Berthold Auerbach
Landolin von Reutershöfen
Berthold Auerbach

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Fünfunddreißigstes Kapitel.

In Saus und Braus sollte die Nacht nach dem Schluß des Gerichtes in der Kreisstadt verbracht werden.

Als Landolin in das Zimmer des Wirthshauses zum Ritter kam, zog er den Rock aus, schleuderte ihn weg und rief: »So! Los und ledig! Ich hab' die ganze Zeit gemeint, ich hätte einen eisernen Rock an.«

Hemdärmlig ging er hinab in die große Wirthsstube, wo ein langer Tisch gedeckt war, und der Ritterwirth sagte schmunzelnd, daß man bald auftragen könne.

»Kommen die zwölf Männer alle?« fragte Landolin.

»Eingeladen sind sie, aber es ist, wie wenn sie in den Boden geschlüpft und verschwunden wären.«

Der erste, der sich einstellte, war der Vertheidiger. Er schien sich seines Sieges doch nicht recht freuen zu können und Landolin verhielt sich durchaus nicht mehr so abhängig und hülfsbedürftig gegen ihn, wie die ganze Zeit her; denn da war Landolin zu ihm gewesen wie ein schwer Kranker zum Arzt, jedes Wort, jeder Blick wurde wie heilbringend empfangen, jetzt war Landolin eben ein undankbarer Genesender, der eigentlich, wenn er's recht betrachtete, gar nicht krank gewesen war, und schließlich hatte nicht der Arzt, sondern die eigene gute Natur geholfen.

»Sie haben recht,« sagte der Vertheidiger, »Sie hätten sollen Advokat werden. Ihre letzten Worte haben den Ausschlag gegeben. Das war ein Meisterstreich!«

Landolin strich das Lob ohne Abzug einer bescheidenen Erwiderung ein.

»Ruf mir den Anton! Wo ist der Anton?« wendete sich Landolin zu seinem Sohne.

»Ich hab' ihn, wie ich das Telegramm aufgegeben habe, draußen auf dem Bahnhofe getroffen; er ist mit dem Güterzug, der eigentlich keine Personen mitnimmt, heimwärts gefahren, der Zugmeister ist ein Kriegskamerad von ihm und hat ihn heimlich mitgenommen.«

Landolin schärfte sich die Lippen und ging hastig um den Tisch herum, auf welchen jetzt die Weinflaschen aufgesetzt wurden.

»Ritterwirth! Laß auftragen!« rief Landolin, »Herr Prokurator setzen Sie sich zu mir. So, jetzt sitzen wir doch anders beisammen. Ich hab' alle Geschworenen einladen lassen, alle, ich will nicht wissen, wer schuldig gesagt hat und wer unschuldig; ich will keinen Feind auf der Welt wissen und Niemand feind sein. Kommen sie nicht – auch gut, ich hab' gezeigt, wie ich's meine, und das ist genug. Ritterwirth, laß die Zeugen sich dahersetzen, wer noch da ist, und vor Allem ruf' mir den Tobias.«

Dieser war schnell bei der Hand, er hatte zwar in der Fuhrmannsstube schon gegessen, aber er wischte sich den Mund, wie wenn er sagen wollte: ich kann's, wenn's nöthig ist, noch einmal. Er setzte sich neben Peter und hieb tapfer ein.

Bald kamen auch die sogenannten minderen Leute, die Zeugniß abgelegt hatten; es ist zwar keine Gesellschaft, die sich für Landolin schickt, aber man muß den armen Schelmen doch auch einen guten Bissen und einen guten Trunk geben.

Landolin fragte, was die Zeugengebühren betragen, und als er deren Geringfügigkeit hörte, sagte er, er würde gern Jedem das Doppelte zulegen, aber er dürfe nicht, sonst würde man sagen, er habe bestochen. Diese Rede sollte ihn bei den Menschen beliebt machen und kostet dabei nichts.

Tobias stieß mit dem Ellbogen den Peter in die Seite, aß und trank, aber Peter warf einen Blick auf ihn, wie wenn er ihn in Stücke reißen wollte, dann aber faßte er sich schnell und lachte auch; ein junges Füchslein, das zum erstenmal ein Häslein gefangen hat und nun verspeist, muß ein ähnliches Gesicht dazu machen.

Unter den Gästen waren auch Jugendgenossen Landolins, und sie erlustigten ihn damit, daß sie ihn an seine tollen Jugendstreiche erinnerten. Landolin lachte und trank übermäßig. Dem Vertheidiger wurde es nicht geheuer, er schlich still davon.

Landolin schaute oft nach dem leeren Stuhl neben sich, dann wendete er den Blick wieder gewaltsam nach der anderen Seite. Plötzlich rief er: »Thut den leeren Stuhl weg! In Teufels Namen, wer soll da sitzen? Weg! fort!« Er stand rasch auf und stieß den leeren Stuhl mit solcher Macht auf den Boden, daß alle vier Beine knackten.

»Das ist nicht gut, Vater. Haltet Euch ruhig,« sagte Peter leise und streng, indem er Landolin nicht eben sanft am Arme faßte.

»Laß los! Ist gut,«sagte Landolin ruhig. »Komm, Tobias! Geh mit. So! Ich hab' nicht zu viel getrunken, aber ich hab' heut schon zu viel durchgemacht, und da wirft's mich gleich um. So, Tobias, ich will mich nur ein wenig auf Dich stützen. Gut' Nacht, Ihr Männer! Kommet gut heim, ich komm' auch bald nach.«

Er ging mit Tobias in die Schlafstube, und dort faßte er die beiden Arme des Tobias, umklammerte sie und rief:

»Sei ruhig! Ich thu' Dir nichts, Dir nicht, Du hast's nicht verdient, aber weißt, was mein einzig Verlangen ist? Weißt was ich mir wünsch'?«

»Wie kann ich das wissen?«

»Zwischen den Fingen möcht' ich einen haben. So! Hutadi! Arm und Bein zerknacken und zerkrachen möcht' ich einem, am liebsten dem Titus . . . oder all' die sechs . . . einstimmig hätten sie sein müssen . . . Ihr verfluchten –«

»Lasset los, Meister!« wehrte Tobias ab, denn die umklammernden Hände drückten nicht sanft, »und ich rath' Euch, verhaltet Euch ruhiger. Zu mir könnt Ihr Alles sagen. Was wir Zwei mit einander fertig gebracht haben, das hält zusammen. Ich will kein Lob, ich hab's gern gethan.«

In Landolin dämmerte es. Das ist sein Knecht, und er ist der Bauer, und der Knecht giebt ihm Ermahnungen?

»Ist recht, ist richtig,« murmelte er, und bald lag er in festem Schlaf.


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