Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Zwölftes Kapitel.
Die Ritter vom goldenen Cirkel

Der Theil der Stadt Richmond, welcher am rechten Ufer des James liegt, zerfällt in die beiden, durch die Petersburger Eisenbahn gesonderten Theile Manchester und Springhill. Der erste dieser Theile ist der Sitz des Handels und der Industrie, der andere der der Aristokratie. Die breiten, schnurgeraden Straßen von Springhill bestehen fast sämmtlich aus Villen, mit Garten- und Blumenanlagen vor den Thüren; es sind die Wohnungen der reichen Farmer, die den Aufenthalt in der Stadt dem ländlichen Leben auf ihrer Farm verziehen.

In einer dieser geräusch- und verkehrslosen Straßen, der York-town-Street, befindet sich die Villa des Mr. John Berckley, die sich in ihrem Aeußern in Nichts von den übrigen der Nachbarschaft unterscheidet, und doch ist sie der Gegenstand von allerlei dunklen Gerüchten; an sie knüpfen sich haarsträubende Erzählungen von heimlichen Verbrechen, Schilderungen von unglaublichen Ausschweifungen und unerhörten Orgien. Niemand weiß das Alles gewiß, ja Mancher bezweifelt das ganz entschieden, denn man hat niemals etwas von besonderm Geräusch oder von dem Tumult nächtlicher Feste darin wahrgenommen. Mr. Berckley hielt sich sehr selten in seiner Villa auf, und wenn er da war, so bewohnte er ein Zimmer, das man Abends erleuchtet sah, die übrigen Raume waren sämmtlich unbenutzt. Wie sollte demnach wahr sein, was man sich alles an Ungeheuerlichkeiten, die dort vorgekommen sein sollten, erzählte? –

Dagegen waren die Villen der Nachbarschaft oft sehr lebhaft besucht. Rechts lag die Villa des Mr. Breckenridge, vor welcher bisweilen viele Equipagen hielten, die ihre Insassen erst am andern Tage, oder noch später, wieder abhalten. Ebenso war es mit der links angrenzenden Villa des Mr. Berveley Tucker und den weiterhin gelegenen des Mr. William Cleary und Mr. George Sanders, der beiden mächtigsten Sklavenhalter in Kentucky, aber gerade Mr. Berckley schien niemals Besuch von fremden Gästen zu erhalten.

Auch heute war die sonst so stille Yorktownstraße von Equipagen ganz besonders frequentirt, vor jeder der Villen hielten einige, um einen oder zwei Herren mit den glattrasirten aristokratischen Gesichtern und dem blasirten Aussehen, das den Sklavenbaron des Südens kennzeichnet, aussteigen zu lassen. Es war bereits gegen 10 Uhr Abends. Die Equipagen wurden seltener und die Straße kehrte in die gewohnte Ruhe zurück, da hielt noch ein bescheidenes Cab vor der Villa des Kriegsministers. Ein schöner, junger Mann mit blassen Zügen und schwärmerischen Augen stieg aus. –

Wie kam er in die Gesellschaft der Herren, deren Charakter im Allgemeinen gerade der Gegensatz des seinigen war, und deren aristokratische Vorurtheile ihm ohne Zweifel fremd waren, denn sonst würde er gewußt haben, daß sie mit Geringschätzung und Verachtung aus Denjenigen herabsehen, dessen bescheidene Mittel ihn zwingen, in einem Cab zu fahren.

Der stattliche Lakai führt ihn in's Vorzimmer, nimmt seine Karte in Empfang und kehrt sofort mit der Aufforderung zurück, daß er eintreten möge.

Die Züge des Mr. Breckenridge schienen heute härter und unbeweglicher als je, und seine Gesellschaft schien von seiner Verschlossenheit angesteckt. Alle hatten sich in die Fauteuils gelehnt, ihre Füße aus dem nächsten erhöhten Gegenstande ruhend, sei es ein Fensterbrett, eine Stuhllehne, ein Sims oder dergleichen; – es gehört einmal zu den unerläßlichsten Kennzeichen eines ächten Sklavenjunkers, daß er seine Stellung so unästhetisch und rücksichtslos wie möglich wählt.

