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Sechstes Kapitel.
Die verhängnißvolle Rettung

Wir verlassen hier den Schauplatz der erzählten Ereignisse und führen den Leser von der Residenz der Sklavenstaaten 200 Meilen nordwärts in die Hauptstadt der Vereinigten Staaten Nordamerikas. Wir gehen nach New-York, dieser Riesenstadt von mehr als 2 Millionen Einwohnern, dem Centralpunkt alles Verkehrs mit anderen Welttheilen, dem Ausgangspunkt aller Cultur und Civilisation für Nordamerika, und dem nächsten Zielpunkt aller Auswanderer, die, mit Hoffnungen erfüllt, in Amerika eine neue Heimath suchen, dem Stapelplatz aller Producte, welche auf Eisenbahnen von vielen hundert Meilen Länge aus allen Theilen des ausgedehnten Landes hierher befördert werden, der Weltstadt, wo Intelligenz und Unwissenheit, feinste Bildung und viehische Roheit gleich vertreten sind, wo unermeßlicher Reichthum und unermeßliches Elend in unmittelbarster Nachbarschaft wohnen. Es giebt in New-York Leute, die jährlich über eine Million Steuern zu zahlen haben, und Leute, die nie einen Cent besitzen, den sie selbst erworben hätten.

In einer der entlegenen Gegenden des obern Theils der Riesenstadt, da, wo die Straßen enger, die Prachtbauten seltener, die Verkaufshallen kleiner, der Lärm der Straßen weniger betäubend, die Toiletten der weiblichen Bewohner weniger luxuriös zu werden anfangen, da liegt ein kleines zweistöckiges Haus mit sehr enger Hausthür, sehr schmalen Treppen und sehr defectem Abputz. Die obere Etage dieses Hauses wurde von Mr. Powel bewohnt.

Treten wir ein.

Es ist ein sehr einfach möblirtes Zimmer. Ein alter Ledersopha, ein Tisch, über welchem eine reinliche aber verschossene Decke lag, ein Schrank, ein Schreibtisch und mehrere Stühle, zwei Betten und eine Wiege, dies machte in der Hauptsache das Meublement aus, doch deuteten einzelne Luxusgegenstände, wie eine Bronce-Uhr, zwei Oelgemälde in Goldrahmen, einige Nippes-Sachen, an, daß die Bewohner dieser bescheidenen Räumlichkeit einst bessere Tage erlebt hatten. Noch vor einem Jahre war die Firma Charly Powel & Co. eine der bedeutendsten und geachtetsten in New-York, heute existirt sie nicht mehr.

Der Krieg, noch mehr aber die Verfolgungen, welche Mr. Powel, als eifriger Republikaner von denjenigen zu erdulden hatte, die heimliche Anhänger des Südens waren, hatten seinen Wohlstand untergraben, den Todesstoß aber hatte demselben Powel's Compagnon gegeben, der, in der Politik sein entschiedenster Gegner, heimlich alle Außenstände einkassirte und mit dem Gelde nach Virginien entfloh. Nach diesem Schlage überließ Mr. Powel Alles, was er besaß, seinen Gläubigern und begnügte sich, die kleine Ausstattung seiner Frau zu behalten. In dem Comtoir eines früheren Geschäftsfreundes hatte er ein Unterkommen als Buchhalter gefunden, das ihn und seine Familie aber nicht vor der äußersten Noth schützte. So standen die Sachen im Anfang des Monats Juli 1863.

Es war Morgens 8 Uhr, aber trotz der frühen Tagesstunde war das Zimmer bereits in bester Ordnung. In der Ecke neben dem Schrank saß eine junge Frau von kleiner, schwächlicher Figur und blassem, kränklichem Aussehen. Sie hatte ein Kind an ihrer Brust und nährte es wohl im vollen Sinne des Wortes mit ihrem Herzblute. Ein kleines Mädchen von 6 Jahren bereitete sich soeben vor, in die Schule zu gehen und war zugleich beschäftigt ihr Brüderchen, einen blondlockigen, lebhaften Knaben von 4 Jahren zu beruhigen, damit nicht seine Plaudereien und sein lärmendes Spiel den Vater störten. Dieser, ein kräftiger Mann in den dreißiger Jahren; saß am Schreibtisch, die gramgefurchte Stirn gedankenschwer in die Hand gestützt. Vor ihm lag ein Buch, bedeckt mit langen Zahlenreihen. Der Kummer lagerte auf seinem bleichen Gesicht, und Hoffnungslosigkeit blickte aus seinen düstern Augen.

