Berthold Auerbach
Landolin von Reutershöfen
Berthold Auerbach

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Achtzehntes Kapitel.

Stille war's auf dem Hofe, der Mond flimmerte am Röhrbrunnen, den man jetzt sprudeln hörte, und überglänzte das Haus, die Ställe und Scheunen.

Unter dem breiten Vordach saß der Oberknecht Tobias mit Peter und klatschte oft vor Freude in die Hände und streichelte sich dann wieder die Kniee; er hatte nicht nur so ausgesagt, daß er seinem Meister heraushalf, er konnte auch die Beamten betrügen und zum Narren haben, und das freute ihn fast noch mehr; das galt ihm als ein leckerer Schmaus. Leise flüsternd, sagte er zu Peter:

»Sei gescheidt, Du bist ja gescheidt, durchtriebener, als die Welt weiß. Geh nicht mit Geschrei und Gepolter gegen den Fidelis los, Du machst's nur ärger damit. Das ist ein bocksteifer Soldat von der neuen preußischen Mode! Sei gescheidt! Dem muß man nach und nach eingeben, was er gesehen hat. Wenn Du ihn jetzt aus dem Dienst jagst, dann – halt! Paß auf! Ich hab's.«

Er hielt inne und legte beide Hände hohl auf einander, wie wenn er einen Vogel gefangen hätte; er kicherte in sich hinein, und erst auf die Frage Peters erklärte er: »Paß auf! Vor dem Eid wird man gefragt: Sind Sie bei dem Angeklagten in Dienst? Und wenn man Ja sagen muß, dann gilt die Aussage, gut oder schlimm, nicht viel. Drum halten wir den Fidelis fest. Verstehst? Still! Wer klopft da noch?«

Tobias öffnete das Hofthor und begrüßte den Pfarrer, dem er mittheilte, daß der Bauer bereits abgeführt worden sei, die Bäuerin aber sei noch oben. Der Pfarrer ging nach der Stube, er traf die Bäuerin vor dem offenen Gebetbuch, er lobte das und entschuldigte sich, daß er so spät komme. er sei auch auf dem Markte gewesen, erst vor einer Stunde heimgekehrt und sei zuerst bei der Schaubkäther gewesen. Der Pfarrer tröstete, daß man sich in die Fügungen des Himmels schicken müsse.

Der Pfarrer, ein hochgewachsener Mann von harten Mienen, war der jüngere Sohn eines Großbauern, er ging mit den Leuten derb um, meist aber kümmerte er sich – die Zeit der Wahlen ausgenommen – gar nicht um sie, denn er wußte, das ist den Großbauern am liebsten. Im Sommer war der Pfarrer Tage lang drunten im Thal bei dem Strom und angelte, im Winter blieb er zu Hause und Niemand wußte, was er trieb.

»O Herr Pfarrer!« klagte die Bäuerin, »bei so was merkt man doch erst, wie lieb man einander hat,« sie erröthete wie ein junges Mädchen und fuhr fort, »Kinder leben doch für sich, aber Eheleut' . . . ich meine, ich hab' mich auch versündigt und dem Bauer nicht genug gezeigt –«

Sie konnte vor Herzbewegung nicht weiter reden, und der Pfarrer sprach ihr Trost ein, sie sei immer eine rechtschaffene Bäuerin und brave Ehefrau gewesen, und Gott werde das Leid von ihr wenden und das Unglück sei dann zum Heil und zum Guten geworden. Er war selber erstaunt, daß die Frau, die für einfältig galt, soviel Herzlichkeit kund geben konnte.

»Wie trägt's die Thoma?« fragte er.

»Ich will sie holen,« sagte die Bäuerin, ging davon und kam bald wieder, Thoma folgte ihr nach, sie sah so verstört aus, daß der Pfarrer vor Schreck kein Wort fassen konnte, bald aber tröstete er auch sie.

»Herr Pfarrer!« begann Thoma, »was meinen Sie? Ich weiß nicht . . . – ich meine, ich muß zur Schaubkäther.«

»Geh morgen in der Früh,« schaltete die Mutter ein.

»Ich meine, ich muß heut noch.«

»Ja, thu' das,« bestätigte der Pfarrer, »ich komme eben von der Schaubkäther, sie hat mir durch kein Wort und kein Zeichen kund gegeben, daß sie mich hört; sie sitzt auf dem Boden bei dem Todten und rührt und regt sich nicht. Komm! Du kannst ein Stück Wegs mit mir gehen.«

Thoma ging mit dem Pfarrer, sie schritten schweigend dahin. Der Pfarrer sprach nicht von Anton, denn jetzt war nicht Zeit zum Glückwünschen. Der Mond war verschwunden, dunkle Wolken standen am Himmel ringsum.

»Wir bekommen Gottlob morgen einen Regen; das wird gut sein,« das war Alles, was der Pfarrer unterwegs sprach und da, wo der Wiesenweg nach dem Häuschen der Schaubkäther geht, fragte er, ob er Thoma begleiten solle, sie dankte und ging allein. Sie mußte am Hause des Galoppküblers vorüber, und dort im Schatten einer hohen Schichte von Faßdauben hörte sie, wie der alte Jochem zu Leuten, die mit ihm auf der Hausbank saßen, sagte:

»Ja der Landolin! Jetzt hat's ihn einmal und da kommt er nicht mehr los. Jetzt muß er Alles bezahlen, aber anders wie sein Vater für seine Gewaltstreiche bezahlt hat. Da an meinem rechten Daumen ist noch die Wunde, wo mich der Landolin gebissen hat bei Raufhändeln. Sein Vater hat die Schmerzensgelder bezahlt. Ja, vor Zeiten haben die minderen Leute nur Knochen gehabt, damit die Großbauern-Söhne sie zerschlagen. Wo der Landolin auf den Tanzboden gekommen ist, hat der Boden gezittert, und das Herz im Leib einem Jeden auch. Jetzt kriegt er's einmal.«

»Wird er geköpft?« fragte eine Kinderstimme.

»Verdient hätt' er's, aber es wird ja Niemand mehr geköpft.«

Wie ein Blitz fuhr es auf Thoma nieder, sie stand in Flammen und all ihr blühendes Leben war verbrannt und verkohlt.

Mit kalten Händen fuhr sie sich über das brennende Gesicht, und ungesehen huschte sie davon und heimwärts.

Nicht weit vom Hause erschrak sie, als ob ein Gespenst sie überfallen hätte, und doch war es nur der Hund, der keuchend sich an sie schmiegte. Thoma war zornig auf sich, daß sie so schreckhaft war; das darf nicht sein, und jetzt besonders nicht. Der Hund bellte vor und rückwärts springend, er war offenbar heimgejagt worden.

In der Stube fragte die Mutter, die Hand auf das offene Gebetbuch legend, wie die Schaubkäther sich verhalte. Thoma sagte, daß sie gar nicht bei ihr gewesen; den Grund verschwieg sie. Die Mutter bat, daß Thoma heute Nacht bei ihr bleibe. Thoma blieb am Bette der Mutter sitzen, bis sie schlief, dann ging sie in ihre Kammer; sie wußte, daß sie die Mutter in ihrem Schlafe stören würde.


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