Berthold Auerbach
Landolin von Reutershöfen
Berthold Auerbach

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Neunundvierzigstes Kapitel.

Landolin war unversehens mitten im Getümmel des Festplatzes, und der erste, auf den er stieß, war der Einhändige, der vor Zeiten für ihn beim Militär eingestanden war.

»Komm her! Sollst was haben,« sagte Landolin in die Tasche greifend. Der Einhändige zögerte, seine Linke auszustrecken, endlich aber bot er sie doch dar, er mochte eine Gabe nicht von sich weisen, obgleich er einen guten Verdienst hat, zumal heute, denn Anton hat ihm einen Hausirhandel mit den Bildern der Helden unserer Tage eingerichtet, und der Einhändige verstand es, seine Waare anzupreisen.

Titus sah zu, wie Landolin dem Einhändigen etwas gab; jetzt begegneten sich die Blicke Beider, aber keiner grüßte den Andern. Titus war der Meinung, Landolin müsse ihn zuerst demüthig grüßen, und Landolin erwartete, daß der in seiner Ehre Unbehelligte zuvorkommend gegen ihn sein müsse.

Landolin sah den Fidelis. Der Knecht, der ehemals bei ihm gedient hatte, ging an ihm vorüber, wie wenn er ihn nicht kenne; er war wol betroffen, weil der Meister trotz seiner schweren Aussage frei gesprochen war. Landolin hatte Lust, ihn anzurufen und freundlich zu sein, aber da hörte er, wie Titus zu dem nun bei ihm dienenden Fidelis sagte: »Sei nur recht lustig heut', Du stehst in allen Ehren, und was Du verzehrst, bezahl' ich.«

Da gingen die Festjungfrauen mit Kränzen auf dem Haupte Arm in Arm; man hatte ihre Zahl offenbar noch vermehrt. Da war die Tochter des Bezirksförsters, die Tochter des Titus und des Oberbauern – was wären sie aber alle gegen Thoma, wenn sie erschienen wäre!

Da schüttelten sich Männer die Hände, lobten den schönen Tag und das schöne Fest. Landolin rieb sich die kalten Hände, Niemand hatte seine Hand noch berührt. Klebte denn Blut daran? Er ist ja frei gesprochen.

»Was nur mit dem Anton Armbruster sein mag, daß er nicht gekommen ist . . . Es fehlt ein Bestes, weil er fehlt . . . Die Thoma hat ihm das Fest verboten . . . Nein, die Verlobung ist ja auseinander . . . Und ich sag' Euch, der Anton schämt sich für den Landolin, den sie, es ist himmelschreiend, frei gesprochen haben . . . Schau, da geht er ja.«

Solches und mit noch gesalzeneren Worten hörte Landolin aus allen Gruppen, und er ging umher wie ein aus dem Grabe Erstandener, den Niemand mehr gewahren wollte. Das hab' ich nicht verdient, das nicht – sagte sich Landolin ingrimmig und traurig zugleich, und die Augen, die einen freundlichen Blick suchten, brannten ihm. Er fühlte, daß ihm alle Festgenossen nicht nur über das, was er gethan, gram waren, und sich damit gütlich thaten, ihn durch Nichtbeachtung zu kränken, er merkte auch ganz deutlich, daß sie ihm noch besonders zürnten, weil seinethalben Anton nicht da war. Hier auf der Stelle, wo er am Markttage sich ruhmredig ausgelassen hatte, wie er eigentlich Anton als geringer betrachte, hier mußte er hören, wie allgemein beliebt und geehrt der war, den er Sohn hätte nennen dürfen.

Landolin wollte davon gehen. Was soll er auf dem Festplatze? Aber ruhig! Stillgestanden! rief jetzt Alles, denn eine Trompetenfanfare erscholl, und der Bezirksförster bestieg die Rednerbühne. Er sagte, daß eigentlich Anton Armbruster dazu bestimmt gewesen sei, die Freunde und Festgenossen zu bewillkommen. Hoch Anton! riefen Einige unterbrechend von da und dort, es wurde Stille geboten, und der Förster sprach nun in schlichten Worten den Festgruß und die Bedeutung des Tages. Er sagte, er wolle kurz sein, denn hungrige Magen verschlucken nicht gern Worte. Er schloß mit einem Hoch auf das Vaterland.

Zum Essen! Zum Essen! hieß es nun, und bald waren die Tische besetzt, und die Musik spielte lustige Weisen. An einem Tische saß Titus mit den anderen Großbauern, Landolin nahm einen Stuhl, sagte »mit Verlaub« und setzte sich auch dazu.

»So, Herr Altschultheiß? Auch hier?« wurde Landolin angesprochen, er wendete sich um, er sah den Engelbert Schäfer von Gerlachseck, der sich bei ihm hatte verdingen wollen, und der nun eine große weiße Schürze anhatte, denn die Schwertwirthin hatte ihn für heute als Aushülfsdiener angenommen. Landolin gab ihm keine Antwort.

Die Tischgenossen aßen und tranken tapfer und sprachen laut, aber Niemand redete mit Landolin ein Wort. Endlich sagte Titus. »Ja, wie ist's denn, Landolin? Wie ich höre, willst Du Deinen Hof verkaufen. Wenn Du das willst, ich bin Liebhaber; ich bezahle Dir den höchsten Preis, kannst abschätzen lassen.«

»Wer hat denn gesagt, daß ich verkaufen will?«

»Es heißt so, man sagt's allgemein, Du wollest aus der Gegend fort.«

»Wenn ich den wüßt', der Das ausgesprengt hat, ich thät' ihm die Zung' aus dem Rachen reißen!«

»Thu' das nicht,« lachte Titus, »Du solltest doch wissen, so was thut nicht gut.«

»Du bist's!« rief Landolin, »der das ausgesprengt hat. Ja Du!«

Titus gab keine Antwort, er stand auf und ging davon, und bald standen auch alle Anderen auf. Landolin saß allein am Tische.

Ringsumher tönte die Musik, es wurde getanzt und in den Pausen wurde gesungen, gelacht, gejohlt, in Landolin kämpfte Wuth und Jammer. Sind das lauter schneeweiß Unschuldige, die da umherwandern? Sind da nicht Dutzende, die noch viel Aergeres auf dem Gewissen haben, oder denen man's doch nachsagt?

Er wünschte sich eine Macht, daß er da hinein rasen und Alles zertreten und zerstampfen könnte.

Und wieder überfiel ihn Trauer, er mußte denken: wärst Du nur noch im Gefängniß, oder besser, gar nicht auf der Welt.

Um aber nicht zu zeigen, was ihm so nahe geht, lehnte er sich, trotzig dreinschauend, zurück, steckte sich seine Pfeife an und paffte in die Welt hinein. Sie sollen's nicht fertig kriegen, daß Du demüthig herum laufst.

Da erscholl helles Lachen vom Honoratiorentisch in der Nähe. Was ist das? Sind die Feinhändigen auch schadenfroh? Nein, es kann nicht sein, denn dort sitzt ja die Kreisräthin neben ihrem Sohn, dem Lieutenant.


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