Seine Frau sah ihn eine Weile mit banger Erwartung a, sie schien ihm das Resultat seines Sinnens von den Augen ablesen zu wollen. Als er aber beständig schwieg, unterbrach sie das drückende Schweigen mit der schüchternen Frage:

»Nun, wie stellt sich Deine Berechnung heraus, werden wir ausreichen?«

»Ausreichen?« wiederholte der Mann mit Bitterkeit »Mit der jetzt fälligen Miethe, dem Schulgeld und den zu bezahlenden Rechnungen sind es gerade 100 Dollars, die uns fehlen.«

»Und wieviel hast Du in der Kasse?«

»Du weißt doch, daß ich von meinem Prinzipal Mr. Jackson bereits mein Gehalt für's nächste Quartal voraushabe, und davon besitze ich nur noch 20 Dollars, das wird reichen für die Miethe, für die übrigen Ausgaben aber und zur Bestreitung unserer Lebensbedürfnisse bleibt Nichts.«

Die blasse junge Frau drängte gewaltsam ihre Thränen zurück. Den Schmerz, der an ihrem Herzen nagte, schien auch das Kind an ihrer Brust mit zu fühlen, denn es schrie laut auf; mit feuchten Augen und vom Weinen erstickter Stimme sang sie ihm ein Lied, um es zu beruhigen.

»Werden wir zu dem Feste am Sonntag Der 4. Juli, der Tag der Unabhängigkeitserklärung der Vereinigten Staaten ist jährlich ein großer Festtag. auch Kuchen bekommen, wie die anderen Kinder im Hause?« fragte plötzlich der kleine Knabe.

Powel fuhr empor, und obgleich auch ihm die Thränen in den Augen standen, ging er auf das Kind zu, hob es aus den Arm und drückte es schluchzend an seine Brust. Ihm das blonde Haar aus dem Gesicht streichend und es lieblosend sagte er mit zitternder Stimme:

»Ja wohl, mein Joe, Du sollst nicht das einzige Kind in New-York sein, das sich an diesem Tage nicht freute, Du sollst Kuchen haben, wenn Du recht artig bist und recht folgsam, damit Mama sich nicht über Dich grämt.«

Er küßte das Kind, und die Thränen rannen ihm von den Wangen.

Da klopfte es. Mr. Powel ließ das Kind sanft vom Arme gleiten und suchte die Spuren seiner Gemüthsbewegung eiligst zu verwischen, mit einer gewissen bangen Erwartung, ob es nicht ein Gläubiger sei, der ihn zu so früher Stunde schon besuchte, öffnete er; aber diese Besorgniß verschwand, und sein Gesicht verfinsterte sich plötzlich und nahm den Ausdruck des Widerwillens an, als er den Besuchenden erblickte.

Es war ein Mann von etwa vierzig Jahren, von gedrungener muskulöser Gestalt mit röthlichem Haar und stumpfen, nichtssagenden Zügen. Unter den buschigen Augenbrauen blickten ein Paar matte graue Augen mürrisch oder boshaft hervor.

