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Ida von Toggenburg

Schweizerische Sage.

I.

.

Lebt wo mit Lust und Einigkeit
Ein fromm und fröhlich Paar,
Das ist dem bösen Feinde leid
Und seiner höll'schen Schaar.

Sie schleichen um das heitre Haus,
Sie suchen sich einen Ort,
Und streuen ihren Samen aus,
Hier Sünd' und Jammer dort.

Des Toggenburgers Schloß steht hoch
Auf einem Felsen steil –
Was will der schwarze Rabe doch?
Er bringt dem Haus kein Heil.

Er kreist und krächzet in der Luft:
Da wandelt aus dem Thor,
Zu athmen kühlen Morgenduft,
Des Schlosses Frau hervor.

Es ist des Grafen Ehegemahl
Frau Ida, fromm und rein;
Sie folgt der Sonne frühstem Strahl
Zum Brünnlein im Gestein.

Das Haar, das ihr die Stirn umflicht,
Ist golden wie das Korn,
Ihr Antlitz Schnee, ihr Auge Licht,
So tritt sie zu dem Born.

Sie löst des Haares Flechten auf,
Und badet sie im Quell;
Der schwarze Vogel hemmt den Lauf
Und schaut herunter hell.

Den Trauring sie vom Finger zog,
Sie wusch die zarte Hand;
Der Rabe sacht herniederflog,
Er stahl das heil'ge Pfand.

Und schnell er in den Lüften war,
Eh' sie ihn noch geschaut.
Sie bindet auf das gelbe Haar,
Und sucht ihr Ringlein traut.

Im hohen Fels, im Moose dicht,
Sie sucht's im grünen Gras.
Sie tröstet sich: »Ich trug es nicht!
Wo ich es wohl vergaß?«

Der Rabe flog auf dunkler Schwing'
Hinein ins tiefe Holz;
Er saß, im Schnabel den goldnen Ring,
Auf einer Tanne stolz.

So späht der Dieb den Weg entlang,
Da schlendert durch den Wald
Mit jungem hellem Jagdgesang
Des Grafen Jäger bald.

Der Knab' ist so ein frisches Blut,
Ihm ist der Herr so hold;
Jetzt däucht's dem schwarzen Vogel gut,
Jetzt läßt er fallen das Gold.

Da sprüht es vor des Jägers Fuß,
Ein Funke Sonnenlicht;
Er hascht's, er hört des Krächzers Gruß
Vom hohen Wipfel nicht.

O Ringlein süß, o Glanz von Huld!
Es däucht ihm so bekannt;
Doch darf er's tragen ohne Schuld,
Er steckt es an die Hand.

»Das wird im Schloß ein Flüstern sein!«
Er fröhlich bei sich denkt,
»Der Jäger trägt einen Ring so fein,
Wer hat ihm den geschenkt?«

Der eitle Knabe kehret um,
Bethört vom goldnen Fund,
Da regt sich bei den Knappen stumm
Der Neid im Herzensgrund.

Und einer sinnt und einer späht,
Bis er zum Grafen spricht:
»Den Ring, den er am Finger dreht,
O Herr, seht ihr ihn nicht?

»Wenn nicht der eur' am Finger blitzt,
Ich meint', es wäre der!
Doch wahrlich, unsrer Herrin sitzt
Kein Ring am Finger mehr!«

Vor seines Schlosses Thor der Graf
Trat wild hinaus im Zorn;
Bald er den jungen Jäger traf,
Der saß am kühlen Born.

Mit seinem Ring er träumend lag,
Wo sonst die Herrin saß,
Dort wo der Rab' am frühen Tag
Ihn stahl im grünen Gras.

Der Graf rief auf den Jäger bald:
»Wie kamst zum Ringe du?«
Der sprach mit Schrecken: »Herr, im Wald
Warf ihn ein Rab' mir zu!«

»Wie dumm du leugst, du arger Knecht!
Vom Raben sagst du mir!
Die Raben sollen dir thun dein Recht,
Sie sollen zehren von dir!«

Drauf sendet einen von dem Troß
Er auf den Anger aus:
»Ein junges, ungezähmtes Roß,
Das führet mir vor's Haus!«

Mit einem rabenschwarzen Pferd
Der Knappe kam heran,
Sein dunkler Schweif wallt bis zur Erd',
Er band den Jäger dran.