Sie schienen den Eintretenden nicht zu bemerken, wenigstens nahmen sie nicht die geringste Notiz von ihm, nur Mr. Breckenridge erhob sich und reichte dem Jüngling seine Hand.

»Seien Sie mir willkommen,« sagte er, und dann sich an seine übrigen Gäste wendend, fuhr er fort: »Ich habe das Vergnügen, Ihnen hier meinen jungen Freund Mr. Wilkes Booth vorzustellen, den eifrigsten Anhänger der Sache des Südens, den kühnsten und verwegensten Mann, der jemals die Waffe gegen einen verhaßten Feind ergriff.«

Man sah es Mr. Breckenridge an, wie schwer es ihm wurde, sich zu dieser schwungvollen und schmeichelhaften Expectoration zu erheben, allein sie schien ihm nöthig, um den Widerwillen seiner Freunde gegen einen nicht Ebenbürtigen möglichst zu besiegen, wenigstens eine Aeußerung der Geringschätzung zu verhüten.

Dies war ihm denn auch gelungen, und einer der Herren, ein Mann mit struppigem Haar und grauen, unstäten Augen, war herablassend genug, nachdem er einigemal bis in die fernste Ecke des Zimmers gespuckt hatte, dem Schauspieler ebenfalls seine Hand zu bieten.

»Ich habe gehört, daß Sie es waren, der Sheridan beseitigte, wenigstens auf so lange Zeit, als nöthig war, um Lee aus der Klemme zu bringen. – In der That, sehr kühn. – Wie ist es Ihnen nur gelungen, den Klauen der Yankee's zu entgehen?«

»Durch ein Wunder, Mr. Thompson, das ich heute noch nicht begreife,« antwortete Booth. »Ein Offizier der Union durchschnitt meine Fesseln und machte mich frei.«

»Beim Henker, das ist wunderbar – kennen Sie den Offizier etwa nicht von früher her?«

»Nein, ich kenne ihn nicht – und doch möchte ich behaupten, daß ich ihn einmal gesehen habe – wenigstens hatte das, was ich von seinem Gesicht sah, so viel Aehnlichkeit mit Mr. Francis Parker, den ich beim Präsidenten Davis kennen lernte, daß, wenn ich nicht wüßte, daß es unmöglich wäre, ich behaupten würde, er sei mein Retter gewesen.«

Die Unterredung wurde dadurch unterbrochen, daß der Kriegsminister, nach der Uhr sehend, seinen Gästen ankündigte:

»Meine Herren, es ist 12 Uhr, wenn es Ihnen recht ist, begeben wir uns in den Sitzungssaal, die Uebrigen warten sicherlich schon auf uns.«

Ohne Widerspruch erhoben sich Alle und griffen nach den Hüten.

Da öffnete der stattliche Lakai die Flügelthür und überreichte Mr. Breckenridge eine Karte. –

»Noch Einer?« fragte er verwundert. »Wer könnte das sein? Ah, Mr. Atzerott, unser Agent aus New-York,« rief er, als er den Namen gelesen. – »Er soll eintreten!«

Mr. Atzerott verneigte sich mit mehr Unterwürfigkeit als Höflichkeit Mr. Breckenridge hieß ihn willkommen, und auch von einem Theil der übrigen Herren wurde er begrüßt.

»Sie bringen Nachrichten aus New-York?« fragte ihn der Kriegsminister.

»Ich bringe einen Brief von Mr. Berckley,« antwortete er.

»Von Mr. Berckley?« wiederholten Alle halb erstaunt, halb erfreut. – »Wo ist er?«

»Er sitzt im Court-Hause des Avenue-Viertels gefangen. – Hier ist der Brief.«

Er zog ein dreieckig gefaltetes Papier hervor, das statt der Aufschrift nur die Buchstaben K. G. C. trug, und übergab es dem Kriegsminister. Dieser öffnete es und las, während Alle ihn erwartungsvoll anblickten.

