Berthold Auerbach
Landolin von Reutershöfen
Berthold Auerbach

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Zweiundfunfzigstes Kapitel.

Die Mutter schlief in der Kammer, Thoma saß in der Stube am Tische vor einem großen schönen Buche mit vielen schönen Bildern, es war eine illustrirte Geschichte des letzten Krieges, die ihr Anton einmal gebracht hatte; viele Zeichen lagen darin an den Stellen, wo die Schlachten geschildert waren, die Anton mitgekämpft hatte; da waren wol viele Soldaten zu sehen, aber das Bild Antons war nicht erkennbar. Sie hatte gehört, daß Anton heute nicht bei der Fahnenweihe gewesen; das war um ihretwillen geschehen. Was konnte sie ihm dafür leisten? Es schien keinen Ausweg mehr zu geben. Thoma hatte lesen wollen, aber sie kam nicht dazu, und heute graute ihr sogar davor, wie da die Menschen einander morden und wie Granaten sie in Stücke reißen.

Thoma starrte lange in die leere Luft hinein, und sie spürte auch die Müdigkeit von der Ernte Arbeit, ihr Kopf senkte sich und sie schlief auf dem offenen Kriegsbuche ein.

Schreien der Mutter weckte sie auf, denn die Mutter rief:

»Landolin! Um Gotteswillen! Thu's nicht! Laß ab!«

Thoma eilte zur Mutter und diese sah sie verworren an, wie wenn sie sich schwer befinden müsse, wer und wo sie sei.

»Du bist's?« sagte sie endlich. »Wo ist der Vater?«

»Bei der Fahnenweihe.«

»Er soll heimkommen! Hat ihn der Peter noch nicht gefunden? Wo bleibt er denn so lang? O Thoma! An dem schwarzen Bändel das Glas! Er ist auf den Titus gekniet und hat ihn erwürgen wollen. Der Bauer soll heimkommen, heim!« rief die Mutter weinend. Es gelang Thoma, die Fiebernde zu beruhigen und sie zu entkleiden. Mit Zähneklappern bat die Mutter nochmals, daß man Boten nach dem Vater schicke. Thoma willfahrte ihr.

Singende Burschen und Mädchen kamen auf geschmückten Wagen am Hause vorüber, auch einige Johlende, die zu Fuß daher kamen, machten ihrer Lustigkeit Luft, und drin im Hause fieberte die Bäuerin, sie schlief endlich mit glühenden Wangen wieder ein.

Thoma hatte dem zum Vater geschickten Boten auch aufgetragen, den Kreisarzt herzubitten. Der Bote fand den Arzt, aber nicht den Bauer.

Es war spät in der Nacht als Landolin über die Brücke heimwärts ging, er stieß ans Brückengeländer und sagte. hoho! wie wenn ihm Jemand nicht ausgewichen wäre.

»Bist Du betrunken?« fragte er, den Finger an die Nase legend; er lachte und ging weiter.

Der Festplatz war leer, keine Menschenseele ringsum. Landolin ging festen Schrittes nochmals auf die Maiwiese, bestieg die Rednerbühne und rief:

»Ihr alle miteinander, alle, Euch soll alle der Teufel holen. Hutadi! Hutadi!« schrie er mit urgewaltiger Stimme, er schien zu warten, daß Jemand käme und mit ihm raufe, da aber Niemand kam, stieg er herab und ging die Bergstraße hinan.

»Pfui, schäme Dich, Landolin,« redete er mit sich selber, »Du bist ja ein Kerl . . . pfui! Ein Mann wie Du, betrunken, auf der Straße vor allen Menschen . . . Laß mich in Ruh' Titus, ich will nichts von Dir . . . Ich bin nicht betrunken. Und wenn ich's bin . . . nein . . . Verfluchter Schwertwirthswein . . . Damals . . . weg! fort . . . Wenn Du nicht gehst, Vetturi, da soll . . . da, da liegst . . .«

Er bückte sich nach einem Steine, stürzte nieder und richtete sich wieder auf.

