedernholz und an den Wänden standen mächtige Schränke mit Büchern in den prachtvollsten Einbänden.

Er hatte soeben eine längere Unterredung mit seinem Kriegsminister, Mr. Breckenridge gehabt, als ein baumlanger Bedienter in reicher, goldbordirter Livree die Karte Mr. Oldham's überreichte.

»Kann sogleich eintreten,« sagte der Präsident und wandte sich dann an den Kriegsminister »Also es bleibt dabei, sehen Sie, daß Sie zuverlässige Leute finden. Ihr Plan hat durchaus meinen Beifall. Nehmen Sie Rücksprache mit Mr. Conover oder Booth, wenn der Letztere die Sache in die Hand nähme, dürfte das Gelingen am Sichersten in Aussicht stehen. – Adieu, Mr. Breckenridge.«

Mit mehr Freundlichkeit als ihm sonst eigen war, reichte er dem Minister die Hand, worauf dieser sich entfernte.

Jefferson Davis galt, abgesehen von seiner politischen Rolle, stets für einen Gentleman, man brauchte indessen nur wenig Menschenkenntniß zu haben, um die Ueberzeugung zu gewinnen, daß er nur die Maske eines solchen trug. An äußerer Politur mochten ihn Wenige übertreffen, die an der Spitze der Rebellenstaaten standen, aber wahren Adel suchte man vergebens bei ihm. Seine Reden und Proklamationen trugen stets den Charakter hoher stylistischer Vollendung, aber nie fand man in ihnen die leiseste Spur von echtem Enthusiasmus, so daß er überall nur den Eindruck eines Heuchlers machte.

Er empfing Mr. Oldham, einen Mann von gemeinen Zügen, denen der Stempel des Verbrechens aufgedrückt zu sein schien, mit großer Herablassung, mit einem Wink bedeutete er ihm, an der entgegengesetzten Seite des Tisches Platz zu nehmen.

»Also Sie haben eine Erfindung gemacht, von welcher Sie sich Nutzen für unsere Sache versprechen?« redete er ihn an. »Werden Sie die Güte haben, mir auseinander zu setzen, worin diese Erfindung besteht?«

»Mit großem Vergnügen, Excellenz. Die Erfindung besteht in einer besonderen Art Torpedos, einem Brennmaterial, welches so stark explodirt, selbst im Wasser, und so heftig zündet wie kein anderes der bisher bekannten.«

»Das läßt sich hören, Mr. Oldham. Welchen Nutzen versprechen Sie sich nun von diesen Torpedo's?«

Der Angeredete verzog seinen breiten Mund zu frivolem Lachen.

»Ich denke, das ist einfach genug«, sagte er. »Man sprengt alle Kriegs- und Transportschiffe der Unionisten in die Luft, oder wenn das nicht hilft, so zündet man ihnen ihre Städte an allen Ecken an, daß Schrecken und Verzweiflung sie befällt, schlimmer als die Egypter bei den mosaischen Landplagen, in Folge deren Pharao den secessionistischen Israeliten nicht länger Zwang anthat. In ihrer Verzweiflung werden sie uns um Frieden anflehen. Verarmt und verhungert werden sie sich auf Gnade und Ungnade ergeben und mit dem Bissen zufrieden sein, den die Regierung der Conföderirten ihnen zuwirft.«

»Seht gut; ich werde Ihren Vorschlag dem Staatssecretair Benjamin mittheilen, indessen habe ich doch noch einige Bedenken. Ist der Transport Ihrer Torpedo's nicht sehr beschwerlich und erfordert die Anwendung derselben nicht größere Vorkehrungen? Ist das der Fall, so würden wir sie schwerlich gebrauchen können, denn man würde nicht im Stande sein, sich leicht vor Entdeckung zu hüten.«

»Nichts von dem Excellenz. Meine Torpedo's sind der Art, daß ein Mann einen solchen unter seinen Kleidern verbergen kann. Einer ist hinreichend das größte Gebäude – etwa ein Bankgebäude« – fügte er lachend hinzu – »in die Luft zu sprengen, und mit einem Dutzend solcher Torpedo's mache ich mich anheischig, ganz New-York in einen Aschenhaufen zu verwandeln.«

Der Präsident nickte zum Zeichen seines Beifalls mehrere Male langsam mit dem Kopfe.

»Was beanspruchen Sie für Ihre Erfinde« fragte er dann.

