Berthold Auerbach
Landolin von Reutershöfen
Berthold Auerbach

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Siebenundvierzigstes Kapitel.

Droben im Hochwalde, bei der Blockhütte, wo vom Montag früh bis Samstag Abend die Holzspälter hausten, saß Anton an diesem Sonntagsmorgen, um ihn her lagen die Aexte, die eisernen und eschenen Keile, wie ausruhend, denn die sie handhabten, waren allesammt zu »Thale« gegangen, waren über den Sonntag daheim bei den Ihren oder wol auch beim Feste in der Amtsstadt. Kein Laut war vernehmbar, nur bisweilen trillerte der Zaunkönig, der jetzt erst brütet, alle andern Vögel waren stumm, und stumm kreiste der Habicht über den Wipfeln der Bäume. Ein einschläfernder Harzduft von den gefällten Stämmen und dem geschichteten Brennholz stieg vom Boden auf, auf welchem der ermüdete, übernächtige junge Mann eingeschlafen war. Jetzt dröhnte Kanonenschall, Anton erwachte und griff zur Seite nach seiner Waffe. Im ersten Augenblick hatte es ihm gedäucht, er liege im Felde, dem Feinde gegenüber; schmerzlich lächelnd besann er sich, daß er keinem sichtbaren Feinde gegenüber stand, den man tödtlich treffen konnte; nicht Kanonenschall hatte ihn geweckt, sondern der Böllerknall von der Stadt, wo jetzt die Fahnenweihe vollzogen wird. Anton athmete tief auf und sein Antlitz leuchtete, als grüßten ihn die hundert und hundert Blicke der Kameraden, als faßte er die vielen treuen Hände, die sich ihm entgegen streckten. Bald aber sah er schmerzlich vor sich nieder, er hat nicht nur sich selber das Fest zerstört, er hat auch den Genossen ein schön Theil der Freude geraubt, da er ihnen noch früh am Morgen einen Boten schickte, mit der Nachricht, er könne nicht kommen. Was nützte ihm all die Liebe der Genossen, wo die Liebe der Einen fehlte, für die sein Herz schlug? Was sollte ihm eine Freude, eine Ehre, die Thoma nicht mit ihm theilte?

Er stand auf. Noch ist es Zeit, noch kann er zum Feste der Genossen eilen, und ein Jubelruf tönt Willkomm dem Verspäteten. Er verwarf den Gedanken und gab sich dem schmerzlichen Fragen und Grübeln hin, ob er denn nie mehr Freude empfangen werde. Er hat sich gedemüthigt vor Thoma und sie hat ihn verschmäht, er hat gethan, was er vermochte, um die Sache wieder zum Guten zu wenden; vielleicht wird Thoma nun damit bekehrt, daß sie sieht, wie er um ihretwillen die schönste Lustbarkeit meidet; sie weiß, wie er leidet, aber was muß sie leiden? . . .

Thoma war nicht in der Einsamkeit des Waldes, sie war einsam und verlassen im Elternhause. Auch sie hörte den Knall der Böllerschüsse, sie fragte sich, ob Anton dort bei dem Feste, geehrt und glücklich; nein, er kann es nicht sein. Sie trauerte tief, daß sie ihm diesen Tag und alle kommenden Tage des Lebens zerstören und mit Trauer erfüllen müsse. Mit Schreck erinnerte sie sich, daß sie gestern zu Anton gesagt hatte: »Ich kann mich nicht an gestohlenem Gute freuen.« Ist es denn so arg? Ist das nicht so ohne Bedacht aus langem Schmerze heraus so zu Worte gekommen? Sie beneidete fast die Mutter, die Tag über schlafen konnte, sie selber mußte wachen und schwere bittere Gedanken in der Seele hegen.

Was wird der Vater heute auf dem Festplatze erleben? Wird er, von allen Seiten zurückgewiesen, sich nicht zu einer neuen Unthat hinreißen lassen? Mit gefalteten Händen, stier dreinblickend, saß Thoma in ihrer Kammer, und endlich erleichterte sich ihr schweres Gemüth in einem Thränenstrom.


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