Berthold Auerbach
Landolin von Reutershöfen
Berthold Auerbach

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Neunundfunfzigstes Kapitel.

In dem kleinen Häuschen, an dem der Wiesenweg vorüber führt, saß an diesem Sonntag Mittag die Schaubkäther an ihrem Tische, vor ihr lag das Gesangbuch, aber es war nicht geöffnet; die alte Frau hatte den Ellbogen auf den Tisch gestemmt und die linke Wange auf die knöcherne Hand gelegt. So starrte sie hinaus durch das offene Fenster, vor dem die schwarzen Beeren des Hollunders glänzten und ein junger Staar sang.

Lange sah die Alte so drein und rührte sich nicht, endlich schüttelte sie den Kopf, und ein bitteres Lächeln ging über ihre harten Züge, als sie vor sich hin murmelte:

»Er hat es gewagt, vor der ganzen Gemeinde zu Gottes Tisch zu gehen. O du da droben, verzeih' mir, daß ich so mit dir hadere, aber du bist auch nicht mehr wie in alten Zeiten. Vor der Kirchenthür müßte der Landolin stehen im Bußgewand . . . Ja, Mutter, du hast da stehen müssen mit dem Strohkranz auf dem Kopf und hast gemeint, du mußt vor Schande in den Boden sinken und hast die ganze Welt verflucht, und ich unter deinem Herzen hab's von damals an bekommen, es liegt mir im Blut, nichts als Elend und Jammer. O, lieber Gott, ich bitt' dich nur um Eins, laß mich nicht sterben, ehe ich gesehen hab', wie es an dem Landolin ausgeht. Ich kann nicht warten, bis in die andere Welt; ich will nicht . . .«

Sie that die Hand von der Wange und horchte auf; Stimmen, Tritte kamen näher, jetzt wurde der Holzriegel an der Hausthüre zurückgeschoben, die Stubenthüre öffnet sich.

»Bleibet nur sitzen, Käther,« sagte die Kreisräthin, und hinter ihr stand der Landolin.

Die Alte öffnete den Mund, sie konnte aber kein Wort hervorbringen. Die Kreisräthin legte die Hand auf ihre Schulter und sagte: »Käther! Da ist der Altschultheiß, er will Euch Ruhe und Güte bringen und Alles, was gut und rechtschaffen ist. Jetzt bitte ich, faßt ein Herz und erleichtert Eure Seele und versöhnt Euch; er will für Euch sorgen, als wäret Ihr seine Mutter.«

»Seine Mutter? Bin eine Mutter gewesen, Mutter heiß' ich nicht mehr . . . Wären nicht zwölf Männer, wären zwölf Mütter bei Gericht gesessen, sie hätten den da hängen lassen und seine dicken Backen da und seine Augen hätten die Raben gefressen.«

Die Kreisräthin war starr vor dieser Raserei, die Schaubkäther aber wendete sich nun an Landolin:

»Sie sagen ja, Du habest vor Gericht für Dich gesprochen, brauchst Du jetzt ein Anderes, das für Dich spricht?«

Landolin sagte mit gewaltsamer Fassung, es thue ihm im Herzen leid, daß so Schweres über die Schaubkäther gekommen sei; den Todten könne er nicht mehr lebendig machen, aber er verspreche, ihr zu leben zu geben, als wäre sie eine reiche Bäuerin. Mit gellendem Schrei rief die Schaubkäther:

»Und ich sag' Dir Pfui auf all Dein Geld und Gut. Nur weil die gute Frau da ist, spei' ich Dir nicht ins Gesicht. Ich hab's gefunden, in schweren Nächten, ja ich. So ist's. Allen Sündern kann vergeben werden, nur Einem nicht, dem Lügner nicht, und das bist Du. Zu Grunde gehen mußt Du, keine Ruhe haben Tag und Nacht, und Alles, was Dein ist, muß zu Grunde gehen. Komm mit! Komm auf das Grab von meinem Vetturi, knie' da nieder, ruf' die Gemeinde und bekenne . . . Gelt. Du gehst nicht über den Kirchhof? Aber gieb Acht, Du mußt doch bald gehen, wenn eines von den Deinen stirbt –«

»Jetzt ist's genug!« rief Landolin, »kommen Sie mit, Frau Räthin, oder ich geh' allein; ich kann mich nicht länger halten.«

Er wendete sich, die Kreisräthin warf noch einen bittenden Blick auf die Schaubkäther, diese aber lachte höhnisch . . .

Lautlos gingen Landolin und die Kreisräthin wieder mit einander bis da, wo der Fußweg in die Straße einmündet; dort standen sie still, die Kreisräthin faßte seine Hand und sagte:

»Lebt wohl! Wir haben nicht zu bereuen, daß wir den Weg gegangen; es wird Euch doch gut thun, gewiß, Ihr habt alles Menschenmögliche gethan und könnt ruhig sein. Wir haben nicht erreicht, was ich hoffte, aber es muß Euch doch leichter und freier sein –«

»Freilich, freilich,« entgegnete Landolin und schärfte die Lippen mit den Zähnen, denn er war keineswegs beruhigt oder gar zufrieden; es wurmte ihn, daß er sich so herabgelassen hatte und sich so zahm von Weibern hin und her führen ließ, statt drein zu schlagen. Er murmelte Flüche vor sich hin, daß die Schaubkäther, die unzweifelhaft die Diebshehlerin ihres Sohnes gewesen war, nun so ehrbar dastehen sollte. Er that mehrmals den Hut ab und setzte ihn wieder auf. »Meinetwegen!« sagte er endlich.

»Sprecht nur,« ermunterte die Kreisräthin, da Landolin zögernd inne hielt.

»Ja, Frau Kreisräthin, wenn ich's recht überleg', kann ich's der Schaubkäther nicht so arg verübeln, daß sie so toll ist und gegen mich rast; ich bin freilich unschuldig, aber es ist doch geschehen. Ich glaub' nicht an Hexerei und Prophezeiung, aber es hat mich doch erschreckt, wie sie vom Tode der Meinigen gesprochen hat. Ja, was hab' ich sagen wollen? Ich weiß nicht mehr. Ja doch, das. Die Schaubkäther kann sich einen Haß gegen mich erhalten, aber meine Tochter . . . Ja, Ihnen sag' ich's, wie stumm und taub ist sie gegen mich.«

Die Stimme stockte ihm und die Frau half:

»Braucht nichts weiter zu sagen. Könnt Euch drauf verlassen, ich werde der Thoma zu Gemüthe reden und da wird's besser gehen als da drüben. Ich werde die Thoma bitten lassen, daß sie zu mir kommt.«

Mit einem Händedruck schieden Landolin und die Kreisräthin. Diese ging eine Weile wie verloren und vergessen des Weges dahin, bald aber pflückte sie nach ihrer gewohnten Art Blumen und Gräser und schöne Zweige am Wege und ordnete sie nach Farbe und Form zu einem Strauß, warf aber den Strauß wieder weg.

Am Wirthsgarten des Schwertwirthshauses kam ihr Mann ihr entgegen und führte sie zu den Freunden; sie saß aber heute stumm und in Gedanken verloren in ihrer Mitte.


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