Berthold Auerbach
Landolin von Reutershöfen
Berthold Auerbach

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Zweiundzwanzigstes Kapitel.

»Das Haus ist ein anderes, wenn der Hut des Mannes nicht mehr am Nagel in der Stube hängt,« wiederholte die Bäuerin oft; sie hat nicht viele Gedanken, aber einen den sie hat, wiederholt sie gern wie ein Vaterunser.

Als sie am Morgen nach der Verhaftung ihres Mannes jenen Spruch zuerst laut gab und dann die Schlüssel Thoma übergeben wollte, rief Peter:

»Mutter, gebet die Schlüssel mir, ich bin der Haussohn, und ich muß jetzt auf den Gaul.«

Wenn der Ofen plötzlich zu sprechen angefangen hätte, man hätte sich nicht mehr verwundern können. Peter, der als verschlafener und niemals aufwachender Bursch im Hause angesehen wurde, der nur eben that, was man ihm anwies, aber nie einen Selbstwillen zeigte – Peter gab auf einmal kund, was er war, was er wollte, und sogar seine sonst schwerfällige, träge Stimme hatte etwas Behendes gewonnen.

In der That hatte in Peter eine Umwandlung begonnen, die seine Verschlossenheit fast in Redseligkeit verwandelte. Zuerst in dem natürlichen Bestreben, dem Vater heraus zu helfen, erwachten Kräfte in ihm und spannten sich immer mächtiger, die Niemand und er selber am wenigsten geahnt hatte. Dann aber gesellten sich noch ganz andere Erweckungen hinzu, die ihm die Noth zu einem freudigen Gefühle des Muthes, ja fast des Uebermuthes verwandelten. Nicht nur im Hause, sondern auch in der ganzen Gegend sah man staunend, was durch die Abwesenheit des Vaters aus Peter geworden war. Der Oberknecht Tobias lächelte, wo er ging und stand, denn er konnte sich rühmen, dem Peter auf den Gaul geholfen zu haben, und Peter saß viel zu Pferde, denn er ritt auf der Fuchsstute überall umher, um denen, die Glück wünschend im Hause gewesen waren, als das Unglück geschah, zu erklären, was sie gesehen hatten. Manche wollten sich dessen erinnern, Andere aber behaupteten, sie hätten gar nichts gesehen; denn es macht nur Mühe, Zeugniß vor Gericht abzulegen.

Wo Peter hinkam, hieß es: man hat gar nicht gewußt, was für ein gewitzter Bursch Du bist; immer hat man nur von der Thoma geredet, wie wenn Du gar nicht da wärst.

Peter lächelte schelmisch, wenn er das hörte; er machte aber schnell eine betrübte Miene und wehrte ab, obgleich er's gern hörte, wenn man da und dort hinzusetzte:

»Du bist von Deinem Vater unterdrückt gewesen.«

Peter war gar nicht bescheiden, im Gegentheil, er betrachtete alle Menschen als seine Schuldner; sie hatten ihn als einfältigen und ehrlichen Menschen dreiundzwanzig Jahre alt werden lassen, ohne ihm zu verrathen, wie köstlich die Schelmerei mundet. Jetzt nahm er sich auch sein Theil heraus.

Schau, schau! Da kommt der Peter von Reutershöfen, hieß es bergaus und bergein.

Was für ein Peter?

Des Landolins Peter.

Ja man hat gar nicht gewußt, was das für ein Bursch ist; hat man gemeint, er kann nicht drei zählen und jetzt zeigt sich's, er ist ein gescheiter, mit allen Hunden gehetzter Bursch.

Ja, so war's. Peter war nicht grade ein Dummkopf, aber stumpf, theilnahmlos, und was war er nun geworden? Es scheint kaum glaublich, ist aber durchaus folgerecht, er war ein ausgefeimter Heuchler geworden.

Auf dem Jahrmarkt hatte sich Peter einmal elektrisiren lassen, da fuhr etwas durch den ganzen Körper, das so seltsam durchrieselte, und fast ebenso war's, als ihm Tobias zum ersten Male sagte: man müsse jetzt thun, als ob man Alles so gesehen habe und grundehrlich dafür eintrete, dann gewinne man auch andere Menschen.

Das Heucheln schmeckte Peter nun wie ein Leckerbissen, und er sah bald, alle Menschen schmausen schon lange daran. Wo er hinkam, bedauerten die Leute, daß er so ins Ungemach gerathen war, und er glaubte doch zu wissen, sie gönnen es ihm. Er bezahlte nun mit gleicher Münze und that überaus gutmüthig, und dabei war er in der That aufgeweckt, denn die Freude und geheime Lust, die Menschen zum Narren zu haben, ermunterte ihn jeden Morgen beim Erwachen, er und Tobias erlustigten einander, wie sie die Menschen hänselten, Einfältige und Schelme dazu brachten, Aussagen zu machen, die sie ihnen auf die Zunge legten.

Tobias gab seinem Zögling die weise Lehre:

»Jetzt siehst's. Am besten auf der Welt haben's die Falschen, die werden nicht betrogen und nicht gekränkt; wenn man bei ihnen anklopft und was von ihnen will, thun sie, als ob sie nicht daheim wären. Es ist Niemand daheim, und ich schlaf' – hat jene Bauernfrau einem Bettler zugerufen, der am Sonntag Nachmittag angeklopft hat.«

Nur einmal kam Peter schlimm an. Er suchte Anton auf und sagte ihm, wie gescheidt es sei, daß er Thoma vorerst aufgegeben habe, denn dadurch sei er nicht mehr verwandt und könne eidliches Zeugniß für den Vater ablegen. Peter war nicht wenig erstaunt, daß Anton entgegnete, Thoma habe ihn aufgegeben und es sei wol nicht mehr möglich, daß sie sich wieder vereinigten.

Wie? Will ihm Anton die Wahrheit nicht sagen? Ist er so verschlagen, daß er selbst gegen den Bruder einen falschen Schein wahrt?

Das schöne Antlitz Antons verzerrte sich, da Peter ihm sagte, er durchschaue ihn, und Peter war betroffen, da Anton erklärte, er sage Niemand, welches Zeugniß er ablegen werde; er sei mit seinem Gewissen zu Rathe gegangen, und dabei bleibe er.

Dennoch vertraute Peter bald da, bald dort mit treuherziger Miene, wobei er nur um strenge Geheimhaltung bat, welches Zeugniß Anton ablegen werde, und Manche wurden damit gewonnen; denn was Anton Armbruster aussagt, ist sicher wahr und dem kann man beistimmen.

Thoma gewahrte mit Entsetzen – denn Peter machte kein Hehl aus seinen Vorbereitungen – welch ein Verderbniß über die ganze Gegend gebracht wurde; aber sie konnte nichts dagegen thun und mußte still sein, wenn die Mutter die hülfreichen, guten Menschen lobte.

So kam die Zeit heran, daß Landolin vor das Schwurgericht gestellt werden sollte, zu dessen Geschwornen er vordem ernannt war.


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