Als Mr. Breckenridge geendet, sagte er:

»Meine Herren, den Inhalt des Briefes werde ich Ihnen in der Sitzung mittheilen; folgen Sie mir jetzt, wenn's gefällig ist, in's Ritterhaus.«

Er schritt voran, erst durch mehrere Zimmer, dann einige Stufen herab, die in einer verdeckten Säulenhalle mündeten. Diese führte in einen Gartenpavillon, und von hier erstreckte sich, seitwärts nach dem großen Garten zugehend, der hinter Mr. Berckley's Villa liegt, abermals eine Halle.

Booth bemerkte nunmehr, daß in jenem Garten hinter Mr. Berckley's Hause sich ein geräumiges Gebäude erhob. Es hatte hohe, bogenförmige Fenster, die aber durch Läden fest verschlossen waren, daß kein Lichtschimmer hindurchdrang; es lag so zwischen Bäumen versteckt, daß man es nur erst aus unmittelbarster Nähe sehen konnte; geschweige denn, daß man von der Straße aus von der Existenz dieses Hauses hätte irgend eine Ahnung haben können. Waren jene geheimnißvollen Gerüchte über unerhörte Ereignisse, die in Mr. Berckley's Billa sich zugetragen haben sollten, auch zu seinen Ohren gekommen, so begriff er nunmehr, wie es kam, daß diese Gerüchte stets angezweifelt wurden, weil man von der Straße aus nichts von dergleichen Dingen hören und sehen konnte. Waren solche Dinge wirklich vorgegangen, wie die Gerüchte behaupteten, so waren sie in dem versteckten Ritterhause geschehen.

Nicht blos von der Villa des Mr. Breckenridge aus führten versteckte Wege nach diesem geheimnißvollen Gebäude, sondern ganz ähnliche auch von den andern in der Nähe gelegenen Villen; es war also außer allem Zweifel, daß die Besucher dieses Ortes sich erst in die einzelnen Häuser der Nachbarschaft begaben, und dann sich auf den beschriebenen Wegen hier versammelten.

An dem Haupteingang, in welchen sämmtliche Seitenwege mündeten, standen zwei Mulatten postirt, mit mürrischen Gesichtern und markirten Zügen. Obwohl sie Mr. Breckenridge kannten, so durften sie ihn, ihrer Instruction gemäß, doch nicht ohne Weiteres hindurchlassen, sondern stellten sich ihm mitten in den Weg.

»Wohin, Sir?«

»In's Heiligthum des Brutus!« war Mr. Breckenridge's mechanische Antwort.

Der examinirende Mulatte aber ließ sich weder durch den verdrießlichen Ton noch durch den verachtenden Blick des Ministers irre machen, denn er wußte, daß die geringste Pflichtversäumniß ihm die härteste Strafe zuziehen würde. Er fuhr deshalb fort:

»Wer sind Sie, Sir, und wer sind Ihre Begleiter?«

»Ritter vom goldenen Cirkel.«

Der Mulatte öffnete die Flügelthüren und ließ die Ankömmlinge in ein hellerleuchtetes Vorzimmer treten. Dasselbe war mit allem Luxus und allem Comfort, den die Sklavenbarone des Südens gewohnt sind, ausgestattet. Mächtige Spiegel in breiten Barckrahmen, Sessel mit grünem Sammet, Marmortische, an den Wänden auf Consoln mythologische Gruppen aus Gyps – nichts fehlte, um dies Zimmer, das übrigens geräumiger war, als sonst Vorzimmer zu sein pflegen, so elegant und geschmackvoll wie möglich erscheinen zu lassen.

Eine mächtige Thür, durch dicke, zweifach angebrachte Portieren geschlossen, an welcher wieder zwei Mulatten in Livrè aufgepflanzt standen, führte in den Sitzungssaal der Ritter vom goldenen Cirkel. –

Es war ein längliches Viereck, das Innere durch Gascandelaber hell erleuchtet, die Wände mit dunkelrothen Tapeten bekleidet, von derselben Farbe war auch der Sammet mit welchem die Sessel und die Sophas, die in großer Menge rings an den Wänden und mitten im Saale standen, überzogen waren, so wie die seidenen Gardinen, die von den hohen Bogenfenstern faltenreich herabhingen.

