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Die letzten Worte des Pfarrers zu Drottning auf Seeland

Die müden Glieder neigen sich zur Erde,
        Und bald kann ich dies Schweigen nicht mehr brechen;
        Es sieht mich an mit flehender Geberde
Das stumme Bild, und dringt mich noch zu sprechen:
        Warum, o Erde, hatt'st du keinen Mund,
        Und warst so träg die Frevelthat zu rächen?
Ihr ew'gen Lichter, die des Himmels Rund,
        So weit es reicht, mit stummen Glanz erfüllen,
        Ist das Verbrechen auch mit euch im Bund?

Kann nur der Mensch was er gesehn enthüllen,
        Warum denn konnten mir die Zunge binden
        Ein falscher Eidschwur und ein feiger Willen?
Laß mich nicht sterben, Gott, in meinen Sünden,
        Nimm diese Last von der gedrückten Seele,
        Und laß dies Blatt den rechten Leser finden,
Daß es der Zeit, die kommen wird, erzähle,
        Was ich gesehn, und nicht in ew'ger Nacht
        Ein Grab mit mir die Greuelthat verhehle.

Es war in tiefer dunkler Mitternacht,
        Wann kräft'ger der Gedanke sich entzündet;
        Als einsam ich beim Wort des Herrn gewacht,
Auf das am nächsten Morgen ich verkündet',
        Daß unversehns zwo dräuende Gestalten
        (Wie es geschehn, hab' ich noch nie ergründet)
Indem ich sinnend sitze, vor mir halten,
Schwarz wie die Nacht und ihre dunkeln Mächte –
Wo war'r ihr da, ihr schirmenden Gewalten?

War abgewendet eure heil'ge Rechte,
        Dem Frommen eine feste Burg und Mauer
        Vor bösem Anlauf und Gefahr der Nächte?
Schon sank ich in des sichern Todes Trauer;
        Die Seele wandte sich zum ew'gen Lichte,
        Die Glieder aber löste kalter Schauer.
Doch während so das Härtste ich erdichte,
Das Aeußerste zu dulden schon mich rüste,
Geschah es mir, wie ich wahrhaft berichte.

Es ist ein Ort nicht fern der Meeresküste,
        Verwittwet steht der Kirche alt Gemäuer,
         In des Gefildes dürrer sand'ger Wüste,
Seit Gottes Hand an eines Sonntags Feier,
        Das alte Dorf durch Sturm und Meeresbraus
        Bedeckte mit des Sandes dichtem Schleier.
Dahin zu kommen in dem nächt'gen Graus
        Befahl der Eine. »Willst die Glieder laben,
        So folge mir zu spätem Hochzeitsschmaus.

Du kannst das wohl nicht alle Tage haben.«
        Der Andre sprach: »Nimm dieses Gold und eile;
         Wo nicht, so bist du morgen schon begraben.«
Indem ich mich bedenkend noch verweile,
         Werd' mit Gewalt und Dräun ich fortgezogen;
        Der Weg ist wohl von einer halben Meile.
Die Sterne standen an des Himmels Bogen,
        Sonst war die Nacht von keinem Lichte heiter,
         Und fernher tosten dumpf die Meereswogen.

Doch unsres Weges einz'ger sichrer Leiter
        War ferner Laut, wie ich ihn nie vernommen;
        Denn schnell durchs Dunkel gingen die Begleiter.
Und als wir endlich näher nun gekommen
        Dem Ziel der Reise, hielten die Gefährten,
        Und mehr und mehr ward mir das Herz beklommen.
Sie sprachen miteinander durch Geberden,
        Drauf gaben sie den Augen eine Hülle,
        Wodurch sie nur die innre Nacht vermehrten.

Ich wurde nun in meiner Seele stille,
        Und wiederholte gläubig stets die Worte
        Voll Trost und Kraft: Herr, es gescheh dein Wille!
Und bald gelangt' ich zu dem stillen Orte,
        Wohin so oft voll Andacht ich gegangen,
        Und auf ein Zeichen öffnet sich die Pforte.
Von andern Händen werd' ich da empfangen;
        Obwohl geblendet, kenn' ich alle Schritte
        Und weiß, daß zum Altare wir gelangen.

