Heinrich Zschokke
Meister Jordan
Heinrich Zschokke

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25. Das Vaterhaus.

Wie unbedeutend dies kleine Begegniß sein mochte. half es doch auch den bisherigen Trübsinn des Wanderers ein wenig zerstreuen; bald vergaß er die entehrte Tochter des Goldschmieds, die ihm jetzt eben so widrig, als einst liebenswürdig war. Er machte seine Reise nur langsam, in Kreuz- und Querzügen durch die Rheingegenden, wo ihn die großen gewerbigen Städte mit ihren öffentlichen Anstalten, Kunstwerken, Fabriken und andern Sehenswürdigkeiten magnetisch anzogen. Selbst das, was nicht unmittelbar in sein Fach einschlug, ließ ihn nicht gleichgültig. Er wollte überall lernen, und wißbegierig zeichnete er in seinem Tagebuch eine Menge Dinge an, die ihm späterhin wohl zu statten kommen konnten; oder knüpfte Bekanntschaften an, die ihm zu seinen Geschäften einst nützlich werden konnten.

Nach mehrwöchentlichem Umherziehen erblickte er endlich wieder die Kirchthürme und hohen Schloßzinnen von Altenheim vor sich. Es war an einem Sonnabend. In Furcht und Hoffnung: wie er seine Aeltern finden werde, schlug ihm das Herz immer gewaltiger, je heller die Stadt ihm aus dem falben Dunst der Ferne entgegenstieg. Er trat durchs Thor. Ihm schien Alles neu und fremd, obgleich sich in den Straßen wenig verändert hatte.

Ein banger und froher Schauer durchfloß ihn, als er zum Schloßplatze gelangte und neben dem stolzen, breiten Gebäude des ehemaligen Goldschmieds das kleine Eckhaus, die bescheidene Wohnung seines biedern Vaters, seiner theuren Mutter sah. Ungewiß, wie es da drinnen stehe, fürchtete er sich fast hineinzugehen. Er wandte sich fragend an eine junge blondköpfige Magd, die, vor dem Hause den Platz zu fegen, mit ihrem Kehrbesen so ämsig beschäftigt war, daß sie erschrocken zurückfuhr, als sie einen rüstigen, starken jungen Mann dicht vor sich wahrnahm.

»Kind, fürchte dich nicht!« sagte er zu ihr: »Oder gehörst du vielleicht nicht ins Haus vom Meister Jordan?«

Das Mädchen, in der Bestürzung todtenblaß, starrte ihm stumm ins Gesicht; ließ die Arme schlaff hangen; den Besen zur Erde fallen; und stammelte, indem wieder glühendes Roth Stirn, Wangen, Kinn und Hals überzog: »Mein Gott! Nein, du selbst, Veit? Es ist nicht möglich!«

Der von dieser Unbekannten, wie ein alter Bekannter, Angesprochene, schaute ihr betroffen in das jugendlich schöne Antlitz und in die ihn anblitzenden blauen Augen und rief: »Es ist nicht möglich! du wärst – wie bist du so groß geworden? Christiane, du? Bist du es?«

Das Mädchen ließ den Verwunderten stehen; ließ den Besen liegen; eilte mit Geschrei ins Haus zurück: »Veit! Veit ist da! Veit!«

Er folgte ihr. Sprachlos und zitternd erblickte er im Hausgang seine Mutter; und zitternd und sprachlos sank diese in seine Arme. Bald eilte auch Vater Jonas aus der Werkstatt mit hastigen Schritten daher, und wie rußig vom Rauch und Kohlenstaub auch sein Gesicht war, umhalsete er seinen Liebling.

»Nun, du dummes Ding!« schrie er fröhlich, und warf Christiane, die bewegungslos dastand, dem Angekommen zu: »Kennst du den Jungen nicht mehr? Heiß ihn willkommen, du Närrchen.«

Sie lag schweigend an seinem Herzen. Ihre Lippen brannten gegen die seinigen. Eine Thräne fiel warm von ihren Augen auf seine Wangen.

»Feierabend! Feierabend!« schrie der Alte zu einer Werkstatt hinein; kehrte zurück und packte noch einmal mit den nackten, sehnigen Armen den Sohn, um ihn von Neuem zu herzen.

Doch wozu hier die Freudetrunkenheit der kleinen Familie schildern? Nicht diesen, nicht den folgenden Tag ward man so bald wieder nüchtern. Auch Herr Gideon Kürbis mischte sich in den häuslichen Jubel. Aber er ging gebückt einher; schien älter zu sein, als er wirklich war; und in seinen Blicken lag ein etwas schmerzlicher Ausdruck, selbst wenn er lächelte. Veit wagte nicht, ihn aufs leiseste an Vergangenes zu erinnern; noch weniger vor ihm von der Schauspielerin Ida, oder dem Galeerensträfling Edwin Erwähnung zu thun.

