Berthold Auerbach
Landolin von Reutershöfen
Berthold Auerbach

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Sechsundvierzigstes Kapitel.

Thalauf und thalab, in allen Dörfern des Amtsbezirks war an diesem Sonntagsmorgen reges Leben. Die Kinder auf der Straße verkündeten einander, sie dürften auch mit, und manche waren überaus stolz, denn sie hatten Soldatenmützen bekommen, und mancher Vater mußte seinem Sohne versprechen, daß er ihm heute auch eine kaufe; die Lust am Soldatenwesen schien die ganze Jugend ergriffen zu haben. Vor den Rathhäusern versammelten sich die Männer der Feuerwehr in blinkenden Helmen, grauleinenen Jacken und rothen Leibgurten. Sie standen bald in Reih und Glied, die Signalisten bliesen, man marschirte aus, unter Geleit von Männern, Frauen und Kindern. Am Walde wurde angehalten, man steckte grüne Reiser auf die Mützen. Die Kinder jauchzten, die Alten gingen bedächtig, und die Frauen und Mädchen in ihren Sonntagsgewändern hatten einander zuzuflüstern.

Wie die Bächlein der Bergwasser zum Thalfluß strömten, so quoll und sickerte es heute von Menschenströmen auf Straßen und Fußwegen nach der Maiwiese bei der Amtsstadt.

Man sah wenig mehr von der alten Volkstracht bei den Männern; Soldatendienst und Eisenbahn heben die Volkstracht auf und verwischen die erkennbaren Unterschiede von Dorf und Stadt. Aber auch in anderer Weise bildet sich eine neue Gleichheit. Dieses Einherschreiten in gleichem Schritt und Tritt, vor Allem aber die Wahl der Oberen in den Kriegervereinen und Feuerwehren bewirkt einen Ausgleich der früheren Trennungen. Der Obere des Gauverbandes war allerdings der Bezirksförster, aber als Lieutenant war einstimmig Anton Armbruster gewählt; der Sohn des Bezirksarztes, der Kaufmann war und mit in den Wurf gebracht wurde, hatte selber für Anton gesprochen.

Landolin kam noch rechtzeitig im Thale an. Die Maiwiese, auf welcher der Zug sich auflösen sollte und wo Tische eingerammt waren und eine grüne Rednerbühne errichtet, wurde von den jungen Turnschülern der Stadt für Jeden abgesperrt.

Auf der Bergwiese bis zum Walde hinan saßen die Mädchen und Frauen mit ihren weißen Schürzen und bunten Hauben in Reihen und Gruppen und übermüthige Knaben saßen in den Lindenbäumen, die heute mächtig dufteten.

»Sie kommen! Sie kommen!« hieß es unter den Wartenden, und Hochrufe von den Gruppen im Thal, von der Bergwiese und von den Bäumen übertönten die voranschreitende Trompeten-Musik. Landolin stand am vordern Rande bei den kleinen Turnern, um ihn her eine Gruppe von Menschen, die ihn nicht kannten.

Der Zug kam naher, die Musik spielte die Weise des Vaterlandsliedes, und Alles sang mit.

»Wer trägt die Fahne? Das ist ja nicht des Sägmüllers Anton! Wo ist er? Ich seh' ihn nicht. Er ist gar nicht dabei!«

So hörte Landolin von verschiedenen Menschen hinter sich reden und ein Bangen überfiel ihn; an der Seite Antons hatte er einhergehen und der Welt zeigen wollen, wie einig er mit dem Geehrten sei; ja, Landolin fühlte etwas, als ob ihm sein Schutz fehle. Er strengte die Augen an, ob er nicht doch noch Anton ersehe, er war nicht da.

»Schau', der Lieutenant dort, das ist der Sohn des Kreisraths. . . . Ist doch brav, daß er auf Urlaub zu dem Fest gekommen ist. . . . Ja.. der hat die gute Art von seinen Eltern, . . . besonders von der Mutter.«

So sprach man wieder um Landolin her. Jetzt hörte er, wie ein neu Hinzutretender sagte: »Wißt Ihr auch schon, warum der Anton Armbruster nicht gekommen ist? Er schämt sich und hat doch selber nichts gethan, nur sein vormaliger Schwiegervater, den sie, es ist himmelschreiend, freigesprochen haben . . . Halt, da steht ja der Landolin selber! Der da mit dem breiten Rücken, der ist's.«

Der breite Rücken Landolins bewegte sich, die absperrende Kette der Turner war durchbrochen, Landolin war im Festgetümmel.


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