Das Zimmer machte durch dieses monotone Dunkelroth, das nur selten durch Goldleisten oder Goldborten Abwechselung fand, trotz der hellen Beleuchtung einen düstern, unheimlichen Eindruck, der noch vermehrt wurde durch die Wappenschilder und Embleme, welche an der dem Eingange gegenüberliegenden schmalen Wand des Saales angebracht waren.

In der Mitte dieser Wand, gerade über einer mit Teppichen belegten Estrade hing ein transparentes Wappenschild, das einen Mann darstellte, welcher auf den Nacken eines am Boden liegenden besiegten Feindes seinen Fuß setzte und in der Rechten einen Dolch schwang.

Darunter standen die Worte: »sic semper tyrannis!« So geschehe stets den Tyrannen.

Neben diesem Wappenschilde hingen Bilder, Scenen aus der Geschichte darstellend, in welchen Tyrannen ermordet oder entthront oder gefangen werden, daneben die Portraits von Brutus, Ravaillac, Ankarström und andern historischen Mördern, und über all diesem Schmuck glänzten von einer Strahlenglorie umgeben die goldenen Buchstaben K. G. C. Knights of the Golden Circle (Ritter vom goldenen Cirkel)., das Zeichen des Ordens der Ritter vom goldenen Cirkel. –

Mr. Breckenridge hatte richtig vermuthet, daß die übrigen Herren bereits im Heiligthum des Brutus versammelt sein würden.

Da war bereits Mr. Berveley Tucker mit einer Anzahl von Gästen unter denen sich auch der Major Wirtz, der Commandant des Gefängnisses zu Millen, und W. Alston, der Commandant des Gefängnisses zu Libby befanden, dann Mr. George Cleary mit seinen Gästen, worunter Mr. Clement Cley, der Haupt-Agent der Rebellion und Mr. Benjamin, der Premierminister, sich befanden. Sie hatten sich in der beliebten Weise placirt, d. h. die Beine möglichst in gleichem Niveau mit dem Kopfe, bliesen den Dampf der Cigarre von sich und verharrten mit wenigen Ausnahmen in der gewohnten Indifferenz.

Mr. Breckenridge bestieg die Tribüne. Er kündigte zunächst an, daß der Vorsitzende des Ordens Mr. Berckley von den Yankee's gefangen genommen sei, und wie »unser Freund« Atzerott berichtet, im Courthause des Avenue-Viertels zu New-York sich befinde. Es sei Beschluß des Ordens, daß im Verhinderungsfalle des Präsidenten er den Vorsitz übernähme und das geschehe hiermit. Er habe die Mitglieder zusammenberufen, weil die gegenwärtige Lage der Conföderation dringend erneutes Eingreifen des Ordens erfordere.

»Sie wissen,« fuhr er fort, »daß unser Oberbefehlshaber Lee von der Potomac-Armee bis in's Innerste von Virginien zurückgedrängt ist und daß von Nordwesten her Johnston durch den Yankee-General Shermann hart heimgesucht und bereits Savannah zurückgetrieben worden ist. Wir können uns nicht mehr auf Unterstützung M'Clellan's verlassen, denn der Fall ist wahrscheinlich, daß man ihn von seinem Posten entfernen und Grant an seine Stelle setzen wird. Wenn aber Grant und Shermann an der Spitze der Unionsarmee stehen, so helfen uns keine Geldopfer und keine Menschenopfer, denn der Kriegsminister der Union, Stanton, scheint über unerschöpfliche Mittel an Geld und Menschen zu verfügen, während die unsrigen zu versiegen drohen. Der Krieg kostet den Yankee's täglich anderthalb Millionen Dollars, aber noch fehlt es ihnen nicht an Mitteln, sie haben eine Armee von nahe einer Million Menschen schlagfertig, gegen solche Macht sind alle Mittel, die wir bisher anwandten, erfolglos, denn was haben wir damit erreicht? – nichts, als daß die Krisis, die uns bevorsteht, nur desto schlimmer für uns ausfallen wird.« –

Er schwieg und schien von seinen Zuhörern eine Bestätigung seiner Behauptungen oder Vorschläge zu neuen Mitteln zu erwarten. Mr. Wirtz nahm nach einer Pause das Wort.

