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Drittes Kapitel.
Die Rache der Sklavin

Mr. Breckenridge war zwar höchst erfreut über den Besuch des Generals, indessen spiegelten seine starren Züge diese Freude nicht wieder, im Gegentheil war sein Blick streng und vorwurfsvoll.

»Es ist gut, daß Sie kommen, General«, sagte er, »endlich einmal Aufklärung zu geben über Ihr unbegreifliches Benehmen in den letzten Wochen. Es scheint, als hatten Sie ihre Sympathien gewechselt, und wendeten uns den Rücken.«

»Zunächst, lieber Breckenridge«, unterbrach ihn M'Clellan, M' ist eine in Amerika gewöhnliche Abkürzung für »Mac« »muß ich Sie darauf aufmerksam machen, daß, wenn ich die Sympathien für Sie und die Sache der Conföderirten verloren hätte, ich mich schwerlich der Gefahr ausgesetzt haben würde, den Weg hierher zu machen. Ich war nahe daran, erkannt zu werden, und bin dieser Gefahr nur entgangen durch einen gescheidten Einfall Ihres Niggers Jim. Doch fürchte ich, daß die Spione, welche Jagd auf mich zu machen versuchten, mir hierher gefolgt sind.«

»Sollten sie es wagen?«

»Ich bin davon überzeugt. Als ich am Ufer des James das Pferd bestieg, bemerkte ich im Ufergesträuch einen Mann, welcher der Kleidung nach einer der beiden Spione sein muß. Er verfolgte mich mit den Blicken, und schlug später denselben Weg ein, den ich genommen.«

»So müssen wir Vorkehrungen treffen, daß der Mann, falls er sich bereits innerhalb der Besitzung befindet, gefangen wird, oder wenn er noch nicht hier sein sollte, ergriffen wird, sobald er sich zeigt.«

Mr. Breckenridge zog die Glocke.

»Rufe Mr. O'Laughlin!« befahl er dem Neger, der den Kopf durch die Thür steckte.

Nach einigen Minuten erschien ein untersetzter breitschultriger Mann mit groben Zügen aber verschmitztem Ausdruck in seinem häßlichen Gesicht. Er trug eine graue Blouse und Beinkleider von derselben Farbe.

Breckenridge wechselte einige Worte mit ihm, worauf sich der Mann entfernte. – – –

Als im Jahre 1860 Abraham Lincoln zum Präsidenten der nordamerikanischen Republik gewählt wurde und in seiner Antrittsrede die Prinzipien der Sklavenhalter bekämpfte und erklärte, daß er dahin wirken werde, daß die Sklaverei in der Union nach und nach aufhöre, thaten sich die Staaten, in welchen die Sklaverei herrschte, zu einer Conföderation zusammen und fielen von der Union ab. Sie wählten zu ihrem Präsidenten Jefferson Davis und begannen mit der Einnahme von Fort Sumter die Feindseligkeiten gegen die Republik. Die Rebellen kämpften anfangs mit entschiedenem Glück, da es dem Norden an tüchtigen Offizieren fehlte, und viele von den vorhandenen Offizieren mit dem Süden sympathisirten und offenbarste Verrätherei trieben. Im Jahre 1863 wurde M'Clellan zum Oberbefehlshaber der Unionsarmee ernannt. Man konnte zwar nicht läugnen, daß er ein tüchtiger Feldherr sei, indessen wurden, da er über Lee, den General der Rebellenarmee, nicht die Vortheile errang, die er hätte erringen können, hier und da Stimmen laut, die ihn beschuldigten, im Einverständnisse mit den Rebellen zu handeln. Inwiefern solche Vorwürfe gerechtfertigt waren, kann aus der folgenden Unterredung des Oberbefehlshabers der Unionsarmee mit dem Kriegsminister der Rebellen abgenommen werden. –

»Jetzt können Sie unbesorgt sein,« nahm Mr. Breckenridge das Wort, als O'Laughlin sich entfernt hatte; »und können ohne Furcht sprechen. Zunächst die Frage: Ist es wahr, daß Sie die Armee Lee's am Potomac völlig eingeschlossen haben?«