»Ich meine, Excellenz, daß die Summe von hunderttausend Dollars nicht zu hoch sein wird, außerdem bitte ich, mir den Titel eines Professors zu verleihen.«

Jefferson Davis saß eine Weile nachdenkend da und trommelte mit den Fingern auf den Tisch, ein Gedanke beschäftigte ihn lebhaft. Nach einer Weile richtete er sich plötzlich auf:

»Was den Titel eines Professors anlangt«, sagte er, »so wird das keine Schwierigkeiten haben, auch die hunderttausend Dollars sollen Ihnen gewährt werden, indessen müssen wir mit Ihrer Erfindung erst eine Probe anstellen. Sind Sie damit einverstanden?«

»Ich bin völlig damit einverstanden, Excellenz; stellen Sie erst jede beliebige Probe an, bevor Sie in meine Forderung einwilligen.«

»Gut, Mr. Oldham, dann gehen Sie sofort, ohne Säumen, zum Minister Breckenridge, händigen Sie demselben zwei oder drei von Ihren Torpedo's ein und sagen Sie ihm, er möge dieselben bei der heute besprochenen Angelegenheit probiren. Aber eilen Sie, Mr. Oldham, denn die Anstalten müssen noch heute getroffen werden.« –

Als sich Mr. Oldham entfernt hatte, meldete der Goldbebortete, daß der Advokat Mr. Francis Parker aus Norfolk den Herrn Präsidenten um Audienz bitte.

»Ist mir sehr willkommen,« antwortete der Präsident.

George Borton war im Hause des Präsidenten ein gern gesehener Gast. Der Herr Präsident sah ihn gern, weil er ihm immer Nachrichten aus dem Lager oder Gerüchte über Pläne der Feinde brachte, die sich freilich nicht immer als wahr herausstellten, allein George Borton wußte sich dennoch stets schlau den Anschein zu geben, als arbeite er nach besten Kräften für die Conföderation. Mrs. Davis sah ihn gern, weil er ihr ganz so huldigte, wie ihr Hochmuth es wünschte und außerdem ein sehr unterhaltender Gesellschafter war. Miß Jenny Davis aber hatte ihm ihre Liebe zugewandt, eine Herablassung, die sie sich selbst nicht verzieh, gegen welche aber ihre Leidenschaft vergebens ankämpfte.

Nachdem der Präsident sich eine Stunde lang angelegentlich mit dem jungen Mann unterhalten und dieser ihm dabei allerlei Mittheilungen gemacht hatte über Stellung und Stärke der Unionstruppen und andere wissenswerthe Dinge der Art, dabei aber wohlweislich seine Berichte so einrichtete, daß für die Föderirten kein Nachtheil und für die Conföderirten kein Vortheil daraus erwuchs, und nachdem er seinerseits zugleich alle Schlauheit ausgeboten hatte, in die Staatsgeheimnisse des Rebellenpräsidenten einzudringen, bat George um die Ehre, der Familie Sr. Excellenz seine Aufwartung machen zu dürfen.

Außer Mrs. Davis, Miß Jenny, Miß Surratt fand George im Empfangssalon noch eine Dame anwesend, die man ihm als Mrs. Slater vorstellte. Es war eine Frau in den Dreißigern, eine hohe Figur mit strengen, fast mürrischen Zügen. Ihr schwarzes, kurz geschnittenes Haar trug sie in einem Netz. – Das Alles mochte nichts Außerordentliches sein, und doch stutzte George beim Anblick der Dame. Es war ihm, als hätte er dies Gesicht schon irgendwo gesehen, allein so sehr er auch sein Gedächtniß anstrengte er erinnerte sich nicht, wo es gewesen« Brachten ihn die markirten Züge, das unstäte graue Auge aus die rechte Spur, so machte ihr gelbes Kleid, die Armbänder, das Netz im Haar ihn wieder irre.

Mrs. Slater ihrerseits betrachtete den jungen Mann nicht minder aufmerksam und ganz ähnliche Gedanken schienen sie zu beschäftigen. George überraschte sie sehr oft über einem mißtrauisch forschenden Blick, den sie auf ihn heftete, wenn sie sich unbeobachtet glaubte.