Ich hört' Geräusch als wären's Menschentritte,
        Und leise Laute durch die Stille schweben,
        Doch hatt' ich Muth zur Drohung nicht, noch Bitte.
Jetzt aber schien die Ruhe aufzuleben.
        Schon war ich meiner Sinne nicht mehr Meister,
        Und dachte: nun wird sich's zum Ende geben.
So machte Furcht und Schrecken selbst mich dreister,
        Daß ich die Stimme herzhaft so erhoben:
        »Seid abgeschiedne ihr, doch gute Geister,

Die Gott den Herrn und Jesum Christum loben,
        So sprecht, was treibt euch noch zurückzukehren
        In diese Welt, von jener Welt dort oben?
Doch seid ihr nicht aus jenen sel'gen Sphären,
        Wer gab euch Macht, euch also zu erfrechen,
        Die heil'ge Ruhe dieses Orts zu stören?«
Doch hört ich, kaum war dies vergönnt zu sprechen,
        Ein schrecklich Wort mir an das Ohr getragen,
         Und stark wie Felsen durch das Herz mir brechen.

Es galt nicht weder Fragen mehr noch Klagen,
        Ich konnte meinen Willen nicht mehr regen,
        Denn selbst die Kraft des Wollens war zerschlagen.
Die Hülle fällt, und schon steht mir entgegen
        Das junge Brautpaar, harrend am Altare,
        Und wartend auf den priesterlichen Segen;
Das Mädchen mit dem frischen Kranz im Haare
        Zwar schön, doch bleich als käm sie aus dem Grab,
        Der Jüngling in der ersten Blüth' der Jahre.

Und hinter ihnen weiter noch hinab
        Sah ich beim hellen Schimmerglanz der Lichter
        Im mittlern Gang ein frisch geöffnet Grab,
Und nah und fern ein Volk, das dicht und dichter
        Sich wölkte, als es jemals sonst gewesen.
        Es waren eigne seltsame Gesichter,
Worin man glaubt ein fernes Land zu lesen;
        Doch ihre Herkunft war nicht auszuwittern,
        So fremd und unbekannt war Tracht und Wesen.

Und alsbald hör' ich durch die Kirche zittern
So Orgelton als sonderbare Klänge,
        Dergleichen auch den stärksten Sinn erschüttern.
Und als verstummten Orgel und Gesänge,
        An Sprach' und Weise keinen zu vergleichen,
        Sah ich zum Altar drängen sich die Menge,
Das Mädchen gegen mich sich freundlich neigen,
        Mit einem Blick – ich werd' ihn immer schauen –
         Und dieser Blick schien mir ein willig Zeichen.

Darob ergriff ich ohne Furcht und Grauen
        Des Mädchens kalte todtenblasse Hand,
        Um sie dem schönen Jüngling anzutrauen.
Wie war's, daß ich das Zittern nicht verstand,
        Als ihre Hand zu seiner sich gewendet?
        Und warum knüpft' ich solch unselig Band?
Kaum war der letzte Segensspruch vollendet,
        (In griech'scher Zunge, wie man mir befohlen)
        So wurden mir die Augen neu verblendet,

Woraus sich Thränen nicht umsonst gestohlen;
        So schied mein Blick von der vermählten Braut.
        Dann ließen sie ein Crucifix sich holen,
Auf das ich mußt', mit heller Stimm' und laut,
        Ein ewig Schweigen dieser Nacht geloben,
        Mit einem Schwur, ob dem mir jetzt noch graut.
Dieß war mir noch die härteste der Proben,
        Und als auch diesen Zwang ich überstanden,
        Ward ich zur Kirche still hinausgeschoben.