»Guten Morgen, Mr. Powel«, sagte er eintretend und alle Anwesenden der Reihe nach betrachtend. »Es scheint, daß Sie immer noch nicht wieder auf Rosen gebettet sind, wie ehedem. Sie haben geweint Ma'am? Ja, ja, das hat Ihr Mann verschuldet, der damals nicht mit seinem Compagnon einen Strang ziehen wollte, sondern starr festhielt an seiner republikanischen Gesinnung.«

»Sind Sie gekommen, Mr. Atzerott, Ihrer Schadenfreude freien Lauf zu lassen«, antwortete Powel barsch, so muß ich Ihnen sagen, daß ich keine Lust habe Sie anzuhören, sondern muß Sie bitten, meine Wohnung zu verlassen, haben Sie aber ein anderes Geschäft, so bitte ich, daß Sie sich kurz fassen; da ich keine Zeit habe.«

»Ich weiß, Sie gehen um diese Zeit in's Comptoir«, versetzte Mr. Atzerott ruhig sich in einen Stuhl setzend. »Doch wenn Sie mich angehört haben, und klug sind, so werden Sie überhaupt nicht mehr nöthig haben, auf's Comptoir zu gehen.«

»Wollen Sie mich etwa wieder zum Theilnehmer Ihrer Intriguen gegen die Regierung der Nordstaaten dingen? Sie wissen, daß ich kein Schurke und Verräther bin. –«

»Gemach, Mr. Powel nehmen Sie sich in Acht, daß Ihre Beleidigungen nicht auf Ihr Haupt zurückfallen. Sie wissen, Ihr Hauswirth ist ein Freund von mir, es kostet mir nur ein Wort so ….«

Er deutete mit dem Daumen über seine Schulter nach der Thür, eine Bewegung, die Mr. Powel nur zu wohl verstand. Er biß sich in die Lippen und schwieg. Mit rohem Lachen« fuhr der Andere fort:

»Es handelt sich nicht um Intriguen; Sie sollen mir nicht helfen die contrebandirten Briefe besorgen, wie ich Ihnen früher antrug, auch nicht Pässe fälschen oder sonst etwas, was Sie bereits abgelehnt haben, es handelt sich hier um Etwas, das Sie thun können, ohne Ihr patriotisches Gewissen im Mindesten zu belasten.«

»So sprechen Sie.«

»Sie haben eine Schwester, Namens Mary Powel, nicht war?«

»Nun, und was ist's mit ihr?«

»Diese, eben so exaltirt patriotisch wie Sie, hat sich in der Armee anwerben lassen. Ist das richtig?«

Mr. Powel war überrascht und sichtbar um eine Antwort verlegen. Atzerott bemerkte es und überhob ihn der Antwort.

Läugnen Sie nicht, denn wir wissen, daß das richtig ist. Sie hat sich aber nicht begnügt mit ihrem Schwert dem Norden zu dienen, sondern leistet hauptsächlich Spionendienste und wie es scheint mit bestem Glück.«

»Ich habe Sie schon einmal gebeten, Mr. Atzerott, fassen Sie sich kurz, weshalb theilen Sie mir das Alles mit, wenn Sie voraussetzen, daß ich damit bereits bekannt bin?«

»Das sollen Sie gleich hören. Wenn Sie nämlich Ihre Schwester vermöge Ihrer Autorität von jener Grille abbringen, und sie bewegen, zurückzukehren und ihre Dienste nicht weiter in jener Weise zu leisten, so ist man bereit, Ihnen eine Summe von: 5000 Dollars auszuzahlen Nun, wie gefällt Ihnen mein Vorschlag? – He? Das wäre ein leichter Verdienst, der Ihnen nicht einmal Gewissenspein verursacht.«

»Den ich aber dennoch ebenso verächtlich zurückweise, wie Ihre übrigen Anerbietungen, Mr. Atzerott«, versetzte Mr. Powel. »Wenn meine Schwester dem Vaterlande nützt, so bin ich gewiß der Letzte, der sie davon abbringen würde, abgesehen davon, daß meine Autorität schwerlich dazu ausreichen würde, denn die Pflichten gegen das Vaterland müssen stets obenan stehen, das ist auch der Grundsatz meiner Schwester.«

»Was den letzten Grund betrifft«, meinte Mr. Atzerott, »so würden Sie schon Mittel finden, sie zu bewegen. Sie brauchen ihr ja nur in einem Briefe Ihre traurige Lage zu schildern und dann hinzufügen, daß Ihnen geholfen wäre, sobald sie sich entschlösse, ihr abenteuerliches Treiben aufzugeben.«