»Du mußt es herausbekommen, wer sie ist,« dachte George und suchte ein Gespräch mit ihr anzuknüpfen. Dasselbe drehte sich anfänglich um alltägliche Dinge, dann ging es aufs politische Gebiet über und endlich auf die Ereignisse vom Kriegsschauplatze.

Miß Surratt warf hier die Frage auf, ob es Lee wohl gelingen werde, der Klemme zu entgehen, in welcher M'Clellan ihn gegenwärtig hielt.

»Was mich betrifft,« sagte Mrs. Slater in fast verweisendem Ton, »so fühle ich mich außer Stande, die Frage zu entscheiden, allein, ich bin der Meinung,« fügte sie mit einem durchdringenden Blick auf George hinzu – »daß Mr. Parker dem Kriegsschauplatz nahe genug steht, um ein Urtheil in der Frage abgeben zu können.«

George ließ sich weder durch den forschenden Blick noch durch die Anspielungen, die in den Worten der Dame lagen, aus der Fassung bringen; ohne die mindeste Verlegenheit zu verrathen, antwortete er:

»Ich wünschte es wäre der Fall, Ma'am. Stände ich dem Kriegsschauplatz näher wie Sie, wäre derselbe bei Norfolk statt in Virginien, so wäre er 60 Meilen weiter von Richmond entfernt als jetzt; was jedenfalls uns beruhigendere Aussicht gewährte.«

Die Unbefangenheit des Jünglings machte die Dame in ihrem Argwohn schon unsicherer, noch zweifelhafter aber wurde sie, als er hinzufügte:

»Was übrigens die von Miß Surratt aufgeworfene Frage betrifft, so meine ich, daß, so lange M'Clellan,« – er sprach den Namen mit ganz besonderer Betonung – »den Oberbefehl behält, unsere Armee nicht vernichtet werden wird.«

»Wie sollte er von M'Clellan's Einverständniß mit unserer Regierung wissen?« dachte sie. »Er kann. nicht der sein, den ich vermuthete.«

Trotzdem aber hörte sie nicht auf, den jungen Mann aufmerksam zu beobachten. Er entging ihren inquisitorischen Blicken selbst da nicht, als Mrs. Davis, das Gespräch Lauf einen andere Bahn lenkend, sie anredete:

»Waren Sie während Ihrer Anwesenheit in Washington im Weißen Hause? Sahen Sie Mrs. Lincoln?«

Mrs. Slater bejahte die Frage, indem sie zugleich die Augen verdrehte und mit den Achseln zuckte, als denke sie mit Schrecken und Schauder dieses Anblicks.

»Bei welcher Gelegenheit war es?« fragte Mrs. Davis.

»Es war bei einem Diner, zu welchem ich eine Einladung hatte,« erzählte Mrs. Slater. – »O, wenn ich an die Etiquette denke, wie sie dort gehandhabt wird …«

Wieder schlug sie die Augen gen Himmel und zog die Schultern in die Höhe, als ob es ihr unmöglich wäre, ihre Indignation mit Worten auszudrücken.

»Madame Lincoln ist zu entschuldigen,« versetzte Mrs. Davis, und fügte mit geringschätzendem Lächeln hinzu: »Wo sollte auch die Frau des Advokaten von Ilinois etwas von der Hofetiquette gelernt haben.«

»Fürstliche Würde und echter Adel kann einem nur durch die Geburt verliehen sein, angelernt wird das nicht,« bemerkte George mit einer leichten Verneigung gegen die Frau des Präsidenten, aber nicht ohne einen Anflug von Ironie, die indessen unbemerkt blieb.

Mrs. Davis lohnte ihm die Schmeichelei mit einem sehr gnädigen Blicke.

»Ich sage es ist empörend,« fuhr die Berichterstatterin fort, »daß an dem Hofe eines civilisirten Staates so wenig wahre Hofetiquette beobachtet wird. Mrs. Lincoln ist so gut wie völlig uncultivirt; und was den Präsidenten selbst betrifft – so bin ich der Meinung, er wäre als Holzhauer, was er seither war, weit besser an seinem Platze, als im Salon des Präsidenten einer großen Republik.«

»Vielleicht wird man ihn bald zwingen,« sagte Mrs. Davis höhnisch, »wieder als Advokat zu fungiren oder gar die Holzaxt zu schwingen.«

Alle Anwesenden gaben durch Lachen ihren Beifall zu erkennen.

In der Brust des jungen Mannes kochte es. Ihn empörte der freche Hohn und die rohe Art, des Gegners zu spotten.

