Heinrich Zschokke
Meister Jordan
Heinrich Zschokke

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Ende gut, Alles gut.

Als am Abend die Familie des Hofgürtlers traulich beisammen saß, glich jeder und jede den Seligen des Himmels. Es war schwer zu sagen, wer von ihnen sich am glücklichsten glaubte, ob das junge Brautpaar, oder das Aelternpaar? Jonas hielt die treue Martha neben sich im Arme. Beide blickten segnend auf ihre Kinder, die ihnen gegenüber einander umschlungen hielten. Tausend Dinge wurden durcheinander besprochen; Gnade und Herablassung des Fürsten; Anfertigung des Geschützes; Vorrichtungen dafür; Gewinn davon; Gründung der neuen Lehranstalt; andre Absichten des Landesherrn; am ausführlichsten aber, ganz natürlich, die künftige Haushaltung der beiden jungen Leute. Es ward einstimmig beschlossen: Es müsse Alles bleiben, wie es bisher gewesen; Aeltern und Kinder unter gleichem Dache, am gleichen Tische; Alles mit einander gemein; Lust und Leid; Einer des Andern Hülfe, Hoffnung und Trost.

Und dabei blieb's. Schon folgenden Sonntags ward die Hochzeit verkündet, und einige Wochen später in eben demselben Lustgarten vor den Thoren, in eben der Laube, eben so einfach, gefeiert, wie vor beinahe dreißig Jahren die Hochzeit der Aeltern. Außer Herrn Gideon Kürbis und einem alten Professor, Veits ehemaligem Lieblingslehrer, sah man dabei nur wenige Gäste geladen. Es waren zwei wohlhabende, achtbare Bürger mit ihren Frauen, welche sich dem Jordanschen Hause sehr anhänglich und befreundet schon seit Jahren erwiesen hatten; Handwerker, denen Meister Jordan, bei Anfang ihres Gewerbes, Rathgeber und Vorbild geworden und geblieben war. Frohe Laune, und herzliche Ausbrüche der Liebe, der Freundschaft und Dankbarkeit verschönerten das Festmahl. Auch ließ es Vater Jonas nicht an einer kräftigen Traurede fehlen, wie ehemals; nur der gefüllte Geldbeutel blieb für den Herrn Pfarrer diesmal aus. Man lebte vergnügt bis Abends beim Glase Wein beisammen, während zu Hause auch sämmtlichen Gesellen, Lehrburschen, Arbeitern und Taglöhnern, ohne Ausnahme, ein großes Festmahl den Tag verschönern mußte.

Fröhlich hatten sich insgesammt die Wohlbewirtheten, bei der Heimkehr ihrer Meister und Meisterinnen vor dem Eckhause in Reih' und Glied aufgestellt und empfingen sie mit jubelndem Lebehoch, und lärmenden Glückwünschen, so, daß auf dem Schloßplatze eine Menge der Vorübergehenden stehen blieb, Zuschauer des lustigen Getümmels zu sein.

Keinem der Begrüßten aber entging dabei das seltsame Gehaben und Thun, gegenseitige muthwillige Zunicken, Flüstern und halbunterdrückte, geheimnißvolle Kichern der alten und jungen Arbeits- und Hausgenossen. Doch nahm man es für Wirkung des guten Weins, und trat ins Haus, wohin sich die Schaar der Jubler schon vorausgedrängt hatte, und in Reih' und Glied, von der Thür bis zur Treppe, den Eingang in die Stuben des Erdgeschosses verrammelt hielt.

»Was soll's geben, Leutchen? Laßt uns ein,« rief Vater Jonas: »Fehlt's noch an Wein? Ihr müßt haben, mehr, als genug.«

Einer der Altgesellen trat hervor, verbeugte sich tief und hielt eine feierliche Anrede, die er mit der ehrerbietigen Einladung und Bitte schloß, das neuvermählte Paar wolle den Eintritt zuerst in seine eigenen Zimmer halten, und es durch den Segen der würdigen Aeltern weihen lassen.

»Da muß man, merk' ich, wohl gehorchen; denn ich sehe, Ihr seid hier die Stärkern!« sagte Jonas schmunzelnd und erwarte eine kleine Ueberraschung. Veit mit Christianen gingen lachend voran; Vater und Mutter folgten, und wurden nur von zwei Altgesellen begleitet, die ihnen die mit großen Blumengehängen umkränzten Thüren öffneten.

Aber welches Erstaunen befiel die Eintretenden! Alles war verwandelt. Jonas warf erst den Blick nach allen Seiten, dann kopfschüttelnd gegen Martha, die ihrerseits, wie versteinert, stehen blieb. Nicht weniger betroffen schauten Veit und Christiane die zierliche, zum Theil prächtige Ausmöblirung der Stube an, die köstlichen Umhänge der Fenster, kunstvoll geschlungen, den breiten, hohen Spiegel dazwischen, schimmernd im Goldrahmen; das Schreibpult von Akajuholz, mit argandscher Bronzelampe darüber; die glänzenden Tische; die gepolsterten Stühle; ein Sopha längs den Wänden.

