Berthold Auerbach
Landolin von Reutershöfen
Berthold Auerbach

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Vierundvierzigstes Kapitel.

Die Sommernacht war mild und lind, und ein Samstag Abend in der Erntezeit hat ein besonders Ruhsames, eine Vorempfindung des vollen Ruhetages nach sechstägiger rastloser Arbeit.

Auf den Gehöften weit umher saßen die Menschen auf der Sommerbank, sprachen von dem, was man eingeheimst und was noch draußen stand, dann aber auch von Nachbarn nah und fern, und natürlich auch von Landolin. Man sprach Bedauern mit dem Mißgeschick aus, aber doch mit einem stillen Wohlgefühl, selber frei und froh sein zu dürfen; es war fast wie das Einathmen der Luft, die von einem argen Gewitter im Unterlande hier oben nur gereinigt und frisch war.

Man suchte indeß müden Schrittes bald das Lager auf, denn Jung und Alt wollte morgen zum Feste in der Amtsstadt.

Auf der Hausbank vor dem Hause saß Landolin mit seiner Frau, Thoma saß abseits auf dem Baumstumpf, auf dem man sonst die Sensen dengelte.

Die drei Menschen hatten so viel zu reden und sprachen so wenig.

»Morgen ist also der fünfzehnte Juli,« sagte Landolin, Thoma schaute um, rasch aber wendete sie sich und saß wieder in sich zusammen gekauert.

Morgen sollte das Fest der Fahnenweihe gefeiert werden. Man meint doch, es seien schon Jahre vergangen seit jenem Tage, da Anton mit den beiden Genossen gekommen war, um Thoma als Festjungfrau einzuladen. Thoma war indeß geläutert genug, daß sie nicht zuerst an die ihr verloren gegangene Freude und Ehre dachte; sie seufzte schmerzlich, da sie denken mußte, wie trüb und traurig dieser Tag für Anton werden mußte.

»Was meinst, Thoma?« fragte Landolin, »soll ich zu der Fahnenweihe gehen oder nicht?«

»Ich hab' kein' Meinung über das, was Ihr thun oder nicht thun sollet.«

»Gehst Du mit mir?« wendete sich Landolin zu seiner Frau.

»Ich ging' gern mit, aber ich bin nicht wohl, es friert mich so, ich will jetzt gleich schlafen gehen.«

Thoma wollte die Mutter ins Haus begleiten, aber die Mutter wehrte ab und bestand darauf, daß Thoma noch beim Vater bleibe.

Die Mutter ging, und Thoma fühlte wohl, daß sie jetzt zum Vater reden sollte, aber sie konnte das Wort nicht finden, jedes gute Wort däuchte ihr eine Lüge, und ihr ganzes bitteres Geschick lag ja darin, daß sie mit der Lüge kämpfte. Es that ihr wehe, daß sie so wortlos oder nur mit kaltem Gruße an dem Vater vorüber ging in Haus und Feld,. und daß sie jetzt so stumm dasaß und ihn damit auch zwang, über das Elend zu denken; aber sie konnte nicht anders.

Landolin sagte, die Mutter sei kränker, als sie gestehen wolle, sie halte sich offenbar nur mühsam aufrecht. Thoma suchte ihn zu beruhigen, aber es klang wiederum steinhart, als sie schloß: »Das ist ja aber eine Sache, wo der Doctor helfen kann.«

»Und ich wüßte, was die Mutter gesund und frischauf machen könnte, was kein Doctor verschreiben kann.«

Landolin mußte lange warten, bis Thoma fragte, was denn das sei; und als er erklärte, die Freude über die Hochzeit mit Anton wäre das Heilmittel, da sagte Thoma dumpf:

»Das kann nicht sein, so wenig als –«

Sie brach plötzlich ab.

»Nun? So wenig als was?«

Thoma gab keine Antwort und Landolin wußte, daß Thoma hatte sagen wollen: So wenig als der Vetturi wieder lebendig wird.

Wieder herrschte Stille, da sagte plötzlich eine wohlbekannte Stimme: »Guten Abend beisammen.«

Anton stand vor ihnen, Landolin erhob sich und reichte ihm die Hand, Thoma blieb sitzen und hielt die beiden Arme in ihre Schürze gewickelt; sie sagte nur auch »Guten Abend«.

Landolin hieß Anton sich zu ihm setzen und sagte auch Thoma, sie solle auf die Bank rücken; sie erwiderte indeß: »Ich sitz' da schon gut und ich muß zur Mutter, sie ist nicht ganz wohl.«

»Du bleibst!« sagte Landolin in seinem alten befehlenden Tone, dann erklärte er Anton, er wäre gern schon zu seinem Vater gekommen aber – er brachte das Wort schwer hervor – er wolle nicht aufdringlich sein, er wolle warten, bis man ihn aufsuche. Er dankte dann noch Anton für seine gute Aussage vor Gericht und freute sich, wie er seine Ehrenhaltung bewahrt habe.