Veit war selig. Er glaubte es nie in dem Maße gewesen zu sein. Er lebte ein neues Leben im geliebten Vaterhause, in ständiger Nähe der Aeltern, im Umgang der lieblich aufgeblühten Christiane, die seinem Herzen, bald so nahe, wie eine wirkliche Schwester, bald noch näher, als die wirkliche Schwester, stand. Alles, ja Alles, wie er es vor Jahren verlassen, wie er es von Kindheit an gekannt hatte, war noch dasselbe; nur Christiane nicht. Da standen noch immer die beiden alten weißgescheuerten Tannentische, doch schon mit Runzeln auf der Oberfläche von hervorgetretenen Längefasern des Holzes; da noch die Strohsessel, und Mutter Martha's Lehnstuhl am Fenster, vor welchem er, sonst, als Kind, seine Lektion hergesagt hatte; da hing noch der nämliche kleine Spiegel zwischen den Fenstern; und die Wälderuhr am Ofen ließ noch immer das trauliche Tik Tak ihres Pendels lauten. Vater Jonas in seiner erweiterten Werkstatt, mit mehreren Gesellen und Lehrburschen, hämmerte, löthete, feilte und formte noch immer vom Morgen bis Abend, wie ehemals; die edle Hausfrau flog geschäftig, wie eine Biene umher; sie besorgte die Wirthschaft ohne Magd, seit Christiane herangewachsen war.

So ward auch Veit mit Freudigkeit, der er sonst im Hause gewesen. In einfach ausgestatteten Zimmern des obern Stockwerks, die ihm Martha zur Wohnung eingerichtet hatte, vergaß er die prachtreichen Säle, Boudoirs und Vorzimmer von London, Paris und dem Bellarmischen Landgute, Gobelintapeten und Gemälde in Goldrahmen, alle Bequemlichkeiten glänzender Möbel und kunstreiche Gaumseligkeiten der Tafel mit Silbergeschirr.

Ohne Verzögern rüstete er gleich in den ersten Tagen schon das Erforderliche zur Anlage seiner Gießereien. Dazu war großer Raum vonnöthen. Aber das weitläufige Nebenhaus gewährte ihn zum Ueberfluß. Steine und Bauholz wurden herbeigeführt; die ehemaligen Gartenanlagen des Herrn Gideon Kürbis, welche bis an die außer der Stadt gelegenen Wiesen rührten, wurden zur Hälfte zerstört; Wagenschopfen, Pferdeställe und andere entbehrliche Gebäulichkeiten des Hofplatzes hinter dem Hause in Schmelzhütten, Kohlenschopfe und Werkstätten mannigfaltiger Gattung verwandelt. Bald kamen Vorräthe von rohen Metallen an, von Instrumenten und Gerätschaften, aus entfernten Städten und Fabriken verschrieben. Veit hatte seine Reisen zu diesem Zweck wohl benutzt und unterwegs vorteilhafte Verbindungen und Uebereinkünfte mit Mechanikern und Großhändlern geschlossen.

Ehe das Alles noch ganz vollendet war, wie es werden sollte, erschienen schon die von ihm unterwegs geworbenen Gesellen und Arbeiter; hörte man schon das Geräusch und Getöse von Amboßen, Hämmern, Drehstühlen, Sägen, neben breiten Rauchsäulen, die hoch über den Dächern zerflossen; und las man, über der Hauptpforte des großen Gebäudes am Schloßplatz, auf einem Schilde, in Goldschrift die Worte. »Glocken- und Stück-, Roth- und Gelbgießerei von Veit Jordan.«

In Altenheim war eine Gießerei dieser Art und dieses Umfangs die erste. Selbst kleinere Gußwaaren, wie Küchen- und Apothekermörser, Faßhähne, Leuchter, metallene Walzen, Hausglocken u. s. w. wurden großen Theils vom Auslande bezogen. Der junge Anfänger hatte unmäßig zu schaffen, wie man denken kann. Ueberall gab er Anleitung; vertheilte und prüfte er Arbeiten; lehrte er bessere Handgriffe und geschickte Anwendung neuerfundener Werkzeuge; half er Modelle schnitzen und wohlberechnete Formen bilden; oder er saß in einem besondern Laboratorium bei Schmelztiegeln, oder an seinem Schreibepult zur Entwerfung von geschmackvollen Zeichnungen und Besorgung seines Briefwechsels. Daneben war er allsonntäglich der eifrigste Lehrer in der vom Hof-Gürtlermeister gegründeten Schule für Handwerker.


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