»Wir haben bis jetzt etwa 100,000 Kriegsgefangene gemacht,« sagte er. »Davon haben wir nur 60,000 Mann verhungern lassen, die übrigen müssen wir tagtäglich auf unsere Kosten füttern, ich schlage vor, daß man sich ihrer sobald als möglich entledigt.«

Mr. Tucker stimmte mit Lebhaftigkeit dem Vorschlage bei, allein von anderer Seite fand derselbe doch Widerspruch, und man kam schließlich überein, es bei der bisher üblichen Manier, des langsamen Verhungerns bewenden zu lassen. Einen anderen Vorschlag machte Mr. Cleary.

»Unsere Generale müssen es sich zum Prinzip machen, sich den Yankee's gegenüber an kein Ehrenwort und an keinen Waffenstillstand zu binden. Wenn z. B. Behufs Beerdigung der Todten oder Wegschaffen der Verwundeten ein Waffenstillstand von einigen Stunden abgemacht ist, so müssen sie die Feinde mitten d'rin angreifen und überfallen, auf diese Weise werden sie stets sichern Erfolg haben.«

Der Vorschlag fand allgemeinen Beifall und wurde mit Applaus angenommen.

Ein dritter Vorschlag wurde von Alston, dem Commandanten des Libbygefängnisses gemacht und bestand darin, daß man das Gefängniß, das sehr leicht in die Gewalt Sherman's gerathen könne, unterminire, um es, für den Fall, daß der Feind es nähme, mit seinen sechstausend Bewohnern in die Luft sprengen zu können.

Auch dieser Vorschlag fand allgemeinen Beifall.

Da nun Niemand mehr einen Vorschlag zu machen hatte, so nahm Mr. Breckenridge wieder das Wort:

»Meine Herren! Alles was Sie vorgeschlagen haben, mag wohl gut und heilsam fein, aber durchdringend ist es nicht, was nützt es, wenn wir der Hyder, die uns zu verschlingen droht, Wunden beibringen, an denen sie nicht stirbt. Man muß dem Ungeheuer den Kopf abschlagen.«

»Bravo! – Abraham Lincoln falle!« riefen die Zuhörer.

»Nicht einen Kopf muß man der Hyder abschlagen,« sprach Booth mit theatralischem Pathos. »Das Ungeheuer ist fünfköpfig. Soll es vernichtet und verblutend in den Staub sinken, so muß man ihm alle Köpfe auf einen Hieb abschlagen – nicht Lincoln allein, auch die Anderen müssen fallen!«

»Brav gesprochen!« stimmte Mr. Tucker bei.

»Sehr wahr!« bestätigte Mr. Wirtz.

»Das beste Mittel!« erklärten Cleary, Cley, Thompson und Sanders.

Auch die übrigen Junker, die sich bei der ganzen Sitzung herzlich langweilten, gaben gähnend ihren Beifall zu erkennen.

»Ich gebe dazu fünfzigtausend Dollars,« sagte einer der Indifferenten mit einer Miene so gleichgültig und geschäftsmäßig, als handele es sich um ein Actienunternehmen.

»Ich zeichene auch funfzigtausend! – Ich auch! – Ich auch!« folgten die Anderen mit demselben stupiden Geschäftston seinem Beispiele.

Eine Million war binnen Kurzem zusammengebracht.