»Wie ich Dich da so fest habe stehen sehen und reden hören, hab' ich Dich noch einmal so lieb bekommen,« fügte er hinzu.

Anton fühlte, was es heißt, daß der so stolze, hochmüthige Landolin so sprach.

Im Beginne stockend, dann aber in wohlbedachter Rede erklärte nun Anton, daß er gekommen sei, um Vater und Tochter zu bitten, morgen mit ihm zum Fest der Fahnenweihe zu gehen; da werde mit Einem Schlage und vor aller Welt gezeigt, daß Alles wieder in guter Ordnung sei, und alle Menschen werden aufs neue Glück wünschen.

Da Thoma durch keinen Laut, durch keine Regung ein Zeichen gab, fuhr Anton mit bewegter Stimme fort.

»Thoma! Liebe Thoma! Du sitzest jetzt da, wie wenn Du erstarrt wärst, und ich weiß doch, tief im Herzen brennt die Liebe für mich. Thoma, sei jetzt nur das einzige Mal nicht stolz.« »Stolz?« sagte Thoma leise, Anton hörte es nicht, denn seine Rede ging fort: »Thoma, Du hast mich von Dir gewiesen; ich hab' auch meinen Stolz, aber vor Dir nicht. Da bin ich wieder. Sei jetzt so gut und so lieb, wie Du bist. Sag' doch ein Wort, ein gutes.«

Thoma erhob sich:

»Ich dank' Dir, Anton, ich dank' Dir tausendmal, aber ich kann nicht. Gute Nacht, ich dank' Dir.«

»Nein, Du bleibst und ich geh',« rief Landolin, da Thoma sich nach dem Hause wendete; »Anton, von mir aus, ich bin bei Allem . . . Machet Ihr jetzt allein mit einander aus.«

Er ging rasch ins Haus, Anton und Thoma waren allein.

»Red' nichts, Thoma, gieb mir einen Kuß und laß Alles damit gesagt sein.«

»Ich kann nicht. Anton, das Reden wird mir schwer, ich möcht' am liebsten stumm sein und gar nicht reden können. Anton, es ist schön und lieb von Dir, daß Du gekommen bist. Aber sag' mir, Du bist ehrlich, sag' mir, ist Dein Vater auch so wie Du gegen meinen Vater gesinnt? Gelt, Du kannst nicht Ja sagen? Du bist gegen seinen Willen da, Dein Vater –«

»Mein Vater ehrt und liebt Dich.«

»Das glaub' ich, aber, Anton, ich kann kein Glück mehr haben und kein Glück mehr bringen. Ich bitt' Dich, schlag' Dir unser Haus aus dem Sinn, von dem einen Schlag bricht da Alles zusammen.«

»Oho! Es steht noch fest. Thoma, Du hast an jenem Tage Recht gehabt. Ich hab' nicht gewußt, was ich gesehen oder was ich gehört hab'. Aber jetzt ist Alles vorbei. Thoma, ich kenn' Dich, Du bist ein ehrliches Herz, ich kann Dich drum nicht schelten, so viel Elend Du deswegen auch hast. Thoma, Du kannst nicht lustig thun vor der Welt, weil Du nicht lustig bist. Sag', kenn' ich Dich?«

Sie nickte, ein unterdrücktes Schluchzen wurde vernehmbar, und Anton fuhr fort:

»Herzliebe Thoma, ich sag' Dir aber, Du sollst und Du kannst lustig sein und brauchst nicht zu lügen.«

»Ich kann mich an gestohlenem Gut nicht freuen,« preßte Thoma heraus.

»Ich verstehe Dich, ich weiß, was Du meinst, aber Deine Ehre und meine Ehre sind nicht gestohlen. Ich bitte Dich, fasse Dich in Gutem. Ich möcht' die böse Thoma bitten, daß sie meine gute Thoma nicht so plagen soll. Du übertreibst –«

»Kann sein. Da hast Du meine Hand, zum letzten Mal –«

»Zum letzten Male nehme ich sie nicht.«

»Dann sag' ich Dir so gute Nacht und tausend Dank.«

Anton wollte sie umfassen, sie riß sich mit Heftigkeit los und stürmte ins Haus.

Anton wartete noch eine Weile, ob sie nicht doch noch Reue bekäme; als aber Alles stille blieb, erwachte auch in ihm ein Trotz, er ging davon und schaute nicht um, manchmal blieb er nur stehen und horchte, ob Niemand ihm folge, ihn riefe, und endlich ging er den Wald hinab.


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