»Wie ganz anders ist doch der einfache, ehrliche Lincoln als diese Leute,« dachte er bei sich. »Er hat sich nie ein Wort geschweige denn einen Hohn über seinen Gegner zu Schulden kommen lassen!«

Das Gespräch wurde unterbrochen durch die Anmeldung des Mr. Wilkes Booth.

Miß Surratt konnte einen Ruf freudiger Ueberraschung nicht unterdrücken, auch von der Stirn Miß Jenny's, die sich während längerer Zeit vergebens bemüht hatte, einem zärtlichen Blicke ihres Geliebten zu begegnen, verschwanden schnell die Wolken des Unmuthes, und ihre Augen bekamen neuen Glanz. Mrs. Davis aber, in Anbetracht ihrer Würde und des feinen Tones, verrieth keine Art Gemüthsaffect.

Ueber George's Wangen flog Purpurröthe, als der Name des Schauspielers genannt wurde; aber gewohnt, sich zu beherrschen, gewann er schnell Ruhe und Fassung wieder, und Niemand konnte ihm ansehen, was in seinem Herzen vorging.

Booth mochte 22 oder 23 Jahre zählen. Machte schon sein Aeußeres, so wohl sein schönes, edles Gesicht, als seine schlanke Figur einen vortheilhaften Eindruck, so bewirkte das in noch höherem Grade sein Benehmen. Er besaß eine natürliche Eleganz und Feinheit des Auftretens, welche nicht in das Nuancierte, Kokette oder Gezwungene überging, die Jedermann für ihn gewinnen mußte. Seine Kleidung war einfach, aber gut gewählt, und zeigte den Mann von guter Erziehung, sein Auftreten war bescheiden, ruhig und ohne Prätention, so daß er unbewußt fast Alle – man möchte sagen bezauberte. –

Wer konnte ahnen, daß in diesem jungen Manne die Ruchlosigkeit eines gemeinen Mörders sich entwickeln könnte! –

George wandte kein Auge von ihm, und er, den sonst nie die Geistesgegenwart verließ, der mehr als einmal dem Tode unerschrocken ins Auge geniert, er fühlte sich in der Nähe dieses Jünglings befangen, unsicher. Mit magischer Gewalt zog es ihn zu ihm, und wenn er mit ihm sprach, vermochte er nur mit der größten Anstrengung den Anschein der Unbefangenheit anzunehmen. Die Stunden eilten ihm wie Minuten dahin in der Nähe des schönen Jünglings. Hätte er ewig in seiner Nähe leben können!«

Doch nein, schon die nächste Minute riß ihn aus seiner Nähe, hinaus in den Sturm der Gefahren. Ein Diener übergab ihm einen Brief; derselbe war von Mr. Conover und mahnte ihn, eiligst zu ihm zu kommen; es handle sich um Dinge von der allergrößten Wichtigkeit.

George beurlaubte sich und schweren Herzens folgte er dem Ruf des Freundes.

Er fand Mr. Conover in seinem Zimmer in ungeduldiger Hast auf- und abschreiten. Als er eintrat stürzte er ihm entgegen.

»Seit vier Stunden,« rief er, »warte ich bereits auf Ihre Rückkehr. Sie müssen eilen, daß Sie ins Lager kommen!«

»Ich, zurück?« fragte George·…»Weshalb?«

»Heute morgen ward ich zu Mr. Breckenridge beschieden, derselbe eröffnete mir, daß Lee verloren sei, so lange Grant und Sheridan im Heer der Union commandirten. Es bleibe deshalb weiter nichts übrig, als diese Leute zu beseitigen. Denken Sie sich, Grand und Sheridan wollen sie ermorden lassen! – Der Satan Breckenridge forderte mich auf, den Auftrag auszuführen, ich schützte irgend etwas als Entschuldigung vor. Eilen Sie, warnen Sie! auf welche Weise die Mordthat geschehen soll, weiß ich nicht, vielleicht ist Mr. Oldham damit betraut, derselbe hatte heute eine sehr geheime Unterredung mit Breckenridge. Nur keine Zeit verloren, bester Freund. Ich fürchte, Ihre Warnung kommt bereits zu spät.«

Eine Stunde später verließ Georg die Stadt. Dasselbe Boot, was ihn hierher geführt, trug ihn den James-River wieder hinab.


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