Berthold Auerbach
Landolin von Reutershöfen
Berthold Auerbach

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Fünfzehntes Kapitel.

Als Anton vom Hause der Schaubkäther zurückkehrte, stand Landolin am Brunnen und hielt die Hände noch immer unter dem breiten Wasserstrahl.

»Wie ist's?« fragte er jetzt sich umdrehend.

»Er ist todt, kein Lebenszeichen mehr,« entgegnete Anton.

Landolin schüttelte heftig die nassen Hände ab und nickte mehrmals mit dem Kopfe, bis er das Wort nahm:

»Du hast's gesehen, Anton, Du bist just dazu gekommen, der Stein hat ihn nicht getroffen, er ist von meiner Stimme umgefallen.«

Bevor Anton erwidern konnte, fragte Landolin: »Ist seine Mutter daheim gewesen?«

»Ja, sie ist grad heimkommen, und es ist schauerlich gewesen, wie sie sich auf ihren Sohn niedergeworfen und gerufen hat: Vetturi! Schlag' die Augen auf, Vetturi! Mach' den Mund auf! Da ist Wachholdergeist, trink' nur, trink'!«

»Ich muß auch was trinken,« entgegnete Landolin, legte den Mund an den Röhrbrunnen und trank lang; ja, er ließ sich offenbar absichtlich das Wasser über das Gesicht spritzen und während er sich langsam abtrocknete, sagte er:

»Geh' Du jetzt zur Thoma, ich komme bald nach.«

Anton ging, er traf Thoma auf dem Söller bei den Blumen, sie zupfte welke Blätter ab von Rosmarin, Gelbveigelein und Nelken, sie schaute nicht um.«

»Thoma! Ich bin da. Siehst Du mich denn nicht?« rief Anton.

»Ich sehe Dich,« erwiderte Thoma, ihre Stimme war anders und ihr Gesicht, das sie jetzt Anton zuwendete, war anders, ihr sonst so stetiges Auge ging unruhig hin und her. »Ich sehe Dich,« fuhr sie fort, »ich sehe die Blumen, ich sehe die Bäume und den Himmel, und Alles thut nur so lebig, Alles ist todt.«

»Thoma, Du bist sonst so stark und fest. Faß' Dich! Es ist freilich traurig und hart.«

»Es ist nicht nur Ein Mensch getödtet; er, Du, ich, mein Vater, Alle, Alle sind zum Tod getroffen.«

»Thoma! Uebernimm Dich nicht so. Du bist doch sonst so gescheidt und fest.«

»Ja, ja, wie er noch gelebt hat, bist Du so weichmüthig gegen ihn gewesen und jetzt, wo er erschlagen ist, bist Du so hart. Sag', bin ich noch bei Verstand?«

»Das bist Du, wenn Du Dich nicht mit Fleiß verrückt machen willst.«

»Glaubst Du, daß mein Vater, daß eins von uns je noch eine Minute glücklich –«

»Dein Vater hat nichts gethan –«

»Wer denn? Und ist denn der Vetturi nicht todt?«

»Er ist todt, aber er ist gegen die Pflastersteine gefallen.«

»Anton!« schrie Thoma mit machtvoller Stimme, »Anton, das sagst Du nicht selber aus Dir. Hat Dir das mein Vater gesagt?«

Anton erbebte, und Thoma fuhr fort: »Anton! Du willst falsch Zeugniß ablegen, um meinetwillen. Du lügst! Da steht er und hat so getreue Augen, so ehrliche, und will lügen. Und da soll ich noch Deinem Ja glauben vor dem Altar? Anton, Du lügst!«

Mit zitternd gepreßter Stimme antwortete Anton:

»Thoma, ich bin . . . ich bin Soldat.« Seine Hand legte sich auf das Ehrenzeichen an seiner Brust.

»Reiß das herunter!« schrie Thoma. »Geh! geh! Du kannst auch lügen. Geh!«

»Thoma! Ich verzeih' Dir, im Elend vergreift man sich grad an seinem Nächsten.«

»Du bist nicht mehr mein Nächster und ich will Deine Verzeihung nicht. Geh! Auf immer und ewig! Ich hab' kein Theil an Dir und Du sollst auch kein Theil an mir haben.«

Sie stürmte rasch davon und verschloß sich in ihre Kammer, Anton stand eine Weile wie erstarrt, dann klopfte er an ihre Thüre und sprach die innigsten Worte, sie antwortete nicht; er drohte, daß er die Kammerthür eintrete, wenn sie nicht laut gebe, da klirrte der Riegel, ein Spalt öffnete sich, vor seine Füße fiel der Verlobungsring, die Thüre wurde rasch wieder geschlossen. Anton hob den Ring auf und ging.


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