»Genug, ich will es nicht, begnügen Sie sich mit dem Bescheid.«

Powel wandte ihm den Rücken, um ihm damit anzudeuten, daß es ihm erwünscht sei, wenn er jetzt das Zimmer verlasse. Mr. Atzerott ließ diesen Wink ganz unbeachtet, sondern lehnte sich bequem in den Stuhl zurück und sagte in gedehntem Ton:

»Ich muß das bewundern, Mr. Powel, denn eigentlich haben Sie die Verpflichtung, Ihre Schwester von jener Laufbahn abzubringen.«

»Die Verpflichtung? – Wiefern?«

»Ich meine, Sie haben als Bruder die Verpflichtung, über die Moralität Ihrer Schwester zu wachen.«

»Nun?« sagte Mr. Powel, die Bosheit ahnend, die in diesen Worten lag.

Mr. Atzerott lachte ironisch.

»Bilden Sie sich etwa ein, daß lediglich der Patriotismus Ihr Fräulein Schwester begeisterte, als sie sich anwerben ließ? Ich sollte denken, der Reiz des ungenirten Verkehrs mit den Herren Offizieren hat sie vielmehr verlockt.«

Die Zornesadern auf der Stirn Mr. Powel's schwellen an. Sein Blut gerieth in Wallung. Vor Zorn bebend trat er plötzlich vor den frechen Gesellen hin, der erschrocken aufsprang und nach der Thür retirirte.

»Hinaus!« schrie Mr. Powel, »oder beim allmächtigen Gott, ich werfe Sie die Treppe hinab!«

Mr. Atzerott zweifelte keinen Augenblick, daß Powel in seiner Wirth die Drohung wahr machen könne. Er leistete deshalb ohne Widerrede der Aufforderung Folge. In der Thür aber. wandte er sich noch einmal um:

»Der große Patriot hat, wie es scheint, doch Verbindungen mit dem Süden,« sagte er höhnisch. »Hier ein Brief an Sie, der sich unter den eingeschmuggelten Briefen befand.«

Er zog einen Brief aus der Tasche und warf ihn Powel zu. Dann schloß er die Thür.

Mr. Powel schritt erst mehrere Male aus und ab, um seine Aufregung niederzukämpfen, ehe er den Brief vom Boden aufhob.

Es war ein kleines Briefchen in blaßrothem Couvert. Ohne erst lange die Adresse zu besehen, brach er das Siegel und zog ein feines Briefchen hervor. Er zuckte die Achsel. Ein Brief aus dem Süden? Von wem konnte der sein? Was konnte er enthalten? Er erinnerte sich keiner so zarten Correspondenz. –

Neugierig las er. Die Ueberschrift lautete:

 

Richmond, den 20. Mai 1863.
Mein lieber Mr. Powis!

»Das Schreiben ist nicht an mich gerichtet!« sagte Mr. Powel gleichgültig, und schlug das Blatt um, um zu sehen, wer eigentlich der Absender des Briefes sei.

Wie aber erstaunte er, als ihm dabei eine Banknote von 1000 Dollars in die Hand fiel. Mit einem Ausruf der Freude zeigte er seiner Frau den Fund, die vor Freuden die Hände zusammenschlug. Aber die Enttäuschte sank sofort in ihren Stuhl zurück, als ihr Mann ihr erklärte, daß das Geld nicht für ihn sei.

 

Es war kein Zweifel, daß Atzerott den Adressaten nur verwechselt hatte, denn auf der Adresse stand deutlich:

An Mr. Powis, »Rentier,
24 Washingtonstreet.

 

Der Adressat war Mr. Powel völlig unbekannt.

»Ich werde den Brief an Mr. Atzerott zurückgeben,« erklärte er. »Ich selbst mag ihn nicht an die rechte Adresse besorgen, da er eingeschmuggelt ist.«

»Willst Du den Brief abgeben, ohne weiter einen Blick hineinzuwerfen?« fragte die Frau.