Nicht Flehen hört, noch Schwur sein Zorn,
Er jagt das Roß hinab,
Das riß durch Felsenstein und Dorn
Den Knaben ins tiefe Grab.

Die Gräfin bleich am Fenster stand,
Schaut alles an entsetzt;
An des geschleiften Dieners Hand
Den Ring erblickt sie jetzt.

Auf schrie sie laut, da stand der Graf
Vor ihr, im Auge Mord;
»Geh,« rief er, »schlafe den ew'gen Schlaf
Bei deinem Buhlen dort!

»Und treibst du mit der Treu' nicht Spott,
Und gabst ihm nicht den Ring:
Laß sehen, ob dich schützet Gott! –
Das Pfand mir wiederbring!«

Er nahm sie um den Leib mit Macht,
Sein Blick so finster war,
Nicht sah er durch die dunkle Nacht
Ihr Aug' unschuldig klar.

Und wo im Zinken vor dem Schloß
Sich thürmt das Felsgestein,
Wo in den Abgrund fuhr das Roß,
Dort stürzt' er sie hinein.

II.

Und vor dem Grafen zitternd wich
Der bleichen Diener Schaar,
Es ließ kein Diener blicken sich;
Einöde ringsum war.

Da starrt' er nieder in die Gruft,
Wo Weib und Diener schlief,
Da schaut' er wild empor zur Luft,
Wo heiser ein Rabe rief.

»Hinab, Gesell!« der Ritter spricht,
»Fort, halte deinen Schmauß!«
Hoch schwebt der Vogel und weichet nicht
Von seinem Haupt und Haus.

»Hinaus zur Jagd, zum Zeitvertreib!«
So murret er bei sich;
»Den Buhlen und das falsche Weib
Verträum' ich sicherlich!

»Auf, Jäger, sattle mir mein Roß –
O weh, du Jäger mein!
Du kannst nicht kommen herauf ins Schloß,
Du liegst ja im Gestein!«

Er sucht sich selbst ein Roß im Stall:
Was stört da seinen Muth?
Sie dünken rabenschwarz ihm all
An jedem Schweif klebt Blut.

Jetzt weicht der Zorn von seiner Stirn,
Sein Auge senkt sich scheu,
Die Zweifel steigen auf im Hirn,
Im Herzen nagt ihn Reu.

Er trat hinaus zum Felsenstein,
Wo hell das Brünnlein floß,
Wo sanft die Frau ihr Antlitz rein,
Taucht' in des Wassers Schooß.

Er warf sich vor dem Becken auf's Knie
Er schaute sehnlich hinein,
Als müßte im klaren Spiegel sie
Voll Huld zu schauen sein.

Wohl sah er den Himmel tief und mild,
Blau wie ihr Augenlicht:
Doch drüber nur sein eigen Bild,
Sein gramvoll Angesicht.

Und weh', was sieht er Schwarzes fern,
Im Wasser tief, im Blaun?
Der Rabe läßt, ein dunkler Stern
Ob seinem Haupt sich schaun!

Er wächst und breitet über ihn
Die schwarzen Flügel aus;
Umsonst im Born die Sonne schien,
Aus löschet sie der Graus.

Da warf zu Boden ihn der Harm
Und deckt ihn lang' mit Nacht,
Bis er in seiner Diener Arm
Beweint, gepflegt, erwacht.

Denn als sie so ihn liegen sahn,
Und zehren an ihm die Qual,
Da kam das Mitleid erst sie an,
Sie trugen ihn in den Saal.

Und wie er auf die Augen schlug,
Däucht milder ihm sein Schmerz!
Vergessen ist des Raben Flug,
Zu hoffen wagt sein Herz.

Er hat geträumt von Waldeslust,
Vom Felsthal dicht umlaubt;
Als fänd' er – ist's ihm in der Brust –
Was er sich selbst geraubt.

Er rafft sich auf, genesen schier,
Ein Roß verlangt sein Muth;
Wohl ihm, daß schneeweiß ist das Thier,
Das Zeichen däucht ihm gut!

Er reitet aus im Morgenlicht;
Schaut bang zum Himmel empor;
Sein Auge sieht den Raben nicht,
Kein Krächzen hört sein Ohr.

Im dichten Walde hüpfet nur,
Das lust'ge Wild um ihn;
Doch ist der Graf auf andrer Spur;
Läßt Hirsch und Eber fliehn.