»Es ist so!«

»Nun, und wie ist das in Einklang zu bringen, mit den Verpflichtungen, die Sie uns gegenüber eingegangen sind? – Sie haben versprochen, den Krieg in die Länge zu ziehen, bis die Kräfte der Union erschöpft seien, und Lincoln gezwungen wäre, einen für uns günstigen Frieden zu schließen. Wie aber haben Sie Ihr Versprechen erfüllt? – Sie haben bei Gettysburg uns geschlagen und über den Potomac zurückgedrängt, und jetzt umgehen Sie unsere Armee, daß es nur in Ihrem Belieben steht, sie ganz gefangen zu nehmen, oder mit einem Schlage zu vernichten. Was sollen wir davon denken?«

»Sie thun mir mit Ihren Vorwürfen Unrecht, lieber Breckenridge. Die Schlacht bei Gettysburg mußte ich gewinnen, um die Stimmen zum Schweigen zu bringen, die mich beschuldigten, mit dem Süden zu sympathisiren. Daß aber Lee's Armee umgangen und eingeschlossen ist, das ist bei Gott nicht meine Schuld. Man hat mir da zwei Generale an die Seite gestellt, deren Feuer und Energie ich kaum zu zügeln im Stande bin. Da ist ein gewisser Sheridan, ein Schlaukopf und tüchtiger Strategiker, dessen Marschoperationen wahrhaft staunenswerth sind, dann ein gewisser Grant, ein Mann von eisernem Willen, der im Stande wäre, mitten durch die feindlichen Heere, geradeswegs auf Richmond los zu marschiren.

Ich habe meine ganze Autorität aufgeboten, um die Einschließung Lee's zu verhindern, allein alle meine Maßregeln scheiterten an der Energie Grants und der Schlauheit Sheridan's.«

»Und was wird jetzt geschehen? Werden Sie in den Verlauf nicht eingreifen?«

»So lange Sheridan an der Spitze der Cavallerie steht, kann ich nichts thun, um Lee zu retten. Würde ich ihm Befehl geben, seine Position zu ändern, und Lee in Stand setzen zu entschlüpfen, so würde ich riskiren, vor ein Kriegsgericht gestellt zu werden.«

Breckenridge schaute sehr finster drein. Ueberlegend durchschritt er einige Male das Zimmer, dann plötzlich stille stehend, sagte er:

»Und wenn man Sheridan beseitigte?« –

»Dann wäre es eine ganz andere Sache, die Unterbefehlshaber, die dann seine Stelle einnehmen würden, würden sich ohne Widerspruch und Argwohn in meine Anordnungen fügen.«

»Welches ist morgen das Losungswort der Truppen am James-River? Ich beabsichtige nämlich zuverlässige Leute in's Lager zu schicken, die es übernehmen werden, Sheridan sowohl wie Grant zu beseitigen.«

»Ich verstehe; allein ich zweifle an dem Gelingen, wenigstens am Entkommen der Thäter, da dieselben begreiflicher Weise meinerseits keinen Vorschub zu erwarten haben.«

»Die Leute, die ich schicke sind beherzt und gewandt. Die Hauptsache ist nur, daß sie Zutritt ins Lager haben.«

»Das Losungswort ist »Sternenbanner.« Ich will aber hoffen, daß es mir gelingt, Lee durch weniger gewaltthätige Mittel einen Ausweg zu bahnen. – Da nun diese Angelegenheit in Ordnung ist, so können wir zu einer andern übergehen. Ich bin doch sicher, daß Sie und Ihre Freunde allen Einfluß, den Sie auf die demokratische Parthei der Union haben, auswenden werden, um bei der Präsidentenwahl im nächsten Jahre meine Candidatur zu unterstützen?«

Mr. Breckenridge's Unmuth hatte sich im Verlauf der Unterredung gänzlich gelegt, und als die Astrallampe, welche eben ein Neger auf den Tisch setzte, an welchem der Minister mit seinem Gast Platz genommen, seine Züge hell beleuchtete, schien es fast, als ob der Ausdruck des Triumphes und innerer Zufriedenheit in denselben zu lesen sei. Er antwortete auf die Frage M'Clellan's mit gewinnender Zuvorkommenheit:

Oh, ganz gewiß können Sie dessen sicher sein. Sie dienen uns, und nichts ist billiger, als daß wir Ihnen wieder dienen. Und sollten, was kaum anzunehmen ist, unsere Bemühungen vergeblich sein, so können Sie sich versichert halten, daß wir in anderer Weise Ihre Verdienste gebührend zu lohnen wissen werden.«

Er reichte seinem Gaste bei diesen Worten seine Hand, die M'Clellan mit einigen Ausdrücken des Dankes ergriff.

