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Der heilige Lucas

Sanct Lucas sah ein Traumgesicht:
Geh! mach dich auf und zögre nicht,
Das schönste Bild zu malen.
Von deinen Händen aufgestellt,
Soll einst der ganzen Christenwelt
Die Mutter Gottes strahlen.

Er fährt vom Morgenschlaf empor,
Noch tönt die Stimm' in seinem Ohr;
Er rafft sich aus dem Bette,
Nimmt seinen Mantel um und geht
Mit Farbenkasten und Geräth
Und Pinsel und Palette.

So wandert er mit stillem Tritt,
Nun sieht er schon Mariens Hütt'
Und klopfet an die Pforte.
Er grüßt im Namen unsers Herrn,
Sie öffnet und empfängt ihn gern
Mit manchem holden Worte.

»O Jungfrau wende deine Gunst
Auf mein bescheidnes Theil der Kunst,
Die Gott mich üben lassen!
Wie hoch gesegnet wär' sie nicht,
Wenn ich dein heil'ges Angesicht
Im Bildniß dürfte fassen!« –

Sie sprach darauf demüthiglich:
Ja, deine Hand erquickte mich
Mit meines Sohnes Bilde.
Er lächelt mir noch immer zu,
Obschon erhöht zur Wonn' und Ruh
Der himmlischen Gefilde.

Ich aber bin in Magdgestalt,
Die Erdenhülle sinkt nun bald,
Die ich auch jung verachtet.
Das Auge, welches alles sieht,
Weiß, daß ich nie, um Schmuck bemüht,
Im Spiegel mich betrachtet. –

»Die Blüthe, die dem Herrn gefiel,
Ward nicht der flücht'gen Jahre Spiel,
Holdseligste der Frauen!
Du siehst allein der Schönheit Licht
Auf deinem reinen Antlitz nicht:
Doch laß es Andre schauen.

Bedenke nur der Gläub'gen Trost,
Wenn du der Erde lang entflohst,
Vor deinem Bild zu beten.
Einst tönt dir aller Zungen Preis,
Dir lallt das Kind, dir fleht der Greis,
Sie droben zu vertreten.«

Wie ziemte mir so hoher Lohn?
Vermocht' ich doch den theuren Sohn
Vom Kreuz nicht zu entladen.
Ich beuge selber spät und früh
In brünstigem Gebet mein Knie
Dem Vater aller Gnaden. –

»O Jungfrau! weigre länger nicht,
Er sandte mir ein Traumgesicht,
Und hieß mir dich zu malen.
Von diesen Händen aufgestellt,
Soll vor der weiten Christenwelt
Die Mutter Gottes strahlen.« –

Wohlan denn! sieh bereit mich hier.
Doch kannst du, so erneue mir
Die Freuden, die ich fühlte,
So rufe jene Zeit zurück,
Als einst das Kind, mein süßes Glück,
Im Schooß der Mutter spielte. –

Sanct Lucas legt ans Werk die Hand;
Vor seiner Tafel unverwandt,
Lauscht er nach allen Zügen.
Die Kammer füllt ein klarer Schein,
Da gaukeln Engel aus und ein,
In wunderbaren Flügen.

Ihm dient die junge Himmelsschaar,
Der reicht' ihm sorgsam Pinsel dar,
Der rieb die zarten Farben.
Marien lieh zum zweiten Mal
Ein Jesuskind des Malers Wahl,
Um die sie alle warben.

Er hatte den Entwurf vollbracht,
Nun hemmte seinen Fleiß die Nacht,
Er legt den Pinsel nieder.
»Zu der Vollendung brauch' ich Frist,
Bis alles wohl getrocknet ist,
Dann, spricht er, kehr ich wieder.«

Nur wenig Tage sind entflohn;
Da klopft von neuem Lucas schon
An ihre Hüttenpforte;
Doch statt der Stimme, die so süß
Ihn jüngst noch dort willkommen hieß,
Vernimmt er fremde Worte.

Entschlummert war die Gottesbraut
Wie Blumen, wann der Abend thaut;
Sie wollten sie begraben,
Da ward sie in verklärtem Licht
Vor der Apostel Angesicht
Gen Himmel aufgehaben.

Erstaunt und froh schaut er umher,
Die Blick' erreichen sie nicht mehr,
Die er nach droben sendet.
Obschon im Geist von ihr erfüllt,
Wagt er die Hand nicht an ihr Bild:
So blieb es unvollendet.

Und war auch so der Frommen Lust,
Und regt' auch so in jeder Brust
Ein heiliges Beginnen.
Es kamen Pilger fern und nah,
Und wer die Demuthsvolle sah,
Ward hoher Segnung innen.

Vieltausendfältig konterfeit
Erschien sie aller Christenheit
Mit eben diesen Zügen.
Es mußte manch Jahrhundert lang
Der Andacht und dem Liebesdrang
Ein schwacher Umriß gnügen.

Doch endlich kam Sanct Raphael,
In seinen Augen glänzten hell
Die himmlischen Gestalten.
Herabgesandt von sel'gen Höhn,
Hatt' er die Hehre selbst gesehn
An Gottes Throne walten.

Der stellt' ihr Bildniß, groß und klar,
Mit seinem keuschen Pinsel dar,
Vollendet, ohne Mängel.
Zufrieden, als er das gethan,
Schwang er sich wieder himmelan,
Ein jugendlicher Engel.

Schlegel


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