Wo keine Wohnung weit und breit,
Wo wandelt sonst kein Schritt,
Gedrückt in diese Einsamkeit
Ist doch ein Menschentritt.

Von zartem Frauenfuß gedrückt
In Blumen und grünes Kraut:
Die Hunde spüren ihm nach gebückt,
Sie schnuppern, sie bellen laut.

Und enger wird der Berge Schlund,
Und dichter wird der Wald,
In einen tiefen Felsengrund
Verirren sie sich bald.

Das Reh durchkreuzt mit schnellem Lauf
Den Weg mit seinem Kind,
Es flattern scheue Vögel auf,
Die Quellen stürzen geschwind.

Und tiefer steigen sie hinab,
Es denkt der Graf mit Schmerz:
»Fürwahr hier wär' ein friedlich Grab
Für ein gequältes Herz!«

Doch drunten in der schmalen Kluft
Aus schwarzem Felsenthor,
Umhaucht von feuchter Blumen Duft,
Was leuchtet dort hervor?

Es ist ein fromm, ein knieend Weib,
Sanct Magdalenen gleich;
Doch ohne Sünde strahlt ihr Leib,
Wie Engel im Himmelreich.

Sie weiß nicht, daß ein Mensch es hört,
Sie fleht zu Gottes Sohn:
»Bring', Herr, den Kelch, er ist geleert,
Vor deines Vaters Thron!

»Dein Arm, er trug mich durch's Gestein,
Führt hierher mich voll Huld;
Du sprachst: Hier lerne dem Feind verzeihn,
Und leiden ohne Schuld!

»Ich schwieg und litt, von bösem Groll
Hat nie mein Herz gewußt;
Ich bin der ewigen Liebe voll,
Leg' mich an deine Brust!«

Sie kniet, im Blick das ew'ge Heil,
Da stürzt der Graf in die Kluft,
So fällt, durchbohrt von des Jägers Pfeil,
Ein Aar aus hoher Luft.

Er liegt vor ihr; sein heilig Weib,
Nicht rühret er sie an,
Er fleht nur leis und zitternd: »Bleib'!
O fleug nicht himmelan!

»Zeuch wieder ein in's hohe Schloß!
Und bin ich dir nicht zu schlecht,
So laß mich dienen in deinem Troß,
Mach mich zu deinem Knecht!«

Da flossen ihre Thränen mild,
Da strahlt ihr Blick so warm;
Sie schwieg, und um das Engelsbild
Der Graf schlang seinen Arm:

»Und könntest du mich lieben noch,
Und wenn dein Herz vergaß,« – –
Da krächzt' es in den Lüften hoch,
Da fiel ein Ring ins Gras.

Auf seiner Stirn lag ihre Hand,
Der Graf den Ring ergriff,
Will schmücken sie mit dem Liebespfand,
Da sprach sie und seufzte tief:

»O wehe, siehst du in der Luft
Den bösen Geber nicht?
Er kreist und späht, er krächzt und ruft,
Er will mich scheiden vom Licht!

»Von meinem Herrn und Bräutigam,
Dem ich bin angetraut,
Weg will er locken in Sünd' und Gram
Die reine Himmelsbraut.«

Erschrocken stand sie auf und trat
In ihre Kluft mit Eil',
Und fern sie stand und sehnlich bat:
»O störe nicht mein Heil«!

Bald auch der Graf erhebet sich,
Und ferne bleibt er stehn:
»Was soll ich thun, o Herrin, sprich!
Dein Wille soll geschehn!

»Nur – kann's bestehn mit deinem Glück –
Auf ewig nicht, nicht ganz
Verbanne mich aus deinem Blick,
Aus deinem reinen Glanz.«

Sie lächelt selig, ja, sie will;
Es spricht ihr süßer Mund:
»Bau mir ein Kloster klein und still
Im kühlen Wiesengrund.

»Das schaue mit dem Fensterlein
Nach deinem Schloß empor,
Dort knie ich bei der Kerze Schein,
Mein Lied dringt in dein Ohr,

»Dort bet' ich für den armen Knecht,
Der ohne Schuld verdarb,
Dort fleh' ich, bis ich Gnad' um Recht
Auch dir bei Gott erwarb!

»Und wenn ich nicht mehr bet' und sing',
So steige zu mir herab,
Steck' an den Finger mir den Ring
Und lege mich in's Grab!«

Schwab


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