»Da somit die Mißverständnisse gelös't und unser Einvernehmen wieder hergestellt ist,« fuhr der Kriegsminister fort, »so können den Rest unserer Geschäfte mit bedeutend erleichtertem Herzen berathen. – Gelingt es Ihnen immer, sich mit unserm General Lee in Verbindung zu setzen?«

»O ja, wir haben ein sehr einfaches Mittel, uns einander in Verbindung zu setzen!«

»Das wäre?«

»Lee läßt aus seiner Armee zuverlässige Leute, die er mit Aufträgen versieht, desertiren. Ich empfange dann ihre Aufträge, stelle die Leute in eins meiner Regimenter ein und suche dann, nachdem ich sie wieder mit Aufträgen versehen, zu bewerkstelligen, daß sie von Lee gefangen werden.«

»In der That, sehr gut ausgedacht. Sollte es sich aber da nicht bisweilen ereignen, daß die Leute nicht als Zwischenträger, sondern als wirkliche eingefangene Deserteure behandelt und erschossen werden«

»Es ist das allerdings vorgekommen. Unter dem letzten Transport Kriegsgefangener, die nach Richmond abgeführt sind, befindet sich ebenfalls eine Anzahl solcher Pseudo-Deserteure. Damit man diese nun nicht als wirkliche ansieht und erschießt, habe ich hier ein Namensverzeichniß der Leute, die von mir mit Aufträgen versehen sind, die man also in Freiheit setzen muß. Ich bitte Sie, Mr. Breckenridge, diese Liste mit dem nöthigen Verhaltungsbefehl dem betreffenden Kommando überwachen zu wollen.«

Mr. Breckenridge nahm das Papier und legte es hinter sich auf einen am Fenster stehenden Schreibtisch.

In diesem Augenblick rauschte es in dem Laub der Schlinggewächse, welche sich außen an der Fensterwand emporrankten und durch das Fenster bemerkte man einen menschlichen Schatten. Zwei dunkle Augen folgten der Bewegung des Ministers.

»Es würde mir außerordentlich erwünscht sein,« setzte Mr. Breckenridge das Gespräch fort, »wenn ich von Ihnen eine Auskunft über Ihren nächsten Feldzugsplan erhalten könnte.« –

Geräuschlos öffnete sich von außen das Fenster. Eine schöne Hand und ein wohlgeformter, voller Arm schob sich durch die Oeffnung. Die Finger griffen nach dem auf dem Schreibtisch liegenden Papier und verschwanden damit durch das Fenster, welches sich eben so geräuschlos, wie es geöffnet war, wieder zuschob. – –

Während der General M'Clellan dem Kriegsminister der Rebellen über seinen nächsten Feldzugsplan in langer Diskussion die gewünschte Auskunft ertheilt, ersuchen wir den geneigten Leser mit uns hinauszutreten in die Laubgänge des Parkes, nach welchem hinaus das Zimmer belegen ist, in dem jene Unterredung stattfindet.

Die Nacht war milde und der Himmel sternhell, aber durch das dichte Laub drang kein Lichtstrahl; in diesen Gängen und unter diesen Gebüschen herrschte tiefste Finsterniß, tiefstes Schweigen.

Kein Vogel regte den Fittig, kein Lusthauch wehte durch die Blätter; und doch – dort in dem breiten Hauptgange, der an beiden Seiten mit Akazien und Caprifolien bepflanzt ist, die oberhalb laubenartig sich aneinander neigen, dort regt sich etwas. Es rauscht in den Gebüschen, und knirschend bewegt sich durch den Kies der Fuß eines Menschen.

In der Nähe des Wohnhauses mündet dieser Gang in einen schmalen Steig, der sich längs des Hauses hinzieht. Hier wird es licht, und bei dem matten Schein der Sterne erkennt man die Gestalt eines jungen Mannes mit schwarzem Schnurrbart und dunklem Haar. Er trägt einen modernen Ueberrock und aus dem Kopfe einen Strohhut mit blauem Bande, dessen Enden nach hinten herabhängen.