Der Altgesell ward von Allen zugleich mit Fragen über Fragen bestürmt. Er zuckte stilllächelnd die Achseln, als sei ihm keine Antwort erlaubt. Er öffnete die Thür des Nebenzimmers, in welchem Veit Besuche abzunehmen pflegte. Da stand und lag Alles noch weit kostbarer ausgestattet.

»Soll ich denn lachen, oder fluchen?« rief Meiste Jordan. »Oder soll ich Hexerei glauben?«

»Sprecht ohne Rückhalt!« gebot Veit dem schweigsamen Mitwisser um das geheim getriebene Spiel: »oder ich lasse den gesammten schönen Plunder wieder hinaus auf die Straße stellen. Verderbt mir den heutigen Tag nicht.«

Statt ein Wort zu erwidern, überreichte ihm der Altgesell einige Schlüssel und einen kleinen Brief; lächelte dabei etwas triumphirend und sah neugierig herum, als ergötze ihn schon voraus die abermalige Verwunderung der Anwesenden.

Veit erbrach das Siegel und las:

»Herr Jordan, Sie treten, wie ich vernehme, in den Ehestand. Sie wählen eine vermögenslose Waise, deren Schatz Häuslichkeit und Tugend ist. Erlauben Sie mir, die Ausstattung derselben zu übernehmen. Ich will mich damit keiner frühern Verbindlichkeiten entledigen, sondern nur einer Familie, welche dem Lande schon durch Beispiel, Werk und Rath sehr genützt hat, ein kleines Kennzeichen meiner Dankbarkeit geben, und Sie selbst ermuntern, auf der Bahn Ihres verdienstvollen Vaters weiter zu schreiten.«

»Ihr Ihnen wohlgeneigter                                  
Gustav, F. v. A.«

Veit las in großer Rührung die letzten Zeilen mit bebender Lippe. Es blieb eine Zeit lang tiefe Stille. Christiane faltete die Hände zusammen und blickte himmelwärts, wie Segen zu erflehen. Mutter Martha weinte still ihre Freudenthräne. Jonas entfernte sich ans Fenster, trocknete da die Augen und rief: »Ich sage Euch, Kinder, der Fürst da ist wahrhaftig ein wirklicher Fürst; ich sage, ein ganzer, ein wirklicher Fürst!«

Der vergnügte Altgesell aber erzählte nun auf eine Menge eilfertiger Fragen der Frauen, daß ein Privatsekretär des Fürsten erschienen sei, begleitet von einigen Dienern. Er habe im Namen Sr. Durchlaucht die Räumung sämmtlicher Zimmer des neuen Ehepaars befohlen. Jeder hätte dabei Hand anlegen müssen. Dann seien, in einer und derselben Viertelstunde, aus allen Winkeln Tischmacher, Ebenisten, Tapezierer, Kaufmannsdiener, Fayencehändler u. s. w. mit ihren Waaren ins Haus getreten. Es wäre toller Teufelslärmen gewesen. Der Sekretär hätte aber Ordnung gehalten. In kaum drei Stunden Nachmittags habe Alles, was da sei, an seinem Platz gestanden, Kommoden und Schränke, Spiegel und Lampen, Tische und Stühle. Küchengeschirr, Kaffeegeschirr von Porzellan mit Goldrändern. Man hätte an Zauberei glauben können.

Jetzt ging's ans Beschauen der vielen Herrlichkeiten. Nichts fehlte; vielmehr Ueberfluß war's für Bedarf einer kleinen Haushaltung. Sogar Nähkissen und Nadelbüchse, Schreibzeug und Spinnrad wurden gefunden. Und mit heimlichem Lachen zog Mutter Martha ihre junge Schwiegertochter in die Schlafkammer. Da stand neben einem der Betten eine zierlich gearbeitete Wiege, mit den kleinen Kissen und Decken, vom feinsten Linnen überzogen, vollständig aufgemacht.

Hier möge die Geschichte enden. Nur beigefügt mag noch werden, daß der kenntnißreiche Stück- und Glockengießer von Altenheim wirklich mehr denn einmal zu dem anfangs verkannten, nachher vielgesegneten Landesherrn ins Schloß berufen worden ist. In der That ward, auf Kosten des Staats, im ehemaligen Gideonschen Gebäude, eine höhere Gewerbschule zu wissenschaftlicher und praktischer Vorbildung für Handwerker, mechanische Künstler und Fabrikanten, unter Leitung des jungen Jordan, errichtet. Ihn selbst ernannte der Fürst zum Direktor derselben. Tüchtige Lehrer der Mathematik, Naturgeschichte, Physik, Chemie und Technologie, so wie im Zeichnen, Modelliren und Buchhalten zu haben, wurden diese allzeit erst nach einjähriger Prüfung ihrer Leistungen, dann mit guter Besoldung, bleibend angestellt. Unterricht in französischer und englischer Sprache empfing man unentgeldlich am Gymnasium. Reichlich stattete auch Fürst Gustav dazu die Naturalien- und Modellsammlungen, und die technologische Bibliothek aus.