»Halt Dich ruhig. ruhig, so, so,« redete er zu sich, wie zu einem wilden Pferde, und dann knirschte er:

»Hätte ich nur einen Gaul zwischen den Schenkeln! Daheim stehen zwölf, sechzehn Pferdebeine und das Fohlen . . . Wer geht hinter mir? wer? Wenn Du Courage hast, komm vor, hinten anpacken gilt nicht . . . komm . . . komm vor, komm und ich will mit Dir raufen . . .«

Von der steilen Geröllhalde rollten Steine auf die Straße, wer weiß, von welchem flüchtigen Fuße eines Wildes gelockert. Sich mit beiden Händen in die aufsträubenden Haare seines Kopfes fassend, rief Landolin:

»Du wirfst mit Steinen? Da ist's! Nothwehr! Nothwehr, wart'.«

Er hielt an und sagte zu sich selber:

»Mach' Dich nicht verrückt, sie sperren Dich ins Narrenhaus.«

Im Thale brauste der Bahnzug daher. Die rothen Lichter der Locomotive erschienen wie die brennenden Augen eines schnaubenden Ungeheuers. Landolin starrte darauf hin und fand dabei eine Beruhigung: wo die Lokomotive geht, können keine Gespenster umwandeln.

Der Angstschweiß rann ihm herunter, und mit laut pochendem Herzen stieg er immer rascher die Bergstraße hinan; er athmete freier, er that den Hut ab, ein kühlender Luftstrom zog über die Hochebene, er sah sein Haus und sagte:

»Sie haben noch Licht. Sie warten auf mich. Es steht Essen auf dem Tisch. Fass' Dich, Du bist der Landolin von Reutershöfen, hast eine Frau, die heißt Johanne, und eine Tochter, die heißt Thoma, und einen Sohn, der heißt Peter . . . Das Hämmern in meinen Schläfen geht mich nichts an. Ich bin nicht betrunken, . . . katzennüchtern. Dreimal drei ist neun und eins dazu ist zehn. Du lügst, daß ich getrunken hätt', ich kann noch schrittlich gehen. So, da ist der Brunnen, Du hast's gut, Du Brunnen Du, Du kannst daheim bleiben und bist alleweil voll. Ha, ha! Still! Mach keine Possen! Still!«

Er stand wieder am Röhrbrunnen, kühlte sich Hände und Gesicht, dann ging er in den Hof und ohne sich beim Hunde aufzuhalten, die Treppe hinan und in die Stube. Er sah den Arzt am Tische sitzen und schreiben.

»Was ist? Es ist doch nichts?«

»Eure Frau ist krank.«

»Es wird doch nicht arg sein?«

»Ich weiß noch nicht. Jedenfalls haltet Ruhe. Ihr könnt hinein gehen, aber redet nicht viel und gehet gleich wieder fort.«

Die Wände, der Tisch, die Stühle schienen zu wanken, und doch ging Landolin festen Schrittes zu seiner Frau und sagte.

»Ich soll Dir einen Gruß ausrichten vom Wälderjörgli, er hat mir's zweimal aufgetragen.«

Er hatte die Kraft, Alles mit ruhigem Tone zu sagen, und die Frau erwiderte:

»Hab' schon gehört, der Doctor hat's gesagt, der Wälderjörgli ist da gewesen; wo der ist, ist Alles gut. Sag' ihm Dank. Gute Nacht!«

Draußen in der Stube warf sich Landolin in den großen Stuhl und rief:

»O, was ist das für ein Elend, so heimkommen und die Frau ist krank und keine Freud' und kein Willkomm und nichts!«

Er starrte auf Thoma, die, an die Kammerpfoste gelehnt, dastand, sich nicht regte und keinen Laut von sich gab. Wie weit, wie weit ist's gekommen, der Vater denkt in solchem Elend nur an sich! Landolin erhob sich mühselig und sagte leise zu Thoma:

»Du hast's gemerkt, daß ich einen Rausch hab', ja ich hab' einen, und wenn Du nicht wieder brav gegen mich wirst, hab' ich jeden Tag einen; nachher könnt Ihr sehen, was daraus wird.«

»Ich kann Euch nicht wehren, was Ihr an Euch und an uns thun wollt.«

»Hol' mir was zu trinken, ich hab' solchen Durst,« befahl Landolin, Thoma ging und kam mit einer Flasche wieder.

»Das ist ja Wasser! Du hast aber recht, Du bist gescheit.«

Zum ersten Mal seit langer Zeit lächelten Vater und Tochter mit einander, schnell aber war's wieder verschwunden.


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