Berthold Auerbach
Landolin von Reutershöfen
Berthold Auerbach

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Zehntes Kapitel.

»Du hast gar viel Duzkameraden«, sagte Thoma, da sie im Marktgewühl oft angehalten wurden, zumal von den Kriegsgefährten Antons. »Ich wollt', wir wären allein,« setzte sie verdrossen hinzu.

»Ja, lieber Schatz,« entgegnete Anton, »wenn man sich am Markttag verlobt und sich zum ersten Male selbander zeigt, muß man das schon hinnehmen, und ich nehm's gut und gern hin. Es ist schön, daß sich so viele Menschen mit unserm Glück freuen, sie haben Freude von uns, und unsere Freude bleibt uns doch.«

»Glaubst Du, daß sie wirklich Freude haben?« fragte Thoma. Anton konnte nicht antworten, denn der Bettler mit dem Armstumpf kam auf sie zu, dankte Thoma nochmals und sagte, es sei wunderlich, daß sie ihm so Gutes gethan, er sei der Einsteher für ihren Vater gewesen, denn zu damaligen Zeiten hat man noch seinen Mann gekauft.

Anton ließ sich erzählen, wo der Mann seine Hand verloren, es war an einer Kreissäge in einer Mühle im jenseitigen Thal geschehen, und Anton sagte, er solle in nächsten Tagen zu ihm kommen, er wisse ihm vielleicht einen guten Verdienst anzuweisen.

Während er noch sprach, kam die Kreisräthin herzu und brachte ihren herzlichen Glückwunsch, Thoma sah verwundert drein, da die Frau hiuzufügte: »Ihr seid das neue Geschlecht, bewahrt die Ehrenhaftigkeit der Alten und nehmt den neuen Gemeinsinn hinzu. Ich werde Ihre Verlobung meinem Sohne schreiben.«

Anton schüttelte der Kreisräthin die Hand und sagte: »Dann bitte ich meinem Herrn Oberstlieutenant meinen gehorsamen Gruß dazu zu melden.«

Die beiden Brautleute kamen aber noch immer nicht aus dem Gewühl heraus, denn jetzt kam ein Trupp Kameraden und umringte sie und allgemein hieß es: »Auf Eurer Hochzeit marschiren wir mit der Vereinsfahne voran, und die Regimentsmusik muß herbei.«

Anton erklärte sich dankbar einverstanden, aber kaum war er aus dem Ringe los, da rief ein Fuhrmann in blauem Kittel, der neben einer vierspännigen Frachtfuhre ging: »Rottenmeister Anton Armbruster! Halt!«

Der Fuhrmann kam auf Anton zu und sagte:

»Grüß Gott! So? hast Du sie? Ist sie das? Ist das die Thoma?«

»Ja.«

»So sage ich Glück und Segen! Ei, die ist groß und stolz! Gieb mir die Hand!«

Thoma reichte unwillig die Hand, und der Fuhrknecht ergänzte lachend:

»Laß Dir's von ihm erzählen, wie wir vor Paris Nachts am Lagerfeuer gelegen haben, auf der einen Seite halb gebraten, auf der andern Seite halb erfroren. Da hat er aus dem Schlaf gerufen: Thoma! Thoma. Er hat's nachher nicht bekennen wollen, aber ich hab's ganz deutlich gehört. Nun, b'hüt' Euch Gott beieinander. Hü!« rief er seinen Gäulen und fuhr voran.

Die beiden Verlobten kamen endlich aus dem Gewühl auf den stillen Wiesenweg, sie gingen Hand in Hand, bald aber standen sie still. Wer sie so beisammen sah, mußte denken, welche Liebesworte sie sprachen, und in Ton und Geberde des Jünglings war so viel bewegte Innigkeit, aber er sprach nicht von Liebe oder doch nicht von Liebe zu seiner Braut, denn er begann stockend: »Nimm mir's ab, herzlieber Schatz.«

»Was denn? Was hast denn?«

»Schau, da bin ich jetzt und da bist Du und wir haben einander und halten einander und ich bin doch einmal so weit weg gewesen, in Frankreich und in allerlei Gedanken. Schau, Thoma, da sind wir im Feld gestanden, auf dem Marsch und im Lager, tausend und tausend, und Alle doch nur wie ein einziger Mensch, keiner mehr für sich, und da denkt man nicht mehr dran, was man daheim gewesen ist, eine Brüderschaft ist Alles, und jetzt lebt Jeder für sich allein.«

»Du bist nicht allein, wir sind selbander.«

»Hast recht. Du hast mich was fragen wollen.«

»Ja. Wie ist denn das gewesen, daß Du aus dem Schlaf meinen Namen gerufen hast?«

»Ja. Denkst Du noch dran, wie ich damals nach der Kriegserklärung als Einberufener an Eurem Haus vorbeigekommen bin?«

»Freilich denk' ich noch dran.«

»Hast Du was gemerkt, daß ich den Umweg gemacht hab' über den Berg an Eurem Haus vorbei?«

»Damals nicht, nachher ist mir's doch durch den Sinn gegangen. Wie Du mir die Hand zum Abschied gegeben hast, hast Du mich so angesehen, da mit Deinen feurigen Augen, die so gradaus gucken.«

»Ja, ich hätt' Dir damals schon gern gesagt, wie lieb ich Dich hab', aber ich hab's niedergedrückt, Dir zu lieb'; ich hab' mir's überlegt, es ist besser, du sagst nichts, da ersparst du ihr das Herzeleid, daß sie um dich bangt und sorgt, derweil du im Krieg bist, und wenn du den Tod erleiden mußt, dann muß sie lebenslang dran tragen. Es ist mir schwer geworden, Dir nichts zu sagen, aber wie ich fort gewesen bin, hat's mich doch gefreut, daß ich mich hab' bezwingen können. Und weißt noch? Du hast eine wilde Rose am Stil im Munde gehabt, und das Rosenblatt hat sich auf Deine Lippen gelegt, da, wo ich gern einen Kuß hingegeben hätt'; und an Deiner Brust hat eine Kornblume gesteckt, die war so blau wie Deine Augen. –«

»O Du Schmeichler! Aber weiter, wie ist's denn weiter gewesen?«

Anton umhalste sie und küßte sie, dann fuhr er fort.

»So. Also weiter? Ja, Du hast die beiden Blumen in die Hand genommen, und ich hab' Dir angesehen, Du hättest mir sie gern gegeben und ich hätte sie auch so gern gehabt. Ich hab' aber auch das niedergedrückt. Oft und oft aber hab' ich bei Tag und bei Nacht im Feld und auf der Wacht an Dich gedacht, wie es im Lied heißt, und einmal hab' ich mich im Schlaf verrathen und Deinen Namen genannt, wie der Xaver neben mir gelegen hat.«

»O, was bist Du so lieb und so fein,« rief Thoma. »Ich fürchte nur, ich bin zu grob für Dich; es geht rauh her bei uns im Haus, wir sind nicht so . . . Aber wirst schon sehen, ich werde auch noch anders.«

Ihre Augen waren feucht, als sie so sprach, und ihr ganzes Antlitz veränderte sich zu Milde und Demuth.

»Du sollst nicht anders werden,« rief Anton, »Du sollst bleiben wie Du bist; grad so bist Du mir recht. O Himmel, kein Mensch auf der Welt wird's glauben, daß des Landolins Thoma von Reutershöfen so sanft sein kann wie eine Taube.«

»Ich sanft?« jauchzte sie schelmisch, »Juhu! fang' mich!« rief sie in die Hände klatschend und lief behend in den Wald. Anton jagte ihr nach.


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