»Nicht zu übereilt, meine Herren,« unterbrach Breckenridge diese patriotischen Auslassungen. – »Ich gebe Ihnen eins zu bedenken, wir müssen uns die Sympathien des Anstandes zu erhalten suchen. – England ist uns wohl geneigt; denn das neutrale England baut uns Kaperschiffe und liefert uns auch die Bemannung; das neutrale England läßt uns unter den Kanonen seiner Forts ruhig die Schiffe der Yankee's in den Grund bohren; das neutrale England duldet nicht nur unsere Agenten in Kanada, sondern leistet ihnen jeden Vorschub. Frankreich fürchtet bei seiner Aktion in Mexiko die Monroe-Doctrin der Union und hält zu uns. Der Junkerparthei in Deutschland ist die Republik der Vereinigten Staaten ein Dorn im Auge, sie steht deshalb auch auf unserer Seite. Wenn wir aber zu so gewaltsamen Mitteln schreiten, wie Sie vorschlagen, so werden wir zwar jene Sympathien nicht verlieren, aber man wird Anstand nehmen, dieselben öffentlich auszusprechen und zu bethätigen.«

»Darin liegt etwas Wahres,« gaben diejenigen der Versammlung zu, die sich an den Verhandlungen überhaupt betheiligten, die andern gähnten entweder oder unterhielten sich von Pferden und Niggern, von Sport und Baumwolle.

»Mein Vorschlag wäre,« fuhr der Kriegsminister fort, daß wir zuerst versuchten Abraham Lincoln, den Yankee-Präsidenten, in unsere Gewalt zu bekommen. Man muß ihn mit List oder Gewalt entführen. Gelingt das nicht, so bleibt das von Ihnen Vorgeschlagene der letzte Ausweg.«

Man mußte einräumen, daß der Kriegsminister Recht habe.

»Mir schien das, was Mr. Breckenridge einmal gesprächsweise äußerte,« bemerkte Mr. Tucker, »ganz probable, nämlich daß man den Feind im Geheimen, ungesehen, unbemerkt verfolgen und verwundert müsse, bis er an seinen Wunden verblute.«

»Das ist's, wovon ich eben sprechen wollte,« fiel Breckenridge ein. »Es ist ein Sprichwort, daß der Tropfen zuletzt den Stein höhlt; man kann auch mit Nadelstichen einen Riesen tödten. Lassen Sie uns die Leute, die an der Spitze stehen, auf diese Weise angreifen. Ein Nadelstich ist noch kein Mord, aber viele Nadelstiche werden sie tödten; ich meine nicht physisch – versuchen wir es erst mit ihrer moralischen Vernichtung. Jene Leute sind Menschen, fühlen menschlich und haben menschliche Leidenschaften: suche man sie durch alle Mittel, welche der List und Intrigue zu Gebote stehen, da zu treffen, wo ihre verwundbarste Stelle ist, bis Gram, Schreck, Wuth oder Verzweiflung sie zerschmettern. Ja, wir brauchen uns dabei nicht zu beschränken auf die einzelnen Männer, die an der Spitze der Union stehen, nein, wir haben die Mittel, Entsetzen und Verzweiflung zu verbreiten auch über Städte und Staaten!«

»Hört, Hört!« riefen die Zuhörer. Mr. Sanders biß sich verdrießlich in die Lippen.

»Lassen Sie uns in großen Städten den Pöbel erkaufen zu Meutereien,« fuhr der Redner fort. »Das Militair ist im Felde, und Niemand ist zur Stelle, der den Funken der ersten Excesse löschen könnte, der sich schnell zur verzehrenden Flamme ausbreiten wird. – Lassen Sie uns in dem neutralen Kanada Guerilla-Banden unterhalten, welche die Nachbarstaaten der Union überfallen und verwüsten. – Lassen Sie uns Gebrauch machen von den Torpedo's des Mr. Oldham, um die größten Städte der Union einzuäschern ... Sehen Sie, meine Herren, das Alles sind Dinge, welche die Nation zur Verzweiflung bringen und sie eben so sicher, nur langsamer, zu unsern Füßen legen werden, als die Gewaltmittel, welche Sie vorgeschlagen haben.«

Fast sämmtliche Ritter des Ordens, namentlich die gähnenden, waren seiner Ansicht. Mr. Sanders aber blickte finster d'rein und schüttelte unwillig den Kopf.