Vorsichtig sich umschauend hält er inne, bevor er den freien Platz am Hause betritt; dann richtet sich sein Auge nach dem Fenster, hinter welchem soeben Licht sichtbar geworden war.

Auf Händen und Füßen kriechend, will er sich dem Fenster nähern, da, horch! – es raschelt in dem Grün der Schlinggewächse, welche die Wand des Hauses bekleiden, und schnell ist er zurück in seinem Versteck. Die Finsterniß des Laubganges schützt ihn vor Entdeckung.

Er lauscht. Es ist Alles wieder still. Sollte dort unter dem Fenster, welches er zu erreichen strebte, sich ein Mensch befunden haben? – Vielleicht täuschte er sich; vielleicht war es eine Kupferschlange, welche das feuchte Grün aufsuchte und sich um die Spaliere schlingend in dem Blätterwerk rauscht; vielleicht war es ein Raubthier, welches den Nestern der Kolibri's nachstellt. –

Noch einmal wagt er geräuschlos sich dem Hause zu nähern. Am Ende des Ganges, an dem Steige, den er beim Sternenschein zu übersehen vermochte, schaute er um sich. – Es war Alles still und kein lebendes Wesen sichtbar; wenigstens glaubte er es. Freilich, sein Auge besaß nicht die Schärfe jener zwei schwarzen Sterne, welche an der gegenüberliegenden Seite des Laubganges zwischen dem Gesträuch hervorfunkelten und jede seiner Bewegungen forschend verfolgten. –

Jetzt hatte er das Haus erreicht und lag im Laub der Schlingpflanzen unter dem Fenster vergraben. Wer könnte ihn hier sehen?

»Ich bin am Ziel, jetzt werde ich ihn erblicken!« murmelte er, und vorsichtig richtete er sich in die Höhe um das Fenster mit dem Auge zu erreichen.

Es gelang. Er brauchte nur den Fuß auf die unterste Sprosse des Spaliers zu setzen, um das Zimmer übersehen zu können, ehe er aber bewerkstelligte, fühlte er sich an der Schulter berührt.

So leise auch die Berührung gewesen war, so fuhr doch der junge Mann bei derselben zusammen, als hätte ihn ein Blitzstrahl getroffen; er wußte, daß für ihn Entdeckung so gut als Tod war. Die Hand an's Bowiemesser gelegt, wandte er sich um, aber er ließ die Hand wieder sinken, als er die Person erblickte, die ihm den Schrecken verursacht. Es war ein Mädchen, schön wie eine Juno und üppig wie die Tropenvegetation. Ihr Auge wetteiferte an Dunkelheit mit dem Schatten der Nacht, aber sein Glanz strahlte unheimlich düster unter den langen Wimpern hervor.

Mit ruhigem Ernst blickte sie ihn an, indem sie zugleich bedeutsam den Finger an die Lippen legte.

»Sprechen Sie nicht laut,« flüsterte sie, »es wäre Ihr Verderben.«

»Wie, Ma'am, verstehe ich Sie recht, Sie kommen, mich zu warnen?« fragte er eben so leise.

»Ich bin keine Ma'am,« antwortete sie kurz. Ich bin eine Sklavin des Mr. Breckenridge, mein Name ist Esther. Ich komme auch nicht, Sie zu warnen,« fügte sie etwas spöttisch hinzu. »Eine Warnung würde wohl nutzlos sein. Ich weiß, Sie sind hier, um den fremden Herrn zu belauschen, der heute Abend hier ankam. Ihre Mühe ist vergebens.«

»Sie meinen …«

»Der Park, das Haus, der Hof – Alles ist umstellt von den Dienern des Mr. Breckenridge, welche Auftrag haben, auf Sie zu fahnden. Sie können diesen Ort nicht verlassen, ohne ergriffen zu werden, vielleicht schon in der nächsten Viertelstunde entdeckt man Sie und ergreift Sie.«

Der junge Mann erbleichte und sein Auge suchte vergebens in den ernsten Zügen des seltsamen Mädchens einen Strahl der Hoffnung zu entdecken.

