Berthold Auerbach
Landolin von Reutershöfen
Berthold Auerbach

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Sechzigstes Kapitel.

Die Mitglieder des Casinos hielten unverbrüchlich fest, daß sie die Kreisräthin nie nach den Ergebnissen ihrer Bemühungen fragten, und sie selber sprach nicht davon, wenn sie nicht der Hülfe des Einen oder Andern bedurfte. Wohl sah man ihr an, daß sie heute Schweres versucht haben mußte; es spannten sich aber ihre Mienen wieder, da der Reallehrer begann:

»Die Herren erlauben wohl, daß ich der Frau Kreisräthin über Ausgangspunkt und Stand unseres Gespräches berichte. Der Herr Kreisarzt hatte erzählt, daß der Wälderjörgli seit jenem Tage der Fahnenweihe, da er die Rednerbühne bestiegen hatte, seiner Auflösung entgegen gehe. Hieran knüpfte sich die Behauptung, daß der Nutzen der Bildung für das Volk in jedem Betracht fraglich sei; die Derbheit erhalte das Volk auch physisch kräftiger als die Bildung.

Der Herr Kreisrath entgegnete, ein Kind müsse Jüngling und Mann werden; die Frage sei müßig, ob es nicht, Kind verblieben, glücklicher gewesen wäre.

Der Herr Kreisarzt wollte eben etwas darüber sagen, um uns über die Wirkungen der Bildung in Bezug auf Krankheiten zu unterrichten.«

»Nicht so genau,« nahm der Kreisarzt auf, »aber ich wollte sagen, das Einhalten der Diät, die beim Bauer das Schwerste ist, bemißt sich nach seinem Bildungsgrade und wiederum bei ausgebrochener Krankheit wird der acute Charakter durch rechtzeitige Vorbeugungen oft gebrochen.«

»Das beanspruche ich auch für die geistigen und sittlichen Disziplinen,« rief der Reallehrer, »die mäßigende Kraft der Bildung wird der acuten Kraft der Leidenschaften vorbeugen und den tragischen Untergang abwenden. Die Starrköpfigkeit, die stiere Unbeugsamkeit ist nicht gerade wirkliche Kraft –«

»Ein Streit um des Volkes Bart,« sagte ein Geistlicher lächelnd zu seinem Amtsbruder und reichte ihm die offene Dose hin. Der Reallehrer hatte etwas flüstern gehört, aber nichts deutlich vernommen; mit einem scharfen Seitenblick auf den Störer fuhr er fort:

»So gewiß in Krankheitsfällen die Arzneimittel die arbeitende Natur unterstützen oder eine Hinderung der Naturarbeit beseitigen, eben so gewiß werden die seit Jahrtausenden angesammelten Bildungsmittel bei sittlichen Gebrechen, beim Ausbruch einer Leidenschaft, die zu Verbrechen führt, ja bei geschehenem Verbrechen lindern und heilen.« Zu dem Geistlichen gewendet fuhr er fort: »Auch die Religion ist ein heilvolles Bildungsmittel, nur ist sie es nicht allein.«

»Dank!« entgegnete der Geistliche mit der Hand gestikulirend, die eine Prise zwischen Daumen und Zeigefinger hielt. »Aber verehrter Herr Doctor, Ihre Bildungs-Heilkraft ist ein Gebräu von klassischer und naturwissenschaftlicher Bildung, jede Stunde einen Eßlöffel, vor dem Einnehmen durch einander zu schütteln. Probatum est.

Unter allgemeinem Lachen fügte er hinzu: »Ihre Bildung kann dem Volke nicht einmal neue Vergnügungen schaffen. Was wollen Sie ihm geben? Sie haben nicht das Derbe, das es braucht. Da sehen Sie! Die Burschen, die sich in der Ernte die ganze Woche müde gearbeitet haben, kegeln am Sonntag und schleudern die schweren Kugeln.«

Das Kegelspiel wurde eben unterbrochen, denn der Bahnzug brauste heran, und die Kegelnden, die offenbar Ankommende erwartet hatten, zeigten nach dem Bahnhofe, der von der Casino-Laube zu übersehen war und dort hieß es:

»Die Hollandfahrer! Dort kommt der Anton Armbruster mit den Flötzern.« Mächtige Männer stiegen aus, sie trugen zusammengerollte Mäntel und hohe Wasserstiefel an den Aexten über der Schulter. Sie kamen in den Wirthsgarten und saßen bald, von Gruppen der Angehörigen und Fremden umringt, beim schäumenden Biere. Die Flötzerstimmen waren laut und alles Lachen klang, wie wenn Balken über einander rollen.

Anton saß bei seinem Vater, der ihn hier erwartet hatte. Er hatte wieder sein altes frisches Ansehen, aber auf seinen Mienen wie auf denen des Sägmüllers war leicht zu erkennen, daß etwas nicht nach dem Sinne des Alten geschehen war; er stieß wohl mit seinem Sohn an, aber er stellte, ohne zu trinken, das volle Glas wieder auf den Tisch. Die Kreisräthin ging mit der Schwertwirthin im Garten auf und ab, bald trat die Wirthin zu Anton, der sich erhob und zur Kreisräthin ging, sie höflich begrüßend. Sie reichte ihm die Hand, ging mit ihm nach dem leeren Schattengang am Ufer, dort richtete sie zuerst den Gruß des Lieutenants aus, und erzählte dann, wo sie heute gewesen und was sie erlebt. Sie schaute ihn scharf an, da sie zuletzt sagte:

»Die Thoma kommt nächstens zu mir, darf ich ihr von Ihnen sprechen?«

»O gewiß, gern.«

»Sie sind also in Holland nicht Bräutigam geworden?«

»Kein Gedanke. So lang wie Thoma sich nicht verheirathet, bleib' ich auch ledig. Es ist schön gewesen in Holland, recht schön, herzliche Menschen, und sie haben die Dummheit nicht mehr, daß sie glauben, wir Deutschen wollten Holland nehmen. Sie haben mir gut zugehört, wie ich vom Krieg erzählt hab', und die älteste Tochter von unserm Geschäftsfreund hat mir gesagt, sie könnte drei Tage lang zuhören, wie ich so erzähle.«

»Hat sie Ihnen auch gefallen?«

»Freilich, ein schönes Mädchen, und die Gutherzigkeit sieht ihr aus dem Gesicht, aber eben doch keine Thoma. Wie gesagt, so bleibt's. Schau, da kommt der Peter von Reutershöfen mit dem Fuhrwerk. Peter! Was giebt's?«

»Mein' Mutter ist krank, und da soll ich den Doctor holen. Es hat nicht viel zu bedeuten, aber der Vater ist so ängstlich.«

»Ist sonst Alles wohl bei Euch?«

»Freilich.«

Der Arzt fuhr mit Peter davon, die Kreisräthin beauftragte ihn, Thoma zu ihr zu schicken, wenn sie die Mutter verlassen könne.

Bald ging auch Anton mit seinem Vater heimwärts.

Der Arzt auf der Hochebene und die Flötzer im Thale wurden von einem mächtigen Gewitter überrascht, das mit Sturm und Hagel losbrach.


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