»Allen Respekt vor dem Scharfsinn des Herrn Kriegsministers,« sagte er mit einer Betonung, die diesen Respect sehr zweifelhaft erscheinen ließ; »allein ich sage, der kürzeste Weg ist der beste; ein Dolchstoß sicherer als tausend Nadelstiche und der physische Tod besser als der moralische. Lassen Sie uns den Präsidenten und Alle die uns im Wege sind, tödten, das ist das Beste und hat nebenbei noch den Vortheil, daß wir keine so große Anzahl von Vertrauten brauchen.«

Obgleich Mr. Tucker, Wirtz und Thompson dieser Ansicht mit Eifer beistimmten, gelang es doch nicht, ihr die Majorität zu verschaffen, und Mr. Cley, der Protokollführer des Ordens, mußte als Beschluß der Versammlung den Vorschlag des Kriegsministers zu Protokoll nehmen; nur für den Fall des gänzlichen Mißlingens, sollten als letztes Mittel die Häupter der Union fallen.

»Es muß nun noch präcisirt werden: wer soll fallen?« sagte der Vorsitzende.

»Abraham Lincoln!« riefen Alle einstimmig.

»Er allein?«

»Nein, auch der Vicepräsident Johnson, er würde sonst in die Fußtapfen seines Vorgängers treten«, antwortete Mr. Tucker.

»So notiren Sie auch den Namen Johnson's«, wandte sich der Vorsitzende an Mr. Cley.

»Johnson und Lincoln sind zu ersetzen«, hob Mr. Sanders an; »aber einen Mann hat die Union der unersetzlich ist, das ist der Staatssekretär Seward.«

Cley setzte auch diesen Namen auf die Liste der Conscribirten.

»Sollte das schon genügend sein?« fragte Mr. Wirtz. »Meiner Meinung nach muß man zuerst dem Riesen den Arm abschlagen; der Arm der Union aber, der uns mit eisernen Fingern anpackt, das ist der General Ulysses Grant.«

Auch der Name Grant's wurde notirt.

»Grant ist allerdings der Arm«, bemerkte Mr. Thompson, »allein die Seele der Kriegführung das ist der Kriegsminister, darum fordere ich, daß auch Stanton's Name auf die Liste gesetzt werde.«

Man kam seinem Verlangen ohne Bedenken nach. –

Mr. Cley war indessen nicht der Einzige, der die Beschlüsse des Ordens niederschrieb. Es befand sich noch Jemand im Saale, von dessen Anwesenheit die Herren vom Clubb freilich keine Ahnung hatten ... Dort oben in der finstern Lage blitzt hinter den Vorhängen hervor das schwarze Augenpaar eines Mädchens. Sie lies't mit athemloser Spannung die Worte von den Lippen der Redner, und sorgfältig notirt sie, was sie ganz besonders in ihrem Gedächtniß bewahren wollte.

Niemand konnte sie hinter den nur wenig geöffneten dunkelrothen Vorhängen sehen, und kein Laut verrieth sie. Die wenigen Worte, welche sie mit dem hinter ihr stehenden Neger wechselte, flüsterte sie so leise, daß sie das Ohr der Versammelten nicht erreichen konnten.

Mr. Breckenridge fuhr fort:

»Wer unter Ihnen weiß nun einen zur Ausführung unserer Beschlüsse geeigneten Mann zu finden, einen Mann, der Klugheit, verwegenen Muth und Ausdauer genug besitzt, einen Mann, auf den wir uns verlassen können?« ...

Es meldete sich Niemand.

»Ich weiß, daß es schwer ist, einen solchen zu finden«, nahm der Vorsitzende, nachdem er einen Moment inne gehalten, wieder das Wort; »aber, meine Herren, ich habe doch bereits den rechten Mann gefunden – es ist Mr. Wilkes Booth.«

Aller Augen richteten sich auf den jungen Mann, der ruhig und selbstbewußt mit seinen düster funkelnden Augen all' diesen Blicken begegnete.