»Giebt es denn kein Mittel, Miß – Miß Esther,« fragte er, »den Häschern zu entkommen? Ich kann mir nicht denken, daß Sie mir von der Gefahr nur aus dem Grunde Mittheilung machen, um mir Muth und Hoffnung zu rauben.«

»Wie ich Ihnen sage, Sir, Sie sind ein verlorner Mann – wenn ich Sie nicht rette.«

»Sie? –«

»Folgen Sie mir.«

Der junge Mann zauderte einen Moment. Durfte er den Worten des Mädchens glauben? Legte sie ihm vielleicht gar eine Falle? Oder beabsichtigte sie, ihn daran zu hindern, den Mann zu sehen, den er suchte? das Alles waren Gedanken, die ihm aufstiegen. Sie mochte diese Gedanken errathen haben, denn als sie sein Zögern bemerkte, sagte sie hastig:

»Sie haben keine Zeit zu überlegen. Sehen Sie dort den Lichtschein durch die Gebüsche? Das sind Leute mit Fackeln, die den Park durchsuchen. In wenigen Minuten hat man Sie entdeckt.«

Esther hatte Recht, die Fackeln näherten sich, Und ihre Träger waren bereits in dem Gange sichtbar. Schnell entschlossen folgte er dem voraneilenden Mädchen.

Sie öffnete eine Seitenthür des Wohnhauses, welche auf einen finstern Flur führte. Hier ergriff sie seine Hand, um ihn zu führen.

»Treten Sie leise auf,« mahnte sie. »Nehmen Sie sich in Acht, hier kommt eine Treppe. Sechs Stufen, dann kommt ein Treppenabsatz – so, nun noch zwölf Stufen. Warten Sie hier.«

Sie drehte einen Schlüssel um und öffnete eine Thür, aus welcher der Schein eines Lichtes drang.

»Treten Sie ein,« sagte sie, und als er der Aufforderung nachgekommen, schloß sie die Thür ab.

Es war ein sehr einfach ausgestattetes aber sehr reinlich gehaltenes Zimmer, in dem sie sich befanden; ein grob gearbeiteter Tisch, an welchem zwei eben solche Stühle standen, ein Spind und ein sehr sauberes Bett mit weißen Vorhängen machten das ganze Meublement aus. Auf dem Tische stand ein Schreibzeug, und daneben lagen mehrere Bücher.

Man muß gestehen, daß die Situation, in welcher sich der junge Mann befand, Seltsames und Ungewöhnliches genug hatte, um ihm im ersten Augenblicke wie ein Traum zu erscheinen. Ein unbekanntes, verführerisch schönes Mädchen naht sich ihm geheimnißvoll und führt ihn in ihr Schlafzimmer, wo sie sich mit ihm einschließt! – Wer hätte es einem jungen Manne von 26 Jahren, wie Frederic Seward, – denn kein Anderer war es – verdacht, wenn er in seiner Phantasie sich diesen schönen Traum weiter ausgeführt und schließlich versucht hätte, das Bild seiner Phantasie zur Wirklichkeit zu machen? Allein so oft er seinen Blick auf die räthselhafte Erscheinung richtete und diesem melancholisch ernsten Blick begegnete, mußte jeder unlautere Gedanke schwinden. Es war in diesem Blick unverkennbar zu lesen, daß sie sich des Prekären der Situation wohl bewußt war, daß sie aber dennoch mit Heroismus das Opfer gebracht, denn sie hatte kein Wort der Theilnahme, keinen freundlichen Blick für den, den sie gerettet.«

Frederic Seward bemerkte das Alles,– um so mehr reizte es ihn, die Motive ihrer Handlungsweise kennen zu lernen.

