Berthold Auerbach
Landolin von Reutershöfen
Berthold Auerbach

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Sechsundfunfzigstes Kapitel.

Dieselbe Straße, die Landolin in der Nacht nach der Fahnenweihe gewandelt war, ging jetzt am hellen Herbstsonntag die Frau Kreisräthin dahin, und ein Spötter, der ihre Gedanken kannte, hätte ihr sagen können: es giebt nicht blos eine Trunkenheit durch den Wein, die mit sich selber reden macht und alle Begegnisse verwandelt – und was das Schlimmste ist, die Ernüchterung aus dem Uebergenuß der Gedanken ist vielleicht noch bitterer. Das hätte man der Frau sagen können, und sie hätte doch ihren Schritt nicht gehemmt. Nicht von außen angerufen, sondern einer innern Berufung folgend, glaubte sie nicht länger sich dem entziehen zu dürfen, daß sie Friede und Ruhe im Hause Landolins und Friede zwischen diesem und der Schaubkäther stiftete. Sie wußte recht wohl, denn sie hatte es ja genugsam erfahren, daß man ungebetene Hülfe nicht werth hält, ja leicht von sich weist; aber sie wußte auch, daß trotz der Abweisung ihre Ermahnungen doch oft nachgewirkt und zum Guten gewendet hatten, und vor Allem, sie fühlte in sich die solidarische Verpflichtung von Mensch zu Mensch. Heißt es im Kriege: der Verwundete ist kein Feind, so heißt es im Frieden: der Leidende ist kein Fremder.

Und so ging die Frau den Berg hinan, die Glocken läuteten zur Mittagskirche, der Wandernden aber erklang ein Ton von einer Glocke, deren Metall noch nicht geschmolzen und für welche, wer weiß wann, ein Thurm errichtet wird.

Das Sinnen der Frau schwebte indeß durchaus nicht in dem, was man höhere Regionen nennt, im Gegentheil, das Nächste und Alltägliche erfaßte sie.

Sie stand am Wege und sah, wie der vierspännige Stellwagen in raschem Trabe den Berg herabgefahren kam; ein am Wegrain grasendes Rind sprang aufgescheucht in die Mitte der Straße und rannte nun ängstlich und mühsam vor dem Wagen einher, bis der Kutscher sich von seinem Sitze erhob und mit der langen Peitsche das Rind traf, daß es seitwärts wich, eine Weile dem staubwirbelnden Ungeheuer mit vier Rossen nachstarrte und dann wieder am Wegrain graste.

Das Hausthier, das schwerfällig geworden und seines behenden Naturtriebes beraubt ist, wird durch einen Peitschenhieb bei Seite getrieben . . .

In mancherlei seltsam durcheinander kreisenden Gedanken war Frau Pfann auf die Hochebene gekommen und sah das Haus Landolins, die Schindelbekleidung glitzerte in der Mittagssonne, der Nußbaum an der Morgenseite stand voll Früchte.

Landolin, der auf der Hausbank saß, sah die Frau kommen, aber er stand nicht auf, sondern fuhr fort, mit der Hand Nüsse zu zerdrücken und den Kern zu schälen; erst als sie ganz nahe war, stand er auf und sagte:

»Guten Tag, Frau Räthin. Wollen Sie da ein wenig ausruhen?«

»Ja wohl. Zu Euch hab' ich gewollt.«

»Und darf ich fragen, was Sie mir bringen?«

»Eigentlich nichts oder vielleicht doch, ich hoffe –«

»Nun was ist's?«

»Ich möchte im Hause mit Euch reden, nicht hier.«

»Meine Frau ist leider Gottes unwohl, es hat nicht viel zu sagen, aber sie könnt' aufwachen.«

»So führt mich in Eure obere Stube.«

»Wenn Sie wollen, warum nicht? Fürchten Sie sich aber nicht, mit einem Mörder allein?« Er wollte das eigentlich im Spaß sagen, aber es kam doch herb heraus.

»Das Wort dürfen Sie nicht mehr sagen und Niemand,« entgegnete Frau Pfann. »Ich hoffe, auch den Gedanken daran in einem Jeden mit der Wurzel auszureißen.«

Du mußt hexen können, dachte Landolin, aber er war doch begierig, was die Frau bringe.

Als die Beiden aufstanden, kam Peter hinter dem Nußbaum hervor. Es war wunderlich, überall begegnete man Peter, als ob er aus der Wand, aus der Treppe hervorkomme. Er that, als wisse er nicht, daß sein plötzliches Erscheinen befremden müsse, und sagte sehr unterwürfig:

»Es ist uns eine große Ehre, daß die Frau Kreisräthin zu uns kommt. Die Vornehmen wissen, was sich schickt, und sind noch die besten.«

Landolin riß die Augen weit auf, da Peter so redete; wo hat nur der Bursch das Alles her und die Keckheit noch dazu? Auch die Frau sah ihn verwundert an, aber Peter fuhr ruhig fort:

»Frau Kreisräthin, mein Vater hat in nichts ein Hehl vor mir; darf ich nicht auch wissen, was Sie uns bringen?«

Peter sah bei diesen Worten seinen Vater scharf und unverwandt an, er sollte nicht mit einem Augenwinken der Frau ein Zeichen geben können. Die Kreisräthin half, denn sie erwiderte:

»Was ich will oder bringe ist nur für Ihren Vater allein. Es freut mich aber, daß Sie und Ihr Vater so einig mit einander. Es geht keinem Kinde gut in der Welt, das nicht gut gegen seine Eltern gewesen.«

Peter schmunzelte: es ist doch prächtig, wie alle Menschen heucheln können; die Frau weiß doch sicherlich, wie er mit seinem Vater steht und thut so scheinheilig! Er lachte fort und fort, bis der Vater ihm sagte:

»Schick einen Imbiß und was zu trinken in die obere Stube für die Frau Räthin, weck' aber die Mutter nicht.«

Landolin und Frau Pfann gingen von der Freitreppe die andere hinan, Landolin trat fast so leise auf, wie die Frau.

In der obern Stube, wo die Aussteuer für Thoma aufbewahrt wurde, war eine dumpfe Luft. Die Kreisräthin öffnete schnell ein Fenster, dann wendete sie sich zu Landolin und schaute ihn mit dem klaren freundlichen Blicke an, vor welchem es keine Härte und Verstocktheit zu geben schien; ja, wohin sie kam, verbreitete sie Ruhe, Gelassenheit und edle Anmuth.

Eine Magd brachte Speise und Trank.

Landolin ging an die Thüren und schaute nach, ob Niemand horche, dann sagte er mit einer gegen seine sonstige Art ganz fremden bescheidenen Höflichkeit:

»Setzen Sie sich da aufs Sopha, und darf ich nun bitten, was haben Sie mir zu sagen?«


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