Berthold Auerbach
Landolin von Reutershöfen
Berthold Auerbach

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Zwanzigstes Kapitel.

Das Gefängniß der Amtsstadt steht hoch am Berge, man hört dort das Glockengeläute vom Dorfe auf der Hochebene. Landolin wußte, daß dies ein Grabgeläute. Er dachte heim, wo sie jetzt den Vetturi begraben, er wollte sich vorstellen, wie Alles sei, aber er konnte es doch nicht ganz.

Beim Häuschen der Schaubkäther standen Viele, es waren aber meist Frauen, denn die Männer wollten doch keinen Arbeitstag dran geben für einen so geringen Menschen wie Vetturi gewesen.

Der Kreisarzt verließ das Häuschen, hinter ihm folgten der Schultheiß und der Gemeindeschreiber, die im Freien den Hut aufsetzten. Jetzt kam der Pfarrer, Klagen und Weinen wurde laut und immer lauter und übertönte fast das Glockengeläute.

Der Zug ordnete sich, die Schaubkäther ging hinter der Bahre, das rothe, unter'm Kinn gebundene Kopftuch war tief über die Stirn hereingeschoben, so daß ihr Antlitz kaum zu sehen war, und ihre Gestalt war, vom Hals bis zu den Füßen, in einen weitfaltigen schwarzwollenen Mantel gehüllt, wie ihn die Gemeinde für die Leidtragenden bereit hält; sie ging gesenkten Blickes.

Der Zug kam am Hause Landolins vorüber, die Schaubkäther streckte unter dem schwarzen Mantel hervor ihre knöcherne Faust gegen das Haus.

Das Haus war verschlossen, kein Fenster öffnete sich. Anton, der neben dem Gemeindeschreiber im Zuge ging, konnte nicht sehen, daß Thoma hinten in einiger Entfernung vom Todtengeleite nachkam und dann auf dem Kirchhofe verborgen hinter einer Hecke kniete.

Der Pfarrer sprach kurze eindringliche Trostesworte und ermahnte die arme verlassene Mutter, keinen Haß in ihrer Seele zu hegen und die Sühne Gott zu überlassen. Er wiederholte mehrmals, wer auf Rache, auf Vergeltung sinnt, der thut der eigenen Seele mehr Schaden und mehr Leid an, als den Bestraften.

Das Stöhnen der Schaubkäther ward zu einem Murren, das wie Widerspruch klang.

Fast noch mehr aber als auf die Schaubkäther waren die Blicke auf Anton gerichtet, der von tiefer Herzbewegung ergriffen, plötzlich laut aufweinte.

Das Grabgefolge zerstreute sich, auch Anton machte sich auf den Weg, er ging zaudernd, er schien unschlüssig, was er nun beginnen sollte, und wie von einer Ahnung ergriffen, wendete er sich plötzlich um und sah Thoma, die sich von den Knien erhob; sie blieb stehen, sie schien betroffen, daß er sie nun doch sah. Er kehrte um und sagte, ihr die Hand reichend:

»Man darf auf dem Kirchhof einander nicht guten Tag sagen, oder hast Du den Aberglauben nicht?«

Sie antwortete nicht und reichte keine Hand.

»Darf ich neben Dir gehen?« fragte er. »Schau, sie sehen dort nach uns um. Halt' Dich recht ruhig.«

Sie ging neben ihm, sie schaute nicht auf.

»Ich wart' geduldig, bis Du redest,« sagte Anton leise; ihr großer Blick ruhte auf ihm, aber er war ganz anders als vordem; das strahlende Blau war wie von dunkeln Wolken verschattet.

»Ist Dein Vater auch hier?« fragte sie endlich, auch ihre Stimme war verändert.

»Nein, er ist daheim,« entgegnete Anton. »Soll er zu Dir kommen?«

Sie schüttelte stumm den Kopf, und Anton fuhr fort:

»Dein Vater hat leider Gottes gestern mit aller Welt Händel gehabt, auch mit dem Einarmigen und mit meinem Vater. Mein Vater hat gemeint, Dein Vater sei schon wieder aus der Stadt daheim und ist darum nicht gekommen!«

Wieder warf Thoma einen bittern schweren Blick auf Anton, der in gemäßigtem Tone, aber fast heiter erklärte, der Vater Thoma's sei auf die ganze Welt so ingrimmig gewesen, weil er seine Tochter hergeben müsse. Ein schmerzliches Lächeln zog über das Antlitz Thomas.

»Ich darf doch wieder mit Dir heimgehen?« fragte Anton, Thoma stand still, sie legte die Hand aufs Herz und sagte:

»Da drin ist's fertig. Sag' nicht, daß es Stolz sei und sag' nicht, daß ich Dich nicht lieb gehabt hab', oder, wenn es Dir ein Trost ist, so denk' auch das. Anton, ich geh' zum letzten Male mit Dir und red' zum letzten Mal mit Dir. Anton, es muß und muß mit uns vorbei sein, ich kann nicht und ich will nicht . . . ich komme in kein Haus, wo ich nicht Ehre bringe; ich werde mein einsam Leben schon ertragen. Such' Du Dir ein ander' Glück. Leb' wohl!«

»Thoma, Du stoßest den von Dir, auf den Du Dich stützen solltest.«

»Ich stoße Niemand von mir, und ich stütze mich auf Niemand.«

Sie waren bei dem Hause angekommen, sie ging rasch hinein, Anton stand draußen, einsam; aber er blieb nicht lange allein, denn Tobias und Peter kamen und hießen ihn hoch willkommen, da er ja mit ihnen bezeugen könne, daß nicht der Stein Vetturi getroffen, sondern daß dieser vor Schreck von der starken Stimme Landolins umgefallen sei auf die scharfkantigen Pflastersteine. Daß auch Vetturi und zwar zuerst einen Stein geworfen, davon sagten sie wohlweislich nichts. Sie priesen es nur als ein Glück, daß ein so hoch angesehener Mann wie Anton das Alles so genau gesehen habe, und Tobias setzte noch hinzu und schmunzelte, wie gut es sei, daß die Brautschaft einstweilen ein Ende habe, denn als Schwiegersohn hätte Anton kein vollgiltiges Zeugniß ablegen können. Tobias bat nur noch, Anton solle seinen Kameraden, den Fidelis, auch recht belehren.

»Hol' den Fidelis,« drängte Tobias den Haussohn Peter, und dieser kam bald mit Fidelis herbei. Der Oberknecht und der Sohn redeten nun in Fidelis hinein, er solle sich an Anton überzeugen, daß er sich geirrt habe; aber Fidelis blieb unerschütterlich und wiederholte, es sei kein Zweifel, wenn der Anton anders aussage, so meine er's eben so ehrlich wie er selber, aber er könne und werde nicht anders aussagen, als was er gesehen, und vor Gericht werde sich's ausweisen, wer recht gesehen.

Anton kehrte verstört heim. So viel hatte er noch nie mit sich selber gesprochen, wie jetzt auf diesem Wege: Du weißt nicht, wie es eigentlich geschehen ist. Du hast Dir von Landolin einreden lassen, was Du gesehen. Sollst Du Dein Herz an die Tochter und Dein Gewissen an den Vater verlieren? Das Beste wäre, wenn die Verlobung noch feststände, dann könntest Du auch jede Aussage verweigern.


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