»Sie haben mir das Leben gerettet, Miß Esther,« redete er sie an, »und dafür bin ich Ihnen ewig dankbar; aber wollen Sie nicht den Schleier des Geheimnisses, mit dem Sie Ihre edelmüthige That umhüllen, wenigstens so weit lüften, um mich wissen zu lassen, was Sie dazu veranlaßte, wodurch ich diese Theilnahme erwarb?«

Esther hatte ihm den Rücken gewendet und in einem Blatt Papier gelesen, das sie aus ihrem Busen zog. Bei der Anrede des jungen Mannes wandte sie sich nach ihm um:

»Was ich that,« sagte sie kalt, »that ich nicht aus Interesse für Sie. Nennen Sie meine Handlung nicht edelmüthig, ich will Ihnen sagen, was mich dazu trieb; es war die Rache. Ich kenne Sie nicht und weiß nicht, ob Sie den Tod, der Ihnen gewiß war, verdient haben oder nicht. Aus Liebe zu Ihnen habe ich mich also der Gefahr nicht ausgesetzt und meinen Ruf aufs Spiel gesetzt, aber aus Haß gegen Diejenigen, welche Ihnen nach dem Leben trachteten. Ich hasse Mr. Breckenridge und seine Freunde, ich will mich an ihnen rächen, und meine Rache wird darin bestehen, daß ich ihre Pläne, die ich kenne, überall durchkreuze. Daß ich Sie rettete, das ist der Anfang meiner Rache.«

Frederic empfand ein Schaudern bei diesen mit dämonischer Ruhe und unheimlicher Kälte gesprochenen Worten. Sie sprach die Wahrheit, er las es nur zu deutlich in dem in leidenschaftlicher Gluth flammenden Auge.

»Glauben Sie mir zu Dank verpflichtet zu sein,« fuhr Esther fort, »so bietet sich hier sogleich eine Gelegenheit, mir einen Dienst zu leisten. Sind Sie im Stande diese Handschrift einigermaßen gut nachzuahmen?«

Sie hielt ihm das Blatt Papier hin, in welchem sie vorhin gelesen.

Frederic warf einen Blick darauf, es war ein Namenverzeichniß.

»Meine Handschrift ist dieser hier sogar sehr ähnlich,« antwortete er. »Ich würde mir also keine große Mühe zu geben brauchen, um diese Handschrift nachzuahmen.«

»Wollen Sie dieser Namenliste noch einen Namen hinzufügen, den ich Ihnen nennen werde? Ich würde für den Fall Ihnen einen Gegendienst dadurch leisten, daß ich Ihnen den Namen des Mannes nenne, welchen zu sehen, Sie sich heute vergebens bemüht haben.«

Hätte Frederic wirklich noch Bedenken getragen, ihrem Verlangen zu willfahren, so würde der Zusatz, den sie machte, alle diese Bedenken niedergeschlagen haben. Er ergriff die Feder, setzte sich an den Tisch und sagte:

»Ich bin bereit. Welchen Namen soll ich der Liste hinzufügen?«

»Edward Brown Sklaven haben in der Regel keinen Zunamen, bekommen sie einen solchen, so nennt man sie mit dem ihres Herrn., Farbiger aus Virginien,« dictirte die Quadroone.

Frederic schrieb, und als er damit fertig war, erfaßte das Mädchen mit fieberhaft bebender Hand das Papier und betrachtete prüfend die Handschrift.

»Es ist gelungen!« rief sie und Freudenthränen schienen ihr Auge zu feuchten. »Er ist gerettet!«

»Wer ist gerettet?«

»Mein Bruder. Man wird den Deserteur nicht erschießen. Ich danke Ihnen, Sir. Sie haben mir mehr gethan, als wenn Sie mein eigenes Leben gerettet hätten.«

Sie ergriff seine Hand und führte sie an ihre Lippen. Elektrisch durchzuckte ihn diese Berührung; er fühlte seine Pulse lebhafter schlagen. Mit magischer Gewalt zog ihn das Mädchen an, dessen zauberhafte Reize durch den sanften Hauch der jetzt ihre Züge verklärte noch unendlich erhöht war.

»Hätte ich mein Leben für Sie gewagt,« rief er mit Begeisterung, »ich würde mich belohnt halten durch einen dankbaren Blick von Ihnen, himmlisches Mädchen!«

Seine Hand umfaßte ihre weiche, nur durch die leichte Blouse geschätzte Taille. Er fühlte das Klopfen ihres Herzens an seiner Brust; Glückseligkeit und Dankbarkeit ließen in diesem Herzen einen Moment die Gefühle der Rache schweigen und machten es süßeren Regungen empfänglich. In den Adern einer Quadroone rollt das Blut siedend heiß. Sie fühlte seinen Athem an ihrer Wange, sein lufttrunkener Blick begegnete dem ihrigen. Sie wehrte ihm nicht. Ihr Busen wogte stürmisch. Seine Lippen neigten sich, und ein Kuß wonnig heiß umdunkelte seine Sinne. O, hätte dieser Kuß ewig währen können! –

Doch nein: plötzlich machte sie sich aus seiner Umarmung los. Der wonneberauschte Blicks ihres Auges verschwand schnell, und der düstere melancholische Ausdruck kam wieder zum Vorschein.