»Ich halte solche Neugierde nicht für erlaubt,« war ihres Mannes Antwort.

»Auf der Adresse ist weder Werth noch Inhalt angegeben,« sagte etwas zögernd die junge Frau, indem sie mit bittendem, sprechendem Blick ihren Mann anschaute. »Das wäre Hülfe in der Noth,« fügte sie etwas leiser hinzu.

Powel, der wohl ahnen mochte, was in ihrer Seele vorging, schaute sie ernst an, dann steckte er den inhaltsschweren Brief in seine Tasche und mit den Worten:

»Es ist die höchste Zeit, daß ich aufs Comtoir gehe,« entfernte er sich.

Die junge Frau sah ihm seufzend nach und warf einen betrübten Blick auf ihr Kind, dann aber ging sie, still und geduldig wie immer, an die Besorgung ihrer kleinen Haushaltung. – –

Es war bereits Abend, als Powel nach Hause zurückkehrte. Mit vergnügtem Gesicht trat er zur Thür herein, grüßte seine still und traurig dasitzende Gattin so munter und aufgeräumt, wie seit lange nicht. Nachdem er die Kinder, die sich an ihn klammerten, herzlich geküßt, mit ihnen gescherzt und geplaudert, stellte er sich plötzlich vor seine Frau, schaute sie mit glänzenden Blicken an, griff dann rasch in die Tasche und legte eine Handvoll blanker Goldstücke vor die Ueberraschte auf den Tisch.

»Gold!« rief sie, »Charly, um Himmelswillen, wo hast Du das Gold her?«

»Frage nicht, Frau, sondern freue Dich, daß es da ist,« sagte er lächelnd und sich an dem Erstaunen seiner Frau weidend.

»Hast Du Dich noch einmal an Deinen Prinzipal gewandt?« fragte sie mit einem angstvollen Blick auf ihren Mann.

»Was denkst Du!« erwiderte er. »Mein Prinzipal hätte mir schwerlich noch etwas vorgeschossen, am Wenigsten diese Summe. Wahrscheinlich hätte sich sein Wohlwollen darauf beschränkt, mir eine Vorlesung voll Moral und Salbung zu halten, und das wäre mir sehr unwillkommen gewesen. Nein, nein, an Mr. Jackson konnte ich mich nicht wenden.«

»Spanne mich nicht auf die Folter, Charly, wer hat Dir das Gold gegeben?«

»Wenn Du das wüßtest!« rief er lustig; aber doch mit ein wenig Gezwungenheit und Verlegenheit. – »Aber was fragst Du? Nimm das Geld und zahle Alles, was wir zu zahlen haben; es wird noch eine gute Summe für die Haushaltung übrig bleiben.«

Wenn Powel geglaubt hatte, daß seine Frau über das unverhoffte Glück laut ihre Freude äußern würde, so hatte er sich getäuscht, sie wagte nicht, ihre Hand nach dem Gelde auszustrecken. Ein Gedanke beschäftigte sie, sie mußte sich auf den Stuhl zurücklehnen, und ihr bleiches Gesicht wurde womöglich noch fahler.

Mit bebenden Lippen schaute sie eine Weile ihren Mann an, der sich wieder mit den Kindern beschäftigte. Dann fragte sie mit leisem Tone:

»Und den Brief, Charly – den fremden Brief mit dem Gelde, hast Du ihn seinem Eigenthümer zugestellt?«

»Natürlich!« antwortete Powel lächelnd, ohne sich in seiner Beschäftigung mit den Kindern stören zu lassen. »Ich traf Atzerott auf der Straße, zeigte ihm den Inhalt des Briefes und übergab ihm diesen. Er versprach ihn sofort an die rechte Adresse zu besorgen« Wahrscheinlich hat der glückliche Mr. Powis bereits den Brief in Händen.«

»Charly,« begann seine Frau nach einer Pause wieder mit großem Ernst. »Hast Du auch klug gehandelt, daß Du ihm den offnen Brief übergabst?«

»Warum nicht,« entgegnete er. Wenn er den Brief unterschlagen will, so kann er ihn offen so gut wie verschlossen unterschlagen. Er wird es aber nicht thun, denn er bat mich, von der Sache nicht weiter zu sprechen, die Verwechselung war ihm sehr unangenehm. Mr. Powis, der glückliche Empfänger wird denken, daß der ein ehrlicher Mensch ist, der den Brief in Händen hatte.«

Die Zuversicht ihres Mannes schien Mrs. Powel allmählich zu beruhigen. Dann aber wandte sie wieder ihre Aufmerksamkeit den Goldstücken zu.

