Berthold Auerbach
Landolin von Reutershöfen
Berthold Auerbach

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Zweiunddreißigstes Kapitel.

Durch das Thal und über die Höhen zieht in stiller Sommernacht ein frischer Luftstrom, die Bäume des Waldes säuseln, die reifen Halme des Kornfeldes wiegen sich hin und her und saugen den letzten Athem ein. Stille ringsum, nur der Fluß im Thale rauscht; die Menschen alle ruhen im Schlafe aus von der schweren Erntearbeit, um beim ersten Sonnenstrahl wieder frisch gestärkt zu beginnen.

Die weiße Straße am Berge hinan wandert ein Mann und drückt manchmal die Hand an die Brusttasche, sich aufs Neue versichernd, daß er die Botschaft noch bei sich habe.

Droben im Hause Landolins brennt noch ein Licht. Thoma sitzt hinter dem Tische und starrt in das Licht, ihre Züge haben sich verändert in Bitterkeit und Schmerz; sie preßt die Lippen zusammen, die einst so hold gelächelt, so warm geküßt; werden diese Lippen je noch lächeln, je noch küssen können?

Die Mutter liegt am offenen Fenster und starrt hinaus in die Nacht.

»Mutter,« sagte Thoma, »Ihr solltet schlafen gehen. Mitternacht ist vorüber und der Bahnmeister hat gemeint, daß die Sache nicht an Einem Tag zu Ende geht.«

Die Mutter wendete nur den Kopf zurück, dann schaute sie wieder hinaus. Ob wol die Schaubkäther auch wacht? dachte sie.

Ja, sie wachte, sie konnte sich aber kein Licht erhalten und vielleicht im selben Augenblick dachte sie an die Bäuerin: sie hat das Elend nicht verdient, ich aber auch nicht, und ich hab' sonst Niemand und hab' nichts als an meinem Kummer zu nagen.

Plötzlich richtete sich die Schaubkäther auf, sie hörte Schritte.

»Bringst Du mir was?« fragte sie den erschreckten Boten.

»Nein, nichts für Euch.«

»Für wen denn?«

»Für des Landolins Thoma,« und er zog den blauen Brief heraus.

»Weißt Du, was da drin steht?« fragte die Schaubkäther.

»Ich soll's eigentlich nicht wissen.«

»Aber Du weißt's. Sag', ist der Landolin zum Tod verurtheilt?«

»Ich komm' aus meinem Dienst, wenn Ihr's weiter saget.«

»Ich schwör' Dir bei allen Sternen, ich sag's Niemand, ich hab' ja Niemand. Ich bitt' Dich, hab' Erbarmen!«

»Der Landolin ist freigesprochen.«

»Frei? Und mein Sohn ist todt! Ihr Sterne da oben fallt herunter und erschlaget die ganze Welt. Aber nein, Du hast mich zum Narren. Thu' das nicht.«

»Ihr habt mir geschworen, daß Ihr mich nicht verrathet,« rief der Bote und eilte davon. Die Schaubkäther aber warf sich auf den Boden und wimmerte in die Erde hinein.

Der Bote war indeß zum Hause Landolins gekommen.

»Bringst Du Gutes?« fragte die Frau aus dem Fenster.

»Ich glaub.«

Thoma eilte mit dem Lichte die Treppe hinab, sie kam mit dem offenen Briefe rasch wieder herauf und rief:

»Der Vater ist freigesprochen. Nichtschuldig vom Gericht.«

Die Mutter sank in die Kniee, sie konnte lange kein Wort reden, endlich sagte sie, bald lächelnd, bald weinend:

»Da an dem Tisch, da auf der Bank wird er wieder sitzen, da wird er wieder essen und trinken. Wart Kübler, ich hol' Dir, Du wirst müd' sein.«

Thoma setzte die Mutter auf einen Stuhl und holte Speise und Trank.

»Ja, iß und trink nur,« sagte die Mutter. »Warum bist Du so stumm, Thoma? Warum bist Du nicht auch glückselig? So, iß nur, Kübler, und das nimm noch mit. O! Wenn ich nur die ganze Welt tränken und speisen könnte. O! Wenn ich nur den Todten wieder auferwecken könnte, ich wollte mich mein Leben lang nur halb satt essen, und er sollte das Beste haben. Aber Gott sei Lob und Dank! Mein Mann ist frei, und so gut läßt er noch sagen, daß er gesund sei. Ja, sein gutes Herz kennt doch Niemand so . . . Kübler, geh' zur Schaubkäther, sag' ihr, ich komm' morgen am Tag zu ihr, ich will mit ihr theilen, so lang sie lebt, als wäre ich ihre Schwester; sie soll nur ruhig sein und mit mir Gott danken; es hätt' ihr ja auch nichts geholfen, wenn es anders geworden wär'. Geh, Kübler, geh jetzt.«

Der Kübler ging zur Schaubkäther, ihr Haus war offen, aber sie war nicht zu finden.

Im Hause Landolins aber sagte die Mutter: »So, jetzt wollen wir noch schlafen. Gottlob, jetzt schlaft der Bauer auch wieder einmal ruhig. Wirst sehen, er bringt morgen den Anton mit; jetzt wird Alles wieder gut. Der herzgute Anton hat dem Vater gewiß viel geholfen durch seine Aussage, er ist gar so gutthätig und brav. Gott sei Lob und Dank, jetzt wird Alles wieder gut.«

»Alles wieder gut?« sagte Thoma, die Mutter hörte den fragenden Ton nicht, mit welchem Thoma das Wort sprach.


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