Meister Jonas, unermüdlich, blieb noch viele Jahre lang in seiner gemeinnützigen Thätigkeit wirksam. Es gelang ihm in der Hauptstadt die Gründung eines Handwerker-Bundes. Da ward von den Meistern Besseres und Wichtigeres, als vor Zeiten in den Zünften besprochen, berathen und beschlossen; z. B. welche Gewerbe fehlen noch im Lande? wie sind sie herbeizuschaffen? Was für Gesellen verpflichtet sich jeder Meister von seiner Werkstatt auszuschließen, sobald sie das Handwerk entehren, wie Saufbrüder, Spieler, Blaumontagskerle, schwindelnde Kommunistenhelden u. dgl.

Dieser Handwerkerbund aber hatte nach und nach bedeutsamere Folgen, als der Fürst anfangs davon erwartet hatte, z. B. eine jährliche öffentliche Gewerbsausstellung; eine vierteljährliche Waarenschau bei allen Meistern, durch erwählte Sachkundige, zur Prüfung der Waarengüte und Berichterstattung darüber im Rath des Bundes; eine Krankenkasse für Gesellen, eine Wittwen- und Waisenkasse für Handwerker, wozu denn Jonas wieder mit freigebiger Hand Grund legte.

Sein Sohn eiferte ihm nach. Durch Vertrauen und Gunst, deren er bei dem einsichtsvollen Fürsten bleibend genoß, gelang ihm die Ausführung manches Unternehmens, welches in vielen andern Ländern nur noch frommer Wunsch geblieben ist. Das Schullehrer-Seminar wurde mit einigem Garten-, Acker-, Reb- und Wiesenland ausgestattet und ein Lehrer der Landwirtschaft angestellt, damit die Seminaristen dereinst in den Dörfern fähig wären, die erwachsene Jugend mit den zweckmäßigsten Verbesserungen der Landökonomie bekannt zu machen. – Ein ehemaliges reiches Frauenstift, worin bisher etwa zwanzig Töchter angesehener Familien mit vielem Aufwand im Französischen und Italienischen, in Musik, Tanz, Stickereimachen und andern Damengeschäften Unterricht genossen hatten, ward ganz aufgehoben, und statt dessen in jeder Gemeinde des gesammten Landes eine Arbeitsschule für das weibliche Geschlecht gestiftet, in welchen, statt der 20 Dämchen, bei 20,000 junge Mädchen im Nähen von Gewand aller Art, im Flicken und Stricken und andern häuslichen Verrichtungen, Anweisung und Uebung erhielten, zugleich auch an größere Reinlichkeit, Ordnung und Sittsamkeit gewöhnt wurden.

Die Wirkungen aller dieser und andrer öffentlichen Anstalten traten freilich nur nach einem Jahrzehend heller hervor; herrlicher und heller aber nach einem Zeitraum von zwanzig Jahren, als ein neues, ein besseres Volk aus den verschiedenen Bildungsstiftungen hervorgegangen war. Man kennt den allgemein verbreiteten Wohlstand im Fürstenthum Altenheim, wo vorzeiten noch der fünfte oder vierte Theil der Einwohner zur ärmsten Klasse gehörte.

Die Städte verschönern sich immer mehr bei dem zunehmenden Gewerbfleiß und Kunstsinn der Bürger. Die Dörfer fordern und gewinnen von jeder Spanne ihres Bodens höhern Zins; die ehemalige Unreinlichkeit und Rohheit in Nahrung, Kleidung und Wohnung der Landleute ist fast gänzlich verschwunden. Nur noch alte Frauen und Männer, eingerostet geblieben in vieljähriger Gewohnheit und Unwissenheit, klagen über Verschlimmerung der Zeiten; klagen, beim Anblick gesitteterer Lebensweise, über Ueppigkeit und Hoffart der heutigen Welt; beim fortschreitenden Aussterben des Aberglaubens, über Verfall der Religion und über Unglauben der Menschen. Sie meinen, der jüngste Tag der Welt schaue klar zu den Fenstern herein.

Meister Jonas aber, als schon die siebenziger Jahre sein Haar versilbert hatten, stand, fast noch einem kräftigen Dreißiger gleich, hochbeglückt neben der frommen Martha, im Kreise seiner Kinder und Kindeskinder, verehrt von seinen Mitbürgern, verehrt von seinem Fürsten. Oft erzählte er noch von seiner Knabenzeit, wie er da mit Vater Thaddäus, dem Kesselflicker, hausirend umhergezogen war; und das Gesicht glänzte ihm, von innigem Vergnügen, wenn er mit jener Zeit die großen Verwandlungen verglich, von denen er sich nicht einbilden konnte, daß er auch selber großen Antheil an ihrem Dasein gehabt habe. Dann pflegte er zu rufen: »Hab' ich's nicht immer gesagt? Nur heller Verstand im Kopf, Liebe des Nächsten im Herzen, Genügsamkeit im Magen und Arbeitsamkeit in den Fingern – dann hat Handwerk goldnen Boden!«


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