»Nun sage mir aber auch, wer Dir das Geld gegeben hat,« bat sie.

Powel mochte aus den Reden seiner Frau wohl errathen haben, welche Gedanken in ihr aufgetaucht. Er trat auf sie zu, ergriff ihre Hand, blickte ihr liebevoll in's Gesicht und sagte:

»Sei ruhig, liebes Weib, das Geld darfst Du getrost Dein Eigen nennen. Höre mich an, wie ich es erhielt. – Nachdem ich das Comtoir geschlossen, machte ich, um mich zu zerstreuen, einen Spaziergang durch die Stadt. Der Zufall führte mich an den Bahnhof der Pensylvania-Bahn. Ich gehe gesenkten Hauptes dahin. Da höre ich plötzlich meinen Namen rufen. Erstaunt fahre ich auf und sehe einen alten, lieben, guten Freund vor mir, der eben im Begriff ist, eine Reise durch die westlichen Staaten zu machen. Er fragt, wie es mir geht, ich erzähle ihm unverhohlen von meiner gedrückten Lage. Da tönte die Pfeife, die ihn zum Einsteigen rief. Als er mir die Hand zum Abschied reicht, fühle ich in meiner Hand eine schwere Geldrolle. Erröthend wollte ich dieselbe zurückgeben, allein da brauste der Zug dahin, und er winkte mir aus dem Coupé ein Lebewohl. Dieser mein Freund ist ein reicher Mann, vielleicht, liebes Weib, blüht uns durch ihn noch eine bessere Zukunft.«

Mrs. Powel hörte diesen allerdings merkwürdigen Bericht ihres Mannes mit Staunen an. – Ihre Zweifel waren mit aller Macht wiedergekehrt, und nur mit Mühe konnte sie ruhig scheinen, als sie entgegnete:

»Was Du mir da sagst, klingt mir fast unglaublich.« – Dann aber sprang sie plötzlich auf, schlang ihre beiden Arme um den Hals ihres Gatten und schaute ihm mit thränenden Augen in's Gesicht: »Charly, sprich die Wahrheit. Noch ist es vielleicht nicht zu spät, ein Unrecht, eine Uebereilung wieder gut zu machen. Heute Morgen hegte auch ich den bösen Gedanken, Du hast ihn errathen, jetzt wage ich nicht einmal, ihn auszusprechen. Nun foltert mich der Gedanke, daß Du vielleicht selbst gethan« –

Sie konnte nicht weiter reden; Thränen erstickten ihre Stimme, und leise schluchzend barg sie ihr Gesicht an der Brust ihres Mannes.

Powel hob ihr Haupt sanft in die Höhe und schaute ihr fest in das thränenumflorte Auge.

»Wie?« sagte er ernst. »Du hegst Zweifel an meiner Ehrlichkeit und Wahrheitsliebe? O, Jane, das schmerzt mich!«

Dieser Blick und das eine Wort waren genügend, die Zweifel der Frau zu lösen. Mit einem innigen Kuß bat sie ihn um Verzeihung, und Glaube, Liebe, Zufriedenheit waren zurückgekehrt. Nun schloß sie die Goldstücke ein und trat zu der Gruppe der spielenden Kinder, und die freudestrahlenden Blicke der Eltern erhöhten die Fröhlichkeit der Kleinen.

Es war eine kurze, selige Stunde, die die beiden Gatten durchlebten. Rasch verflog sie – nur zu rasch! – und leider sollte ihr sobald keine zweite mehr folgen.


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