Berthold Auerbach
Landolin von Reutershöfen
Berthold Auerbach

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Zweites Kapitel.

Droben auf der Hochebene steht der Bauernhof Landolins stattlich und breit. Er steht einsam, denn die Bauernhöfe der Gemeinde ziehen sich stundenweit über den Bergrücken hin. Nur das Wohnhaus, in seiner Schindelbekleidung, ist nach der Straße zugekehrt; die im Viereck gebauten Wirthschaftsgebäude liegen rückwärts, wo den steilen Berg hinan noch Wiesen und Ackerfelder weit hinauf reichen bis zu dem Buchenwald, an dem sich erst die im Morgenthau glitzernden braunen Knospen zeigen.

Es ist früh am Tag, im Umkreis des Hofes ist es noch lautlos, nur der Röhrbrunnen mit seinem breiten Strahl plätschert laut; das Freidach ragt weit über den Brunnen weg, denn so kann man im Winter das Stallvieh im Trockenen zur Tränke bringen. In der Nähe des Brunnens liegen Pflastersteine aufgeschichtet, denn man will eine neue Rinne durch den Hof ziehen.

Die Lerchen beginnen allmälig hoch in den Lüften ihren Sang, die Sperlinge auf dem Dache zwitschern, die Kühe brummen, die Pferde klirren mit ihren Ketten, die Tauben im Schlage gurren, die Hühner im Gitter und die Schweine an ihren Koben, ein jegliches beginnt laut zu werden und Lust und Leid kund zu geben. Der große Kettenhund, der seinen Kopf auf die Schwelle seiner Hütte gelegt hat, blinzelt manchmal auf, dann schließt er die Augen wieder, wie wenn er sagen wollte: was für ein wunderliches Getön, was will das Alles sich aber hören lassen neben einem gesunden Bellen? Das ist doch das einzig Schöne und Vernünftige, denn unsereins bellt nie ohne Grund.

Die erste Gestalt, die über den Hof ging, war eine stattliche Bäuerin, wohlbeleibt und noch in den besten Jahren.

Es ist gewiß ein rechtes Haus, wo der Meister oder die Meisterin zuerst wach ist.

Die Bäuerin war eine stille, ehrbare Frau, so was man kurzweg eine aufrechte Bäuerin nennt; weiter ließ sich nicht viel von ihr sagen. Sie war arbeitsam und auf ihren Vortheil bedacht und hielt auch Andere in strengster Aufsicht. Sie hielt den Mann in Ehren, wie sich's gebührt, von Liebe war nie die Rede, weder in den jungen Jahren noch jetzt. Sie war eine Großbauerntochter aus der Nachbargemeinde und hatte standesgemäß geheirathet, wie das nicht anders zu denken war. Zur Zeit, als Landolin Schultheiß gewesen, hatte sie die Ehre des Hauses würdig vertreten; sie hatte unbedingtes Vertrauen zu ihrem Mann, und wenn Leute kamen, die bei ihr zuerst ihre Klage vorbrachten, war ihr gewöhnliches Wort: »seid nur ruhig, mein Mann macht schon Alles richtig.« Sie war ohne Falsch, was sie sprach, das meinte sie auch; sie sprach aber wenig, denn viel reden schickt sich nicht für eine Bäuerin, und nun gar viel denken – dazu war keine Veranlassung, man hält das Haus in Ordnung, man spart, man hält auf Ehre, wie es der Brauch ist, zu denken hat man über Nichts.

Der Oberknecht Tobias trat unter die Stallthür, die Beiden nickten einander zu, ohne Wort, und doch hatten Beide den gebührenden Respekt vor einander; denn der Oberknecht stand in seiner Art ebenso für die Ehre des Hauses ein, dafür steht er auch als erster nach dem Bauer und kommt vor dem einzigen Sohn, der freilich auch noch zu jung ist, um zu gelten.

Tobias hatte es bereits fünfzehn Jahre hier im Hause ausgehalten, denn hier bleiben heißt aushalten, und Tobias hatte während dieser langen Zeit noch nie den Beistand der Bäuerin angerufen gegen die Gewaltsamkeiten des Meisters. Er achtete im Stillen die Meisterin, die gar nie etwas für sich verlangte, sondern ständig sich nur dafür auf der Welt hielt, um dem Bauer unterwürfig zu sein. Wenn der Bauer mit seiner schönen und stolzen Tochter über Land und zu Lustbarkeiten fuhr, fand es die Frau selbstverständlich, daß sie nicht mitgenommen wurde, und sie hatte durchaus kein Verlangen nach der Welt draußen; sie war auf einem einsamen Bauernhof aufgewachsen, wo das Hauptvergnügen darin bestand, daß man am Sonntag Nachmittag, während die Sonne schien, schlafen konnte.

»Meisterin,« begann der Oberknecht Tobias, »Meisterin, darf ich was fragen?«

»Ja wohl! Frag' Du nur.«

»Also unsere Haustochter –«

»Wird heute Braut.«

»Gott Lob und Dank,« rief der Oberknecht, »Gott verzeih mir's, ich hab gemeint, er (der Bauer) giebt sie Keinem, Jeder sei ihm zu gering für seine Thoma. Ein feiner, ein rechtschaffener Bursche ist der Anton Armbruster und hat sich ja auch im Krieg so tapfer gehalten, das wird ein rechter Mann –«

Die Bäuerin unterbrach die Darlegung, es konnte Unliebsames gegen Thoma sich anfügen, sie sagte daher nur: »Die Verlobung wird nicht hier im Haus, sie wird heute in der Stadt bei der Schwertwirthin gehalten. Ich gehe auch mit«, schloß sie im Tone bescheidener Dankbarkeit dafür, daß man ihr die Ehre anthue, sie mitzunehmen. Sie ging rascher als sonst in ihrer Art nach dem Hause, weckte die Mägde und stieg dann die obere Treppe hinauf in die große Staatsstube. Da standen zwei hochaufgerichtete Betten, sie enthielten aber Bettzeug für sechs Lagerstätten, denn aus diesem Hause verkaufte man nie Federn und Linnengespinnst. Das zeigte sich auch, als die Bäuerin einen großen blumenbemalten Schrank mit Doppelthüren öffnete. Sie weidete ihr Auge an dem massenhaften Linnen, das hier aufgeschichtet war, und das, was auf der linken Seite des Schrankes mit blauen Bändern zusammen gebunden lag, war die längst vorbereitete Aussteuer Thoma's. Die Mutter legte ihre Hand wie segnend darauf, ihre Lippen bewegten sich.

Jetzt hörte sie, wie es lebhaft in der Wohnstube drunten wurde, sie ging hinab.


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