Nun frei, löst' ich sogleich mich von den Banden,
        So mir die Augen starr und fest umzogen,
         Die sich alsbald empor zum Himmel wandten.
Die Sterne standen noch am Himmelsbogen,
        Sie sahen auf des alten Dorfes Trümmer,
        Und näher brausten laut die Meereswogen;
Und in der Kirche war noch schwacher Flimmer,
        Doch bald drauf sah ich's dunkel drinnen werden,
        Und es erstarb des Lichtes letzter Schimmer.

So legt', ermüdet von der Nacht Beschwerden,
        Kraftlos und schwach, um weiter noch zu wallen,
        Ich eine Weile nieder mich zur Erden.
Noch eine Weile, und ich hör' ein Schallen:
        Es trug der Wind es von der Kirch' herüber,
        Es däuchte mir, als war ein Schuß gefallen.
Darob ergriff mich Schau'r und kaltes Fieber,
        In allen Gliedern schien es mich zu packen,
        ch sah noch einmal in die Nacht hinüber,

Dann wandt' ich eilig ihr die flücht'gen Hacken,
        Und fliehend schnell durch Dornen, Schilf und Moor,
        Als säße Tod und Hölle mir im Nacken,
Kam ich vor meines Hauses offnes Thor.
        Dort warf der Schrecken mich gewaltsam nieder,
        Doch früh am Morgen riß es mich empor.
Nicht Ruh noch Rast für die zerschlagnen Glieder:
        Noch eh die Sonn' emporstieg an dem Himmel,
        Stand ich schon vor der alten Kirche wieder.

Verschwunden war der dunkeln Nacht Gewimmel,
        Die Kirche färbte sich mit goldnem Saume.
        Es legte sich der Sinne wild Getümmel,
Mir war's, als wacht' ich auf aus einem Traume.
        War es des heitern Morgens frische Kühle,
        Die alte Still in diesem heil'gen Raume,
War es der Trost der himmlischen Gefühle,
        Die dieser Ort so oft auf mich ergossen
        In mancher Leiden schwerer banger Schwüle?

Mir war die Nacht wie ein Gesicht zerflossen,
        Auf's Neue war das Herz dem Glauben offen,
        Und schon hatt' ich die Kirche aufgeschlossen.
Der erste Punkt, auf den das Aug' getroffen,
        Ist jener Ort, wo ich das Grab erblickt:
        Ich gehe hin und öffn' es stark im Hoffen,
So tief ist mir das Zutraun eingedrückt.
        Ich öffn' und finde – o ihr ew'gen Wunden!
        Ihr ew'gen Dolche, die auf mich gezückt! –

Die bleiche Braut, so ich dem Tod verbunden. –
        Warum hat euch, ihr allzutreuen Augen,
        Nicht schwarze Nacht auf immer gleich gebunden?
O Herz, woran so viele Qualen saugen,
        Was hinderte dich damals abzusterben?
        Ihr Lippen, die noch Lebensathem hauchen,
Was hielt euch ab, euch damals zu entfärben?
        O Kräfte, die allmählig mich zerstören,
        Was wehrt' euch, damals gleich mich zu verderben?

Und so viel Jahre mußt' ich in mir nähren
        Das traurige Geheimniß, das mich quälet,
        Und so mir selbst den Weg zu Gott verwehren!
Indeß der Tod schon meine Stunden zählet,
        Und vor mich stellt in jedem Schreckensbild
        Die Braut der Nacht, die ich ihm einst vermählet.
O selig Jeder, welchem sanft und mild
        Aus reinem Sinn und fröhlichem Gewissen,
        In innrer Brust der Friede Gottes quillt!

Und diesen Frieden mußt' ich lange missen,
        O Quell des Heiles, unerschöpfter Born,
        Von dem der Gnade reiche Ströme fließen!
Wend' ab von mir den lang getragnen Zorn,
        Laß schlafen endlich, laß sich endlich brechen
        Die Herzensnoth und des Gewissens Dorn.
Dir ziemt es, das Verborgene zu rächen,
        Und neigst dich auch des Sünders frommen Bitten:
        Laß diese Schrift zur fernern Zukunft sprechen,
Und nimm mich auf in deine ew'gen Hütten.

Bonaventura


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