Mr. Booth«, wandte sich der Vorsitzende an ihn, »sind Sie dazu bereit? Wollen Sie sich an die Spitze einer Anzahl von Leuten stellen, die Sie nach Ihrer Wahl für geeignet halten, für unsere Pläne zu wirken und die Exekutive dieses Cabinets zu bilden? Wollen Sie es übernehmen, die Thätigkeit dieser Leute zu regeln, und die Mittelsperson zwischen dem Orden und jenen sein? – Wollen Sie das verantwortungsschwere Amt, das der Orden der Ritter vom goldenen Cirkel in Ihre Hand legt, annehmen?«

»Ich will es!« antwortete Booth ernst und mit edlem Anstande.

Vielleicht wäre es einem feinen Physiognomiker möglich gewesen, hinter diesem mit Bühnengeschicklichkeit angenommenen Ausdruck, Etwas zu lesen, das wie befriedigter Ehrgeiz aussah.

Alles schwieg einige Sekunden, und selbst die Indifferenten betrachteten den verwegenen Jüngling mit einer Art Erstaunen. Nur Mr. Sanders hielt es, mehr aus Prinzip als aus andern Gründen, für nöthig, gegen die Wahl des Kriegsministers Bedenken zu äußeren.

»Ist der junge Mann eingeschworen?« fragte er.

Breckenridge wars ihm einen finstern Blick zu.

»Noch nicht; aber ich bürge für ihn. Man wird ihm nach Beendigung der Verhandlung den Eid abnehmen.«

Es entstand eine Pause, während welcher der Vorsitzende unter seinen Papieren einen neuen Theil der Tagesordnung hervorsuchte. Da warf einer der Ritter, dem die Zeit lang zu werden begann, die Frage auf:

»Was ist's denn mit dem Briefe unseres Vorsitzenden Berckley, was schreibt er?«

Breckenridge las den Brief, den ihm Mr. Atzerott übergeben hatte, vor. Er lautete:

 

»Meine Freunde und Ordensgenossen!

Ich bin ein Opfer meines Patriotismus geworden. Man hat mich auf einer Rekognoscirungsreise in Arkansas gefangen genommen. – Ich werde zu New-York im Court-Hause des Avenue-Viertels detinirt. Bieten Sie Alles auf, mich zu befreien. Benachrichtigen Sie unsere Freunde in New-York von meiner Gefangenschaft. Glücklicherweise hat mich Mr. Atzerott im Gefängniß gesehen, und durch ihn habe ich Gelegenheit, mit Ihnen zu correspondiren. Lassen Sie bis zu meiner Befreiung nicht die Angelegenheit meiner Verheirathung mit Miß Jenny Brown, der reichen Erbin, aus den Augen. Bedenken Sie, welcher Vortheil dadurch dem Orden erwächst. Kein Anderer dürfte Ihnen die Offerte machen, die ich mache, nämlich die Hälfte der Mitgift, das ist eine Million Dollars, dem Orden für seine Zwecke zu überweisen.

Berckley,
Vorsitzender K. G. C.«

 

Mit steigendem Interesse hatte die Lauscherin in der Loge die Vorlesung des Briefes angehört.

»Arme Emmy!« seufzte sie. »Auch Dich wollen diese Menschen opfern!«

Unten im Saale traf man eben Vorbereitungen, um Booth den Eid abzunehmen, da beugte sich der Neger zu dem jungen Mädchen und flüsterte:

»Lassen Sie uns jetzt gehen, Miß Esther. Es ist später unmöglich, unbemerkt hinaus zu kommen, bedenken Sie, daß kein andrer Weg auf die Straße führt als durch das Haus meines Herrn.«

»Du hast Recht, guter Pet«, antwortete sie. »Ich habe auch jetzt genug gehört.«

In der nächsten Minute war die Loge leer.


 << zurück weiter >>