»Ich muß fort,« flüsterte sie. »Aber ich kehre bald zurück. Ich versprach, Ihnen den Namen des Mannes zu nennen, den Sie vergebens zu sehen trachteten – hier ist seine Karte.«

Ach, es war Zeit, daß sie den Jüngling aus dem Rausch weckte und ihn zur Besinnung und zu seiner Pflicht zurückrief. Vergessen hatte er seine Mission, vergessen seine Emmy, das Mädchen, welches ihr einsames Leben verweinte und welches die Arme sehnend nach ihm ausstreckte. Jetzt trat ihr Bild ihm wieder vor die Seele, sanft warnend schien es ihn retten zu wollen aus den Armen der Verführung. – Ob es gelang? ….

Der Gedanke an Emmy hatte ihn so in Anspruch genommen, daß er vergaß den Namen auf der Karte zu lesen, die er in der Hand hielt. Erst nach geraumer Zeit fiel sein Blick auf dieselbe.

»M'Clellan!« rief er, und all seine Energie war mit einem Male von Neuem erwacht. »Also er ist ein Verräther. Er opfert die Republik und läßt Tausende hinschlachten seiner Selbstsucht willen. Gott sei gelobt, daß ich diese Entdeckung noch jetzt gemacht habe; daß ich im Stande bin, ihn zu entlarven, noch bevor er größeres Unheil angerichtet!«

In Gedanken vertieft, ließ er sich auf einen Stuhl nieder. Unwillkürlich fiel sein Blick auf das Bett– ihr Bett; das gab seinen Gedanken wieder eine andere Richtung. Sein Blick suchte sie, aber sie war nicht mehr da. Sie hatte das Papier genommen und sich entfernt. »Ich komme wieder,« hatte sie gesagt. Der süße Laut ihrer Stimme klang wieder in seine Ohren, die Gluth ihres Kusses brannte wieder auf seinen Lippen. – Was ist das? Welches Geräusch unterbricht die Stille der Nacht – rauhe Tritte dröhnen auf der Treppe; eine Anzahl Männer kommt herauf; durch das Schlüsselloch dringt der rothe Schein der Fackeln. – Er lauscht, da hört er eine Stimme sagen:

»Er muß im Hause sein, Mr. O'Laughlin, es ist nicht anders möglich, wir haben im Park die Spuren seiner Fußtritte bemerkt, haben ihn aber dort nicht gefunden.«

»So durchsucht das Haus« befahl ein Anderer. »Vorwärts, Ihr faulen Hunde, trollt Euch, daß wir damit fertig werden.«

 

General M'Clellan hatte fast die Explikation seines Feldzugsplanes beendet, da wurde von Neuem an dem Fenster der Schatten eines Menschen sichtbar. Esthers Augen waren es, die durch die Scheiben funkelten. Unhörbar ward wieder das Fenster geöffnet, wieder schob sich die schöne Hand, der runde Arm durch die Oeffnung, diesmal aber nicht, um etwas vom Schreibtische wegzunehmen, sondern um dasselbe Papier wieder an die Stelle zu legen, wohin es Mr. Breckenridge gelegt hatte.

Der Arm verschwand, das Fenster schloß sich.

Als die beiden Männer ihre Unterredung beendet hatten, war bereits die Mitternacht vorüber. Mr. Breckenridge nahm das ihm übergebene Papier und schloß es ein, um es am nächsten Tage an die richtige Adresse zu besorgen; wünschte seinem Gaste eine gute Nacht und befahl Jim, denselben auf sein Zimmer zu begleiten.

Der Schlaf aber floh ihn. Hatte ihm auch sein Gewissen die Ruhe gestattet, so störte ihn doch noch geraume Zeit das Poltern und· Rumoren der Nigger, welche das Haus nach dem Spion durchsuchten.


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